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  • 16.02.2024 · IWW-Abrufnummer 239797

    Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Beschluss vom 22.08.2023 – 3 TaBV 10/23

    1. Für die Frage der tatsächlichen Verhinderung des Betriebsratsvorsitzenden oder ggfs. seines Stellvertreters in der Vertretung des Betriebsrats ist zwischen Aktiv- und Passivvertretung zu unterscheiden.

    2. An der Passivvertretung sind der Betriebsratsvorsitzende bzw. der Stellvertreter aus tatsächlichen Gründen verhindert, wenn und sobald deren Arbeitszeit beendet ist und sie sich nicht mehr auf dem Betriebsgelände befinden.

    3. Der Betriebsrat ist in einem Mehrschichtbetrieb aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit heraus allerdings gehalten, jedenfalls während der üblichen Betriebszeiten der Personalverwaltung des Betriebs als seinem regulären Gegenüber auf Arbeitgeberseite dafür Sorge zu tragen, dass ein Empfangsvertreter betriebsanwesend und damit insbesondere für eilige und fristgebundene Erklärungen/Anhörungen erreichbar ist. Ggfs. muss durch Beschluss des Gremiums eine Passivvertretungskette beschlossen und dem Arbeitgeber mitgeteilt werden.

    4. Trägt der Betriebsrat für eine solche betriebsanwesende und erreichbare Empfangsvertretung nicht Sorge und sind im Mehrschichtbetrieb sowohl Betriebsratsvorsitzender als auch Stellvertreter wegen ihres Arbeitszeitendes nach Nacht-bzw. Frühschicht um 14 Uhr an einem Wochentag nicht mehr anwesend, können Erklärungen und Anhörungen durch den Arbeitgeber an jedes im Betrieb erreichbare ordentliche Betriebsratsmitglied als Empfangsvertreter fristwahrend übergeben werden. Diese Übergabe bewirkt den unmittelbaren Zugang beim Betriebsrat, es liegt nicht lediglich ein Fall der Übermittlung über einen Boten vor.

    5. Das vorsätzliche, aber auch das leichtfertige Behaupten falscher Tatsachen, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt, durch einen Betriebsratsvorsitzenden in einem ge- richtlichen Verfahren ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu begründen.

    6. Bei der Abgabe falscher Erklärungen durch den Betriebsratsvorsitzenden in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist jedoch auf der Ebene der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass bei einem Zusammentreffen von Amts- und arbeitsrechtlicher Pflichtverletzung ein besonders strenger Maßstab anzulegen ist, soweit das Betriebsratsmitglied gerade durch die Amtsausübung in Konflikt mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten geraten ist.

    7. Der Vorwurf eines lediglich "angedeuteten Kopplungsgeschäfts" rechtfertigt von vornherein keine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Betriebsratsvorsitzenden, wenn die entsprechende Interpretation des Arbeitgebers zu einer Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden spekulativ bleibt, auch andere Auslegungsergebnisse ebenso gut vertretbar wären und der Arbeitgeber sich nicht einmal die Mühe gibt, schlicht nachzufragen und nachzuhaken, um den genauen Erklärungswillen hinter einer objektiv offen gehaltenen Äußerung in Erfahrung zu bringen.


    Tenor: I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 12.12.2022 - Az.: 6 BV 154/22 - wird zurückgewiesen. II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Die Beteiligten streiten über die nach § 103 Abs. 2 BetrVG von der Antragstellerin beantragte gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 2 zu der von der Antragstellerin beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 3.

    Die Antragstellerin gehört zur weltweit agierenden U. Gruppe, die sich mit der Entwicklung, der Produktion und dem Vertrieb sicherheitsrelevanter Produkte, Systeme und Dienstleistungen für Kunden aus den Bereichen Automobiltechnik, Energie und Maschinenbau beschäftigt. Die Antragstellerin selbst beschäftigt ca. 90 Mitarbeiter, ist tarifgebunden und liefert unter anderem sog. "Just-in-sequence"-Produkte an namhafte Automobilhersteller. "Just-in-sequence" bedeutet, dass Produkte in einer bestimmten Stückzahl, Reihenfolge und zu einem vom Kunden definierten Zeitpunkt geliefert werden. Die Antragstellerin produziert in mehreren Schichten vollkontinuierlich. Die Schichten sind zeitlich aufgeteilt in eine Frühschicht von 05:25 Uhr bis 13:32 Uhr, eine Spätschicht von 13:25 Uhr bis 21:32 Uhr und eine Nachtschicht von 21:25 Uhr bis 05:32 Uhr.

    Der Beteiligte zu 2 ist der bei der Antragstellerin gewählte und konstituierte Betriebsrat. Dessen Vorsitzender ist der Beteiligte zu 3, stellvertretender Vorsitzender ist Herr I., darüber hinaus gibt es mit Herrn F. einen zweiten stellvertretenden Vorsitzenden.

    Der Beteiligte zu 3, geboren am 02.10.1977, verheiratet und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtet, ist seit dem 01.10.2006 bei der Antragstellerin als Mitarbeiter Fertigung und Logistik gegen ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von zuletzt 2.946,43 € (ohne Zuschläge) bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37,25 Stunden beschäftigt.

    Zwischen den Beteiligten zu 1 und 2 wurden in jüngerer Vergangenheit mehrere Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf geführt, unter anderem das Verfahren 6 BV 94/22, in dem die Antragstellerin erfolglos die Ersetzung der von dem Beteiligten zu 2 nicht erteilten Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsersatzmitglieds M. verfolgte, sowie das Verfahren 11 BVGa 11/22, in dem die Antragstellerin dem Beteiligten zu 2 im Wege der einstweiligen Verfügung die Durchführung einer Betriebsvollversammlung am 29.06.2022 um 10:00 Uhr untersagen ließ.

    Die Antragstellerin wirft dem Beteiligten zu 3 vor, in beiden Verfahren unwahren Tatsachenvortrag gehalten bzw. unwahren Vortrag seiner Verfahrensbevollmächtigten nicht korrigiert zu haben sowie im Rahmen einer Besprechung am 27.06.2022, in der es unter anderem um die seinerzeit beabsichtigte Betriebsvollversammlung ging, ein unlauteres Koppelungsgeschäft angedeutet zu haben.

    Mit Anhörungsschreiben vom 05.07.2022, wegen dessen Inhalts auf die Anlage ASt 5 (Blatt 31 ff. der erstinstanzlichen Akte) Bezug genommen wird, beantragte die Antragstellerin die Zustimmung des Beteiligten zu 2 gemäß § 103 BetrVG zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3. Der Antrag wurde am 05.07.2022 gegen ca. 14:00 Uhr in dem Betriebsratsbüro an das Betriebsratsmitglied G. im Beisein des an diesem Tag nachgerückten Betriebsratsersatzmitglieds HP. übergeben. Zu diesem Zeitpunkt waren der Beteiligte zu 3, sein Stellvertreter Herr I. sowie der zweite Stellvertreter Herr F. im Betrieb bereits nicht mehr anwesend. Der Beteiligte zu 3 war in der Nachtschicht vom 04. auf den 05.07.2022, die Herren I. und F. waren in der Frühschicht des 05.07.2022 eingeteilt. Am Morgen des 05.07.2022 war eine außerordentliche Betriebsratssitzung ab 08:20 Uhr anberaumt, über die der Beteiligte zu 3 die Antragstellerin mit Email vom 04.07.2022 nebst Hinweis auf die Teilnehmer informiert hatte (Blatt 87 der erstinstanzlichen Akte). Der Beteiligte zu 3 und die Herren I. und F. beendeten ihre Betriebsratstätigkeit laut "An- und Abmeldeliste" (Blatt 86 der erstinstanzlichen Akte) zum Ende der Frühschicht um 13:32 Uhr. Herr I. stempelte dann um 13:43 Uhr aus.

    Eine Stellungnahme des Betriebsrats zu der Anhörung und dem Antrag vom 05.07.2022 erfolgte vor Einleitung des hiesigen arbeitsgerichtlichen Verfahrens nicht.

    Mit ihrer am Montag, 11.07.2022 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingereichten und dem Beteiligten zu 2 am 11.08.2022 sowie dem Beteiligten zu 3 am 15.07.2022 zugestellten Antragschrift hat die Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3 gerichtlich geltend gemacht. Sie hat die Ansicht vertreten, die Zustimmung sei zu ersetzen, da die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Es liege ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Der Beteiligte zu 3 habe, so die Behauptung der Antragstellerin, in dem Beschlussverfahren 6 BV 94/22 am 22.06.2022 sowie in dem Beschlussverfahren 11 BVGa 11/22 am 28.06.2022 unwahren Tatsachenvortrag geleistet bzw. habe unwahren Tatsachenvortrag seiner Verfahrensbevollmächtigten nicht korrigiert. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Antragstellerin zu diesen Kündigungsgründen wird auf Seite 2 - 9 der Antragsschrift sowie auf Seite 11 - 26 des Schriftsatzes vom 05.10.2022 Bezug genommen. Darüber hinaus habe der Beteiligte zu 3 am 27.06.2022 ein unlauteres Koppelungsgeschäft angedeutet, indem er im Rahmen der Besprechung zur beabsichtigten Betriebsvollversammlung auf die Frage der Arbeitgeberseite, ob diese Vollversammlung nun stattfinden solle, geantwortet habe, dass die Vollversammlung stattfinden solle, da ja von der Arbeitgeberseite kein Angebot gekommen sei. Auf Nachfrage, was mit "Angebot" gemeint sei, habe der Beteiligte zu 3 geantwortet, dass man "ja jetzt die Kosten für einen Kundenstillstand kenne....". Im Einzelnen hat die Antragstellerin hierzu weiter auf ein von ihrer Personalreferentin DZ. erstelltes Protokoll (Anlage ASt 4) Bezug genommen, allerdings verbunden mit dem Hinweis, dass der im Protokoll als Erklärung des Beteiligten zu 3 ausgewiesene Zusatz, dass "man dieses Geld ja auch an die Mitarbeiter ausschütten kann" lediglich eine Interpretation von DZ. sei, zu der sie gekommen sei, weil der Beteiligte zu 3 nach seinem Hinweis auf die Kosten für den Kundenstillstand eine längere Pause eingelegt habe. Nach arbeitgeberseitigem Verständnis habe der Beteiligte zu 3 vorgeschlagen, dass der Betriebsrat bei einer Umverteilung der Kosten für einen Kundenstillstand auf die Mitarbeiter - also einen Betrag von ca. 400.000,- € betreffend - möglicherweise eine Teil- statt einer Vollbetriebsversammlung akzeptieren könne. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei aus Sicht der Antragstellerin zu allen Kündigungsgründen gewahrt. Schließlich sei der Antrag zulässig, da die dreitätige Stellungnahmefrist aufgrund des durch Übergabe am 05.07.2022 an das Betriebsratsmitglied G. erfolgten Zugangs des Anhörungsschreibens beim Betriebsrat bereits mit Ablauf des 08.07.2022 verstrichen sei. Mit Nichtwissen hat die Antragstellerin insoweit bestritten, dass der Betriebsrat keine weitere Vertretungsregelung getroffen habe bzw. Herr G. und/oder Herr HP. nicht empfangsberechtigt gewesen seien. Aufgrund der Abwesenheit der Stellvertreter des Beteiligten zu 3 habe die Übergabe jedenfalls an Herrn G. mit Zugangswirkung beim Beteiligten zu 2 erfolgen können. Aufgrund der Abwesenheit von Vorsitzendem und stellvertretendem Vorsitzenden sei jedes Betriebsratsmitglied zum Empfang bevollmächtigt gewesen. Im Falle einer feierabendbedingten Abwesenheit liege eine Verhinderung vor. Insbesondere bei Wechselschichten würde dies andernfalls zu untragbaren Ergebnissen führen. Zudem habe der Betriebsrat der Entgegennahme durch Herrn G. nicht widersprochen. Jedenfalls aber habe die Frist spätestens am Samstag, den 09.07.2022 geendet. Die Regelung des § 193 BGB stehe dem nicht entgegen, denn es sei von einer Abweichung von dieser Norm auszugehen. In dem Betrieb der Arbeitgeberin sei vor Einleitung des Verfahrens gelegentlich auch samstags, auch am 09.07.2022, gearbeitet worden.

    Die Antragstellerin hat beantragt,

    Die Beteiligten zu 2 und 3 haben beantragt,

    Der Beteiligte zu 2. hat die Ansicht vertreten, der Antrag sei bereits mangels ordnungsgemäßer Durchführung des Anhörungsverfahrens unzulässig. Denn er sei vor Ablauf der dreitätigen Zustimmungsfrist bei Gericht gestellt worden. Die Anhörungsfrist sei erst mit Ablauf des 11.07.2022 abgelaufen, denn dem Betriebsrat sei die Anhörung erst am 06.07.2022 über die Kenntnisnahme des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden I. zugegangen. Bestritten hat der Beteiligte zu 2, dass es weitere Vertretungsregelungen - bis auf den Vorsitzenden, seinen Vertreter und den zweiten stellvertretenden Vorsitzenden - für das Betriebsratsgremium gebe. Weder Herr G. noch Herr HP. seien empfangsbevollmächtigt gewesen, Mitteilungen an den Betriebsrat entgegenzunehmen. Das Bestreiten mit Nichtwissen durch die Antragstellerin insoweit sei unzulässig, da es ins Blaue hinein erfolge. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende I. sei zudem infolge der Beendigung seiner Arbeitstätigkeit nicht verhindert und damit allein empfangsbevollmächtigt gewesen. Der reine Dienstschluss bedinge keine Verhinderung. Mangels Schaffung eines Vertrauenstatbestandes gelte das Anhörungsschreiben nicht durch die Entgegennahme durch Herrn G. mangels Widerspruchs des Betriebsrats als zugegangen. Auch sei § 193 BGB nicht abbedungen worden. Der Samstag sei bis September 2022 gerade kein regelmäßiger Arbeitstag gewesen.

    Beide Beteiligte haben zudem das Vorliegen hinreichender Kündigungsgründe für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 bestritten. Wegen ihres diesbezüglichen erstinstanzlichen Vorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen. Unabhängig hiervon haben sie zudem auf den engen Zusammenhang der dem Beteiligten zu 3 vorgeworfenen Handlungen mit seiner Betriebsratstätigkeit verwiesen und die Ansicht vertreten, dass deshalb besonders strenge Voraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gelten müssten, die der von der Antragstellerin vorgetragene Sachverhalt selbst dann nicht erfüllte, wenn er und die daraus hergeleiteten Vorwürfe zutreffend wären. Arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen seien dem Beteiligten zu 3 nicht vorzuwerfen und die Verletzung von Amtspflichten als Betriebsratsvorsitzender könne nicht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen.

    Mit Beschluss vom 12.12.2022 hat das Arbeitsgericht Düsseldorf den Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Unzulässigkeit des am 11.07.2022 eingegangenen Antrages folge daraus, dass er noch vor Ablauf der dreitägigen Stellungnahmefrist des Betriebsrats bei Gericht eingereicht worden sei. Die Frist sei durch Zugang der Anhörung beim Betriebsrat am 06.07.2022 in Lauf gesetzt worden und damit unter Berücksichtigung des § 193 BGB und der Wochenendtage 09. und 10.07.2022 erst mit Ablauf des 11.07.2022 abgelaufen. Ein Fristbeginn durch Zugang der Anhörung noch am 05.07.2022 mit Übergabe an Herrn G. als einfaches Betriebsratsmitglied scheide aus. Dieser sei nur Bote gewesen, so dass der Zugang erst mit Kenntnisnahme des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden - der Beteiligte zu 3 sei als Betriebsratsvorsitzender angesichts der ihn unmittelbar betreffenden Angelegenheit insoweit als verhindert anzusehen - am 06.07.2022 bewirkt worden sei. Berechtigt zur Entgegennahme von Mitteilungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers sei gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG der Betriebsratsvorsitzende oder, falls dieser verhindert sei, sein Stellvertreter. Mitteilungen, die der Arbeitgeber im Rahmen des § 102 oder auch § 103 BetrVG einem nicht nach diesen Grundsätzen zur Entgegennahme bevollmächtigten Mitglied des Betriebsrates mache, würden erst dann gegenüber dem Betriebsrat wirksam, wenn sie vom unzuständigen Mitglied als Erklärungsbote des Arbeitgebers an den Vorsitzenden oder ein zum Empfang ermächtigtes Mitglied des Betriebsrates weitergeleitet würden. Nur wenn niemand vorhanden sei, der zur Entgegennahme der Erklärung berechtigt sei, zB. weil der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter im Urlaub seien und für diesen Fall keine Vertretungsregelung bestehe, sei jedes Betriebsratsmitglied berechtigt, Erklärungen des Arbeitgebers für den Betriebsrat entgegenzunehmen. Die Herren G. und HP. seien am 05.07.2022 nicht zur Entgegennahme des Anhörungsschreibens berechtigt gewesen. Es habe kein Verhinderungsfall des empfangsberechtigten stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden I. vorgelegen. Er sei am 05.07.2022 im Betrieb von 07:15 Uhr bis 13:32 Uhr anwesend gewesen. Die Antragstellerin hätte ihm daher als zu diesem Zeitpunkt allein empfangsbevollmächtigtem Mitglied das Anhörungsschreiben übergeben müssen, um einen Zugang noch am 05.07.2022 sicherzustellen. Dies sei ihr auch möglich gewesen. Sie kenne die Dienstzeiten ihrer Arbeitnehmer. Unabhängig davon sei sie auch von dem Beteiligten zu 3 per E-Mail vom 04.07.2022 über die Frühschicht von Herrn I. unterrichtet worden. Darüber hinaus wäre es ihr möglich gewesen zu prüfen, ob Herr I. eingestempelt gewesen sei. All dies habe sie nicht getan, sondern ca. 30 Minuten nach Feierabend des Herrn I. das Anhörungsschreiben an ein anderes Betriebsratsmitglied übergeben. Dass die Antragstellerin nicht in der Lage gewesen wäre, Herrn I. das Schreiben bereits um 13.30 Uhr zu übergeben, trage sie selbst nicht vor. § 26 BetrVG diene der Rechtssicherheit. Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn bei jedem Feierabend des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters jedes Betriebsratsmitglied zum Empfang von Mitteilungen berechtigt wäre. Zudem habe es der Arbeitgeber in der Hand, bis zum Feierabend abzuwarten, was zu erheblichen Unsicherheiten und Folgen bzgl. des Fristenlaufes führen könne.

    Der Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf ist den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 05.01.2023 zugestellt worden. Mit am 26.01.2023 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenem anwaltlichem Schriftsatz hat sie Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt und diese mit am 03.03.2023 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz begründet. Die Antragstellung im Beschwerdeverfahren hat sie mit Schriftsatz vom 07.08.2023 nachgereicht.

    Die Antragstellerin greift unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens den Beschluss des Arbeitsgerichts insgesamt an und hält ihn für rechtsfehlerhaft. Mit Nichtwissen bestreitet sie, dass der Beteiligte zu 3, sein Vertreter Herr I. sowie der zweite Vertreter erst am 06.07.2022 Kenntnis von dem Anhörungsschreiben hätten nehmen können. Sie behauptet, am 05.07.2022 die Übergabe der Anhörung noch während des Laufs der Betriebsratssitzung und somit an den Beteiligten zu 3 bzw. den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden beabsichtigt zu haben. Das sei jedoch daran gescheitert, dass das Anhörungsschreiben erst kurz vor dessen Übergabe habe intern abschließend abgestimmt und fertiggestellt werden können. Bei Betreten des Betriebsratsbüros um ca. 14 Uhr zwecks Übergabe der Anhörung seien der Beteiligte zu 3 und seine beiden Stellvertreter - unstreitig - nicht mehr betriebsanwesend gewesen. Die Übergabe an Herrn I. oder den ebenfalls nicht mehr anwesenden zweiten Stellvertreter sei ebenso wie eine solche an den gleichfalls abwesenden Beteiligten zu 3 nicht mehr möglich gewesen. Damit habe die Antragstellerin die Anhörung an jedes anwesende Betriebsratsmitglied und somit auch wie geschehen an Herrn G. als empfangsberechtigte Person übergeben und den Fristlauf auslösen können.

    In der Sache ist die Antragstellerin weiterhin der Ansicht, dass hinreichende Kündigungsgründe zur Begründung einer außerordentlichen Kündigung gegenüber dem Beteiligten zu 3 vorlägen. Diesem sei im Verfahren 6 BV 94/22 unwahrer Tatsachenvortrag im Gütetermin vom 22.06.2022 und damit ein vorsätzlicher Verstoß gegen § 138 Abs. 2 ZPO vorzuwerfen. In jenem Verfahren sei - insoweit unstreitig - dem Ersatzmitglied M. unter anderem vorgeworfen worden, vorsätzlich einen Bandstillstand durch Drücken des Notausknopfes herbeigeführt und den Produktionsprozess sabotiert zu haben. Im Termin am 22.06.2022 habe der Beteiligte zu 3 gegenüber der Vorsitzenden behauptet, dass es den Vorfall - also das Drücken des Notausschalters durch Herrn M. - nicht gegeben habe. Der Vorfall sei nach Behauptung des Beteiligten zu 3 nicht in den Schichtbüchern notiert gewesen. Diese Behauptung habe der Beteiligte zu 3 auch nach Klarstellung des Geschäftsführers, dass der Vorfall im Schichtbuch "Stundenverlauf" vermerkt sei, wiederholt. Wie jedoch eindeutig dem erstinstanzlich als Anlage ASt 1 vorgelegten Auszug des Schichtbuches "Stundenverlauf" zu entnehmen sei, befinde sich dort ein Eintrag für den 21.03.2022 um 9 Uhr zu der von Herrn M. verursachten Störung, die vier Minuten angedauert habe. Soweit der Beteiligte zu 3 sich im vorliegenden Verfahren dahingehend eingelassen habe, dass er im Termin am 22.06.2022 lediglich von dem Schichtbuch der Produktion gesprochen habe, sei zwar zutreffend, dass es mehrere Schichtbücher zu unterschiedlichen Zwecken bei der Antragstellerin gebe. Im Schichtbuch der Produktion würden insoweit jedoch nur Störungen erfasst, die länger als 15 Minuten dauerten, wohingegen das Schichtbuch "Stundenverlauf" Störungen erfasse, die weniger als 15 Minuten dauerten. Der Vortrag des Beteiligten zu 3 im Verfahren 6 BV 94/22 könne - selbst wenn er sich angeblich auf ein anderes Schichtbuch bezogen haben wolle - nur dahingehend verstanden werden, dass er dem Gericht habe suggerieren wollen, dass es den Vorgang des Betätigens des Notausknopfes durch Herrn M. gar nicht gegeben habe. Da er gewusst habe, dass der Vorsitzenden im Zeitpunkt des Gütetermins noch nicht erläutert worden sei, dass es bei der Antragstellerin mehrere Schichtbücher zu unterschiedlichen Zwecken gebe, habe er davon ausgehen müssen, dass die Vorsitzende seine Behauptung, "der Vorfall sei nicht im Schichtbuch vermerkt", nur so habe verstehen können, dass es tatsächlich keinen Eintrag gebe. Das jedoch sei nachweislich falsch. Der Beteiligte zu 3 hätte klarstellen müssen, auf welches Schichtbuch er sich habe beziehen wollen. Weiteren unwahren Tatsachenvortrag habe es zudem in dem einstweiligen Verfügungsverfahren 11 BVGa 11/22 zu der für den 29.06.2022 um 10 Uhr geplanten Betriebsvollversammlung gegeben. Die Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 2 habe am 28.06.2022 im Verhandlungstermin vor dem Arbeitsgericht in Gegenwart des Beteiligten zu 3 als Betriebsratsvorsitzendem behauptet, dass die von dem Geschäftsführer der Antragstellerin abgegebene eidesstattliche Erklärung nicht richtig sei. Gemeinsam mit der Verfahrensbevollmächtigten habe der Beteiligte zu 3 vorgetragen, dass es zu der Durchführung der streitigen Betriebsversammlung im Vorfeld entgegen der Angaben des Geschäftsführers in seiner eidesstattlichen Erklärung keine Gespräche gegeben habe. Diese Behauptung sei falsch, denn es habe im Vorfeld am 22., 24. und 27.06.2022 Gespräche darüber gegeben, dass eine Betriebsvollversammlung wegen des vollkontinuierlichen Schichtbetriebs nicht möglich sei. Das sei dem Beteiligten zu 3 auch bekannt, trotzdem habe er den Vortrag der Verfahrensbevollmächtigten am 28.06.2022 nicht korrigiert. Zudem habe der Beteiligte zu 3 auch selbst in dem Verfahren 11 BVGa 11/22 wahrheitswidrig in der mündlichen Anhörung vom 28.06.2022 behauptet, die Daten der Betriebsversammlung des Kunden MBV Z. nicht zu kennen. Diese seien ihm jedoch schon im März 2022 mitgeteilt worden und auch durch frühere Informationen bereits bekannt gewesen. Einen weiteren Versuch der Täuschung des Gerichts habe der Beteiligte zu 3 durch seinen Hinweis auf eine Betriebsvollversammlung am 29.12.2021 unternommen. Denn wohlweislich habe er dabei den Hinweis unterlassen, dass sich an jenem Tag nahezu das gesamte Werk in Produktionsruhe befunden habe, so dass die Betriebsversammlung zu keinem Bandstillstand wie bei der beabsichtigten Versammlung am 29.06.2022 habe führen können. Der mehrfache vorsätzlich falsche Vortrag des Beteiligten zu 3 begründe eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die die außerordentliche Kündigung rechtfertige. Dem stehe auch nicht das Handeln des Beteiligten zu 3 im Rahmen seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender entgegen, denn dieses Amt berechtige den Beteiligten zu 3 nicht zu falschem und bewusst unvollständigem Vortrag, mit dem er die Antragstellerin der Gefahr einer nachteiligen gerichtlichen Entscheidung mit hohem drohenden Schadenspotential aussetze.

    Die Antragstellerin beantragt,

    Die Beteiligten zu 2 und 3 beantragen,

    Sie verteidigen die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sämtliche Vorgänge, im Rahmen derer gegenüber dem Beteiligten zu 3 Vorwürfe erhoben würden, hätten sich ausschließlich in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten ereignet, in denen der Beteiligte zu 3 in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender tätig geworden sei. Es liege schon keine erkennbare arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor. Im Übrigen bestreitet der Beteiligte zu 3, in dem Verfahren 6 BV 94/22 geäußert zu haben, dass der Notausknopf nicht betätigt worden sei. Er habe lediglich mitgeteilt, dass der Vorfall in dem Schichtbuch, welches dem Betriebsrat vorgelegen habe, nicht vermerkt gewesen sei. Über weitere Schichtbücher habe der Beteiligte zu 3 keine Aussage machen können. Im Verfahren 11 BVGa 11/22 sei von der Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 2 nicht behauptet worden, dass es keine Gespräche im Vorfeld gegeben habe, sondern lediglich, dass nicht viele Gespräche geführt worden seien. Bei den Gesprächen vom 22., 24. und 27.06.2022 sei es zudem nicht hauptsächlich um die Betriebsversammlung gegangen, so dass die Aussage der Verfahrensbevollmächtigten auch nicht als unzutreffend erscheine. Hinsichtlich des Termins zur Betriebsversammlung beim Kunden MBV Z. sei es so, dass ein solcher Termin in 2023 verschoben worden sei, ohne dass der Antragsteller hierüber informiert worden sei. Mit Nichtwissen bestreitet er daher, dass dies nicht in 2022 genauso gewesen sei, weshalb die Kenntnis von einer Planung im Produktionskalender keine Aussage ermögliche, ob der Termin in 2022 auch tatsächlich unverändert weiterhin so geplant sei. Der aktuellste Produktionskalender, der dem Beteiligten zu 2 übermittelt worden sei, habe jedoch vom 08.12.2021 datiert. Änderungen der Planung seien vorbehalten worden. Damit sei unklar, inwiefern sich der Beteiligte zu 2 und damit auch der Beteiligte zu 3 auf im Dezember 2021 mitgeteilte Termine hätten verlassen können. Dass der Beteiligte zu 3 schließlich auf die Betriebsvollversammlung vom 29.12.2021 hingewiesen habe, begründe keinen Vorwurf unwahren Tatsachenvortrags.

    Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten in beiden Instanzen nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

    Die Beschwerdekammer hat die Verfahrensakten 6 BV 94/22 und 11 BVGa 11/22 des Arbeitsgerichts Düsseldorf beigezogen.

    II.

    Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, jedoch nicht begründet.

    1.Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG und form- und fristgerecht im Sinne der §§ 89 Abs. 2, 87 Abs. 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 ArbGG bei dem Landesarbeitsgericht eingelegt und begründet worden.

    Dass nicht bereits mit der Beschwerdeschrift oder jedenfalls mit der Beschwerdebegründung ausdrücklich ein Beschwerdeantrag gestellt worden ist, hindert die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht. Denn zwar gilt ergänzend zu den Anforderungen aus § 89 Abs. 2 ArbGG über §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6 ArbGG, 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO auch im arbeitsgerichtlichen Beschwerdeverfahren das Erfordernis einer Antragstellung spätestens mit Einreichung der Beschwerdebegründung, jedoch reicht insoweit aus, dass mit hinreichender Klarheit aus Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründung hervorgeht, in welchem Umfang die erstinstanzliche Entscheidung angefochten werden soll, so dass ihnen die Antragstellung im Wege der Auslegung entnommen werden kann (vgl. BAG vom 03.12.1985 - 4 ABR 60/85, juris, Rz. 13; GK-ArbGG/Ahrendt, 134. EL (Stand: Oktober 2022), § 89 Rn. 27; Tiedemann in: Schwab/Weth, ArbGG, 6. Auflage, § 89 Rn. 30). Diese Voraussetzungen waren hier bereits mit der Beschwerdebegründung vom 03.03.2023 und damit innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist erfüllt. Denn dort hat die Antragstellerin ausdrücklich erklärt, den erstinstanzlichen Beschluss "insgesamt", also vollumfänglich anzugreifen. Daraus ergibt sich bereits im Wege der Auslegung hinreichend klar die Antragstellung zur Abänderung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses und Entscheidung nach Maßgabe des erstinstanzlich gestellten und von dem Arbeitsgericht aber zurückgewiesenen Zustimmungsersetzungsantrages, wie sie dann mit Schriftsatz vom 07.08.2023 auch ausdrücklich formuliert nachgeholt worden ist.

    2.Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Zwar ist der Zustimmungsersetzungsantrag nach § 103 Abs. 2 BetrVG entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts zulässig, jedoch ist er unbegründet, da ihm keine hinreichend tragfähigen Kündigungsgründe zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3 zugrunde liegen.

    Im Einzelnen:

    a.Der Zustimmungsersetzungsantrag ist zulässig.

    aa. Zutreffend geht das Arbeitsgericht davon aus, dass ein Zustimmungsersetzungsantrag nach § 103 Abs. 2 BetrVG nur wirksam gestellt werden kann, wenn entweder die dreitägige Stellungnahmefrist aus § 103 Abs. 1, 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG abgelaufen ist oder der Betriebsrat vor Ablauf dieser Frist seine Zustimmung zur beantragten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds ausdrücklich verweigert und damit oder anderweitig eine abschließende Stellungnahme vorliegt. Der vorfristige Zustimmungsersetzungsantrag ist unzulässig und würde auch nicht mit nachfolgender Zustimmungsverweigerung zulässig werden (BAG vom 07.05.1986 - 2 ABR 27/85, juris, Rz. 29 ff.; APS/Linck, 7. Auflage, § 103 BetrVG Rn. 28; KR/Rinck, 13. Auflage, § 103 BetrVG Rn. 88 f., 115; Nägele-Berkner in: Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, 7. Auflage, § 103 BetrVG Rn. 63; HWK/Ricken, 10. Auflage, § 103 BetrVG Rn. 17).

    bb. Für die Zulässigkeit des Antrages der Beteiligten zu 1 entscheidend ist damit zunächst, ob am 11.07.2022 die dreitägige Stellungnahmefrist des Betriebsrats bereits abgelaufen war. Denn da dieser sich jedenfalls bis 11.07.2022 nicht zur beantragten Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3 geäußert hatte, konnte ein Zustimmungsersetzungsantrag wirksam und zulässig bei Gericht nur eingereicht werden, wenn die Stellungnahmefrist abgelaufen war und damit die Zustimmung kraft Gesetzes als verweigert galt. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Antragstellerin bei einer nach dem 11.07.2022 erfolgenden Einleitung des Beschlussverfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG aufgrund von ihr selbst behaupteter Kenntnis der Kündigungsgründe beim kündigungsberechtigten Geschäftsführer am 27.06.2022 wegen Ablaufs der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB in keinem Fall mehr zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit den hier gegenständlichen Gründen berechtigt gewesen wäre. Denn die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB fällt in ihre Risikosphäre.

    Sollte dem Betriebsrat die Anhörung vom 05.07.2022 erst am 06.07.2022 zugegangen sein, wäre mit dem Arbeitsgericht von einer vorfristigen Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens auszugehen. Denn nach § 187 Abs. 1 BGB hätte der Fristlauf dann, da der Tag des Zugangsereignisses nicht mitzurechnen ist, am 07.07.2022 begonnen. Fristablauf wäre nach § 188 Abs. 1 BGB mit Ablauf des 09.07.2022 eingetreten. Da es sich dabei jedoch um einen Sonnabend handelte, wäre Fristablauf nach § 193 BGB - ungeachtet der Streitfragen der Beteiligten zur Anwendung dieser Norm im Übrigen - mit Ablauf des nächsten Werktages und somit des 11.07.2022 eingetreten. Ein wie hier im Laufe dieses Tages bereits bei Gericht eingehender Antrag erfolgte dann vorfristig.

    cc. Allerdings ist die Anhörung vom 05.07.2022 dem Betriebsrat entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts durch Übergabe an das Betriebsratsmitglied G. noch am selben Tage gegen ca. 14 Uhr zugegangen, so dass die Stellungnahmefrist am 06.07.2022 zu laufen begann und mit Ablauf des 08.07.2022 endete. Folge dessen ist, dass der Zustimmungsersetzungsantrag vom 11.07.2022 den vorstehend genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen genügt.

    (1) Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist zur Entgegennahme von Erklärungen, die dem Betriebsrat gegenüber abzugeben sind, - allein - der Betriebsratsvorsitzende und - nur - im Falle seiner Verhinderung der Stellvertreter berechtigt. Die Norm gilt nicht nur für rechtsgeschäftliche Willenserklärungen, sondern für Erklärungen und Mitteilungen aller Art und damit insbesondere auch für Anhörungen nach §§ 102, 103 BetrVG (BAG vom 27.06.1985 - 2 AZR 412/84, NZA 1986, 426, 427; BAG vom 27.08.1982 - 7 AZR 30/80, NJW 1983, 2835; GK-BetrVG/Raab, 12. Auflage, § 26 Rn. 54; Fitting, BetrVG, 31. Auflage, § 26 Rn. 38; siehe auch BAG vom 28.07.2020 - 1 ABR 5/19, juris, Rz. 27). Die übrigen Betriebsratsmitglieder sind nur dann zur Entgegennahme von Erklärungen des Arbeitgebers für den Betriebsrat ermächtigt, wenn kein nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG Befugter mehr im Betrieb vorhanden ist (so explizit BAG vom 27.06.1985 - 2 AZR 412/84, NZA 1986, 426, 427). Fehlt es hieran, kann das Betriebsratsmitglied lediglich Erklärungsbote des Arbeitgebers sein. In diesem Fall ist ein fristauslösender Zugang beim Betriebsrat erst dann gegeben, wenn das Betriebsratsmitglied die ihm vom Arbeitgeber übergebene Erklärung an den Vorsitzenden des Betriebsrats oder - im Verhinderungsfall - dessen Stellvertreter weiterleitet (BAG vom 28.07.2020 - 1 ABR 5/19, juris, Rz. 27).

    (2) Im vorliegenden Fall war kein nach Gesetz bzw. ergänzendem Betriebsratsbeschluss empfangsberechtigtes Betriebsratsmitglied am 05.07.2022 gegen 14 Uhr mehr im Betrieb anwesend, so dass die Übergabe der Anhörung an das weitere, reguläre und im Betriebsratsbüro anwesende Betriebsratsmitglied G. fristauslösende Wirkung entfaltete; denn Herr G. war an diesem Tag und zu diesem Zeitpunkt zur Entgegennahme der Anhörung für den Betriebsrat berechtigt und verpflichtet. Er war nicht lediglich Erklärungsbote der Antragstellerin, sondern Empfangsvertreter des Betriebsrats, so dass die Übergabe an ihn unmittelbar den Zugang beim Gremium bewirkte (vgl. GK-BetrVG/Raab, 12. Auflage, § 26 Rn. 59; DKW/Bachner/Deinert, 18. Auflage, § 102 Rn. 158; Caspers in: Löwisch/Kaiser/Klumpp, BetrVG, 8. Auflage, § 102 Rn. 38; APS/Koch, 7. Auflage, § 102 BetrVG Rn. 79).

    (a) Der Beteiligte zu 3 war schon aus rechtlichen Gründen verhindert, da die Anhörung zur beabsichtigten Kündigung seines eigenen Arbeitsverhältnisses erfolgte. Eine Verhinderung im Sinne der §§ 26 Abs. 2 Satz 2, 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG liegt vor, wenn der Betriebsratsvorsitzende bzw. sein(e) Stellvertreter aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage sind, ihr Amt auszuüben (BAG vom 28.07.2020 - 1 ABR 5/19, juris, Rz. 29). Anerkannter Grund einer rechtlichen Verhinderung des Betriebsratsvorsitzenden wegen unmittelbarer Selbstbetroffenheit ist die Anhörung nach § 103 Abs. 1 BetrVG zur Kündigung seines Arbeitsverhältnisses (BAG vom 25.04.2018 - 2 AZR 401/17, juris, Rz. 8).

    (b) Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende I. war entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts seit Verlassen des Betriebsgeländes um 13:43 Uhr am 05.07.2022 und damit zum Zeitpunkt der Übergabe des Anhörungsschreibens an Herrn G. aus tatsächlichen Gründen verhindert. Mit Arbeitsende und Verlassen des Betriebsgeländes tritt zumindest hinsichtlich der Passivvertretung zur Entgegennahme von Erklärungen Verhinderung aus tatsächlichen Gründen ein.

    Das Bundesarbeitsgericht verweist in seiner Entscheidung vom 28.07.2020 (1 ABR 5/19, juris, Rz. 29) für die Frage, was unter Verhinderung im Sinne von § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zu verstehen ist, einschränkungslos auf § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. In dessen Anwendungsbereich wäre ein Betriebsratsmitglied allerdings nach allgemeiner Überzeugung nicht per se nach Arbeitsende an der Amtsausübung verhindert. Denn die aktive Wahrnehmung des Betriebsratsamtes als Ehrenamt beispielsweise durch Teilnahme an Betriebsratssitzungen ist auch außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit möglich und vermag für sich genommen, wie schon die Regelung des § 37 Abs. 3 BetrVG zeigt, insoweit keinen Verhinderungsgrund nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu begründen (BAG vom 27.09.2012 - 2 AZR 955/11, juris, Rz. 31; GK-BetrVG/Oetker, 12. Auflage, § 25 Rn. 13; Fitting, BetrVG, 31. Auflage, § 25 Rn. 22; Schneider in: Löwisch/Kaiser/Klumpp, BetrVG, 8. Auflage, § 25 Rn. 15; DKW/Buschmann, BetrVG, 18. Auflage, § 25 Rn. 20; Richardi/Thüsing, BetrVG, 17. Auflage, § 25 Rn. 8; ErfK/Koch, 24. Auflage, § 25 BetrVG Rn. 4; HWK/Reichold, 10. Auflage, § 25 BetrVG Rn. 5).

    Ebenso entspricht es allerdings der ganz allgemeinen Ansicht, dass weder der Betriebsratsvorsitzende noch sein Stellvertreter verpflichtet sind, nach Arbeitsende und Verlassen des Betriebsgeländes außerhalb desselben Mitteilungen insbesondere nach §§ 102, 103 BetrVG als Empfangsvertreter des Gremiums entgegenzunehmen; sie können dies zwar tun, müssen es aber nicht (BAG vom 27.08.1982 - 7 AZR 30/80, NJW 1983, 2835; APS/Koch, 7. Auflage, § 102 BetrVG Rn. 84; KR/Rinck, 13. Auflage, § 102 BetrVG Rn. 120; GK-BetrVG/Raab, 12. Auflage, § 26 Rn. 66; Fitting, BetrVG, 31. Auflage, § 26 Rn. 41; Holler in: Löwisch/Kaiser/Klumpp, BetrVG, 8. Auflage, § 26 Rn. 21; DKW/Bachner/Deinert, BetrVG, 18. Auflage, § 102 Rn. 160). Wäre der Verhinderungsfall nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bei Aktiv- wie Passivvertretung (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG) identisch zu bestimmen, stünden sich die beiden beschriebenen und jeweils einhellig in Rechtsprechung und Literatur so vertretenen Positionen zur Verhinderung bei arbeitsfreier Zeit außerhalb des Betriebsgeländes diametral gegenüber.

    Dem lässt sich nicht überzeugend entgegenhalten, dass es im einen Fall um Verhinderung geht und im anderen Fall um die Frage, ob der Empfang einer Mitteilung auch dann - nämlich aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG resultierend - abgelehnt werden kann, wenn keine Verhinderung vorliegt (so aber wohl die Argumentation des BAG in der Entscheidung vom 27.08.1982 - 7 AZR 30/80, NJW 1983, 2835). Denn diese Argumentation führte ihrerseits erst zu einem mit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit kaum mehr zu vereinbarenden Ergebnis. Liegt nämlich kein Verhinderungsfall - hier beim stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden I. - vor, könnte die Anhörung weder an den durch den Betriebsrat bestellten zweiten Stellvertreter mit der Wirkung sofortigen Zugangs übergeben werden noch an ein anderes Betriebsratsmitglied, hier Herrn G.. Diese wären dann beide nur Erklärungsboten.

    Aus Sicht der erkennenden Beschwerdekammer ist zwischen Aktiv- und Passivvertretung zu unterscheiden. Bezüglich letzterer liegt tatsächliche Verhinderung zum Empfang von Mitteilungen des Arbeitgebers bereits dann vor, wenn die Arbeitszeit der empfangsberechtigten Person beendet ist und sie sich vom Betriebsgelände entfernt hat. Denn dann ist grundsätzlich weder ihr eine Rückkehr (allein) zur Entgegennahme einer Mitteilung zumutbar noch dem Arbeitgeber der Versuch der Kontaktaufnahme mit allen damit verbundenen Risiken (Unkenntnis des Aufenthaltsortes, weite Entfernung und entsprechender Zeitverlust, telefonische Unerreichbarkeit, Frage der erforderlichen Anzahl von Kontaktaufnahmeversuchen bis zur Annahme von Unerreichbarkeit usw.).

    Letztlich geht es hier um die Abgrenzung von Risikosphären unter Berücksichtigung der Grundsätze der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG. Aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit folgt, dass sich aus der Wertung der im Gesetz vorgesehenen Rechte auch Nebenpflichten der Betriebsparteien ergeben können. Das Gebot ist Maßstab dafür, wie Arbeitgeber und Betriebsrat ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Sie müssen dabei auch auf die Interessen der jeweils anderen Betriebspartei Bedacht nehmen (BAG vom 08.02.2022 - 1 AZR 233/21, juris, Rz. 41). Damit werden die allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben in den Bereich der Betriebsverfassung übertragen (BAG vom 28.05.2014 - 7 ABR 36/12, juris, Rz. 35).

    Mit dem Gebot von Treu und Glauben kollidiert zum einen die Annahme, ein Betriebsratsvorsitzender oder sein Stellvertreter müssten sich auch nach Beendigung ihrer Arbeit und Verlassen des Betriebs jederzeit und überall zur Entgegennahme rechtserheblicher Erklärungen mit Wirkung für das Gremium bereithalten. Wie das Bundesarbeitsgericht zutreffend ausführt, fehlen ihnen außerhalb der Arbeitszeit und außerhalb des Betriebs - den Fall der Home Office Tätigkeit hier nicht berücksichtigend - regelmäßig schon die sachlichen Mittel zur sachgerechten und ggfs. kurzfristig erforderlichen Reaktion (BAG vom 27.08.1982 - 7 AZR 30/80, NJW 1983, 2835). Andererseits ist der Arbeitgeber jedenfalls während der üblichen Betriebszeiten seiner Personalverwaltung als der ihn regulär gegenüber dem Betriebsrat vertretenden Stelle darauf angewiesen, auch seinerseits - oftmals gesetzlich fristgebundene und wie im vorliegenden Fall mit einer dreitägigen Stellungnahmefrist des Gremiums vor dem Hintergrund einer zweiwöchigen Ausschlussfrist für den Ausspruch außerordentlicher Kündigungen zudem hochgradig eilbedürftige - Mitteilungen und Anhörungen rechtssicher zustellen zu können (dies offen lassend BAG vom 27.08.1982 - 7 AZR 30/80, NJW 1983, 2835). Das bedeutet im hier gegebenen Fall des Mehrschichtbetriebs natürlich nicht, dass der Betriebsrat für eine Erreichbarkeit nahezu rund um die Uhr zu sorgen hätte, wohl aber, dass er einen rechtssicheren Zugang von Mitteilungen an das Gremium während der regulären Betriebszeiten der Personalverwaltung zu gewährleisten hat. In dieser Zeit müssen beide Betriebspartner einander erreichen können und wechselseitig rechtserhebliche und zumeist fristgebundene Erklärungen zustellen können.

    In die Risikosphäre des Betriebsrats fällt es danach, während der regulären Betriebszeiten der Personalverwaltung des Arbeitgebers zumindest eine empfangsberechtigte Person im Betrieb vorzuhalten. Das ist ihm unschwer neben den gesetzlichen Vertretungsregelungen durch Beschluss des Gremiums zur Bestellung weiterer Vertreter oder eine entsprechende Regelung per Geschäftsordnung möglich. So wenig der Betriebsratsvorsitzende und sein(e) Stellvertreter sich auf den Empfang von Erklärungen außerhalb der Arbeitszeit und außerhalb des Betriebs einstellen müssen, so wenig muss der Arbeitgeber das Risiko tragen, um 14 Uhr an einem normalen Arbeitstag keinen Empfangsvertreter beim Betriebsrat mehr vorzufinden. Es ist dem Arbeitgeber insofern auch nicht zumutbar, seine Personalplanung so einzurichten, dass der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter immer nur im Rahmen der Betriebszeiten der Personalabteilung eingeteilt werden. Ungeachtet dessen, dass dies ggfs. nicht einmal im Interesse der betroffenen Gremienvertreter liegen könnte und dem betriebsorganisatorische Einwände u.a. im Hinblick auf die Qualifikation, Tätigkeit und damit Einsatzmöglichkeit der betroffenen Betriebsratsvertreter entgegen stehen könnten, würden selbst dadurch nicht alle Konstellationen von Empfangsvertretungslücken abgedeckt. Schafft hingegen der Betriebsrat eine entsprechende Vertretungskettenregelung, ist transparent für beide Seiten jederzeit geklärt, wer empfangsbevollmächtigt ist, wenn Vorsitzender und Stellvertreter nicht im Betrieb anwesend sind. Dem Arbeitgeber wiederum ist es oftmals aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Eilbedürftigkeit nicht zumutbar, auf die Übergabemöglichkeit an andere Betriebsratsmitglieder lediglich als Erklärungsboten verwiesen zu werden. Muss beispielsweise an einem Freitag Nachmittag wegen kurzfristig erforderlich gewordener, zusätzlicher Samstagsarbeit die Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG eingeholt werden, kann in einem Fall wie dem vorliegenden nicht ernsthaft vertreten werden, bei Betriebsabwesenheit von Vorsitzendem und beiden Stellvertretern fungiere das angetroffene ordentliche Betriebsratsmitglied nur als Erklärungsbote. Damit würde der Arbeitgeber faktisch weitgehend rechtlos gestellt, dies ohne Not, denn der Betriebsrat könnte für diese Konstellation eine weitergehende Vertretungsregelung schaffen. Schafft er sie nicht, muss die Übergabe rechtserheblicher Erklärungen an jedes Betriebsratsmitglied als Empfangsvertreter möglich und zulässig sein. Es fällt in die Risikosphäre des Betriebsrats, für die dann notwendige interne weitere Kommunikation zu sorgen.

    Gleiches gilt im vorliegenden Fall, in dem die Antragstellerin aufgrund der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB unter Zeitdruck handelte. Ein Zugang der Anhörung erst am 06.07.2022 hätte unter Berücksichtigung der dann folgenden dreitägigen Stellungnahmefrist und des Wochenendes (wegen § 193 BGB) dazu geführt, dass der Antrag im vorliegenden Verfahren erst am 12.07.2022 hätte gestellt werden dürfen. Aufgrund Kenntnis des Geschäftsführers von den Kündigungsgründen jedenfalls spätestens seit 27.06.2022 wäre dann jedoch die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB abgelaufen. Die Fristeinhaltung als solche fällt zwar in die Risikosphäre der Antragstellerin. Sie ist jedoch berechtigt, solche engen gesetzlichen Fristen bis zum Ende auszuschöpfen. Das ist ihr nicht möglich, wenn ihr fristgerechtes Handeln durch fehlende Empfangsvertreter auf Betriebsratsseite unmöglich gemacht wird.

    Die Antragstellerin war auch nicht verpflichtet, ihre Anhörung am 05.07.2022 bis 13:32 Uhr beim Betriebsrat einzureichen. Zwar war ihr bekannt, ab wann am Morgen dieses Tages eine Betriebsratssitzung stattfinden würde und wer daran teilnimmt. Auch war ihr bekannt, zu welcher Schicht (nämlich Frühschicht) Herr I. eingeteilt war und dass sein reguläres Arbeitsende somit um 13:32 Uhr anstand. Gleichwohl kann sie im Rahmen der regulären Betriebszeiten ihrer Personalverwaltung auch um 14 Uhr noch erwarten, einen empfangsbevollmächtigten Vertreter des Betriebsrats im Betrieb anzutreffen. Es kann nicht angehen, für Empfangsvorkehrungen auf Betriebsratsseite allein auf die individuelle Arbeitszeit des Betriebsratsvorsitzenden oder - hier - seines Stellvertreters abzustellen (so aber wohl BAG vom 27.08.1982 - 7 AZR 30/80, NJW 1983, 2835). Würde man es ablehnen, Verhinderung in der Passivvertretung anzunehmen, wenn der Vorsitzende nicht mehr im Betrieb anwesend ist, hieße dies, im Falle eines dauerhaft in Nachtschicht tätigen Betriebsratsvorsitzenden den Arbeitgeber für den unmittelbaren Zugang fristgebundener Erklärungen beim Betriebsrat seinerseits stets, zumindest aber an den Arbeitstagen mit Nachtschichteinsatz des Vorsitzenden auf die Nachtschicht zu verweisen (so wohl KR/Rinck, 13. Auflage, § 102 BetrVG Rn. 119, der Empfangsberechtigung jedes Betriebsratsmitgliedes nur bei ganztägiger Abwesenheit des Vorsitzenden und des Stellvertreters annimmt); zu allen anderen Zeiten wäre mangels Verhinderung des Vorsitzenden jedes andere Betriebsratsmitglied immer nur Erklärungsbote, mit allen daraus resultierenden Folgen für die Bestimmung des Zugangszeitpunktes.

    Warum dem Arbeitgeber dies aufgrund des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit abzuverlangen sein soll, erschließt sich nicht. Ist wie hier der Vorsitzende aus rechtlichen Gründen verhindert und sein Stellvertreter um 14 Uhr wegen seines Arbeitszeitendes nicht mehr im Betrieb anwesend und damit zum Empfang von Mitteilungen nicht mehr verpflichtet, führt dies zu seiner Verhinderung in der Passivvertretung des Gremiums (ebenso GK-BetrVG/Raab, 12. Auflage, § 26 Rn. 66). Ist dann auch kein weiterer bestellter Empfangsvertreter mehr im Betrieb anwesend, kann die Anhörung an jedes anwesende Betriebsratsmitglied als Empfangsvertreter übergeben werden und geht dem Betriebsrat damit sofort zu.

    (c) Der weitere, durch den Betriebsrat bestimmte Empfangsvertreter Herr F. war gleichfalls am 05.07.2022 gegen 14 Uhr verhindert. Insoweit gilt das gleiche wie zuvor bereits zu Herrn I., denn auch Herr F. war am 05.07.2022 in der Frühschicht eingeteilt. Sein Arbeitsende war ebenfalls um 13:32 Uhr, weshalb die Arbeitgebervertreter auch ihn um 14 Uhr im Betrieb nicht mehr antrafen. Im Übrigen zeigt der Umstand der Bestimmung eines zweiten Stellvertreters durch den Beteiligten zu 2, dass er sich der Notwendigkeit der Vorsorge für weitere Vertretungsregelungen über das unmittelbar im Gesetz Geregelte hinaus durchaus bewusst ist und insofern bereits gewissenhaft unter Berücksichtigung der Erfordernisse im Mehrschichtbetrieb gehandelt hat. Die hier geschaffene weitere Vertretungsregelung reicht allerdings, wie der vorliegende Fall zeigt, nicht immer aus und wird im eigenen Interesse des Beteiligten zu 2 zu ergänzen sein, wenn er verhindern möchte, dass die Antragstellerin anderenfalls den Zugang rechtserheblicher Erklärungen unmittelbar an jedes Betriebsratsmitglied bei Abwesenheit des Beteiligten zu 3 und seiner beiden Stellvertreter bewirken kann.

    b.Der Zustimmungsersetzungsantrag ist allerdings nicht begründet. Denn für die Ersetzung der Zustimmung des zu Ziffer 2 beteiligten Betriebsrats zu der beabsichtigten Kündigung seines Mitglieds und Vorsitzenden - des Beteiligten zu 3 - bedarf es gemäß §§ 103 Abs. 2 BetrVG, 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 BGB zur außerordentlichen fristlosen Kündigung. Ein solcher Kündigungsgrund liegt hier unter Berücksichtigung aller Umstände nicht vor.

    aa. Das Arbeitsverhältnis des Beteiligten zu 3 als Mitglied des Betriebsrats kann nach § 15 Abs. 1 KSchG nur gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB berechtigen. Nur in diesem Fall ist die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung nach § 103 Abs. 2 BetrVG zu ersetzen.

    Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG vom 31.07.2014 - 2 AZR 407/13, juris, Rz. 25; BAG vom 08.05.2014 - 2 AZR 249/13, juris, Rz. 16; BAG vom 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, juris, Rz. 15; BAG vom 21.06.2012 - 2 AZR 694/11, juris, Rz. 20; BAG vom 09.06.2011 - 2 AZR 323/10, juris, Rz. 14; BAG vom 10.10.2010 - 2 AZR 541/09, juris, Rz. 30). Dabei ist im Rahmen des § 15 Abs. 1 KSchG auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist des Mandatsträgers abzustellen. Ist eine Weiterbeschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam (BAG vom 19.07.2012 - 2 AZR 989/11, juris, Rz. 44; BAG vom 12.05.2010 - 2 AZR 587/08, juris, Rz. 17).

    Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten "an sich" geeignet sein (BAG vom 31.07.2014 - 2 AZR 407/13, juris, Rz. 26; BAG vom 08.05.2014 - 2 AZR 249/13, juris, Rz. 19; BAG vom 27.01.2011 - 2 AZR 825/09, juris, Rz. 29). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG vom 31.07.2014 - 2 AZR 407/13, juris, Rz. 26; BAG vom 08.05.2014 - 2 AZR 249/13, juris, Rz. 19).

    Soweit ein wichtiger Grund, der an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, festgestellt werden kann, hat die Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB unter anderem zum Gegenstand, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbesondere eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung zumutbar war. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG vom 20.05.2021 - 2 AZR 596/20, juris, Rz. 27; BAG vom 27.02.2020 - 2 AZR 570/19, juris, Rz. 23; BAG vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18, juris, Rz. 30; BAG vom 29.06.2017 - 2 AZR 302/16, juris, Rz. 28). Liegt nur eine dieser Fallgruppen vor, kann Ergebnis der Interessenabwägung nicht sein, den Kündigenden auf eine Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen (BAG vom 20.05.2021 - 2 AZR 596/20, juris, Rz. 27; BAG vom 27.02.2020 - 2 AZR 570/19, juris, Rz. 24). Die zweite Fallgruppe betrifft ausschließlich das Gewicht der in Rede stehenden Vertragspflichtverletzung, die für sich schon die Basis für eine weitere Zusammenarbeit irreparabel entfallen lässt. Dieses bemisst sich gerade unabhängig von einer Wiederholungsgefahr. Die Schwere einer Pflichtverletzung kann zwar nur anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, diese müssen aber die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen. Dazu gehören etwa ihre Art und ihr Ausmaß, ihre Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Situation bzw. das "Klima", in der bzw. in dem sie sich ereignete. Sonstige Umstände, die Gegenstand der weiteren Interessenabwägung sein können, wie etwa ein bislang unbelastetes Arbeitsverhältnis, haben bei der Prüfung der Schwere der Pflichtverletzung außer Betracht zu bleiben. Dies gilt umgekehrt ebenso für ein nachfolgendes wahrheitswidriges Bestreiten, das für sich genommen ebenfalls nichts über die Schwere der begangenen Pflichtverletzung besagt (BAG vom 20.05.2021 - 2 AZR 596/20, juris, Rz. 27).

    Ist der Arbeitnehmer bereits einschlägig abgemahnt oder die Abmahnung nach den vorstehend aufgezeigten Grundsätzen entbehrlich, ist bei der weiteren Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen (BAG vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18, juris, Rz. 28; BAG vom 14.12.2017 - 2 AZR 86/17, juris, Rz. 54; BAG vom 29.06.2017 - 2 AZR 302/16, juris, Rz. 26). Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein "schonenderes" Gestaltungsmittel gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18, juris, Rz. 29; BAG vom 23.08.2018 - 2 AZR 235/18, juris, Rz. 40; BAG vom 29.06.2017 - 2 AZR 302/16, juris, Rz. 27). Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese (BAG vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18, juris, Rz. 29).

    bb. Gemessen hieran sind auch unter Zugrundelegung des Vorbringens der Antragstellerin keine Pflichtverletzungen feststellbar, die eine außerordentliche, fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 3 rechtfertigen würden.

    (1) Hinsichtlich der dem Beteiligten zu 3 vorgeworfenen Pflichtverletzungen im Rahmen des Verfahrens 6 BV 94/22 durch vermeintlich unwahre Tatsachenbehauptungen kann mit dem Vorbringen der Antragstellerin unterstellt werden, dass der Beteiligte zu 3 im Gütetermin vom 22.06.2022 unzutreffend, weil irreführend erklärt hat, der Vorfall des Drückens des Notausschalters durch Herrn M. werde bestritten, denn er sei nicht in den Schichtbüchern notiert worden, obwohl ein entsprechender Eintrag im Schichtbuch "Stundenverlauf" enthalten war und es mehrere Schichtbücher bei der Antragstellerin zu unterschiedlichen Zwecken gibt. Es kann dahingestellt bleiben, inwiefern der auf dieses Verhalten gestützte Vorwurf eines unwahren Vorbringens in einem gerichtlichen Verfahren zu Lasten des Arbeitgebers bereits nach § 626 Abs. 2 BGB präkludiert sein könnte, weil dem in der Verhandlung laut Sitzungsprotokoll vom 22.06.2022 (6 BV 94/22) anwesenden Geschäftsführer alle für ihn wohl kündigungsrelevanten Tatsachen bereits am 22.06.2022 bekannt gewesen sein dürften. Selbst soweit die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung hierzu vorbringt, erst am 27.06.2022 habe sich infolge weiteren unwahren Vorbringens des Beteiligten zu 3 im Verfahren 11 BVGa 11/22 ergeben, dass der Beteiligte zu 3 systematisch und mit Schädigungsabsicht in gerichtlichen Verfahren falsch vortrage, kann daraus jedenfalls in der Sache kein hinreichender Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 3 hergeleitet werden.

    (a) Richtig ist, dass das leichtfertige Behaupten falscher Tatsachen, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt, durch einen Arbeitnehmer in einem gerichtlichen Verfahren mit dem Arbeitgeber an sich geeignet sein kann, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu begründen (BAG vom 31.07.2014 - 2 AZR 434/13, juris, Rz. 20; BAG vom 29.08.2013 - 2 AZR 419/12, juris, Rz. 37; BAG vom 24.11.2005 - 2 ABR 55/04, juris, Rz. 23; LAG Rheinland-Pfalz vom 02.09.2020 - 7 Sa 333/19, juris, Rz. 68). Ein solches Verhalten stellt - unabhängig von seiner Strafbarkeit - eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren (BAG vom 31.07.2014 - 2 AZR 434/13, juris, Rz. 20 m.w.N.; LAG Rheinland-Pfalz vom 02.09.2020 - 7 Sa 333/19, juris, Rz. 68). Dabei spielt es keine Rolle, ob der wahrheitswidrige Vortrag letztlich für das Gericht entscheidungserheblich ist. Ausreichend ist, dass er es hätte sein können. Selbst der "untaugliche Versuch" eines "Prozessbetrugs" kann das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers irreparabel zerstören. Keinesfalls mindert es den Unrechtsgehalt von bewusst falschem Vorbringen zu einem Kündigungsgrund, wenn seine Unhaltbarkeit für den Arbeitgeber und das Gericht nicht offensichtlich ist. Dafür, ob die Unrichtigkeit des Tatsachenvortrags erkennbar ist, kommt es zunächst auf den "Lügenden" an. Dieser verdient keine Privilegierung, wenn er um die Unwahrheit einer Behauptung weiß, die dazu geeignet und bestimmt ist, seine Chancen in einem Prozess zu verbessern (BAG vom 24.05.2018 - 2 AZR 73/18, juris, Rz. 26 zum arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag; LAG Rheinland-Pfalz vom 02.09.2020 - 7 Sa 333/19, juris, Rz. 68).

    Ein Arbeitnehmer kann sich für die bewusste Behauptung unwahrer Tatsachen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen (BVerfG vom 11.04.1991 - 2 BvR 963/90, juris, Rz. 21 ff.). Sie wird nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst (BVerfG a.a.O.).

    (b) Selbst wenn die dem Kläger vorgeworfenen Äußerungen und Verhaltensweisen in beiden Verfahren - 6 BV 94/22 am 22.06.2022 und 11 BVGa 11/22 am 27./28.06.2022 -, soweit sie streitig sind, mit dem Vorbringen der Antragstellerin objektiv als unwahre und unvollständige und damit irreführende Äußerung zu dem Vorfall mit Herrn M. und zu den Schichtbüchern im Verfahren 6 BV 94/22 unterstellt werden und im Verfahren 11 BVGa 11/22 als unwahre Tatsachenbehauptung zu angeblich im Vorfeld nicht geführten Gesprächen und angeblicher Unkenntnis der Betriebsversammlungstermine des Kunden MBV Z., rechtfertigt dies keine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3. Gleiches gilt zu dem Vorwurf, der Beteiligte zu 3 habe beim Verweis auf eine Betriebsvollversammlung die Tatsache unterdrückt, dass die Versammlung während der Produktionsruhe 2021 und mit insgesamt nur acht Teilnehmern durchgeführt worden sei.

    (aa) Zum einen ist schon auf der Ebene des wichtigen Grundes an sich festzustellen, dass die Antragstellerin den Sachverhalt hier maßlos aufbauscht und sprichwörtlich aus mehreren Mücken eine Elefantenherde zu machen versucht. Mit gleichem Maß gemessen müsste man ihr im vorliegenden Verfahren unwahren Tatsachenvortrag vorwerfen, weil sie auf Seite 5 und 6 ihrer Beschwerdebegründung davon spricht, der Beteiligte zu 3 haben im "Kammertermin" vom 22.06.2022 falsch vorgetragen, obwohl an diesem Tag lediglich ein Gütetermin stattgefunden hat. Die Relevanz und Gefahr falschen Vorbringens im Kammertermin ist deutlich höher einzuschätzen als im Gütetermin, da unmittelbar nachfolgend bereits eine auf dem unwahren Vorbringen beruhende gerichtliche Entscheidung drohen könnte. Auch wenn die Antragstellerin auf Seite 4 und 7 wiederum von einer Güteverhandlung am 22.06.2022 spricht, bleibt ihr Vorbringen damit zumindest unklar. Die Beschwerdekammer hat es erst durch Beiziehung der Akte 6 BV 94/22 dahin aufklären können, dass am 22.06.2022 eben tatsächlich ein Güte- und kein Kammertermin stattgefunden hat. Dieses Beispiel mag der Antragstellerin vielleicht verdeutlichen, dass eben nicht jedes - selbst nicht ganz unerhebliche - falsche Vorbringen gleich den Vorwurf des Prozessbetrugs oder auch nur der leichtfertigen Lüge rechtfertigt, denn die Kammer hielte den Vorwurf gegenüber der Antragstellerin für gleichermaßen abwegig. Und dies, obwohl auch ihr Vorbringen zur Kenntniserlangung des Geschäftsführers am 27.06.2022 auf Seite 17 der Beschwerdebegründung zumindest fragwürdig erscheint, denn am 27.06.2022 kann der Beteiligte zu 3 im Verfahren 11 BVGa 11/22 nicht falsch vorgetragen haben, da es in der Gerichtsakte keinerlei Vortrag der Betriebsratsseite mit diesem Datum gibt. Erst am 28.06.2022 fand die mündliche Verhandlung dort statt, in der der Beteiligte zu 3 vermeintlich unwahr vorgetragen hat. Man sollte also wohl beiderseits nicht alles Vorbringen auf die sprichwörtliche Goldwaage legen.

    In der Sache hält die Antragstellerin dem Beteiligten zu 3 im Verfahren 6 BV 94/22 vor, nicht von sich aus im Gütetermin im Rahmen einer mündlichen Einlassung direkt alle Details zu den mehreren Schichtbüchern bei der Antragstellerin vorgetragen und damit eine Täuschung des Gerichts versucht zu haben. Sein Vorbringen mag unvollständig gewesen sein, konnte aber ohne weiteres im gerade erst beginnenden Verfahren von der Antragstellerin vervollständigt und richtiggestellt werden. Dass der Beteiligte zu 3 die Existenz mehrerer Schichtbücher auf entsprechenden Vortrag der Antragstellerin bestritten hätte, behauptet die Antragstellerin nicht. Für das Gericht scheint derlei Vorbringen ohnehin erst einmal ohne besondere Relevanz gewesen zu sein, denn nichts von alledem wurde im Protokoll der Sitzung vom 22.06.2022 festgehalten, was aber bei der Relevanz, die die Antragstellerin hier unterstellt, bei Beachtung des § 160 Abs. 2 ZPO naheliegend gewesen wäre.

    Im Verfahren 11 BVGa 11/22 soll der Beteiligte zu 3 zusammen mit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wider besseren Wissens behauptet haben, es hätten angeblich keine Gesprächen im Vorfeld zu der streitigen und für den 29.06.2022 geplanten Betriebsvollversammlung stattgefunden. Obgleich sicherlich auch ein untauglicher Versuch des Prozessbetruges und der Täuschung des Gerichts eine schwerwiegende Pflichtverletzung an sich begründen kann, ist erneut festzustellen, dass das, was die Antragstellerin hier an Vorbringen des Beteiligten zu 3 behauptet, erneut nicht im Protokoll des Kammertermins vom 28.06.2022 festgehalten wurde und die - zu ihren Gunsten ergangene und von dem Betriebsrat nicht angefochtene - Entscheidung der 11. Kammer des Arbeitsgerichts Z. vom gleichen Tage sich mit keinem Wort hierzu verhält, weil es darauf nicht ansatzweise ankam. Nichts anderes gilt für die Themen Betriebsvollversammlung am 29.12.2021 und des Kunden MBV Z.. Soweit man also in allen diesen Konstellationen unwahren Tatsachenvortrag des Beteiligten zu 3 unterstellt, betrifft nicht ein einziger entsprechender Vortrag einen relevanten Aspekt für die Entscheidung der jeweiligen Fälle. Das Schwergewicht der Pflichtverletzung des Beteiligten zu 3 erweist sich damit schon von vornherein als so gering, dass bereits kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich gegeben sein dürfte.

    Letztlich kann all dies dahingestellt bleiben.

    (bb) Denn selbst wenn man mit dem von der Beklagten behaupteten Sachverhalt eine schwerwiegende Verletzung auch arbeitsvertraglicher Nebenpflichten aufgrund unwahren Tatsachenvorbringens in den Verfahren 6 BV 94/22 und 11 BVGa 11/22 (jeweils ArbG Düsseldorf) zugrunde legt und das Vorliegen eines wichtigen Grundes unterstellt, der an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtigen würde, scheitert die beabsichtigte fristlose Kündigung des seit mehr als 16 Jahren bestehenden Arbeitsverhältnisses, zu dem frühere, noch dazu einschlägige Abmahnungen oder andere Störungen nicht vorgetragen sind, im Rahmen der Interessenabwägung deutlich.

    (aaa) Dabei ist zunächst im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass beim Zusammentreffen von Amts- und arbeitsrechtlicher Pflichtverletzung ein besonders strenger Maßstab anzulegen ist, soweit das Betriebsratsmitglied gerade durch die Ausübung des Betriebsratsamtes in Konflikt mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten gerät (BAG vom 19.07.2012 - 2 AZR 989/11, juris, Rz. 49; BAG vom 12.05.2010 - 2 AZR 587/08, juris, Rz. 15; BAG vom 23.10.2008 - 2 ABR 59/07, juris, Rz. 28 ff.; BAG vom 25.05.1982 - 7 AZR 155/80, juris, Rz. 24; KR/Kreft, 13. Auflage, § 15 KSchG Rn. 50 f.). Denn betriebsverfassungsrechtliche Amtsträger können aufgrund ihrer Betriebsratstätigkeit leichter als andere Arbeitnehmer in Gefahr geraten, ihre arbeitsvertraglichen Pflichten zu verletzen. Das hat im Rahmen der Interessenabwägung Berücksichtigung zu finden. Kann beispielsweise bei zugleich grober Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten ein Ausschluss aus dem Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 BetrVG bereits hinreichend verlässlich auch künftige gleichgelagerte arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen ausschließen, ist dieser gegenüber der außerordentlichen Kündigung das mildere und damit vorrangige Reaktionsmittel, soweit nicht die arbeitsvertragliche Pflichtverletzung gegenüber der Amtspflichtverletzung deutlich im Vordergrund steht (BAG vom 23.10.2008 - 2 ABR 59/07, juris, Rz. 28 ff.; BAG vom 25.05.1982 - 7 AZR 155/80, juris, Rz. 24; KR/Kreft, 13. Auflage, § 15 KSchG Rn. 51; Richter, ArbRAktuell 2016, 183, 184 f.).

    (bbb) Soweit die Antragstellerin dem Beteiligten zu 3 in den beiden Gerichtsverfahren unwahren Tatsachenvortrag vorhält, wird dies hier wie ausgeführt als zutreffend unterstellt und dem - trotz der bereits beschriebenen, aber hier nun dahingestellten Bedenken der Beschwerdekammer - auch die Gewichtigkeit eines an sich ausreichenden wichtigen Grundes beigemessen. Das so unterstellte Fehlverhalten erfolgte mit dem Vorbringen der Antragstellerin dann vorsätzlich, nämlich wider besseren Wissens falsch und unvollständig und damit objektiv irreführend.

    Die Antragstellerin behauptet allerdings zum Verfahren 6 BV 94/22 nicht, dass der Beteiligte zu 3 die Existenz weiterer und nach ihrem Vorbringen eigentlich relevanter Schichtbücher als solche bestritten hätte. Damit war es jedoch sprichwörtlich ein "Klacks", die befürchtete Irreführung des Arbeitsgerichts richtigzustellen. Eben dafür hatte die Antragstellerin auch noch hinreichend Zeit und lief am 22.06.2022 in keiner Hinsicht Gefahr, durch eine auf falscher Tatsachengrundlage erfolgende Entscheidung des Gerichts benachteiligt zu werden. Denn am 22.06.2022 hatte wie bereits ausgeführt erst ein Gütetermin stattgefunden und es bestand noch hinreichend Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag und ggfs. Beweisantritt. Es bestand damit im Übrigen auch noch hinreichend Zeit abzuwarten, wie der Beteiligte zu 2 in dem Verfahren 6 BV 94/22 weiter vortragen würde und die Möglichkeit, konkret den Beteiligten zu 3 zu befragen, welchen Tatsachenvortrag er zu dem Thema Produktionsausfall und Schichtbücher nunmehr noch aufrechterhalten wolle. All dies hat die Antragstellerin unterlassen. Das nimmt ihrem Kündigungsgrund im Rahmen der Interessenabwägung durchaus Gewicht. Das Schadensrisiko war im hier relevanten Zeitpunkt bzw. Zeitraum sehr gering und hat sich auch nachfolgend im Übrigen nicht, jedenfalls nicht im Zusammenhang mit vermeintlich falschem Vortrag des Beteiligten zu 3 realisiert. Die Frage, ob der Beteiligte zu 3 hier absichtlich und mit Schädigungsabsicht handelte - was die Antragstellerin nur unterstellt, aufgrund der äußeren, von ihr dargelegten Tatsachen so jedoch noch nicht nachvollziehbar ist - oder lediglich leichtfertig unzutreffende und unvollständige Behauptungen in einer Güteverhandlung von sich gab, spielt im Rahmen der Interessenabwägung eine nicht unerhebliche Rolle. Sie kann nicht im (Kündigungs-)Interesse der Antragstellerin beantwortet werden, denn sie möchte hier zwar eine Tatkündigung aussprechen, hat zur Motivlage des Beteiligten zu 3 jedoch nicht einmal dringende Verdachtsmomente, sondern allenfalls einen gewissen Verdacht zu bieten. Dieser hätte sich erhärten oder abschwächend klären lassen können, dies wollte die Antragstellerin aber wohl nicht abwarten. Damit verbleibt es bei einem Kündigungsvorwurf von entsprechend geringerem Gewicht.

    Dieser Vorwurf genügt weder für sich genommen noch in der Gesamtschau mit dem das Verfahren 11 BVGa 11/22 betreffenden weiteren Vorwurf unzutreffenden Tatsachenvorbringens, um das seit mehr als 16 Jahren unbeanstandet verlaufene Arbeitsverhältnis des Beteiligten zu 3 außerordentlich fristlos zu beenden.

    Selbst wenn man bei den dem Beteiligten zu 3 in jenem Verfahren vorgehaltenen Äußerungen (Bestreiten von Vorgesprächen zur beabsichtigten Betriebsvollversammlung vom 29.06.2022, Bestreiten der Kenntnis des Termins der Betriebsversammlung beim Kunden MBV Z. und irreführender, weil unvollständig zur Teilnehmerzahl und der Produktionsruhe erfolgender Verweis auf eine Betriebsvollversammlung am 29.12.2021) vorsätzliches Verhalten unterstellt, weil ihm bewusst war, welche Vorgespräche es gegeben hat, er - unterstellt - Kenntnis von der Betriebsversammlung beim Kunden hatte und ihm klar sein musste, dass der Verweis auf die Betriebsvollversammlung vom 29.12.2021 ohne nähere Erläuterung irreführend sein könnte und im Termin vor der Kammer des Arbeitsgerichts am 28.06.2022 im einstweiligen Verfügungsverfahren unmittelbar eine nachteilige Entscheidung zu Lasten der Antragstellerin herbeiführen könnte, reicht dies auch in Verbindung mit dem Verhalten vom 22.06.2022 nicht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

    Denn dann läge zwar eine erhebliche, vorsätzliche Pflichtverletzung durch Verletzung auch arbeitsvertraglicher Nebenpflichten vor, diese verliert jedoch an Gewicht schon dadurch, dass der unwahre Tatsachenvortrag weit überwiegend nur Nebenaspekte der Streitigkeiten in den Verfahren 6 BV 94/22 und 11 BVGa 11/22 betraf. Wie sich dem rechtskräftigen Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 28.06.2022 im Verfahren 11 BVGa 11/22 entnehmen lässt, spielten die dem Beteiligten zu 3 vorgehaltenen Äußerungen keinerlei Rolle für die - ohnehin zugunsten der Antragstellerin ausgefallene - Entscheidung. Zudem hatte die Antragstellerin alle Möglichkeiten zur Richtigstellung und konkretisierenden Nachfrage, was genau der Beteiligte zu 3 nun bestreiten oder behaupten wolle, um ihm dann ggfs. die Wahrheitspflicht vorzuhalten und einem dann ggfs. fortgesetzten Verstoß dadurch ein erhöhtes Gewicht zu verleihen. Letzteres erfolgte nicht. Einmaliger oder auch im engen zeitlichen Zusammenhang zweimal objektiv fehlerhafter oder irreführender Vortrag, auch wenn er leichtfertig oder sogar im Bewusstsein der Unwahrheit und damit vorsätzlich erfolgte, führt aber noch nicht per se zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschutzrecht kennt keine absoluten Kündigungsgründe (BAG vom 19.04.2012 - 2 AZR 186/11, juris, Rz. 28; BAG vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, juris, Rz. 16). Vielmehr sind wie bereits vorstehend ausgeführt immer alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen im Hinblick auf die Frage, ob das dem Arbeitnehmer vorgeworfene Verhalten zur außerordentlichen Beendigung ausreicht, lediglich eine ordentliche Kündigung als vorrangiges und milderes Reaktionsmittel auf den Pflichtverstoß oder gar keine Kündigung rechtfertigt.

    Hier ist neben dem Umstand, dass das dem Beteiligten zu 3 vorgehaltene Verhalten eine Schadensgefahr beinhaltete, aber keinen von ihr behaupteten Schaden tatsächlich verursacht hat, was ihm Gewicht bei der Begründung einer Kündigung nimmt, vor allem und die Entscheidung primär tragend zu berücksichtigen, dass es ausschließlich im Zusammenhang mit einer betriebsverfassungsrechtlichen Amtsausübung des Beteiligten zu 3 steht.

    In beiden Gerichtsverfahren handelte der Beteiligte zu 3 nicht in eigener Angelegenheit als Arbeitnehmer der Antragstellerin, sondern allein als gesetzlicher Vertreter des Betriebsrats, dessen Vorsitzender er ist, in einem zwischen den Betriebsparteien geführten gerichtlichen Beschlussverfahren. Er hat selbst mit den zugunsten der Antragstellerin hier unterstellt zutreffenden Vorhaltungen keine Hauptleistungspflicht aus seinem Arbeitsverhältnis verletzt und Nebenpflichten in Gestalt der Rücksichtnahmepflicht ausschließlich im Rahmen der Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsgesetzlichen Vertretungsaufgabe als Vorsitzender des Betriebsrats.

    Weder für arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit einer grenzüberschreitenden Amtsausübung noch überhaupt ist der Beteiligte zu 3 in den 16 Jahren seiner Betriebszugehörigkeit bislang abgemahnt worden oder sonst nach dem Vorbringen der Antragstellerin negativ in Erscheinung getreten. Allein deswegen wäre schon von positiver Steuerbarkeit auszugehen, wenn denn die Antragstellerin zu steuern versucht und nicht gleich die Anhörung zur außerordentlichen Kündigung eingeleitet hätte. Selbst wenn der Beteiligte zu 3 in rein betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten, in denen er als Betriebsratsvorsitzender die Aufgabe der gesetzlichen Vertretung des Gremiums vor Gericht wahrzunehmen hatte und damit in eine Konfliktsituation kam, die keinem "normalen" Arbeitnehmer und selbst seinen Betriebsratskollegen in einer vergleichbaren Weise und ggfs. auch Häufigkeit droht, hier in zwei Fällen die Grenzen des Zulässigen überschritten hat, gibt dies einer damit einhergehenden Nebenpflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis noch nicht das Gewicht, das nötig wäre, um ein seit mehr als 1 1/2 Jahrzehnten bestehendes Arbeitsverhältnis überhaupt, geschweige denn fristlos zu beenden. Selbst bei wie zuvor dargestellt Annahme vorsätzlichen Handelns fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass es dem Beteiligten zu 3 auf eine Täuschung des Gerichts und eine damit einhergehende potentielle Schädigung des Arbeitgebers angekommen wäre. Die arbeitsvertragliche Nebenpflichtverletzung tritt damit gegenüber der Amtspflichtverletzung als betriebsverfassungsrechtlicher Organvertreter keineswegs in den Vordergrund, sondern bleibt lediglich die damit einhergehende "Kehrseite der Medaille". Da die Amtsausübung bei dem dem Beteiligten zu 3 vorgeworfenen Verhalten ganz deutlich im Vordergrund steht und ohne (unterstellt fehlerhafte) Amtsausübung gar keine nunmehr auch arbeitsvertraglich zu würdigenden Pflichtverletzungen denkbar wären, ist das dem Beteiligten zu 3 vorgeworfene Fehlverhalten insoweit auch primär im Amtsverhältnis zu beantworten. Stellen sich die Vorwürfe der Antragstellerin als berechtigt und hinreichend schwerwiegend und grob heraus, können sie zum Anlass für einen Ausschluss aus dem Gremium nach § 23 Abs. 1 BetrVG genommen werden. Damit wäre zugleich eine einschlägige Wiederholung solchen Fehlverhaltens und damit einhergehend auch eine entsprechende arbeitsrechtliche Pflichtverletzung hinreichend sicher für die Zukunft ausgeschlossen. Erreicht das Maß der Pflichtverletzung nicht den Schweregrad einer groben betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtverletzung, reichte es auch nicht zur fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 3.

    Wie sich dem bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses, nämlich mangels jeglichen anderweitigen Vorbringens einem ungestörten Verlauf entnehmen lässt, hat sich der Beteiligte zu 3 möglicherweise zu unbedachtem Vortrag in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender hinreißen lassen. Die Folgen dessen sind jedoch eher gering einzuschätzen, ein Vertrauensverlust der Antragstellerin betrifft hier primär den Bereich, aus dem der Pflichtverstoß herrührt, nämlich die Amtsausübung und nicht das Verhalten des Beteiligten zu 3 als Arbeitnehmer. Kurz gesagt: Wäre er weiterhin normaler Arbeitnehmer und nicht Betriebsratsvorsitzender, hätte die Antragstellerin schlicht nichts, was sie ihm vorwerfen könnte. Das spricht im Rahmen der Interessenabwägung aus Sicht der Beschwerdekammer ganz maßgeblich dafür, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen und die aus dem Amtsverhältnis herrührenden Konflikte der Beteiligten - wenn überhaupt - im Amtsverhältnis zu klären.

    Soweit sich die Antragstellerin schließlich auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.10.1986 (2 ABR 71/85, AP Nr. 95 zu § 626 BGB) beruft, ist der dort entschiedene Fall mit dem vorliegenden gerade deshalb nicht vergleichbar und stellt die vorstehenden Ausführungen der Beschwerdekammer mithin nicht infrage, weil dem dortigen Betriebsratsmitglied keine primär im Amtsverhältnis begründete Pflichtverletzung vorgeworfen wurde, sondern eine solche, die parallel zum Amtsverhältnis begangen wurde, indem die Bereitschaft erklärt worden war, vorsätzlich zugunsten eines im Kündigungsschutzverfahren klagenden Arbeitnehmers als Zeuge falsch auszusagen. Weder war damit die Amtsausübung unmittelbar betroffen noch fand das Fehlverhalten im Rahmen derselben oder gar in einer betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeit in der Funktion als Organvertreter statt. Der einzige Bezug zum Betriebsratsamt konnte dort darin bestehen, dass eine (Falsch-)Aussage eines Zeugen, der zugleich Betriebsrat ist, potentiell höheres Gewicht haben könnte als die eines normalen Arbeitnehmers. Das Amt weggedacht hätte die Pflichtverletzung, die den Gegenstand des dortigen Verfahrens bildete, jedoch unverändert in gleicher Weise begangen werden können - was einen bedeutenden Unterschied zum vorliegenden Verfahren ausmacht und zur fehlenden Vergleichbarkeit führt. Von rechtlichen Grundsätzen der dortigen Entscheidung, soweit sie überhaupt auf den vorliegenden Fall übertragbar sind, weicht die vorliegende Entscheidung ohnehin nicht ab; sie basiert vielmehr auf der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die sie auf den vorliegenden Fall zur Anwendung bringt.

    (2) Schon von vornherein ungeeignet zur Begründung eines an sich wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung ist der Vorwurf der Antragstellerin zu einem vermeintlich durch den Beteiligten zu 3 "angedeuteten" Koppelungsgeschäft. Hier ist zunächst festzuhalten, dass die Antragstellerin ein Gesprächsprotokoll hat erstellen lassen, von dem sie sich bereits in der eigenen Antragsschrift insoweit wieder distanzieren musste, als die dem Beteiligten zu 3 dort zugeschriebene Äußerung, dass man ja jetzt die Kosten für einen Kundenstillstand kenne "und dass man dieses Geld ja auch an die Mitarbeiter ausschütten kann", in der vorstehend wörtlich aus der Anlage ASt 4 zitierten Passage unzutreffend wiedergegeben ist, da sie vom Beteiligten zu 3 gar nicht getätigt wurde, sondern eine Interpretation der Protokollantin DZ. darstellt. Dies hat man zwar in der Antragsschrift offengelegt, nicht jedoch in der Betriebsratsanhörung vom 05.07.2022, in der man die Passage zwar im Zitat auf Seite 4 weggelassen und durch "..." ersetzt hat, aber gleichwohl unkommentiert das Protokoll selbst als Anlage 4 beigefügt hat. Wollte man die Maßstäbe, die die Antragstellerin an den Beteiligten zu 3 anlegt, auch ihr gegenüber zur Anwendung bringen, könnte man von einer versuchten Irreführung des Betriebsrats sprechen, was Auswirkungen auf die Beurteilung der Anhörung an sich als ordnungsgemäß und wirksam zur Folge haben könnte.

    Letztlich kann auch dies wieder dahingestellt bleiben, denn der Kündigungsgrund eines "angedeuteten Koppelungsgeschäfts" trägt hier von vornherein nicht. Ungeachtet der umstrittenen Rechtslage zu den Grenzen der Zulässigkeit von Koppelungsgeschäften überhaupt (vgl. dazu nur Schaub/Koch, Arbeitsrechtshandbuch, 20. Auflage, § 215 Rn. 21; Worzalla, Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit in § 2 Abs. 1 BetrVG - "Lyrik" oder rechtliche Relevanz, Festschrift 100 Jahre Betriebsverfassungsrecht, 2020, S. 843, 852 f.; Schwarze, Anm. zu BAG vom 12.03.2019 - 1 ABR 42/17, JA 2019, 703, 704, alle m.w.N.) und ungeachtet auch dessen, dass sie regelmäßig selbst bei Grenzüberschreitung allenfalls eine betriebsverfassungsrechtliche Pflichtverletzung begründen dürften und nur im eng begrenzten Ausnahmefall der Feststellung einer Nötigungs- oder gar Erpressungshandlung ggfs. parallel auch eine arbeitsvertragliche Nebenpflichtverletzung darstellen können (dazu bspw. LAG Hamm vom 09.02.2007 - 10 TaBV 54/06, juris, Rz. 76 ff., 96), gilt hier: Die Verlegung eines Termins zu einer Betriebsvollversammlung von finanziellen Kompensationszahlungen an die Belegschaft im Hinblick auf die Kosten eines anderenfalls bevorstehenden Produktionsausfalls abhängig zu machen, dürfte in der Tat ein Erpressungsversuch im Sinne von § 253 Abs. 1 StGB sein und damit alle diskutablen Grenzen zulässiger Koppelungsgeschäfte schon deshalb weit hinter sich lassen, weil die Forderung nach Zahlungen an die Belegschaft in keinem sachlich begründbaren Zusammenhang mit dem Erfordernis und der Art und Weise der Durchführung einer Betriebsversammlung stünde. Damit wäre neben einer groben betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtverletzung zugleich eine schwerwiegende arbeitsvertragliche Nebenpflichtverletzung gegeben.

    All dies setzt aber voraus, dass eine solche Koppelung tatsächlich vorgenommen wurde. Zwar hat der Beteiligte zu 3 nach dem Vorbringen der Antragstellerin in der Besprechung am 27.06.2022 seine Äußerung, man halte an dem Termin für die Betriebsvollversammlung am 29.06.2022 fest, da "von GF/HR ja kein Angebot gekommen sei", auf Nachfrage dahingehend erläutert, dass man "ja jetzt die Kosten für einen Kundenstillstand kenne...". Der sich im arbeitgeberseitig erstellten Besprechungsprotokoll anschließende Satzteil, dass man dieses Geld an die Mitarbeiter ausschütten könne, begründete einerseits ein im oben genannten Sinne unzulässiges Angebot eines Koppelungsgeschäfts, stellt andererseits aber auch nur eine von mehreren gleichermaßen möglichen Varianten eines Verständnisses der Äußerung des Beteiligten zu 3 und damit eine Spekulation dar. Denn ebenso könnte die Aussage dahingehend verstanden werden, dass die nunmehr bekannten Kosten nach der Einschätzung des Betriebsrats nicht hinreichend gewichtig sind, um deswegen die Betriebsvollversammlung am 29.06.2022 - als gesetzlich grundsätzlich vorrangigem Regelfall (vgl. BAG vom 09.03.1976 - 1 ABR 74/74, juris, Rz. 26; vgl. im Übrigen und zu den anerkannten Ausnahmen weiter HWK/Diller, 10. Auflage, § 42 BetrVG Rn. 29 f. m.w.N.) - nicht durchzuführen. Diese Interpretation ist nicht weniger wahrscheinlich als die von der Antragstellerin vorgenommene. Die Verknüpfung mit der Aussage auf ein "fehlendes Angebot" der Arbeitgeberin kann ohne Weiteres schlicht auf das Angebot eines zumutbaren Ersatztermins bezogen sein. Die Antragstellerin, die beides anders, nämlich als unzulässige und erpresserische Forderung nach Zahlungen an die Belegschaft im Gegenzug zu einer Durchführung lediglich von Teilversammlungen auslegt, muss sich entgegenhalten lassen, dass sie keine näheren und insbesondere das vorstehend beschriebene anderslautende Auslegungsergebnis widerlegende Umstände zur Motivlage und Intention des Beteiligten zu 3 darzulegen in der Lage ist. Sie beabsichtigt hier zudem keine Verdachts-, sondern eine Tatkündigung, hat sich jedoch nicht einmal der Mühe unterzogen, durch weiteres Nachfragen und Nachhaken am 27.06.2022 oder im Gerichtstermin am 28.06.2022 die Motivation und den Sinn der Aussage des Beteiligten zu 3 zu erfahren, sondern direkt ihre eigenen, aber keineswegs zwingenden oder auch nur besonders naheliegenden Schlüsse gezogen. Dass der Betriebsrat sich mit seiner Würdigung und rechtlichen Einschätzung dann im Verfahren 11 BVGa 11/22 bei Gericht nicht durchsetzen konnte, begründet gleichfalls keine, erst recht keine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung seines Vorsitzenden. Die somit von der Antragstellerin hier zum Kündigungsgrund erhobene "Andeutung eines Koppelungsgeschäfts" war noch nicht einmal dies. Sie ist eine Spekulation der Antragstellerin und begründet damit von vornherein bereits keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3. Denn Kündigungsgründe müssen auf Tatsachen beruhen und nicht auf Spekulation. Dies könnte der Grund dafür sein, dass die Antragstellerin diesen Kündigungsgrund im Beschwerdeverfahren - insoweit zutreffend - auch nicht mehr näher thematisiert - allerdings auch nicht zurückgezogen - hat. Darüber wiederum muss die Beschwerdekammer nicht spekulieren, denn der Kündigungsgrund genügt bereits auf der ersten Stufe der Prüfung einer außerordentlichen Kündigung nicht den gesetzlichen Anforderungen.

    III.

    Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 92 Abs. 1 ArbGG. Ein Zulassungsgrund nach § 92 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG liegt nicht vor.

    KleinDr. Lövenich Schacht

    Vorschriften