15.02.2013
Landesarbeitsgericht: Beschluss vom 21.01.2013 – 5 Ta 197/12
Wird ein Rechtsstreit vom Landgericht an das Arbeitsgericht verwiesen, hat der Kläger, der das unzuständige Gericht angerufen hat, dem Beklagten dessen beim Landgericht entstandenen Anwaltskosten nebst Auslagen zu erstatten, § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG. Für die Erstattungsfähigkeit der beim unzuständigen Gericht angefallenen Verfahrensgebühr kommt es nicht darauf an, dass sich der Beklagte in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren auch weiterhin anwaltlich hat vertreten lassen.
In dem Beschwerdeverfahren
pp.
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein am 21.01.13 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 16.10.2012 aufgehoben und das Kostenfestsetzungsverfahren an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.
Das Arbeitsgericht wird angewiesen, über den Kostenfestsetzungsantrag des Beklagten vom 17.07.2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts neu zu entscheiden.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Der Beschwerdewert wird auf € 546,69 festgesetzt.
Gründe
I.
Die sofortige Beschwerde des Klägers richtet sich gegen einen zurückweisenden Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers.
Im Hauptsacheverfahren hatte der Kläger zur Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs über € 8.358,85 gegen den Beklagten vor dem Amtsgericht einen Mahnbescheid beantragt, der auch erlassen wurde. Nach Widerspruch des Beklagten stellte der Kläger einen Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens vor dem Landgericht. Der anwaltlich vertretene Beklagte rügte die sachliche Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Mit Beschluss vom 30.04.2012 hat sich das Landgericht für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das sachlich und örtlich zuständige Arbeitsgericht in Kiel verwiesen.
Im Gütetermin schlossen die Parteien folgenden Prozessvergleich:
"1. Der Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger insgesamt € 1.000,00 zu zahlen.
2. Die Zahlung ist fällig ...
3. Die Parteien sind sich darüber einig, dass dieser Vergleich keine Entscheidung darüber beinhaltet, wer die Kosten trägt, die dem Beklagten dadurch entstanden sind, dass der Kläger ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit angerufen hat und dieses den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat. Die Parteien sind sich darüber einig, dass insoweit die gesetzliche Regelung des § 12 a ArbGG gilt.
4. Damit ist der Rechtsstreit erledigt."
Am 24.07.2012 hat der Beklagte Festsetzung der Verfahrensgebühr gemäß §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG, nebst der Kostenpauschale Nr. 7002 VV RVG inkl. MwSt. in Höhe von insgesamt € 546,69 beantragt, da der Kläger zunächst das unzuständige Landgericht angerufen habe. Die Kostenprivilegierung gemäß § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG greife in diesen Fällen nicht.
Mit Beschluss vom 16.10.2012 hat das Arbeitsgericht den Kostenfestsetzungsantrag zurückgewiesen. Die beantragte Festsetzung der Verfahrensgebühr könne nicht erfolgen, weile diese nicht erstattungsfähig sei. Zwar würden die Kosten durch die getroffene Kostenregelung in Ziff. 3 des Prozessvergleichs vom 26.06.2012 nicht gemäß § 98 ZPO als gegeneinander aufgehoben gelten, es sei stattdessen auf die Regelungen in § 12 a ArbGG verwiesen worden. Anzuwenden sei die Ausnahmeregelung in § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG. Der Erstattungsantrag beziehe sich zwar auf die vor dem Landgericht entstandene Verfahrensgebühr, jedoch wäre diese bei einer unmittelbaren Anrufung des Arbeitsgerichts unter Beteiligung eines Rechtsanwalts ebenfalls entstanden, sodass es sich nicht um erstattungsfähige Mehrkosten handele. Dem stehe auch der Postulationszwang vor den Landgerichten nicht entgegen. Der Beklagte hätte nach der Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht seinem Anwalt wieder das Mandat entziehen können, wenn er eigene Anwaltskosten hätte vermeiden wollen.
Gegen diesen ihm am 19.10.2012 zugestellten Beschluss hat der Beklagte am 24.10.2012 sofortige Beschwerde eingelegt. Die Begründung, die Kosten wären bei der unmittelbaren Anrufung des Arbeitsgerichts unter der Beteiligung eines Rechtsanwalts ebenfalls entstanden, sei nicht tragfähig, da es sich bei dem Verfahren vor dem Landgericht gemäß § 78 Abs. 1 ZPO um einen Anwaltsprozess gehandelt habe. Seine Anwaltskosten seien aufgrund der Klage vor dem unzuständigen Landgericht zum Zeitpunkt der Verweisung bereits entstanden gewesen.
Mit Beschluss vom 14.11.2012 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Bei der Anrufung des sachlich unzuständigen Landgerichts komme eine Kostenerstattung nur dann in Betracht, wenn der Grund der Beauftragung eines Rechtsanwalts gerade der gesetzlich normierte Anwaltszwang gewesen sei. Aus der Tatsache, dass sich der Beklagte auch vor dem Arbeitsgericht weiterhin von seinem Prozessbevollmächtigten habe vertreten lassen, sei zu schließen, dass die Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht ausschließlich aufgrund des Anwaltszwangs entstanden sei.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie gemäß § 78 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden.
Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Zurückverweisung an das Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht wird angewiesen, die dem Beklagten für die Beauftragung seines Prozessbevollmächtigten bereits vor dem Landgericht entstandenen Kosten gemäß §§ 2, 13 RVG, Nrn. 3100, 7002, 7008 VV RVG zulasten des Klägers festzusetzen.
1.
Der Festsetzung der beim Landgericht Kiel angefallenen Anwaltsgebühren gegen den Kläger steht insbesondere nicht die Vorschrift des § 12 a Abs. 1 S. 1 ArbGG entgegen.
a)
Nach § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG besteht zwar im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren des ersten Rechtszuges kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten. § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist eine "andere Bestimmung" im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG und bedingt die dort enthaltene Verweisung auf § 91 Abs. 1 und 2 ZPO ab. Nach § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG gilt Satz 1 jedoch nicht für Kosten, die dem Beklagten dadurch entstehen, dass der Kläger ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit angerufen und dieses den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat. Der Ausschluss der Erstattungsfähigkeit gilt mithin für diese Kosten nicht, vielmehr richtet sich die Erstattung derselben weiterhin nach §§ 91 ZPO, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Obsiegt der Beklagte, so kann er hinsichtlich der ihm vor dem ordentlichen Gericht entstandenen Kosten Erstattung verlangen. Gemäß § 91 Abs. 2 ZPO sind dabei die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts immer zu erstatten. Sie sind damit dem Einwand entzogen, sie seien zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht notwendig gewesen (§ 91 Abs. 1 ZPO) (h.M.: vgl. nur grundlegend BAG, Beschl. v. 01.11.2004 - 3 AZB 10/04 -, Rn. 6; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 07.09.1988 - 5 Ta 134/88 -; LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.01.2000 - 5 Ta 44/99 -; Thüringer LAG, Beschl. v. 14.08.2000 - 8 Ta 87/2000 -; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 15.08.-2006 - 12 Ta 392/06 -; LAG Köln, Beschl. v. 28.07.2010 - 12 Ta 183/10 -, alle zit. n. [...],).
b)
Somit kommt es für die Erstattungsfähigkeit der beim unzuständigen Landgericht angefallenen Verfahrensgebühr nicht darauf an, dass sich der Beklagte in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren auch weiterhin von seinem Prozessbevollmächtigten anwaltlich hat vertreten lassen. Es ist zwar früher teilweise die Auffassung vertreten worden, es könne nur die Differenz zwischen den Kosten, die dem Beklagten im Rechtsstreit tatsächlich entstanden seien, und denjenigen, die ihm bei sofortiger Anrufung des zuständigen Gerichts entstanden wären, verlangt werden (LAG Bremen, Beschluss vom 20.02.1986 - 2 Ta 9/85 - LAGE ArbGG 1979 § 12 a Nr. 4). Auch wurde argumentiert, aus der Formulierung von § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG, die Kosten müssten dem Beklagten "dadurch entstanden" sein, dass der Kläger ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit angerufen habe, lasse sich ein besonderes Kausalitätserfordernis ableiten (LAG Bremen, Beschluss vom 05.07.1996 - 2 Ta 30/96 - NZA 1997, 26). § 12 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ist indessen nicht zu entnehmen, dass nur die Differenz zwischen den Kosten, die dem Beklagten im Rechtsstreit tatsächlich entstanden sind, und denjenigen, die ihm bei sofortiger Anrufung des zuständigen Gerichts entstanden wären, erstattungsfähig sind. § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG spricht nicht von "Mehrkosten", sondern von Kosten, die dem Beklagten dadurch entstanden sind, dass der Kläger ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanz- oder Sozialgerichtsbarkeit angerufen und dieses den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat (LAG Köln, Beschl. v. 28.07.2010 - 12 Ta 183/10 -, zit. n. [...]). Etwas anderes kann auch nicht aus § 17 b Abs. 2 Satz 2 GVG bzw. § 281 Abs. 3 S. 2 ZPO und dem darin zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Grundsatz der Einheitlichkeit des Verfahrens abgeleitet werden. Diese Vorschriften gehen von dem Normalfall der Kostenerstattungspflicht der unterliegenden Prozesspartei aus und haben nicht die Sonderregelung des § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG 1979 im Auge. Unabhängig von der Kostentragungspflicht im Einzelfall sollen die durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstandenen "Mehrkosten" in jedem Fall beim Verursacher bleiben, also bei demjenigen, der zunächst ein unzuständiges Gericht angerufen oder den unzulässigen Rechtsweg beschritten hat. § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG 1979 will dagegen nicht "Mehrkosten" regeln, sondern überhaupt die Erstattungsfähigkeit von Kosten im Falle der Verweisung wiederherstellen. Der Grundsatz des einheitlichen Verfahrens wirkt sich insoweit aus, als bereits bezahlte Gerichtskosten auch auf das Verfahren vor dem nunmehr zuständig gewordenen Gericht angerechnet werden und die Gebührentatbestände für die beiderseits Bevollmächtigten nur jeweils einmal anfallen können (BAG, Beschluss vom 01.11.2004 - 3 AZB 10/04 -, zit. n. [...], Rn. 12; LAG Köln, Beschl. v. 28.07.2010 - 12 Ta 183/10 -, zit. n. [...]). Schließlich enthält § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG auch kein besonderes Kausalitätserfordernis. Soweit in der Rechtsprechung ein solches gefordert wurde, wurde dabei verkannt, dass die Beauftragung eines Anwalts wegen einer vor den ordentlichen Gerichten erhobenen Klage ohne besondere Anhaltspunkte immer durch die Klage verursacht ist. Damit sind die Kosten im Verfahren vor dem ordentlichen Gericht entstanden. Gerade diese will § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG 1979 erfassen. Weitere Voraussetzungen sind dem Gesetz nicht zu entnehmen (BAG, Beschluss vom 01.11.2004 - 3 AZB 10/04 -, zit. n. [...], Rn. 14).
2.
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass Ziff. 3 des Prozessvergleichs keine Kostenregelung dahingehend enthalte, dass er, der Kläger, die durch die Anrufung des unzuständigen Landgerichts entstandenen Kosten des Beklagten zu tragen habe.
a)
Regelungen eines Prozessvergleichs sind wie Verträge gemäß §§ 113, 157 BGB auszulegen. Hiernach sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG, Urt. v. 13.12.2006 - 10 AZR 787/05 -, zit. n. [...]) . Danach war mit dem Umzug von Kassel nach Erfurt keine Verminderung der Vergütung des Klägers verbunden.
b)
Hiervon ausgehend ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Parteien mit dem Prozessvergleich den Rechtsstreit beendet haben und somit grundsätzlich die gesetzliche Kostenregelung des § 98 ZPO greift, wenn die Parteien nichts Gegenteiliges vereinbart haben. Nach § 98 ZPO sind nicht nur die Vergleichskosten, sondern auch die Kosten des durch den Vergleich erledigten Rechtsstreits als gegeneinander aufgehoben anzusehen. Von dieser gesetzlichen Fiktion wollten die Parteien aber durch Ziff. 3 des Vergleichs vom 25.06.2012 erkennbar abweichen. Hinsichtlich der durch die Anrufung des unzuständigen Landgerichts verursachten Kosten sollte nach Ziff. 3 des Vergleichs "die gesetzliche Regelung des § 12 a ArbGG" gelten. § 12 a ArbGG ist bereits überschrieben mit "Kostentragungspflicht". Insofern haben die Parteien entgegen der Annahme des Klägers durch den Verweis auf § 12 a ArbGG in Ziff. 3 des Vergleichs eine Kostenregelung getroffen. § 12 Abs. 1 Satz 3 ArbGG enthält die Regelung, dass von der in Satz 1 statuierten Kostenprivilegierung diejenigen Kosten ausgenommen sind, die dem Beklagten dadurch entstanden sind, dass der Kläger ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit angerufen und dieses den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat. Nach dem insoweit erkennbaren Willen der Parteien sollten die Rechtsanwaltskosten und Auslagen des Beklagten, die bereits im Verfahren vor dem Landgericht entstanden waren, vom Kläger getragen werden. Einen anderen Sinn hat Ziff. 3 des Vergleichs nicht, obgleich die Parteien nicht ausdrücklich bestimmt haben, dass der Kläger die Kosten der Anrufung des unzuständigen Gerichts zu tragen hat (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 14.03.2007 - 6 Ta 64/07 -, zit. n. [...]).
3.
Die Kostenentscheidung für das vorliegende Verfahren folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.
gez....