18.06.2021 · IWW-Abrufnummer 223022
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 18.03.2021 – 8 Sa 765/20
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 01.07.2020 - 4 Ca 2095/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung wegen Aufnahme und Aufrechterhaltung einer intimen Beziehung zu einer Patientin.
Der Kläger war seit dem 01.09.2016 bei der Beklagten als Diplom-Psychologe beschäftigt. Seit dem 01.01.2019 war er als psychologischer Leiter der Tagesklinik (K in M tätig. Er übernahm damit die vollständige therapeutische Leitung der Tagesklinik unter oberärztlicher Aufsicht.
Der Kläger absolvierte seit Januar 2016 eine Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten bei der Akademie für angewandte Psychologie und Psychotherapie (APP Köln). Das hierfür notwendige Pflichtpraktikum absolvierte der Kläger bei der Beklagten. Die Beklagte übertrug dem Kläger die Leitung einer psychotherapeutischen Station. Eine Approbation zum Psychotherapeuten besaß der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung nicht.
Für Psychotherapeuten gilt die Berufsordnung der Psychotherapeuten: § 6 regelt ein Abstinenzgebot. Danach ist jeglicher sexueller Kontakt zu Patienten unzulässig. Das Abstinenzgebot gilt nach der Berufsordnung auch für die Zeit nach Beendigung der Behandlung. Die Psychotherapeutenkammer geht dabei davon aus, dass in jedem Fall mindestens ein Jahr nach Behandlungsende das Abstinenzgebot eingehalten werden muss. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufsordnung verwiesen.
Der Kläger begann spätestens im Juli 2019 eine intime Beziehung mit einer ehemaligen Patientin, Frau J . Bei Frau J wurde am 22.08.2018 die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung gestellt. In der Zeit vom 17.10.2017 bis zum 14.06.2018 wurde Frau J sowohl in der Psychiatrie in W als auch in E in der W K behandelt. In der Tagesklinik der Beklagten in M wurde Frau J wegen ihrer Erkrankung in der Zeit vom 28.08.2018 bis zum 26.10.2018 stationär behandelt. Die psychotherapeutische Behandlung der Frau J in der Zeit vom 28.08.2018 bis zum 26.10.2018 wurde von einem multiprofessionellen Team durchgeführt. Die Behandlung eines Patienten im multiprofessionellen Team bedeutet, dass jedes Teammitglied, insbesondere die (psycho-) therapeutisch tätigen Behandler, über das individuelle Störungsmodell jedes einzelnen Patienten informiert ist. Der Kläger gehörte zu diesem Team, das Frau J behandelt hat. Er nahm regelmäßig an den Fallbesprechungen teil und absolvierte mindestens fünf Oberarztvisiten, sieben Wochenabschlussvisiten bei der Patientin und nahm an mehreren Psychotherapiegruppen, in denen auch Frau J therapierte wurde, teil. Am Freitag, dem 07.09.2018 fand ein therapeutisches Einzelgespräch des Klägers mit Frau J statt, bei dem es darum ging, abzuklären, ob wegen des bevorstehenden Wochenendes, das die Patientin zu Hause verbringen sollte, die Gefahr bestand, dass sie sich suizidiert.
Im Anschluss an die stationäre Therapie nahm Frau J vom 26.10.2018 bis zum 21.06.2019 ambulant an einer Arbeitstherapie in der Tagesklinik in M teil. Dort werden die Patienten schwerpunktmäßig psychotherapeutisch und/oder auch medikamentös behandelt. Diese medizinisch-psychiatrische Behandlung, erfolgt aufgrund eines fachärztlich-psychiatrischen Attestes und wird von der Krankenkasse bezahlt. Ziel der Arbeitstherapie ist nicht die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt, sondern die Behandlung der Symptome seelischer Krankheiten. Medium der Behandlung ist die Arbeit. Während dieser Arbeitstherapie finden monatliche Arbeitstherapiebesprechungen statt. Der Kläger, der zu dieser Zeit Leiter der Tagesklinik war, gehörte als Psychologe zum ärztlichen Dienst, der die Ergotherapeuten anleitet. In dieser Eigenschaft nahm er auch an den Besprechungen zur Behandlung von Frau J teil.
Am 02.10.2019 erfuhr der Klinikdirektor, U , von einer Mitarbeiterin aus der Ergotherapie, dass der Kläger eine intime Beziehung zu Frau J begründet habe und aufrechterhalte. Am gleichen Tag fand ein Personalgespräch mit dem Kläger statt, der die intime Beziehung mit Frau J ohne weiteres einräumte. Mit E-Mail vom 05.10.2019 informierte U den Geschäftsführer sowie den Personalleiter der Beklagten von dem Vorgang. Ein Anhörungsgespräch mit dem Kläger fand am 11.10.2019 statt.
Die Beklagte hörte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 15.10.2019 zur fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat nahm mit Schreiben vom 18.10.2019 und vom 21.10.2019 abschließend Stellung und erhob gegen die Kündigung Bedenken.
Mit Schreiben vom 21.10.2019 kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos, hilfsweise fristgerecht.
Mit seiner am 25.10.2019 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage hat der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, durch das Eingehen der intimen Beziehung zur Patientin J habe er keine Pflichtverletzung begangen. Er habe Frau J im Juni 2019 über das Internet kennengelernt und erst im Juli 2019 sei es zu einem Treffen und einer intimen Beziehung gekommen. Er habe sie zwar als ehemalige Patientin erkannt, da er jedoch kein approbierter Psychotherapeut sei und auch nicht der Haupt- oder Alleinbehandler der Patientin gewesen sei, habe er keine Hindernisse gesehen, mit Frau J eine intime Beziehung einzugehen.
Der Kläger hat beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorliege. Sie hat behauptet, das Vertrauen zum Kläger sei unwiederbringlich erschüttert. Eine intime Beziehung zu einer ehemaligen Patientin vor Ablauf einer angemessenen Karenzzeit sei - insbesondere in der leitenden Position des Klägers - absolut unangemessen und nicht nur ein Missbrauch der Stellung als Behandler, sondern auch schädlich für den Ruf der Beklagten als seriöse Klinik.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf das Urteil (Bl. 166 - 185 d.A.) wird verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, der weiter der Auffassung ist, die Kündigung sei unwirksam, da kein Kündigungsgrund bestehe. Er habe mit der Aufnahme einer intimen Beziehung zu Frau J im Sommer 2019 seine Vertragspflichten nicht verletzt. Seit Herbst 2018 habe er keinen persönlichen Kontakt zu Frau J , seiner nunmehrigen Lebensgefährtin, gehabt.
Der Kläger bestreitet weiter, bereits im Februar 2019 eine intime Beziehung zu Frau J aufgenommen zu haben. Er habe gegenüber Herrn U lediglich eingeräumt, dass er Frau J im Sommer 2019 über eine Internetplattform kennengelernt habe, nach Abschluss der Arbeitstherapie. Die Beklagte habe auch die angeblichen Berichte der Zeugin N nicht richtig wiedergegeben. Wenn überhaupt habe er mit der Zeugin N erst nach dem Kennenlernen im Juni/Juli 2019 über seine Beziehung zu Frau J gesprochen. In diesem Zusammenhang sei es richtig, dass er zusammen mit Frau J im Juli 2019 bei der Zeugin N zu einem kurzen Aufenthalt gewesen sei.
Zum Zeitpunkt des Kennenlernens von Frau J habe keinerlei Abhängigkeitsverhältnis bestanden. Der letzte berufliche Kontakt zwischen ihm und Frau J habe im Herbst, also neun Monate vor dem erstmaligen Treffen auf privater Basis stattgefunden. Er habe auch aufgrund seiner psychologischen Kenntnis den Eindruck gehabt, dass Frau J gesund sei und unter diesem Gesichtspunkt keinerlei Bedenken gegen die Aufnahme der Beziehung gehabt. Insofern verweist der Kläger auf ein ärztliches Attest vom 16.01.2020, das in Zusammenhang mit einer familienrechtlichen Angelegenheit erstellt worden sei.
Er sei kein Psychotherapeut und habe keinerlei psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt. Daher gelte das Abstinenzverbot der Berufsordnung für Psychotherapeuten nicht für ihn. Die psychotherapeutische Behandlung von Frau J sei ausschließlich durch die Bezugstherapeutin Frau F erfolgt.
Als Leiter der Tagesklinik sei er nicht in die Behandlung von Frau J involviert gewesen. Während der Arbeitstherapie sei Frau J ausschließlich von Ergotherapeuten und nicht von ihm betreut worden. Er gehöre nicht zum ärztlichen Dienst und habe mit der ärztlichen Arbeit nichts zu tun. Selbst als Leiter der Tagesklinik sei er nicht persönlich in die Arbeitstherapien eingebunden. Während der Arbeitstherapie von Frau J mag er an wenigen Sitzungen teilgenommen haben. Für ihn sei Frau J lediglich ein Name gewesen. Er habe kein Bild hierzu vor sich gehabt. Sie sei für ihn quasi anonymisiert, da er sie lediglich einmal persönlich gesprochen und die Gruppengespräche bereits im Herbst 2018 beendet gewesen seien. Im Übrigen überbewerte das Arbeitsgericht seine Stellung als Leiter der Tagesklinik. Es werde insofern verkannt, dass er - der Kläger - die Tagesklinik lediglich in psychologischer Hinsicht geleitet habe, da er der einzige Psychologe in der Tagesklinik war. Selbstverständlich habe die Klinik unter ärztlicher Leitung eines ihm übergeordneten Arztes gestanden.
Er sei auch zu keiner Zeit uneinsichtig gewesen. Er habe in dem Gespräch mit Herrn U vor der Kündigung lediglich die Auffassung vertreten, dass Frau J zum Zeitpunkt der Aufnahme ihrer Beziehung völlig gesundet sei und daher keinerlei Gefährdung bestanden habe. Er wolle nicht formalisieren oder bagatellisieren, es gehe ihm um die Einzelfallbetrachtung. Fakt sei, dass die Aufnahme der intimen Beziehung nach Abschluss der Behandlung mit einer völlig gesunden Frau erfolgt sei. Dabei handele es sich - wenn überhaupt - allenfalls um eine äußerst abgeschwächte Pflichtverletzung, die mit einer Abmahnung hätte sanktioniert werden müssen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und ist weiter unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags der Auffassung, der Kläger habe mit Aufnahme und Aufrechterhaltung einer intimen Beziehung zu einer Patientin eine schwerwiegende Vertragsverletzung begangen, die eine fristlose Kündigung rechtfertige. Der Kläger habe psychotherapeutisch gearbeitet. Er habe in der Klinik für Psychotherapie den praktischen Teil seiner Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten absolviert. Daraus ergebe sich zwingend, dass er psychotherapeutisch gearbeitet haben müsse. Als Leiter der Tagesklinik habe er die psychotherapeutische Behandlung in der Tagesklinik geleitet. Die Differenzierung des Klägers in psychologische Behandlung und psychotherapeutische Behandlung trage nicht. Alle Psychologen, die in der Klinik für Psychotherapie in M beschäftigt werden, arbeiteten selbstverständlich immer psychotherapeutisch. Die gelte auch für den Kläger. Auch bei der Arbeitstherapie handele es sich um eine medizinisch-therapeutische Behandlung. In dieser Zeit habe der Kläger Frau J auch behandelt, indem er an den vorgeschriebenen Konferenzen teilgenommen habe.
Die Beklagte behauptet weiter, dass die Beziehung des Klägers mit Frau J bereits im Februar 2019 begonnen hätte. Im Gespräch mit U habe der Kläger erklärt, er habe Frau J im Frühjahr 2019 über eine Internetplattform kennengelernt. Der Zeuge U habe mit der Mitarbeiterin und Zeugin N gesprochen. Diese habe ihm über ihren Gewissenkonflikt berichtet, als sich der Kläger ihr im Februar über die Aufnahme einer intimen Beziehung zu Frau J offenbart habe. Die Zeugin N habe außerdem gegenüber dem Zeugen U berichtet, sie habe "über Monate" mit dem Kläger mehrfach darüber gesprochen, dass er die Beziehung sofort aufgeben müsse. Außerdem habe die Zeugin N berichtet, dass der Kläger zusammen mit Frau J und deren Sohn ihre Geburtstagsfeier am 04.07.2019 besucht habe. Dies spreche dafür, dass die Beziehung des Klägers zu Frau J am 04.07.2019 bereits gefestigt gewesen sei.
Vom Chefarzt, über die Oberärzte, behandelnden Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten, Ergotherapeuten und Sozialarbeiter, für alle behandelnden Mitarbeiter in der Klinik bestehe kein Zweifel, dass unter keinen Umständen eine intime Beziehung zu einem Patienten während der Behandlung und eine beachtliche Zeit danach begründet werden dürfe. Passiere dies, müsse die Beziehung sofort beendet werden. Außerdem sei die Beklagte von dem Vorgang zu unterrichten. Diese Grundsätze seien jedem Mitarbeiter als Selbstverständnis der Tätigkeit für die Beklagte bekannt. Jeder wisse auch, dass die Beklagte einen Verstoß gegen diese Grundsätze keinesfalls hinnehmen könne und werde. Jedem Mitarbeiter sei klar, dass bei einem solchen Verstoß das Arbeitsverhältnis beendet werden müsse und werde. Der Kläger habe sich im Hinblick auf seine Pflichtverletzung bei den vor Ausspruch der Kündigung geführten zwei Gesprächen uneinsichtig gezeigt. Er habe - wie auch im vorliegenden Rechtsstreit - sein therapeutisches Handeln gegenüber Frau J , aber auch das therapeutische Handeln der Klinik bagatellisiert. Er habe, obwohl er die Patientenakte von Frau J gekannt habe, bestritten, dass es sich bei ihr um eine schwer erkrankte Frau gehandelt habe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.10.2019 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos aufgelöst. Das Berufungsgericht schließt sich der zutreffenden und überzeugenden Begründung des Arbeitsgerichts an. Die Berufung des Klägers enthält keine neuen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten.
1. Die von der Beklagten am 21.10.2019 ausgesprochene Kündigung ist wirksam, da ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.
a. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Bei der Feststellung, ob ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (vgl. etwa BAG 17.03.2016 - 2 AZR 110/15 - mwN).
b. Danach ist hier ein wichtiger Kündigungsgrund "an sich" gegeben. Der Kläger hat, indem er eine intime Beziehung zu einer von ihm therapeutisch behandelten Patientin jedenfalls kurz nach Beendigung der Behandlung dieser Patientin und damit vor Ablauf einer angemessenen Karenzzeit aufgenommen hat, so schwerwiegend gegen seine berufsethischen und arbeitsvertraglichen Pflichten als psychologischer Leiter der Tagesklinik verstoßen, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Dies hat das Arbeitsgericht zu Recht mit zutreffender und überzeugender Begründung, der sich das Berufungsgericht anschließt, festgestellt.
aa. Der Kläger war seit dem 01.09.2016 bei der Beklagten als Diplom-Psychologe beschäftigt. Seit dem 01.01.2019 war er als psychologischer Leiter der Tagesklinik (K in M tätig. Er übernahm damit die vollständige therapeutische Leitung der Tagesklinik unter oberärztlicher Aufsicht. Spätestens im Juli 2019 begann der Kläger eine intime Beziehung mit einer ehemaligen Patientin, Frau J . Dabei spricht vieles dafür, dass der Kläger bereits spätestens Anfang Juli eine intime Beziehung zu Frau J aufgenommen hat. Denn der Kläger hat unstreitig am 04.07.2019 mit ihr und deren Sohn die Geburtstagsfeier der ehemaligen Kollegin und Zeugin N besucht.
Frau J war psychisch schwer erkrankt. Bei ihr wurde am 22.08.2018 die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung gestellt. In der Zeit vom 17.10.2017 bis zum 14.06.2018 wurde Frau J sowohl in der Psychiatrie in W als auch in E in der W K behandelt. In der Tagesklinik der Beklagten in M wurde Frau J wegen ihrer Erkrankung in der Zeit vom 28.08.2018 bis zum 26.10.2018 stationär behandelt. Die psychotherapeutische Behandlung der Frau J in der Zeit vom 28.08.2018 bis zum 26.10.2018 wurde von einem multiprofessionellen Team durchgeführt. Die Behandlung eines Patienten im multiprofessionellen Team bedeutet, dass jedes Teammitglied, insbesondere die (psycho-) therapeutisch tätigen Behandler, über das individuelle Störungsmodell jedes einzelnen Patienten informiert ist. Der Kläger gehörte zu diesem Team, dass Frau J behandelt hat. Er nahm regelmäßig an den Fallbesprechungen teil und absolvierte mindestens fünf Oberarztvisiten, sieben Wochenabschlussvisiten bei der Patientin und nahm an mehreren Psychotherapiegruppen, in denen auch Frau J therapierte wurde, teil. Am Freitag, dem 07.09.2018 fand ein therapeutisches Einzelgespräch des Klägers mit Frau J statt, bei dem es darum ging, abzuklären, ob wegen des bevorstehenden Wochenendes, das die Patientin zu Hause verbringen sollte, die Gefahr bestand, dass sie sich suizidiert.
Im Anschluss an die stationäre Therapie nahm Frau J vom 26.10.2018 bis zum 21.06.2019 ambulant an einer Arbeitstherapie in der Tagesklinik in M teil. Dort werden die Patienten schwerpunktmäßig psychotherapeutisch und/oder auch medikamentös behandelt. Diese medizinisch-psychiatrische Behandlung, erfolgt aufgrund eines fachärztlich-psychiatrischen Attestes und wird von der Krankenkasse bezahlt. Ziel der Arbeitstherapie ist nicht die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt, sondern die Behandlung der Symptome seelischer Krankheiten. Medium der Behandlung ist die Arbeit. Während dieser Arbeitstherapie finden monatliche Arbeitstherapiebesprechungen statt. Der Kläger, der zu dieser Zeit Leiter der Tagesklinik war, gehörte als Psychologe zum ärztlichen Dienst, der die Ergotherapeuten anleitet. In dieser Eigenschaft nahm er auch an den Besprechungen zur Behandlung von Frau J teil.
bb. Bei der Beklagten gelten - nach ihrem vom Kläger nicht bestrittenen Vortrag - folgende Grundsätze:
Vom Chefarzt, über die Oberärzte, behandelnden Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten, Ergotherapeuten und Sozialarbeiter, für alle behandelnden Mitarbeiter in der Klinik besteht kein Zweifel, dass unter keinen Umständen eine intime Beziehung zu einem Patienten während der Behandlung und eine beachtliche Zeit danach begründet werden darf. Passiert dies, muss die Beziehung sofort beendet werden. Außerdem ist die Beklagte von dem Vorgang zu unterrichten. Diese Grundsätze sind jedem Mitarbeiter als Selbstverständnis der Tätigkeit für die Beklagte bekannt. Jeder weiß auch, dass die Beklagte einen Verstoß gegen diese Grundsätze keinesfalls hinnehmen kann und wird. Jedem Mitarbeiter ist klar, dass bei einem solchen Verstoß das Arbeitsverhältnis beendet werden muss und wird.
Diese Grundsätze stehen im Einklang mit den berufsethischen Grundsätzen für Psychotherapeuten. Deren Berufsordnung regelt in § 6 ein Abstinenzgebot . Danach ist jeglicher sexueller Kontakt zu Patienten unzulässig. Das Abstinenzgebot gilt nach der Berufsordnung auch für die Zeit nach Beendigung der Behandlung. Die Psychotherapeutenkammer geht dabei davon aus, dass in jedem Fall mindestens ein Jahr nach Behandlungsende das Abstinenzgebot eingehalten werden muss.
cc. Der Kläger war verpflichtet, diese Grundsätze zu befolgen. Er kann sich nicht darauf berufen, dass er "nur" als Psychologe tätig war und kein approbierter Psychotherapeut war. Denn der Kläger hat bei der Beklagten psychotherapeutisch gearbeitet. Er hat unstreitig in der Klinik für Psychotherapie den praktischen Teil seiner Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten absolviert. Die Beklagte hat - vom Kläger nicht bestritten -vorgetragen, dass alle Psychologen, die in der Klinik für Psychotherapie in M beschäftigt werden, psychotherapeutisch arbeiten. Auch als psychologischer Leiter der Tagesklinik war der Kläger psychotherapeutisch tätig. Denn er hat die psychotherapeutische Behandlung in der Tagesklinik - unter der ärztlichen Aufsicht - geleitet.
Der Kläger war auch in die psychotherapeutische Behandlung von Frau J involviert. Er gehörte während ihres stationären Klinikaufenthalts zum multiprofessionellen Team, dass Frau J psychotherapeutisch behandelt hat. Der Kläger hat Frau J auch während der ambulanten Arbeitstherapie vom 26.10.2018 bis zum 21.06.2019 therapeutisch behandelt. Er war zu dieser Zeit Leiter der Tagesklinik und gehörte als Psychologe zum ärztlichen Dienst, der die Ergotherapeuten anleitet. In dieser Eigenschaft nahm er auch an den Besprechungen zur Behandlung von Frau J teil.
dd. Der Kläger hat gegen die o.g. Grundsätze verstoßen, indem er eine intime Beziehung zu einer von ihm therapeutisch behandelten Patientin jedenfalls kurz nach Beendigung der Behandlung dieser Patientin und damit vor Ablauf einer angemessenen Karenzzeit aufgenommen hat.
Wegen der weiteren Begründung wird auf die zutreffenden und überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts verwiesen.
c. Es handelt sich dabei um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Beklagten nicht zuzumuten ist. Die Beklagte hätte den Kläger insbesondere wegen seines Fehlverhaltens nicht abmahnen müssen.
aa. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. etwa BAG 29.06.2017 - 2 AZR 302/16 - mwN).
bb. Nach diesen Grundsätzen war der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger unzumutbar, ohne dass es einer vorherigen Abmahnung bedurft hätte. Zwar handelt es sich bei der Pflichtverletzung um ein steuerbares Verhalten des Klägers, eine Abmahnung war jedoch entbehrlich, weil es sich bei dem der Kündigung zugrundeliegenden Verhalten des Klägers um eine so schwere Pflichtverletzung gehandelt hat, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen ist.
Die Schwere der Pflichtverletzung ergibt sich daraus, dass das Fehlverhalten des Klägers den Kern des Berufsverständnisses eines therapeutisch tätigen Psychotherapeuten/Psychologen betrifft. Darüber hinaus waren die bei der Beklagten geltenden Grundsätze - nach dem vom Kläger nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten - jedem Mitarbeiter als Selbstverständnis der Tätigkeit für die Beklagte bekannt. Jeder Mitarbeiter wusste auch, dass die Beklagte einen Verstoß gegen diese Grundsätze keinesfalls hinnehmen, sondern das Arbeitsverhältnis beenden würde. Außerdem kommt erschwerend hinzu, dass dem Kläger als Leiter der Tagesklinik eine besondere Verantwortung gegenüber den Patienten, den anderen Mitarbeitern und auch im Hinblick auf den Ruf der Klinik zukam. Wegen der weiteren Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts verwiesen.
d. Wegen der Schwere der Pflichtverletzung aus den vorgenannten Gründen geht auch die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Klägers aus. Hierbei ist mit dem Arbeitsgericht zu berücksichtigen, dass zu Gunsten des Klägers weder eine lange Beschäftigungszeit noch sonstige Gründe sprechen. Wegen der weiteren Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts verwiesen.
2. Die Beklagte hat schließlich auch die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Dies hat das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt. Das Berufungsgericht schließt sich vollinhaltlich der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts an, mit der sich der Kläger in der Berufung nicht auseinandergesetzt hat.
II. Der Kläger hat die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen(§ 97 Abs. 1 ZPO).
III. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen.