Verfahrensrecht - Änderung von Bescheiden wegen verfassungswidriger Steuergesetze
In jüngster Zeit hat das BVerfG einige Regelungen für verfassungswidrig erklärt. Davon profitieren Steuerpflichtige in der Regel aber nur, wenn ihr Fall noch offen ist. Sofern das BVerfG eine Norm für nichtig erklärt, bleiben nicht mehr anfechtbare Steuerbescheide hiervon unberührt. Lediglich die Vollstreckung ist unzulässig (§ 79 Abs. 2 BVerfGG). Daher können Steuerbescheide, die auf einer später vom BVerfG als verfassungswidrig erkannten Steuernorm beruhen, nur noch aufgehoben oder geändert werden, wenn
- der Bescheid nach § 164 AO unter Vorbehalt der Nachprüfung steht und noch nicht verjährt ist,
- noch keine Festsetzung ergangen ist oder keine Erklärung eingereicht wurde - z.B. bei der Antragsveranlagung,
- der Sachverhalt nach § 165 AO vorläufig festgesetzt worden war oder
- der Bescheid mit Einspruch angefochten war, wobei die Verfassungswidrigkeit kein Wiedereinsetzungsgrund ist (BFH 17.11.09, VI B 74/09).
Von einer für Steuerzahler günstigen Entscheidung des BVerfG lässt sich also nur in offenen Fällen profitieren. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Steuernorm stellt weder eine neue Tatsache gemäß § 173 AO, noch ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar, sondern hat Gesetzeskraft (BFH 12.5.09, IX R 45/08, BStBl II 09, 891). Dies hat die Verwaltung nun auch in Nr. 1.1.2 AEAO zu § 173 und Nr. 2.2 AEAO zu § 175 klargestellt (BMF 28.7.10, IV A 3 - S 0062/08/10007-08, BStBl I 10, 630).
Der Grundsatz, dass Bestandskraft vor Anwendung einer BVerfG-Entscheidung geht, ergibt sich aus Art. 20 Abs. 3 GG, wonach alle Rechtsnormen bis zu ihrer Aufhebung oder einer gerichtlichen Entscheidung als gültig zu behandeln sind. Vor dem Hintergrund verliert ein Steuergesetz seine Bindungswirkung erst dann, wenn seine Nichtigkeit durch das BVerfG festgestellt wurde. Daher darf die Finanzverwaltung die Bestandskraft ohne gesetzliche Ermächtigung selbst dann nicht durchbrechen, wenn der Steuerfestsetzung eine verfassungswidrige Norm zugrunde liegt.
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