Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Grenzen einer Kanzlei „all inclusive“

    Unabhängigkeit der Kanzleien rechtfertigt das Verbot reiner Finanzinvestoren

    von Dipl.-Finw. Rüdiger Weimann, Dortmund

    Nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ist es unzulässig, dass Geschäftsanteile an einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf einen reinen Finanzinvestor übertragen werden, der nicht die Absicht hat, in der Gesellschaft eine in dieser Regelung bezeichnete berufliche Tätigkeit auszuüben. Bei Zuwiderhandlung ist der Widerruf der Zulassung der betreffenden Rechtsanwaltsgesellschaft zur Rechtsanwaltschaft vorgesehen. Der EuGH hält dies für europarechtskonform.

     

    Hintergrund

    Das Verständnis des Urteils erfordert einen kurzen Blick in das anwaltliche Berufsrecht und damit in die BRAO in der bis zum 31.7.2022 geltenden und damit auf den Sachverhalt anwendbaren Fassung (im Folgenden: BRAO a. F.):

     

    • Nach § 59 BRAO a. F. durften sich Rechtsanwälte mit Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer und der Patentanwaltskammer, mit Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen der eigenen beruflichen Befugnisse verbinden.
    • § 59c BRAO a. F. gestattete die anwaltliche Berufsausübung durch Rechtsanwaltsgesellschaften in Form von Kapitalgesellschaften.
    • Nach § 59d BRAO a. F. war einer den Erfordernissen des § 59e BRAO a. F. nicht entsprechenden Rechtsanwaltsgesellschaft die Zulassung zu versagen.
    • Schließlich konnten nach § 59e BRAO a. F. Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft nur Rechtsanwälte und Angehörige ausdrücklich insoweit gleichgestellter Berufe (insbesondere Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Wirtschaftsprüfer) sein, welche in der Rechtsanwaltsgesellschaft beruflich tätig waren. Die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte musste Rechtsanwälten zustehen.

     

    Seit dem 1.8.2022 finden sich die entsprechenden Regelungen in §§ 59b BRAO n. F.

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin ist eine Rechtsanwaltsgesellschaft mit Sitz in Bayern. Sie war eine Unternehmergesellschaft (UG), d. h. eine dem GmbHG unterliegende Kapitalgesellschaft, deren Mindeststammkapital jedoch hinter dem an sich für diese Art von Gesellschaften vorgesehenen Betrag von 25.000 EUR zurückblieb. Geschäftsführer der Klägerin und alleiniger Gesellschafter war ursprünglich Rechtsanwalt. Die Rechtsanwaltskammer (RAK) München ließ die Klägerin im Juli 2020 zur Rechtsanwaltschaft zu.

     

    Mit Abtretungsvertrag vom 31.3.2021 veräußerte der Rechtsanwalt 51 der 100 Geschäftsanteile an der Klägerin an einen österreichischen Finanzinvestor. Damit einhergehend wurde die Satzung der Klägerin geändert, um die Übertragung von Geschäftsanteilen an eine nicht zur Anwaltschaft zugelassene Kapitalgesellschaft zu ermöglichen, wobei die Geschäftsführung der Klägerin, um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten, allein zugelassenen Rechtsanwälten vorbehalten wurde.

     

    Daraufhin teilte die RAK München der Klägerin mit, dass die Übertragung der Geschäftsanteile an den Investor gemäß den §§ 59a und 59e BRAO a. F. unzulässig sei und daher die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft widerrufen werde, falls es bei der Übertragung der Geschäftsanteile bleibe.

     

    Die Klägerin hielt an der Übertragung fest und die RAK München widerrief die Zulassung. Die Klägerin erhob beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof Klage. Sie stützt ihre Klage insbesondere auf das Recht auf freien Kapitalverkehr. Darüber hinaus verletze der Bescheid das Recht des Investors auf Niederlassungsfreiheit. Das Gericht legte den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

     

    Entscheidung

    Nach Auffassung des EuGH ist es zulässig, dass die Bundesrepublik Deutschland reinen Finanzinvestoren die Beteiligung am Kapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft verbietet.

     

    Die Vorschriften der BRAO tragen ‒ insbesondere, indem mit ihnen ausgeschlossen wird, dass reine Finanzinvestoren etwa in der Lage wären, die Entscheidungen und die Geschäfte einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu beeinflussen ‒ dazu bei, dass

    • die anwaltliche Unabhängigkeit gewahrt und
    • dem Verbot von Interessenkonflikten Rechnung getragen wird.

     

    Das Bestreben eines reinen Finanzinvestors, seine Investition ertragreich zu gestalten, könnte sich auf die Organisation und die Tätigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft auswirken. So könnte ein solcher Investor, sollte er den Ertrag seiner Investition für unzureichend halten, versucht sein, auf eine Kostensenkung oder das Bemühen um eine bestimmte Art von Mandanten hinzuwirken ‒ ggf. unter der Androhung, dass er andernfalls seine Investition zurückziehen werde, was seine Einflussmöglichkeit, und sei sie auch nur mittelbar, hinreichend ausmacht.

     

    Denn das von einem reinen Finanzinvestor verfolgte Ziel beschränkt sich auf das Streben nach Gewinn, während sich die anwaltliche Tätigkeit nicht an rein wirtschaftlichen Zwecken ausrichtet, sondern auch an die Einhaltung von Berufs- und Standesregeln gebunden ist.

     

    Insoweit stellt der EuGH klar, dass es für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unerlässlich ist, dass es nicht zu Interessenkonflikten kommt, was insbesondere voraussetzt, dass Rechtsanwälte sich in einer Position der Unabhängigkeit ‒ einschließlich in finanzieller Hinsicht ‒ gegenüber staatlichen Stellen und anderen Wirtschaftsteilnehmern befinden, deren Einfluss sie nicht ausgesetzt sein dürfen. Zum einen könnten sich nämlich in Ermangelung einer solchen finanziellen Unabhängigkeit wirtschaftliche Überlegungen, die auf einen kurzfristigen Gewinn des reinen Finanzinvestors ausgerichtet sind, gegenüber Erwägungen durchsetzen, die ausschließlich davon geleitet sind, dass die Interessen der Mandanten der Rechtsanwaltsgesellschaft vertreten werden. Zum anderen kann auch das Bestehen etwaiger Verbindungen zwischen einem reinen Finanzinvestor und einem Mandanten das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant in einer Weise beeinflussen, dass ein Konflikt mit Berufs- oder Standesregeln nicht ausgeschlossen werden kann.

     

    In Ermangelung einer Harmonisierung der für den Rechtsanwaltsberuf geltenden Berufs- und Standesregeln auf Unionsebene steht es grundsätzlich jedem Mitgliedstaat frei, die Ausübung dieses Berufs in seinem Hoheitsgebiet zu regeln. Die für den Rechtsanwaltsberuf geltenden Regeln können daher in den einzelnen Mitgliedstaaten erheblich voneinander abweichen.

     

    Unter diesen Umständen kann ein Mitgliedstaat in Anbetracht des ihm somit eingeräumten Beurteilungsspielraums legitimerweise davon ausgehen, dass der Rechtsanwalt nicht in der Lage wäre, seinen Beruf unabhängig und unter Beachtung seiner Berufs- und Standespflichten auszuüben, wenn er einer Gesellschaft angehörte, zu deren Gesellschaftern Personen zählen,

    • die zum einen weder den Rechtsanwaltsberuf noch einen anderen Beruf ausüben, für den es Regulative in Form von Berufs- und Standesregeln gibt, und
    • die zum anderen ausschließlich als reine Finanzinvestoren handeln, ohne die Absicht zu haben, in dieser Gesellschaft eine entsprechende Berufstätigkeit auszuüben.

     

    Dies gilt erst recht, wenn es ‒ wie im Ausgangsverfahren ‒ um den Erwerb der Mehrheit der Geschäftsanteile an der in Rede stehenden Rechtsanwaltsgesellschaft durch einen solchen Investor geht.

     

    Bei der Beteiligung eines reinen Finanzinvestors am Kapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft könnte dieser Einfluss auf die Geschäftsführung und die Tätigkeiten der Gesellschaft nehmen. Dabei wird er seine Entscheidungen über Investitionen oder Nicht- bzw. Desinvestitionen im Wesentlichen oder sogar ausschließlich an der Gewinnerzielung ausrichten. Unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums der Mitgliedstaaten ist daher auch die Einschätzung legitim, dass sich die Maßnahmen, die in den nationalen Rechtsvorschriften oder in Satzungen von Rechtsanwaltsgesellschaften vorgesehen sind, nicht ausreichen würden, um die berufliche Unabhängigkeit und Integrität der in einer solchen Gesellschaft tätigen Rechtsanwälte zu wahren.

     

    Relevanz für die Praxis

    Das EuGH-Urteil war so nicht zu erwarten. Denn nach den Schlussanträgen von Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona fehlt es den in der BRAO vorgesehenen Beschränkungen der Beteiligung an Rechtsanwaltsgesellschaften an der Kohärenz, die unverzichtbar ist, um die europäischen Vorgaben zu erfüllen. Der Generalanwalt hatte daher dem EuGH vorgeschlagen, dem Bayerischen Anwaltsgerichtshof zu antworten, dass das europäische Recht der deutschen Regelung entgegensteht. Diesem Vorschlag folgte der EuGH nicht.

     

    Auch der Deutsche Steuerberaterverband begrüßt das Urteil daher: „Sicherlich könnte die ein oder andere Steuerkanzlei mit einem hohen Investitionsbedarf auch die Schattenseiten des Urteils bedauern. Insgesamt stärkt das Urteil aber die Unabhängigkeit des Berufs und damit eine der wichtigsten Säulen des bestehenden Berufsrechts. Allein durch die Unabhängigkeit kann schließlich die Verschwiegenheit und hochwertige Qualität der Dienstleistung gesichert und das Mandanteninteresse gewahrt bleiben. Das Urteil nimmt dem deutschen Gesetzgeber zudem den Druck von weiteren Empfehlungen der Europäischen Kommission. Schließlich hatte diese von Deutschland mit Nachdruck gefordert, die Kapitalbindung auch bei Steuerkanzleien weiter zu lockern. Eine Forderung, die sich mit dem jetzigen EuGH-Urteil endgültig erledigt hat.“

     

    Fundstelle

    • Generalanwalt beim EuGH Manuel Campos Sánchez-Bordona, Schlussanträge vom 4.7.24, C-295/23, Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG
    • DStV, E-Mail-Abo 005/2025, 13.1.25
    Quelle: Ausgabe 03 / 2025 | Seite 188 | ID 50310075

    Beitrag anhören