11.05.2021 · IWW-Abrufnummer 222299
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 06.11.2020 – 10 Sa 280/19
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26.04.2019 - 1 Ca 5043/19 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten - soweit berufungsrelevant - um die Wirksamkeit der arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung vom 16.07.2018, um die Wirksamkeit der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 20.07.2018 und um einen Anspruch des Klägers auf Entfernung der arbeitgeberseitigen Abmahnung vom 20.02., 07.03., 30.03., 12.12.2017 sowie um den Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers.
Der am 1971 geborene Kläger, verheiratet und Vater von vier Kindern, denen er zum Unterhalt verpflichtet ist, war seit dem 02.08.1999 als Maurer im Baubetrieb der Beklagten, die regelmäßig mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigt, mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von zuletzt durchschnittlich 2.994,78 € beschäftigt.
Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 20.02.2017eine schriftliche Abmahnung wegen von ihr angenommener beharrlicher Arbeitsverweigerung im Zusammenhang mit einer Fahrt nach Düsseldorf. Erneut mahnte die Beklagte den Kläger schriftlich am 07.03.2017 wegen Beschimpfung des Geschäftsführers anlässlich eines Telefonates des Klägers mit dem Geschäftsführer und wegen Arbeitsverweigerung ab. Mit Schreiben vom 30.03.2017 erfolgte eine weitere arbeitgeberseitige Abmahnung gegenüber dem Kläger wegen der Aufstellung unbewiesener Behauptungen mit verleumderischen Charakter im Anwaltsschreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Wegen von ihr angenommener verspäteter bzw. nicht ordnungsgemäßer Krankmeldung und daraus folgendem unentschuldigten Fehlen am 30.11. und 12.12.2017 erteilte die Beklagte dem Kläger erneut eine schriftliche Abmahnung unter dem 12.12.2017.
Im Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Köln unter dem Aktenzeichen 9 Ca 1238/18 wegen vom Kläger geltend gemachter Höhergruppierung und Zahlungsforderungen nahm der Kläger nach Durchführung des Gütetermins vom 16.03.2018 mit Schreiben vom 16.05.2018 die Klage zurück.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Kündigungsschreiben vom 16.07.2018 zum 31.01.2019.
Hiergegen richtet sich die Kündigungsschutzklage vom 18.07.2018, die am 23.07.2018 beim Arbeitsgericht Köln eingegangen ist.
Mit weiterem Kündigungsschreiben vom 20.07.2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31.01.2019.
Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner Klageerweiterung vom 22.07.2018, die ebenfalls am 23.07.2018 beim Arbeitsgericht eingegangen ist. Mit weiterer Klageerweiterung vom 25.08.2018, die am 27.08.2018 per Telefax beim Arbeitsgericht Köln eingegangen ist, begehrt der Kläger zudem die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten vom 20.07.2018 aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31.01.2019 hinaus fortbesteht. Die Klageerweiterung vom 06.11.2018 richtet sich gegen die Wirksamkeit der Abmahnungen vom 20.02., 07.03., 30.03. und 12.12.2017.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, beiden Kündigungen - der vom 16.07.2018 und der vom 20.07.2018 - fehle es an hinreichenden Kündigungsgründen. Die ordentliche Kündigung vom 16.07.2018 könne nicht auf Vorfälle vom 25. und 26.06.2018 gestützt werden. Der Kläger habe am 25.06.2018 die ihm zugewiesene Arbeit nicht pflichtwidrig verweigert. Er habe auf der Baustelle, auf der er eingesetzt gewesen sei, die Arbeiten alleine verrichten müssen und sei vom Vorarbeiter Herrn P nicht hinreichend unterstützt worden. Am 26.06.2018 habe der Kläger wegen einer Magenverstimmung nicht auf die Baustelle nach O fahren wollen, weil dort keine Toilette vorhanden gewesen sei. Er habe sich auf der Baustelle dann krankgemeldet. Der Verlauf des Personalgesprächs vom 20.07.2018 anlässlich der Übergabe des Kündigungsschreibens vom 16.07.2018 habe ebenfalls keinen Anlass zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers gegeben. Der Kläger sei im Rahmen dieses Personalgesprächs in keinster Weise aggressiv gewesen, sondern habe sich stets ruhig verhalten. Das Gespräch sei auch von dem Geschäftsführer der Beklagten mit ihm alleine unter vier Augen geführt worden. Der Zeuge N sei nicht anwesend gewesen. Durch den sogenannten Schleppnetzantrag in der Klageschrift sei auch die Klagefrist nach § 4 KSchG gegenüber der weiteren Kündigung vom 20.07.2018 und der darin enthaltenen hilfsweisen ordentlichen Kündigung gewahrt. Sämtliche Abmahnungen seien zu Unrecht erfolgt, da die darin enthaltenen Vorwürfe unzutreffend seien. Hinsichtlich der Abmahnung vom 20.02.2017 sei zu berücksichtigen, dass der Kläger wegen akuter Bronchitis arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Die Abmahnung vom 07.03.2017 sei ebenfalls wegen unrichtiger Sachdarstellung unwirksam, da der Kläger den Geschäftsführer der Beklagten nicht in einem Telefonat beleidigt habe. Auch die Abmahnung vom 30.03.2017 sei unwirksam, da in dem von der Beklagten in Bezug genommenen Anwaltsschreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers keine Veranlassung für die Annahme von unzutreffenden verleumderischen Behauptungen des Klägers gegenüber der Beklagten zu finden sei. Bezüglich der Abmahnung vom 12.12.2017 sei zu berücksichtigen, dass der Kläger versucht habe, seine über den 29.11.2017 hinaus fortbestehende Arbeitsunfähigkeit der Beklagten mittzuteilen, was am 12.12.2017 auch erfolgt sei.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
Die Beklagte hat erstinstanzlich die Rechtsansicht vertreten, die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 20.07.2018 sei jedenfalls wegen Nichteinhaltung der Klagefrist gemäß den §§ 4, 7 KSchG als begründet anzusehen, da sie nicht mit der Klageerweiterung vom 22.07.2018 und auch nicht durch den allgemeinen Feststellungsantrag in der Klageschrift angegriffen worden sei. Auch die weiteren Kündigungen - die ordentliche vom 16.07.2018 und die außerordentliche Kündigung vom 20.07.2018 - seien wegen hinreichender Kündigungsgründe wirksam. Die ordentliche Kündigung vom 16.07.2018 sei sozial gerechtfertigt und daher wirksam wegen pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers am 25.06. und 26.06.2018. Am 25.06.2018 habe der Kläger auf seiner Einsatzbaustelle die ihm zugewiesene Klinkerarbeiten abgelehnt und an diesem Arbeitstag keine Maurerarbeiten mehr durchgeführt. Am 26.06.2018 habe der Kläger bei Arbeitsantritt zwar gegenüber dem Geschäftsführer Besserung gelobt, dann aber seinen Vorgesetzten Herr P als "Bastard" beschimpft und diesen bedroht. Nach Ankunft auf seiner Einsatzbaustelle an diesem Tag habe der Kläger telefonisch auf eine Erkrankung wegen Durchfall und Zuckererkrankung hingewiesen und sei danach erst zum Arzt gegangen. Die fristlose außerordentliche Kündigung vom 20.07.2018 sei ebenfalls wirksam verhaltensbedingt aus wichtigem Grund erfolgt. Hierzu hat die Beklagte erstinstanzlich behauptet, beim Personalgespräch mit dem Kläger wegen der beabsichtigten Übergabe der ordentlichen Kündigung vom 16.07.2018 am 16.07.2018 um ca. 06:45 Uhr sei neben dem Geschäftsführer auch der Zeuge N anwesend gewesen. Der Kläger habe zunächst das ihm überreichte Kündigungsschreiben entgegengenommen, dieses geöffnet und gelesen. Dann habe der Kläger begonnen, sich über die Schlechtbehandlung im Verhältnis zu anderen Kollegen zu beklagen. Der Beklagtengeschäftsführer habe daraufhin den Kläger auf dessen ausgebliebene Verhaltensbesserung und die Vorkommnisse vom 26.06.2018 hingewiesen. Der Kläger habe die Quittierung der Inem pfangnahme des Kündigungsschreibens abgelehnt. Er sei sehr laut geworden, habe den Geschäftsführer der Beklagten mit erhobenem Zeigefinger beschimpft und dabei erregt diesem zugerufen, er sei wie Hitler und beabsichtige, alle schwarzen Köpfe im Betrieb auszumerzen, wie damals mit E . Der Kläger habe darauf beharrt, die Quittierung der Entgegennahme des Kündigungsschreibens abzulehnen. Er habe den Geschäftsführer mit dem Zeigefinger an der Schulter berührt und dabei erklärt, er werde wiederkommen und seinen Kindern zeigen, wer verantwortlich sei, dass diese keine Brötchen mehr auf dem Tisch hätten. Er habe dabei bedrohlich arabische Verse ausgestoßen. Der Kläger habe beide Fäuste erhoben und gedroht, auf den Geschäftsführer loszugehen. Der Zeuge N sei dann dazwischen gegangen und habe den Kläger aus dem Raum gebracht. Er habe dabei den Kläger auf die Kündigungsfrist gemäß der ordentlichen Kündigung hingewiesen und ihn angewiesen, auf die ihm zugewiesene Baustelle zu fahren. Daraufhin habe der Kläger geäußert, dass er nirgendwo hinfahre. Der Zeuge N habe den Kläger zwei- bis dreimal zur Arbeitsaufnahme aufgefordert, was der Kläger abgelehnt habe. Der Kläger habe das Kündigungsschreiben an sich genommen und sei dann die Treppe vom Geschäftsführerbüro hinuntergegangen und habe den unten anwesenden Arbeitskollegen erklärt, dass die Beklagte ihn kündigen wolle und er weg sei. Die streitgegenständlichen Abmahnungen seien aus dem in den Abmahnungsschreiben zutreffend geschilderten Sachverhalten gegenüber dem Kläger berechtigterweise erfolgt.
Gemäß Beschluss vom 25.01.2019 hat das Arbeitsgericht Köln Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen N . Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll aus der Kammerverhandlung des Arbeitsgerichts vom 26.04.2019 verwiesen.
Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 26.04.2019 die Klage als unbegründet abgewiesen, da die fristlose außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung vom 20.07.2018 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wirksam beendet habe. Nach Vernehmung des Zeugen N stehe zur hinreichenden Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger den Geschäftsführer im Personalgespräch vom 16.07.2018 bei Übergabe des Kündigungsschreibens schwerwiegend beleidigt und bedroht habe, so dass von einem wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB auszugehen sei. Die Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Wegen der Schwere der Pflichtverletzung seien auch einschlägige vorangegangen Abmahnungen entbehrlich.
Gegen das ihm am 14.05.2019 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger am 20.05.2019 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 22.07.2019 - am 22.07.2019 beim Landesarbeitsgericht begründet.
Er wendet gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung ein, die fristlose außerordentliche Kündigung vom 20.07.2018 sei mangels hinreichenden wichtigen Kündigungsgrundes unwirksam. Eine Beleidigung und Bedrohung des Geschäftsführers sei durch den Kläger am 16.07.2018 nicht erfolgt. Der Zeuge N habe in seiner erstinstanzlichen Zeugenaussage die Unwahrheit bekundet. Tatsächlich habe der Kläger oben im Geschäftsführerbüro im Betrieb der Beklagten am 16.07.2018 lediglich vollkommen ruhig die Unterschrift unter die Empfangsbestätigung bezüglich des Kündigungsschreibens vom selben Tag verweigert. Er sei dann die Treppe hinunter zu den Kollegen gegangen. Auf dem Weg hinunter sei der Zeuge N ihm auf der Treppe begegnet. Von oben habe der Geschäftsführer dem Zeugen N zugerufen, dass der Kläger den Empfang des Kündigungsschreibens noch schriftlich bestätigen solle. Der Zeuge N habe dann von oben den Kläger zur Quittierung des Kündigungsschreibens aufgefordert. Unten angekommen bei seinen Arbeitskollegen habe der Kläger den Umschlag mit dem Kündigungsschreiben hochgehalten und erklärt, dass er gekündigt sei. Der Kläger habe sich im Büro gegenüber dem Geschäftsführer stets ruhig verhalten.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung unter Vertiefung ihres Sachvortrags. Tatsächlich sei der Zeuge N im Personalgespräch mit dem Kläger am 16.07.2018 um 06:45 Uhr mit anwesend gewesen. Er habe den Kläger aus dem Lager mit ins Büro des Geschäftsführers gebracht, wo der Beklagtengeschäftsführer den Kläger darauf hingewiesen habe, diesen kündigen zu wollen. Danach habe der Geschäftsführer dem Kläger das Kündigungsschreiben überreicht. Im Verlauf des Personalgesprächs habe der Kläger dann den Beklagtengeschäftsführer massiv beschimpft und bedroht. Der Zeuge N sei dabei unmittelbar anwesend gewesen. Als der Kläger beide Fäuste erhoben habe, sei der Zeuge N dazwischen gegangen und habe den Kläger aus dem Raum gebracht. Nach ca. 10 Minuten sei es dem Zeugen N gelungen, den Kläger zu beruhigen, um ihn auf eine Baustelle zu schicken. Hierauf habe der Kläger erklärt, nirgendwo hinzugehen. Der Kläger sei dann mit dem Kündigungsschreiben die Treppe vom Geschäftsführerbüro nach unten gegangen und habe sich von ca. zwei bis drei dort anwesenden Kollegen mit Handschlag und dem Hinweis darauf, dass die Beklagte ihm kündigen wolle, verabschiedet. Die vom Kläger als Zeugen benannten Arbeitskollegen hätten von dem Verlauf nichts mitbekommen.
Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen N , R , F , M und B . Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 06.11.2020 (Bl. 409 ff. d. A.) verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst den zu den Akten gereichten Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft und fristgerecht eingelegt wie auch begründet worden ist (vgl. §§ 64, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung des Klägers ist allerdings unbegründet, da das Arbeitsgericht zu Recht die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen arbeitgeberseitigen Kündigung gemäß Schreiben vom 20.07.2018 festgestellt hat.
1. Die außerordentliche fristlose Kündigung mit Schreiben der Beklagten vom 20.07.2018 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien am selben Tag beendet, da ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.
a. Nach § 626 Abs. 1 BGB ist das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündbar, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Hierbei ist in zwei Stufen zu prüfen, ob im konkreten Streitfall ein wichtiger Grund gegeben ist. Zunächst erfolgt die Prüfung, ob ein bestimmter Sachverhalt an sich, d. h. generell ohne Berücksichtigung der besonderen Einzelfallumstände geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden. Falls dies zu bejahen ist, ist weiterhin zu prüfen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist (vgl. BAG, Urteil vom 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - m. w. N.).
Im Rahmen einer Gesamtabwägung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand zu messen. Hierbei ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen, inwiefern das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses entgegenstehen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber mildere Reaktionsmöglichkeiten wie Abmahnung oder ordentliche Kündigung nicht zumutbar sind (vgl. BAG, Urteil vom 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - m. w. N.).
Eine Abmahnung bedarf es allerdings auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn bereits von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach der Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstaben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. BAG, Urteil vom 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - m. w. N.).
b. Beleidigungen und Bedrohungen des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber stellen gravierende Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten dar und sind ohne Weiteres geeignet, einen wichtigen Grund an sich zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 626 Abs. 1 BGB zu bilden (vgl. BAG, Urteil vom 29.06.2017 - 2 AZR 47/16 -; Urteil vom 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 -).
c. Auch nach Durchführung der Beweisaufnahme im Verhandlungstermin vom 06.11.2020 steht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts hinreichend fest, dass der Kläger den Beklagtengeschäftsführer im Personalgespräch vom 16.07.2018 anlässlich der Übergabe des Kündigungsschreibens vom 16.07.2018 schwerwiegend beleidigt und bedroht hat.
Die Kammer schließt sich insoweit den Feststellungen des Arbeitsgerichts hinsichtlich der Vernehmung des Zeugen N an. Auch nach erneuter Vernehmung des Zeugen im Verhandlungstermin vor dem Landesarbeitsgericht vom 06.11.2020 sind Anhaltspunkte, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen oder an der Glaubhaftigkeit von dessen Aussage ergeben würden, nicht zu erkennen. Der Zeuge hat im Einzelnen und lebensnah den Ablauf am Morgen des 16.07.2020 dem Gericht geschildert. Er hat zunächst ausgeführt, dass er an dem betreffenden Morgen um 06:45 Uhr im Lager entsprechend seinen regelmäßigen Aufgaben die Mitarbeiter hinsichtlich ihres Arbeitseinsatzes eingeteilt hat. Dem Kläger habe er auf dessen Frage hin, wo er arbeiten solle, gesagt, er solle zunächst ins Büro des Geschäftsführers gehen. Er selber sei vorher informiert gewesen, worum es gegangen sei - nämlich darum, dass der Kläger seine Kündigung bekommen sollte. Er sei dann etwas später - etwa zwei bis drei Minuten später - ins Büro hochgegangen, wie er mitbekommen habe, dass der Geschäftsführer dem Kläger das Kündigungsschreiben übergeben habe. Der Kläger habe dann den Empfang des Kündigungsschreibens nicht quittieren wollen. Der Kläger habe dann eigentlich gehen wollen, sei dann aber umgekehrt und habe den Geschäftsführer mit den Begriffen beschimpft, dass hier ein Hitlerregime im Betrieb herrsche und der Geschäftsführer die schwarzen Köpfe ausmerzen wolle. Er habe den Geschäftsführer dabei mit Hitler verglichen. Der Kläger sei laut geworden, sodass der Zeuge N nach seiner Bekundung dazwischen gegangen sei. Der Kläger sei trotzdem weiter laut gewesen und habe nach Einschätzung des Zeugen arabische Flüche ausgestoßen - zum Beispiel "Allahu akbar". Zudem habe der Kläger die Äußerung gemacht, er werde mit seinen Kindern in den Betrieb kommen, damit sie sehen könnten, wer dafür verantwortlich sei, dass sie nichts zu essen hätten. Nachdem der Kläger sich etwas beruhigt habe, sei er dann noch auf den Geschäftsführer zugetreten und habe mit dem Zeigefinger auf dessen Schulter getippt. Irgendwann sei es dem Zeugen letztlich gelungen, den Kläger zu beruhigen. Er habe den Kläger dann aus dem Raum begleitet und sei gemeinsam mit diesem den Flur vom Geschäftsführerbüro aus entlanggegangen, die Treppe runter.
Die Kammer schließt sich der Wertung des Arbeitsgerichts auch nach erneuter Vernehmung des Zeugen N an, dass dieser bei dem Personalgespräch - entgegen dem Bestreiten des Klägers - tatsächlich anwesend war. Der Verlauf dieses Gesprächs wurde vom Zeugen authentisch und nachvollziehbar im Rahmen seiner beiden Aussagen - vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht - wiedergegeben. Der Zeuge zeigte während seiner Aussage kein Verhalten hinsichtlich überschießender Belastungstendenz bezogen auf den Kläger. Er schilderte den Sachverhalt sachlich und unter Berücksichtigung des zeitlichen Ablaufs zwischen dem Geschehen vom 16.07.2018 und der Zeugeneinvernahme mehr als zwei Jahre später im November 2020 hinreichend detailreich. Wiedersprüche im Rahmen seiner Aussage sind nicht zu erkennen.
Diese hinreichende Überzeugung des Gerichts ist durch die Einvernahme der vom Kläger gegenbeweislich gebotenen Zeugen R , F , M und B nicht hinreichend in Frage gestellt worden. Der Zeuge R hat im Rahmen seiner Bekundung erklärt, er selber habe nicht mitbekommen, dass oben im Geschäftsführerbüro lautstark geredet worden wäre oder eine Auseinandersetzung stattgefunden hätte. Er wisse nicht, ob an diesem Tag die Fenster des Geschäftsführerbüros offen gewesen seien, worauf er nicht geachtet habe. Ein Unterschied in seiner Aussage im Verhältnis zu der Aussage des Zeugen N liegt darin, dass der Zeuge R erklärt hat, nach seiner Erinnerung habe Herr F - und nicht wie der Zeuge N erklärt hat, der Zeuge N selber - den Kläger hoch ins Geschäftsführerbüro geschickt. Allerdings handelt es sich hierbei um ein Randgeschehen, dem letztlich keine maßgebliche Bedeutung zukommt. Auch der Zeuge F hat hierzu bekundet, dass er den Kläger hoch zum Chef geschickt habe, um wegen der Einteilung auf die Einsatzbaustelle nachzufragen. Allerdings hat auch der Zeuge F - ebenso wie der Zeuge R zuvor - bekundet, er habe keine Erinnerung daran, ob an diesem Tag etwa die Fenster im Büro des Geschäftsführers geöffnet waren oder nicht. Er sei selber, als der Kläger oben beim Geschäftsführer gewesen sei, im Lager damit beschäftigt gewesen, die Materialien für die Baustelle einzuladen. In der Halle beim Einladen kriege man normalerweise nichts von Gesprächen im Büro des Geschäftsführers mit. Beide Aussagen sind also hinsichtlich des Umstandes, ob die unten auf dem Betriebsgelände anwesenden Arbeitskollegen von einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer etwas hätten mitbekommen müssen, unergiebig bzw. bestätigen die Wahrnehmung einer solchen lautstarken Auseinandersetzung nicht, schließen diese aber auch nach ihren Bekundungen nicht aus. Der Zeuge M hat im Rahmen seiner Vernehmung vom 06.11.2020 ebenfalls bekundet, dass er unten, als er an dem Firmenbus vor der Eingangstür des Gebäudes beschäftigt gewesen sei, nichts von einer Auseinandersetzung oder dem Gespräch oben in dem Geschäftsführerbüro mitbekommen habe. Ob die Fenster des Geschäftsführerbüros an diesem Tag geöffnet gewesen seien, könne er aus seiner Erinnerung heraus nicht mehr sagen. Der Zeuge bekundet, dass eine lautstarke Auseinandersetzung im Büro eigentlich hätte gehört werden müssen. Dies etwa wenn rumgebrüllt worden wäre. Hinsichtlich der Anwesenheit des Zeugen N hat der Zeuge erklärt, dass dieser auf jeden Fall auch im Gebäude gewesen wäre, er - der Zeuge M - allerdings nicht wisse, in welchem Raum der Zeuge N sich aufgehalten habe. Mit Rücksicht auf die Entfernung, die der Zeuge zwischen dem Firmenbus und der Haustüre des Gebäudes auf etwa 10 bis 15 Meter einschätzt, und der seiner Einschätzung nach weiteren Entfernung vom Eingang zum Gebäude bis zum Geschäftsführerbüro von etwa 20 bis 25 Metern ist nach Auffassung der Kammer seiner Erklärung, eine lautstarke Auseinandersetzung im Büro hätte man eigentlich unten hören müssen, kein hinreichender Aussagewert beizumessen. Dafür ist nach Auffassung der Kammer die zwischen dem Geschäftsführerbüro und dem Firmenbus liegende Gesamtentfernung letztlich zu groß. Der Zeuge B hat bei seiner Aussage vom 06.11.2020 vor dem Landesarbeitsgericht erklärt, ihm sei nicht mehr erinnerlich, ob die Tür zum Gebäude, in dem sich das Geschäftsführerbüro befinde, offen gewesen sei oder nicht oder ob oben in den Büros oder im Geschäftsführerbüro die Fenster geöffnet gewesen seien. Er selber habe sich mit dem Firmenbus, in dem er auf den Kläger gewartet habe, nach seiner Einschätzung etwa 4 bis 4 1/2 Meter entfernt vom Eingang zum Gebäude, wo das Geschäftsführerbüro liege, befunden und dort gewartet. Dort habe er jedenfalls nichts von einer lautstarken Auseinandersetzung oder Gebrüll im Büro mitbekommen. Allerdings ist nach Auffassung der Kammer auch dieser Aussage angesichts der Entfernung zwischen Geschäftsführerbüro und dem Gebäudeeingang, die nach Einschätzung des Zeugen M ca. 20 bis 25 Meter beträgt,kein hinreichender Erklärungswert dahingehend beizumessen, dass tatsächlich keine lautstarke Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer im Geschäftsführerbüro stattgefunden hat und diese unten auf dem Betriebshof vor dem Eingang des Gebäudes nicht wahrzunehmen gewesen ist. In der Gesamtwürdigung der Aussagen sprechen die Aussagen der Zeugen R , F , M und B nicht entscheidend gegen eine - vom Zeugen N nochmals bekräftigte - Anwesenheit des Zeugen N anlässlich des Personalgesprächs des Klägers mit dem Beklagtengeschäftsführer vom 16.07.2018. Ebenfalls ergibt sich aus den Aussagen kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass die vom Zeugen N nachvollziehbar und im Einzelnen dargestellte lautstarke Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Beklagtengeschäftsführer im Beklagtengeschäftsführerbüro tatsächlich nicht stattgefunden habe.
d. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ist ein hinreichend wichtiger Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Klägers gemäß § 626Abs. 1 BGB anzunehmen.
aa. Im Rahmen der Gesamtabwägung war auf Seiten des Klägers dessen langandauernde Betriebszugehörigkeit im Betrieb der Beklagten seit August 1999 zu berücksichtigen. Zudem waren das Lebensalter des Klägers, der im Zeitpunkt der Kündigung im Juli 2018 47 Jahre alt war, seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Ehefrau und seinen vier Kindern in Rechnung zu stellen. Demgegenüber stehen allerdings die massiven Pflichtverletzungen des Klägers anlässlich des Personalgesprächs vom 16.07.2018, da der Kläger nach den Feststellungen aufgrund der durchgeführten Be
weisaufnahmen erster und zweiter Instanz den Beklagtengeschäftsführer beleidigt hat, indem er geäußert hat, im Betrieb der Beklagten herrsche ein Hitlerregime und der Geschäftsführer wolle "schwarze Köpfe" ausmerzen, wobei er den Geschäftsführer mit Hitler verglichen habe. Im Gesamtkontext stellt sich nach der Aussage des Zeugen N das aufbrausende Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit seiner Äußerung, er werde mit seinen Kindern in den Betrieb kommen, damit sie sehen könnten, wer dafür verantwortlich sei, dass sie nichts zu essen hätten, zudem als bedrohliche Handlung gegenüber dem Geschäftsführer dar. Diese Entgleisungen des Klägers sind als schwerwiegend anzusehen, sodass das Beendigungsinteresse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis auch ohne Einhaltung der Kündigungsfrist aufzulösen, das Bestandsinteresse des Klägers überwiegt.
bb. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert im vorliegenden Fall nicht den Ausspruch einer vorangegangen einschlägigen Abmahnung. Dies ist mit Rücksicht auf das Schwergewicht der Pflichtverletzung des Klägers anlässlich des Personalgesprächs vom 16.07.2018 und der dabei von ihm ausgesprochenen Beleidigungen und der Bedrohung des Geschäftsführers nicht anzunehmen.
e. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist gewahrt, da die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten am 20.07.2018 und damit innerhalb der 14-tägigen Kündigungserklärungsfrist nach dem streitgegenständlichen kündigungsauslösenden Vorfall vom 16.07.2018 erfolgt ist.
2. Mit Rücksicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 20.07.2018 fallen die weiteren Kündigungsschutzanträge betreffend die ordentliche Kündigung vom 16.07.2018 zum 31.01.2019 und die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 20.07.2018 zum selben Kündigungstermin nicht mehr zur Entscheidung an.
3. Einen Anspruch auf Entfernung der streitgegenständlichen Abmahnungen vom 20.02., 07.03., 30.03. und vom 12.12.2017 kann der Kläger nicht gegen die Beklagte durchsetzen, da ihm nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hierfür das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt.
4. Ein Zwischenzeugnisanspruch kann der Kläger mit Rücksicht auf das Arbeitsvertragsende ebenfalls nicht geltend machen.
Dem Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Schlusszeugnisses mit dem Inhalt des Zwischenzeugnisses vom 29.03.2016 tritt bereits der Umstand entgegen, dass zwischen der Erteilung des Zwischenzeugnisses unter dem 29.03.2016 und dem Ausscheiden des Klägers zum 16.07.2018 ein nicht unerheblicher Zeitraum liegt und die Beklagte nicht ohne Weiteres gehalten ist, u. a. den streitgegenständlichen Kündigungssachverhalt ohne Weiteres unberücksichtigt zu lassen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger als unterlegene Partei nach § 97 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 72 ArbGG sind vorliegend nicht gegeben, da die Entscheidung unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf den Umständen des Einzelfalles beruht.