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  • 02.08.2013 · IWW-Abrufnummer 132693

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 21.06.2013 – 4 K 1918/11 E

    1) Im Rahmen der aufgrund verfassungsrechtlich gebotener Aufteilung eines Gewinns aus einen privatem Grundstücksveräußerungsgeschäft
    in einen auf den Zeitraum vor dem 1.4.1999 entfallenden nicht steuerbaren Gewinnanteil und einen auf den Zeitraum ab dem 1.4.1999
    bis zur Veräußerung entfallenden steuerpflichtigen Gewinnanteil, ist die „Wertsteigerung” durch bis zum 1.4.1999 in Anspruch
    genommene AfA sowie Sonderabschreibung nach § 4 FördG dem nicht steuerbaren Anteil zuzurechnen
    2) Eine zeitlich lineare Aufteilung entspricht den Vorgaben des BVerfG nicht.


    Im Namen des Volkes
    URTEIL
    In dem Rechtsstreit
    hat der 4. Senat in der Besetzung: Präsident des Finanzgerichts Haferkamp Richter am Finanzgericht Dr. Reddig Richter am Finanzgericht
    Dr. Kister ehrenamtlicher Richter … ehrenamtliche Richterin … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 21.06.2013 für
    Recht erkannt:
    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten über die Höhe der Aufteilung eines Gewinns aus der Veräußerung eines Grundstücks in Bezug auf die
    vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) teilweise für verfassungswidrig erklärte Verlängerung der Spekulationsfrist von zwei
    Jahren auf zehn Jahre.
    Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 1999 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten neben Arbeitslohn
    Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus der Vermietung mehrerer Grundstücke und aus Beteiligungen.
    Mit notariellem Vertrag vom 3.12.1996 erwarb der Kläger das bebaute Grundstück J-Weg 1 in M-Stadt für 345.279,25 DM. Die Anschaffungskosten
    betrugen einschließlich Nebenkosten und anschaffungsnahen Aufwendungen 360.679,– DM. Der Kläger vermietete das Grundstück,
    bis er es mit notariellem Vertrag vom 1.9.1999 für 290.000,DM veräußerte. Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung
    und Verpachtung nahm er für das Gebäude im Anschaffungsjahr eine Sonderabschreibung nach § 4 des Fördergebietsgesetzes (FördG)
    in Höhe von 170.020,– DM und im Übrigen Regelabschreibungen vor.
    Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1999 teilte der Kläger dem Beklagten auf Nachfrage folgende Berechnung
    des Veräußerungsgewinns mit:

    Anschaffungskosten 1996360.679,– DM
    § 4 FördG170.020,– DM
    Regel-AfA 19976.712,– DM
    Regel-AfA 19987.384,– DM
    Regel-AfA 19996.768,– DM
    AfA gesamt190.884,– DM
    „Buchwert”169.795,– DM
    Verkaufspreis290.000,– DM
    Differenz120.205,r– DM
    Veräußerungskosten172,– DM
    Veräußerungsgewinn120.033,– DM
    Nach seiner Ansicht sei der Veräußerungsgewinn wegen der schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken jedoch steuerfrei
    zu stellen. Die Verhandlungen mit der Käuferin seien bereits vor Erlass der Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002, mit
    dem die Spekulationsfrist für Grundstücke auf zehn Jahre verlängert wurde, aufgenommen worden.
    Der Beklagte berücksichtigte im ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1999 den vollen Veräußerungsgewinn als Einkünfte
    aus privaten Veräußerungsgeschäften. Das Verfahren über den hiergegen eingelegten Einspruch ruhte wegen der beim BVerfG anhängigen
    Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verlängerung der Spekulationsfrist (Aktenzeichen 2 BvL 2/04 und 2 BvL 13/05).
    Nachdem das BVerfG mit Beschluss vom 7.7.2010 entschieden hatte, dass die Verlängerung der Spekulationsfrist verfassungswidrig
    ist, soweit Wertsteigerungen bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 besteuert werden, legte der Beklagte
    in einem geänderten Einkommensteuerbescheid einen geminderten Veräußerungsgewinn in Höhe von 18.222,– DM zugrunde. Diesen
    berechnete er wie folgt:
    ZeitraumWertzuwachs
    3.12.1996 – 1.9.1999 = 32,935 Monate120.033,– DM
    3.12.1996 – 31.3.1999 = 27,935 Monate101.811,– DMsteuerfrei
    1.4.1999 – 1.9.1999 = 5 Monate18.222,– DMsteuerpflichtig
    Den weiterhin aufrecht erhaltenen Einspruch wies der Beklagte als unbegründet zurück. Er verwies auf das zwischenzeitlich
    ergangene BMF-Schreiben vom 20.12.2010 (BStBl I 2011, 14), wonach die Aufteilung eines nach der Rechtsprechung des BVerfG
    teilweise steuerfreien und teilweise steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns grundsätzlich zeitanteilig vorzunehmen sei, soweit
    keine Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche Wertsteigerung oder Wertminderung vorlägen. Den besonderen Wertverlusten sei
    bereits durch Gewährung der Sonderabschreibung nach § 4 FördG entsprochen worden.
    Mit ihrer Klage tragen die Kläger vor, dass der Veräußerungsgewinn nicht aus einem Wertzuwachs, sondern aus der hohen Sonderabschreibung
    resultiere. Tatsächlich habe es gar keinen Wertzuwachs gegeben. Die Sonderabschreibung sowie die bis zum 31.3.1999 in Anspruch
    genommenen Regelabschreibungen seien dem steuerfreien Zeitraum zuzuordnen. Wäre das Grundstück vor dem 31.3.1999 verkauft
    worden, wäre folgender Veräußerungsgewinn entstanden:
    Anschaffungskosten 1996360.679,– DM
    § 4 FördG170.020,– DM
    Regel-AfA 19976.712,– DM
    Regel-AfA 19987.384,– DM
    Regel-AfA 1999 anteilig bis 31.3.1.692,– DM
    AfA gesamt185.808,– DM
    „Buchwert” 31.3.1999174.871,– DM
    Verkaufspreis290.000,– DM
    Veräußerungsgewinn115.129,– DM
    In dieser Höhe sei der Gewinn steuerfrei zu belassen, da insoweit aufgrund der steuerlichen Entstrickung eine Vermögensposition
    vorliege, die entsprechend der Ansicht des BVerfG verfassungsrechtlichen Schutz genieße. Nur die Differenz zum gesamten Veräußerungsgewinn
    (120.033,– DM) in Höhe von 4.904,– DM sei demnach steuerpflichtig.
    Die Kläger beantragen sinngemäß,
    den Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 28.12.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3.5.2011 dahingehend zu ändern,
    dass der Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften auf 4.904,– DM reduziert wird.
    Der Beklagte beantragt sinngemäß,
    die Klage abzuweisen,
    hilfsweise, die Revision zuzulassen.
    Er ist der Ansicht, dass die Kläger nicht nachgewiesen hätten, dass ein atypischer Wertzuwachs des Grundstücks überwiegend
    vor dem 31.3.1999 stattgefunden habe. Die Berücksichtigung der Sonderabschreibung nach § 4 FördG ausschließlich im steuerfreien
    Zeitraum würde zu einer Doppelbegünstigung des Klägers führen, da die Abschreibung bereits als Werbungskosten berücksichtigt
    worden sei. Aus diesem Grund werde das ausgenutzte AfA-Volumen im Fall der Veräußerung wieder neutralisiert. Tatsächlich sei
    der Wert des Grundstücks gar nicht in diesem Umfang gesunken, wie sich am Verkaufspreis zeige.
    Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
    Entscheidungsgründe
    Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung,
    FGO).
    Den Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 28.12.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3.5.2011 ist rechtswidrig und
    verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), soweit bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften
    ein 4.904,– DM übersteigender Betrag angesetzt wurde.
    Der Beklagte hat den steuerbaren Anteil des Veräußerungsgewinns aus dem Grundstück in M-Stadt unzutreffend linear zeitanteilig
    nach der Haltedauer des Grundstücks berechnet.
    Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (bis 1998: Spekulationsgeschäfte) im Sinne von § 23 des Einkommensteuergesetzes
    (EStG) stellen gemäß § 22 Nr. 2 EStG sonstige Einkünfte dar. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a) EStG in der bis zum
    31.12.1998 gültigen Fassung (EStG a. F.) waren Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken nur dann steuerbar, wenn der Zeitraum
    zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zwei Jahre betrug. Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 wurde
    § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dahingehend geändert, dass nunmehr eine zehnjährige Frist gilt. Die Neuregelung ist auf alle
    Veräußerungsgeschäfte anwendbar, bei denen der obligatorische Vertrag nach dem 31.12.1998 rechtswirksam abgeschlossen wurde
    52a Abs. 11 Satz 1 EStG).
    In den Fällen, in denen die Spekulationsfrist am 31.12.1998 bereits abgelaufen war, verstößt die Anwendungsbestimmung zur
    Neuregelung gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in dem Veräußerungsgewinn
    auch Wertsteigerungen erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31.3.1999 entstanden
    sind und die nach der zuvor geltenden Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Verkündung steuerfrei realisiert worden sind oder hätten
    realisiert werden können (BVerfG-Beschluss vom 7.7.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, unter C. II.
    2. b) der Gründe). Denn mit dem Ablauf der Zweijahresfrist erfüllte sich die vertrauensrechtlich geschützte Erwartung, dass
    die bisherigen Wertzuwächse steuerlich nicht erfasst werden. Durch die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist wurde
    diese Vertrauensposition nachträglich entwertet.
    Veräußerungsgewinn ist nach § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG der Unterschied zwischen dem Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs-
    oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits. Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mindern sich um Absetzungen
    für Abnutzung, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen, soweit sie bei der Ermittlung der Einkünfte im Sinne des § 2
    Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 (bis 1998: Nr. 4 bis 6) abgezogen worden sind (§ 23 Abs. 3 Satz 4 EStG bzw. § 23 Abs. 3 Satz 2 EStG
    a. F.). Im Streitfall beträgt der auf die gesamte Haltedauer des Grundstücks entfallende Veräußerungsgewinn unter Berücksichtigung
    dieser Regelung unstreitig 120.033,– DM.
    Dieser Betrag ist in einen nicht steuerbaren und in einen steuerbaren Teil aufzuteilen. Der auf den Zeitraum vor dem 1.4.1999
    entfallende Veräußerungsgewinn unterliegt nicht der Besteuerung. Dieser Teil beträgt 115.129,– DM. Die Kläger haben bei der
    Berechnung des bis zum 31.3.1999 entstandenen und damit nicht steuerbaren Teil des Veräußerungsgewinns zutreffend die bis
    zu diesem Zeitpunkt in Anspruch genommenen Absetzungen für Abnutzung (AfA) sowie die Sonderabschreibung nach § 4 FördG von
    den Anschaffungskosten abgezogen.
    Nach der Entscheidung des BVerfG vom 07.07.2010 ist maßgeblich, ob der Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen enthält, die bis
    zum 31.3.1999 steuerfrei hätten realisiert werden können. Nach Ansicht des Senats muss dies auch für Sonderabschreibungen
    und andere Absetzungen gelten, die im Veräußerungsgewinn enthalten sind. Es kann nicht darauf ankommen, ob es sich um tatsächliche
    Steigerungen des Grundstückswerts handelt oder der Veräußerungsgewinn überwiegend deshalb entsteht, weil in der Vergangenheit
    gesetzlich zulässige Sonderabschreibungen in Anspruch genommen worden sind. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Steuerfreiheit
    der mit Ablauf der Zweijahresfrist geschützten Vermögensposition ist in diesem Fall verfassungsrechtlich ebenso geschützt
    wie bei tatsächlichen Wertsteigerungen. Maßgeblich ist allein, dass das Grundstück vor dem 31.3.1999 vollständig steuerfrei
    hätte veräußert werden können. Eine zeitlich lineare Aufteilung, wie sie vom Beklagten entsprechend der „Vereinfachungsregelung”
    in Tz. II.1 des BMF-Schreibens vom 20.12.2010 (BStBl I 2011, 14) vorgenommen wurde, entspricht den Vorgaben des BVerfG nicht
    (so im Ergebnis auch Niedersächsisches FG, Beschluss vom 27.12.2011 9 V 280/11, EFG 2012, 1460; zweifelnd auch BFH-Beschlüsse
    vom 11.4.2012 IX B 14/12, BFH/NV 2012, 1130 und vom 12.7.2012 IX B 64/12, BFH/NV 2012, 1782).
    Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt auch keine Doppelbegünstigung des Klägers vor. Vielmehr würde umgekehrt eine teilweise
    Zuordnung zum steuerpflichtigen Teil eine verfassungswidrige und damit unzulässige Besteuerung darstellen. Der Kläger hat
    im Anschaffungsjahr die gesetzlich zulässige Sonderabschreibung nach § 4 FördG in Anspruch genommen. Dass diese Abschreibung
    in die Berechnung des nicht steuerbaren Veräußerungsgewinns einbezogen wird, ist Ausfluss des verfassungsrechtlich geschützten
    Vertrauens auf die Realisierung eines steuerfreien Gewinns.
    Der verbleibende Teil des Veräußerungsgewinns in Höhe von 4.904,– DM unterliegt nach § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz
    1 Nr. 1 EStG als privates Veräußerungsgeschäft im Streitjahr 1999 der Einkommensteuer.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151
    Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
    Die Revision war wegen besonderer Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Nach der Rechtsprechung des
    BFH ist die Rechtsfrage, ob es sich bei im Rahmen der Berechnung des Veräußerungsgewinns nach § 23 Abs. 3 EStG zu berücksichtigenden
    Abschreibungen um „Wertzuwächse” im Sinne der BVerfG-Rechtsprechung handelt, noch unentschieden (BFH-Beschlüsse vom 11.4.2012
    IX B 14/12, BFH/NV 2012, 1130 und vom 12.7.2012 IX B 64/12, BFH/NV 2012, 1782). Darüber hinaus sieht das BMF-Schreiben vom
    20.12.2010 (BStBl I 2011, 14) in Tz. II.1. grundsätzlich eine zeitanteilig lineare Aufteilung vor und enthält keine Sonderregelungen
    für Abschreibungen.

    VorschriftenEStG § 22 Nr 2, EStG § 52a Abs 11, EStG § 23