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  • 20.11.2012 · IWW-Abrufnummer 133001

    Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 13.12.2011 – 12 K 2569/10

    - Aufwendungen eines Berufsmusikers für eine Dispokinesefortbildung sind als Krankheitskosten im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen steuerlich berücksichtigungsfähig.
    - Der Umstand, dass die Dispokineseübungen neben der Beseitigung von Beschwerden im Hals-, Nacken und Schulterbereich gleichzeitig zu einer Verbesserung des Instrumentenspiels bei dem Musiker führen, rechtfertigt keine Berücksichtigung der Aufwendungen als Werbungskosten.


    Tatbestand
    Die Kläger begehren die Berücksichtigung von zusätzlichen Werbungskosten i.H.v. 1.876 € bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit im Jahr 2009.
    Die Klägerin ist Orchestermusikerin und bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In der Einkommensteuererklärung deklarierte sie zunächst 2.516,65 € für Besuche bei einer Krankengymnastin und für Besuche des Instituts B nebst Fahrtkosten als Werbungskosten. Das beklagte Finanzamt (Beklagter) berücksichtigte davon im Einkommensteuerbescheid vom 06.08.2010 1.075 € als Werbungskosten, die anderen Aufwendungen wurden als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) qualifiziert. Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Nachdem der Beklagte den Klägern mit Schreiben vom 11.08.2010 mitteilte, dass er beabsichtige, die Anerkennung der 1.075 € als Werbungskosten rückgängig zu machen, wurde die Einkommensteuer von 10.622 € auf 10.954 € erhöht; im Übrigen wurde der Einspruch mit Entscheidung vom 26.08.2010 - zur Post gegeben am 09.09.2010 - als unbegründet zurückgewiesen.
    Mit der am 08.10.2010 erhobenen Klage wird vorgetragen, tatsächlicher Hintergrund der Aufwendungen der Klägerin sei gewesen, dass diese auf Grund akuter Einschränkungen in der Schulter ihrer Erwerbstätigkeit als Berufsmusikerin nicht habe nachgehen können. Zur Behandlung dieser Erkrankung sei Krankengymnastik verordnet worden. Zudem sei die Klägerin von Kollegen auf die Möglichkeit einer Dispokinese-Fortbildung hingewiesen worden. Dabei handele es sich um eine ganzheitlich orientierte Schulung, die durch eine Veränderung der Haltung, Atmung und Bewegung sowie der Erfahrungs- und Bewusstseinsdenkprozesse die Spiel- und Ausdrucksfähigkeit professioneller Musiker verbessere. Um sich in Dispokinese unterrichten zu lassen, habe die Klägerin zunächst an 21 Tagen die Musikpädagogin/Dispokinesepädagogin A aufgesucht. Diese Unterrichtung sei der Klägerin mit 1.075 € in Rechnung gestellt worden. Ebenso habe sie an drei Terminen das Institut B aufgesucht. Dort habe sie jeweils eine Unterrichtseinheit in Dispokinesis erhalten. Bei der Dispokinese handele es sich um eine Schulung, die sowohl in Pädagogik als auch in Prävention angewendet werde. Mit ihren sog. Urgestalten von Haltung, Atmung und Bewegung werde die senso- und psychomotorische Entwicklung des Menschen vom Liegen über das Krabbeln bis zum Stehen durchgearbeitet. Dabei sollen evtl. Entwicklungslücken geschlossen und insbesondere die posturalen Reflexe gefördert werden. Eine besondere Rolle spielten weiterhin die speziell entwickelten Übungen zur Instrumental- und Gesangstechnik sowie die im Umfeld der Dispokinese entstandenen ergonomischen Hilfsmittel. Dazu zählten Sitzhilfen für Orchester- und Tasteninstrumente, Kinnhalter und Schulterstützen für hohe Streichinstrumente oder Gurte, Daumen- und Kniestützen für Blas- und Zupfinstrumente. Hierdurch sollen die instrumentale Kompetenz und das Körper- und Ausdrucksbewusstsein hinsichtlich der Erfordernisse einer Bühnensituation ausgebildet werden. Somit handele es sich bei der Dispokinese um von Musikern für Musiker entwickelte ganzheitlich orientierte Schulungsformen. Danach handele es sich nicht um Krankheitskosten. Diese pädagogische Maßnahme habe zum Ziel, die Spielfähigkeit durch Veränderung der Haltung und der Eigenwahrnehmung zu verbessern. Gleichzeitig werde auch die Darstellungsfähigkeit verbessert. Der Musiker erlerne zahlreiche Übungen, die es ihm ermöglichten, auch in einer Auftrittssituation bessere Leistungen zu erbringen. Damit diene die pädagogische Maßnahme zentral der Verbesserung des eigenen Spiels und sei eine Maßnahme zur Erhaltung und Sicherung der Einnahmen. Die Aufwendungen der Klägerin seien daher als Werbungskosten zu berücksichtigen.
    Die Kläger beantragen,
    den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 06.08.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.08.2010 dahingehend zu ändern, dass 1.876 € als zusätzliche Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Zur Begründung verweist der Beklagte auf seine in der Einspruchsentscheidung gemachten Ausführungen. Zudem verweist er auf die Ergebnisse seiner Internetrecherche, wonach die Dispokinesis als Krankheit bezeichnet werde und die Kosten von der Krankenkasse erstattet würden. Es bleibe festzuhalten, dass die Klägerin laut eigenem Bekunden seit längerem an einer akuten Einschränkung im Hals- Nacken- Schulterbereich leide, welche zu einer Nichtausübung ihres Berufes seit August 2009 geführt habe. Dieses Krankheitsbild habe die Klägerin durch diverse Behandlungen und Arztbesuche offensichtlich ohne großen Erfolg zu lindern versucht. Letzter Ausweg sei die Dispokinese gewesen, die insbesondere bei Haltungs- und Bewegungsproblemen sowie bei Schmerzen durch Ermüdungserscheinungen Anwendung finde. Die dafür gemachten Aufwendungen seien daher Krankheitskosten.
    Wegen des Vortrags im Einzelnen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.
    Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung die beim Beklagten für die Kläger geführte Einkommensteuerakte 2009 vorgelegen.
    Gründe
    Die Klage ist nicht begründet.
    Der Einkommensteuerbescheid vom 06.08.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.08.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat die Aufwendungen der Klägerin für die Dispokinese zutreffend als Krankheitskosten und damit als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG qualifiziert.
    Die von der Klägerin getätigten Aufwendungen sind keine Werbungskosten nach § 9 EStG. Nach § 9 Abs.1 EStG sind Werbungskosten alle Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen; sie sind bei den Einkunftsart abzuziehen, bei der sie entstanden sind. Die Klägerin hat die Dispokinesesitzungen jedoch absolviert, um ihre Gesundheit wieder herzustellen bzw. zu erhalten. Nachdem die Besuche bei der Krankengymnastik nicht den erhofften Erfolg gebracht hatten, blieb, so der eigene Vortrag der Klägerin, als letzte Möglichkeit die Dispokinese. Schwerpunkt der Dispokinese ist die Behandlung von Musikern mit motorischen und psychosomatischen Spielproblemen oder spielhemmenden Problemen. In der Dispokinesis helfen Musiker Musikern, ihre individuelle Disposition wiederzuerlangen und beschreiten Wege, die die allgemeine Schulmedizin nicht geht, weil die allermeisten Ärzte auf Grund ihrer Ausbildung nur unzureichende Kenntnisse in Bezug auf die motorische Komplexität der Instrumentaltechnik und den Folgen von angelernten falschen Bewegungsvorstellungen haben. Diese Übungen/Ratschläge halfen der Klägerin, ihre Beschwerden im Hals-Nacken-Schulterbereich in den Griff zu bekommen. Das Gericht bezweifelt dabei nicht, dass wegen der besonderen Ratschläge die Körperhaltung/Führen des Instruments betreffend die Klägerin ihr Instrument schmerzfrei, d.h. besser spielen kann und sie dadurch eine bessere Ausdrucksweise gewonnen hat. Diese Auswirkungen der Übungen und der damit einhergehenden Verbesserung des Spiels der Klägerin macht die Aufwendungen aber nicht zu Werbungskosten. Die Aufwendungen bleiben Aufwendungen, die aufgebracht wurden, um die gesundheitlichen Probleme zu bewältigen und damit Krankheitskosten, die außergewöhnliche Belastungen darstellen.
    Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenEStG § 9 Abs. 1, EStG § 33

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