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  • 06.05.2014

    Landesarbeitsgericht: Urteil vom 06.11.2013 – 8 Sa 184/13


    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 7.2.2013, Az.: 1 Ca 2330/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über tarifliche Zahlungsansprüche der Klägerin.

    Die Klägerin war im Modehaus des Beklagten in der Zeit vom 01.01.2008 bis 30.06.2009 als Verkäuferin beschäftigt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob auf ihr Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für den Einzel- und Versandhandel Rheinland-Pfalz Anwendung fanden. Die Arbeitszeit der Klägerin belief sich bis März 2009 auf 30 Stunden wöchentlich, ab April 2009 auf 26 Stunden wöchentlich.

    Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.03.2009, hinsichtlich dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 50 f. d. A. Bezug genommen wird, forderte die Klägerin den Beklagten auf, ihre Vergütung ab dem 01.04.2009 "auf die Tarifsystematik, - Struktur und Höhe des rheinland-pfälzischen Einzelhandelstarifvertrages umzustellen - und bezifferte dabei einzelne tarifliche Ansprüche (Vergütung pro Arbeitsstunde, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, tarifliche Altersversorge). Darüber hinaus enthält das Schreiben die Bitte um Abrechnung und Nachzahlung "zu Unrecht nicht gezahlter Beträge für die nicht verjährten Zeiträume seit 01.01.2006 aufgrund der rheinland-pfälzischen Einzelhandelstarifverträge". Dieses Schreiben beantwortete der Beklagte mit Telefax vom 23.03.2009 und machte dabei geltend, dass die betreffenden Tarifverträge für ihn mangels Allgemeinverbindlichkeit und fehlender Mitgliedschaft im betreffenden Arbeitgeberverband nicht bindend seien.

    Mit ihrer am 29.12.2011 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin gegen den Beklagten Ansprüche auf Gehaltsnachzahlung für die Zeit von Januar 2008 bis Juni 2009 (1.287,00 EUR), tarifliches Urlaubsgeld für das Jahr 2008 (830,56 EUR), tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 2008 (1.036,19 EUR) sowie auf Zahlung eines tariflichen Altersvorsorgebetrages für das Jahr 2008 (377,16 EUR) geltend gemacht.

    Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 3 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 07.02.2013 (Bl. 72 bis 78 d. A.).

    Die Klägerin hat (zuletzt) beantragt,

    den Beklagten zu verurteilen, an sie 3.414,47 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

    Der Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das Arbeitsgericht hat der Klägerin mit Urteil vom 07.02.2013 einen Anspruch auf Gehaltsnachzahlung für die Monate April bis Juni 2009 in Höhe von 186,45 EUR brutto zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - soweit es die Klage abgewiesen hat - in den Entscheidungsgründen seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt, die geltend gemachten Ansprüche seien für die Zeit bis einschließlich März 2009 nach § 16 des Manteltarifvertrages für den Einzel- und Versandhandel Rheinland-Pfalz verfallen.

    Gegen das ihr am 21.03.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, dem 22.04.2013, Berufung eingelegt und diese am 16.05.2013 begründet.

    Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts seien die auf den Zeitraum bis März 2009 entfallenden Ansprüche nicht verfallen. Der Beklagte habe sich nämlich vorsätzlich tarifwidrig verhalten, da er in positiver Kenntnis des Umstandes, dass er zur Zahlung der tariflichen Leistungen verpflichtet sei, eine untertarifliche Arbeitsvergütung gezahlt habe. Es handele sich insoweit um einen Lohnbetrug und damit zugleich um eine strafbare Handlung mit der Folge, dass gemäß § 16 Ziffer 3 MTV-Einzelhandel die tarifliche Verfallklausel keine Anwendung finde. Die positive Kenntnis des Beklagten von seiner Verpflichtung zur Zahlung des Tarifgehalts ergebe sich bereits aus dem von ihm bzw. seiner Rechtsvorgängerin verfassten Schreiben vom 16.06.1997, wo ausdrücklich auf das "Tarifgehalt" hingewiesen worden sei. Noch bis Dezember 2002 sei ihre Arbeitsvergütung in den Abrechnungen als "Tarifgehalt" bezeichnet worden. Ab Mai 2003 habe der Beklagte diesen Begriff in den Gehaltsabrechnungen nicht mehr verwendet. Dadurch habe der Beklagte die jetzige Situation vorbereitet, indem seitdem die tarifliche Vergütung fortlaufend immer weiter unterschritten worden sei. Dies erfülle den Straftatbestand des Lohnbetruges. Die positive Kenntnis des Beklagten von seinen tarifvertraglichen Verpflichtungen ergebe sich auch daraus, dass er nach einer von ihr - der Klägerin - am 18.01.2003 erhobenen Klage die geltend gemachte tarifliche Sonderleistung noch vor der Güteverhandlung gezahlt habe. In Ansehung dieser Umstände könne sich der Beklagte jedenfalls nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht auf die Ausschlussfrist berufen. Im Übrigen enthalte ihr Schreiben vom 21.03.2009 ohnehin eine ordnungsgemäße Geltendmachung der zuvor fällig gewordenen Ansprüche. Aus dem Schreiben werde klar ersichtlich, dass sowohl für die Zeit ab dem 01.04.2009 als auch zurückliegend für die Zeiträume ab 01.01.2006 die näher benannten Vergütungselemente des rheinland-pfälzischen Einzelhandelstarifvertrages gefordert würden. Die Auffassung des Arbeitsgerichts stelle eine Überspannung der Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geltendmachung dar. Das Urlaubsgeld für das Jahr 2008 sei im Übrigen bereits deshalb nicht verfallen, weil dessen Fälligkeit erst zum 30.09.2008 eingetreten und daher die Geltendmachung vom 21.03.2009 noch rechtzeitig erfolgt sei. Entsprechendes gelte bezüglich der tariflichen Sonderzahlung und des Anspruchs auf Zahlung des tariflichen Altersvorsorgebetrages für das Jahr 2008.

    Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 15.05.2013 (Bl. 104 bis 107 d. A.) sowie auf den Schriftsatz der Klägerin vom 24.06.2013 (Bl. 130 bis 132 d. A.) Bezug genommen.

    Die Klägerin beantragt,

    das erstinstanzliche Urteil abzuändern und nach den Schlussanträgen der Klägerin erster Instanz zu erkennen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 17.06.2013 (Bl. 127 bis 129 d. A.), auf die Bezug genommen wird.

    Entscheidungsgründe

    I. Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat vielmehr sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung die auf den Zeitraum von Januar 2008 bis einschließlich März 2009 entfallenden Zahlungsansprüche der Klägerin abgewiesen.

    II. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Gehaltsnachzahlung für die Monate Januar 2008 bis März 2009 sowie auf Zahlung von Urlaubsgeld für das Jahr 2008, tariflicher Sonderleistung für das Jahr 2008 und auf Zahlung des tariflichen Altersvorsorgebetrages für das Jahr 2008. Dabei kann offen bleiben, ob die maßgeblichen Tarifverträge für den Einzel- und Versandhandel Rheinland-Pfalz, auf welche die Klägerin ihre Ansprüche stützt, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung fanden. Geht man nämlich mit der Klägerin von einer Geltung dieser Tarifverträge im Arbeitsverhältnis aus, so sind die streitgegenständlichen Ansprüche nach § 16 Ziffer 1 c MTV-Einzelhandel verfallen.

    Das Berufungsgericht folgt den zutreffenden und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 3 ArbGG fest. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Klägerin besteht lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Klarstellungen:

    1. Die streitgegenständlichen Ansprüche unterfallen - mit Ausnahme des Anspruchs auf Zahlung des tariflichen Altersvorsorgebetrages - der Bestimmung des § 16 Ziffer 1 c MTV Einzel- und Versandhandel Rheinland-Pfalz. Nach dieser Vorschrift sind diese Ansprüche innerhalb einer Frist von 6 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Entsprechendes gilt hinsichtlich des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs auf Zahlung des tariflichen Altersvorsorgebetrages. Nach § 8 des einschlägigen Tarifvertrages über tarifliche Altersvorsorge im Einzelhandel Rheinland-Pfalz unterfällt auch dieser Anspruch einer sechsmonatigen Ausschlussfrist.

    Die Klägerin hat diese Ansprüche, soweit sie vom Arbeitsgericht als verfallen erachtet worden sind, nicht innerhalb der sechsmonatigen Ausschlussfrist schriftlich geltend gemacht. Eine solche Geltendmachung erfolgte erstmals mit Klageschrift vom 27.12.2011 und somit lange nach Ablauf der Verfallfrist. Das Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 21.03.2009 beinhaltet nämlich - wovon das Arbeitsgericht zutreffend ausgegangen ist - keine ordnungsgemäße Geltendmachung von Ansprüchen, die auf die Zeit vor April 2009 entfallen.

    Der Zweck tariflicher Ausschlussfristen besteht darin, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaffen. Deshalb gehört zur Geltendmachung die Angabe des konkreten Anspruchsgrundes. Der Gläubiger muss seinen Anspruch nach Grund und Höhe so genau wie möglich bezeichnen; zumindest die ungefähre Höhe der Forderung muss genannt werden (BAG v. 17.07.2003 - 8 AZR 486/02 - AP Nr. 27 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitgebers). Werden mehrere Ansprüche geltend gemacht, müssen sich die Beschreibungen des Anspruchsgrundes auf jeden einzelnen Anspruch beziehen (BAG v. 18.03.1999 - 6 AZR 523/97 - ZTR 1999, 420). Dies gilt auch für die Angabe der ungefähren Höhe der einzelnen Ansprüche.

    Diesen Anforderungen wird das Geltendmachungsschreiben vom 21.03.2009 nur insoweit gerecht, als dort Ansprüche für die Zeit ab dem 01.04.2009 geltend gemacht wurden. Bezüglich der vor dem 01.04.2009 fällig gewordenen streitgegenständlichen Ansprüche enthält das betreffende Schreiben hingegen weder eine ausreichende Bezeichnung des jeweiligen Anspruchsgrundes noch eine Angabe der jeweiligen ungefähren Höhe. Wie sich aus dem Wortlaut des Schreibens ergibt, forderte die Klägerin diesbezüglich lediglich allgemein die Nachzahlung der bei Geltung der maßgeblichen Tarifverträge "zu Unrecht" nicht erbrachten Leistungen für die Zeit seit dem 01.01.2006. Dies stellt sich zwar als Aufforderung dar, sämtliche denkbaren tariflichen Ansprüche seit dem 01.01.2006 zu erfüllen bzw. entsprechende Nachzahlungen zu erbringen. Eine ordnungsgemäße Geltendmachung im tariflichen Sinne stellt diese Aufforderung jedoch in Ermangelung jeglicher Konkretisierung der betreffenden Ansprüche nach Grund und Höhe nicht dar.

    2. Entgegen der Ansicht der Klägerin steht dem Verfall der Ansprüche nicht die Vorschrift des § 16 Ziffer 3 MTV-Einzelhandel entgegen, wonach die Ausschlussfristen nicht für Ansprüche aus strafbaren Handlungen gelten. Eine strafbare Handlung des Beklagten im Zusammenhang mit der Nichterfüllung der von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche liegt nämlich nicht vor.

    Die bloße Nichterfüllung eines tariflichen Anspruchs erfüllt selbst bei positiver Kenntnis vom Bestehen des betreffenden Anspruchs zweifellos noch nicht die Merkmale eines Straftatbestandes. Der Beklagte hat die Klägerin auch nicht dahingehend getäuscht, dass die von ihm abgerechnete und gezahlte Arbeitsvergütung den tariflichen Vorschriften entspricht und sich damit u. U. eines Betruges gemäß § 263 StGB (von der Klägerin als "Lohnbetrug" bezeichnet) schuldig gemacht. Wie die Klägerin selbst vorträgt, hat der Beklagte ihr Gehalt in den von ihm erteilten Abrechnungen bereits seit Mai 2003 nicht mehr als "Tarifgehalt" bezeichnet. Damit hat er der Klägerin gerade nicht vorgespiegelt, das gezahlte Gehalt entspreche der tariflichen Vergütung.

    3. Dem Beklagten ist es auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die tarifliche Ausschlussfrist zu berufen.

    Die Berufung des Arbeitgebers auf eine Ausschlussfrist verstößt gegen das Gebot von Treu und Glauben, wenn er durch positives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen dem Arbeitnehmer die Geltendmachung des Anspruchs erschwert oder unmöglich gemacht hat oder den Arbeitnehmer von der Einhaltung der Frist abgehalten oder es pflichtwidrig unterlassen hat, dem Gläubiger die Umstände mitzuteilen, die ihn zur Erhaltung der Ausschlussfrist veranlasst hätten. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber an objektiven Maßstäben gemessen den Eindruck erweckt hat, der Arbeitnehmer könne darauf vertrauen, dass der Anspruch auch ohne Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist erfüllt werde (vgl. Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Auflage, §§ 194 bis 218, Rz. 68, m. N. a. d. R.).

    Vorliegend liegt keine dieser Konstellationen vor.

    4. Letztlich kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des BAG vom 14.01.2009, 5 AZR 246/08, stützen. Dieser Entscheidung lag ein Tarifvertrag zugrunde, der die Bestimmung enthielt, dass Ansprüche aus vorsätzlicher untertariflicher Bezahlung keiner Ausschlussfrist unterliegen. Eine entsprechende tarifliche Regelung findet sich jedoch im vorliegend maßgeblichen Tarifvertrag nicht wieder.

    III. Die Berufung der Klägerin war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

    Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

    Vorschriften§ 69 Abs. 3 ArbGG, § 16 Ziffer 3 MTV, § 16 Ziffer 1 c MTV, § 16 Ziffer 1 c MTV, § 16 Ziffer 3 MTV, § 263 StGB, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG, § 72 a ArbGG