19.04.2007 · IWW-Abrufnummer 071366
Bundesfinanzhof: Urteil vom 01.02.2001 – V R 6/00
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
V R 6/00
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren (1993 und 1994) als selbständiger Stuckateurmeister gewerblich tätig. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) versagte dem Kläger im Anschluss an eine bei ihm durchgeführte Außenprüfung in Umsatzsteuer-Änderungsbescheiden für die Streitjahre den Vorsteuerabzug in Höhe von ... DM (1993) und ... DM (1994) aus Rechnungen von fünf Unternehmen, weil es sich dabei um sog. Scheinfirmen handele.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung der Klageabweisung im Wesentlichen aus, das FA habe Ermittlungsergebnisse anderer Finanzbehörden dargetan, die daran zweifeln ließen, dass die in den Rechnungen bezeichneten Unternehmen die abgerechneten Leistungen erbracht hätten; dem Kläger sei es nicht gelungen, diese Zweifel auszuräumen. Hinsichtlich vier der fünf Unternehmen ergäben sich die Zweifel u.a. aus den --im Einzelnen dargelegten-- Aussagen der "Zeugen" A und B, die der Kläger nicht substantiiert angegriffen habe.
Das FG hatte zwar eine Beweisaufnahme durchgeführt, dabei aber nicht A und B, sondern entsprechend dem Antrag des Klägers andere Personen als Zeugen vernommen. A und B waren vor Abschluss der beim Kläger durchgeführten Außenprüfung von einem FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung vernommen worden. Das FG gibt im Tatbestand seines Urteils diese Aussagen auszugsweise wieder und verweist wegen der Einzelheiten auf die in den Betriebsprüfungsakten befindliche Kopie des Protokolls über die "verantwortliche Vernehmung" des A sowie auf die dortigen Kopien der "Auszüge aus der Vernehmung" des B.
Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 762 abgedruckt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er trägt u.a. vor, die --vom FG nicht vernommenen-- "Zeugen" A und B seien ihm nicht bekannt; ihre (vermeintlichen) Aussagen gegenüber dem FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung hätten nicht zur Grundlage des Urteils gemacht werden dürfen. Ohne die Berücksichtigung dieser Zeugenaussagen hätte er seiner Feststellungslast nachkommen können.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide dahin gehend zu ändern, dass für 1993 weitere Vorsteuerbeträge in Höhe von ... DM und für 1994 in Höhe von ... DM als abziehbar anerkannt werden.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG; die Vorentscheidung ist verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.
1. Die Rüge des Klägers, das FG habe nicht von einer Vernehmung von A und B als Zeugen absehen dürfen, ist entsprechend den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO in zulässiger Weise erhoben worden und auch begründet.
Das FG hat bei der Prüfung der --entscheidungserheblichen-- Frage, ob vier der fünf Rechnungsaussteller die abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht haben, gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis gewonnenen Überzeugung.
a) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Dies bedeutet neben dem (formellen) Erfordernis eigener Anschauung durch die Richter des erkennenden Spruchkörpers, dass diese die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen in weitestmöglichem Umfang aus der Quelle selbst schöpfen müssen, d.h. bei mehreren in Betracht kommenden Beweismitteln die Beweisaufnahme mit demjenigen durchzuführen haben, das ihnen den "unmittelbarsten" Eindruck von dem streitigen Sachverhalt vermittelt (Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Januar 1997 II R 67/94, BFH/NV 1997, 767). Das bloß mittelbare Beweismittel darf deshalb grundsätzlich zulässigerweise nur verwendet werden, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unmöglich, unzulässig oder unzumutbar erscheint (vgl. BFH-Urteil vom 18. Januar 1995 XI R 28/94, BFH/NV 1995, 787).
Zwar dürfen in Behördenakten protokollierte Auskünfte und Wahrnehmungen grundsätzlich im Wege des Urkundenbeweises in den Finanzgerichtsprozess eingeführt werden. Die Verwertung von Aussagen Dritter in anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises ist aber dann nicht zulässig, wenn sich dem Gericht eine eigene Vernehmung dieser Personen als Zeugen aufdrängen muss (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 29. Oktober 1998 1 B 103.98, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 96 VwGO Nr. 42).
b) Im Streitfall liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger mit der Verwertung der schriftlichen Aussagen von A und B einverstanden gewesen wäre und dass er auf eine Vernehmung dieser Personen als Zeugen verzichtet hätte. Der Kläger hatte vielmehr mehrere Zeugen zum Beweis dafür benannt, dass die Leistungen tatsächlich von den die Rechnung erstellenden Firmen ausgeführt worden sind. Das FG hat einen entsprechenden Beweisbeschluss gefasst und die vom Kläger benannten Zeugen (bis auf eine ausgebliebene Zeugin) vernommen. Unter diesen Umständen hätte es sich für das FG aufdrängen müssen, die Aussagen von A und B nicht im Wege des Urkundenbeweises in den Prozess einzuführen, sondern diese Personen ebenfalls als Zeugen zu hören. Dafür dass die Vernehmung von A und B als Zeugen durch das FG unmöglich, unzulässig und unzumutbar war, lässt sich dem angefochtenen Urteil nichts entnehmen. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich.
Erst wenn das FG nach Vernehmung von A und B zu keiner eindeutigen Sachverhaltserkenntnis gekommen wäre, hätte es auf die --nach seiner Auffassung maßgebliche-- Feststellungslast abstellen dürfen (vgl. auch BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 787).
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Die bisher vom FG (verfahrensfehlerfrei) getroffenen Feststellungen ermöglichen dem erkennenden Senat nicht, selbst über das Klagebegehren zu entscheiden.
a) Der Vorsteuerabzug setzt nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) u.a. voraus, dass ein anderer Unternehmer entgeltliche Lieferungen oder sonstige Leistungen für das Unternehmen des vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmers ausgeführt und die hierfür geschuldete Umsatzsteuer in einer Rechnung gesondert ausgewiesen hat. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein. Regelmäßig ergibt sich aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist. Leistender ist in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem Anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem Anderen zuzurechnen ist, hängt grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines Anderen bei Ausführungen entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (vgl. BFH-Urteile vom 28. Januar 1999 V R 4/98, BFHE 188, 456, BStBl II 1999, 628; vom 30. September 1999 V R 8/99, BFH/NV 2000, 353; vom 28. Juni 2000 V R 70/99, Umsatzsteuer-Rundschau 2001, 26).
Dabei ist der Abzug der in der Rechnung einer GmbH ausgewiesenen Umsatzsteuer nur möglich, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz der GmbH bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungsstellung tatsächlich bestanden hat (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 1996 V R 51/93, BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620; BFH-Beschluss vom 11. März 1999 V B 135/98, BFH/NV 1999, 1253).
b) Die danach erforderlichen Feststellungen hat das FG noch nicht (sämtlich) getroffen. Das gilt insbesondere für die abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, die den streitigen Leistungen zugrunde liegen sowie für das Auftreten der handelnden Personen nach außen.
c) Soweit der Kläger mit der Revision geltend macht, er habe hinsichtlich der ihm obliegenden Feststellungs- und Darlegungslast zur Identität von Leistendem und Rechnungsaussteller sowie dessen Unternehmereigenschaft alles Zumutbare und Mögliche getan und habe gutgläubig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs ausgehen dürfen, ist darauf hinzuweisen, dass § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG einen Schutz guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen grundsätzlich nicht vorsieht (vgl. BFH-Urteile vom 24. April 1986 V R 110/76, BFH/NV 1987, 745, unter 1.; vom 19. Oktober 1978 V R 39/75, BFHE 127, 71, BStBl II 1979, 345, unter 1. b; vom 8. Dezember 1988 V R 28/84, BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250; Beschluss vom 11. März 1994 V B 92/93, BFH/NV 1995, 653).