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  • · Fachbeitrag · Postzustellungsurkunde

    Beweis der Unrichtigkeit einer PZU durch Zeugenvernehmung

    Das FG Münster hatte sich mit der Frage zu befassen, ob der Beweis der Unrichtigkeit einer Postzustellungsurkunde im Wege des Zeugenbeweises geführt werden kann. Im entschiedenen Fall hat der Senat nach Einvernahme von sieben Mitarbeitern der betroffenen Steuerberatungsgesellschaft als Zeugen nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Postzustellungsurkunde unrichtig erstellt worden war.

     

    Sachverhalt

    Die Steuerpflichtige legte gegen geänderte Umsatzsteuerbescheide Einsprüche ein, die das Finanzamt als unbegründet zurückwies. Die Einspruchsentscheidung stellte es der zu diesem Zeitpunkt bevollmächtigten Steuerberatungsgesellschaft mit Zustellungsurkunde zu.

     

    In der Postzustellungsurkunde dokumentierte der Postzusteller, dass er am 14.5.2021 ‒ einem Freitag ‒ erfolglos versucht habe, die Einspruchsentscheidung in den Geschäftsräumen persönlich zu übergeben. Auch eine Ersatzzustellung durch Übergabe an eine bei der Steuerberatungsgesellschaft beschäftigte Person sei nicht möglich gewesen. Die Einspruchsentscheidung wurde daher in den zur Steuerberatungsgesellschaft gehörenden Briefkasten eingeworfen. Eine Uhrzeit für den Zustellversuch notierte der Postzusteller nicht. Die Steuerberatungsgesellschaft brachte auf der Einspruchsentscheidung einen Posteingangsstempel mit Datum 17.5.2021 an. Die Klage wurde sodann am 17.6.2021 erhoben.

     

    Entscheidung

    Das Finanzgericht Münster hat die Klage abgewiesen. Sie sei unzulässig, weil die Klage erst nach der am 14.6.2021 abgelaufenen Klagefrist erhoben worden sei.

     

    Grundsätzliche Beweiskraft der PZU

    Aufgrund der Beweiskraft der Postzustellungsurkunde (PZU) steht fest, dass die Einspruchsentscheidung am 14.5.2021 zugestellt worden ist. Die Postzustellungsurkunde ist ordnungsgemäß errichtet.

     

    Gegenbeweis grundsätzlich möglich (§ 418 Abs. 2 ZPO)

    Für den Gegenbeweis muss derjenige, der sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung beruft, den Nachweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufs erbringen, sodass ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der PZU belegt sind. Dieser Gegenbeweis kann mit Beweismitteln jeder Art auch durch die Aussage von Zeugen geführt werden.

     

    Dabei sind an den Gegenbeweis strenge, jedoch keine überspannten Anforderungen zu stellen. Die Beweiswirkung der PZU muss vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen sein, dass die Angaben in der Urkunde richtig sein können.

     

    Der Gegenbeweis ist in diesem Sinne erbracht, wenn nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme über die Tatsachenbehauptungen des Zustellungsempfängers, wonach der Zustellungsvorgang falsch beurkundet worden sei, diesen Behauptungen bei der Beweiswürdigung mehr Glauben zu schenken ist als der PZU. Es muss also zur Überzeugung des erkennenden Gerichts feststehen, dass die PZU im Hinblick auf die festgestellten Umstände unrichtig ist.

     

    Gegenbeweis im Streitfall aber nicht geführt

    Den grundsätzlich möglichen Gegenbeweis hat die Steuerpflichtige nicht geführt.

     

    Dass der Postzusteller bei der Vornahme der Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in einen der zu den Kanzleiräumen gehörenden Briefkasten beobachtet worden wäre, ohne zuvor eine persönliche Zustellung oder eine Ersatzzustellung zu versuchen, und infolgedessen ‒ oder aufgrund vergleichbarer Umstände ‒ die Unrichtigkeit der PZU unmittelbar festzustellen wäre, würde weder von der Steuerpflichtigen noch von einem der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen behauptet.

     

    Vielmehr wolle die Steuerpflichtige die Unrichtigkeit der PZU daraus ableiten, dass ein am 14.5.2021 in der Zeit von 7:00 Uhr bis 19:00 Uhr vom Postzusteller unternommener Zustellversuch ausnahmslos erfolgreich gewesen wäre, weil bei Betätigung der Klingelanlage dem Postzusteller geöffnet worden wäre und er in den Räumen die Einspruchsentscheidung einer zum Empfang berechtigten Person hätte übergeben können.

     

    Dem mochte sich das Finanzgericht nicht anzuschließen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme war nämlich insbesondere nicht ‒ wie es insoweit erforderlich wäre ‒ festzustellen, dass in dem von der Steuerpflichtigen genannten Zeitraum sichergestellt war, dass dem Postzusteller auf eine einmalige Betätigung der Klingel hin tatsächlich hinreichend schnell die Tür geöffnet worden und infolgedessen ein unternommener persönlicher Zustellversuch erfolgreich gewesen wäre.

     

    Entscheidend für ein die Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten eröffnendes Fehlschlagen der vorrangig durchzuführenden persönlichen Zustellung und der Ersatzzustellung ist, dass der Postzusteller aus seiner Sicht bei pflichtgemäßer Durchführung der vom Gesetz vorgeschriebenen Förmlichkeiten der Zustellung die vorrangigen Formen der Zustellung tatsächlich nicht durchführen kann:

     

    • Diese verlangen vom Postzusteller keine mehrfache Betätigung der Klingelanlage.
    • Der Postzusteller ist auch nicht verpflichtet, einen die gewöhnlich zu erwartende Zeitspanne überdauernden, längeren Zeitraum auf ein Öffnen der Tür zu warten.

     

    Wird dem Postzusteller auf eine einmalige Betätigung der Klingelanlage hin nicht hinreichend schnell und für ihn ersichtlich die Tür geöffnet, so trifft er zwangsläufig weder den Zustellungsadressaten noch eine zum Empfang berechtigte Person i. S. d. § 178 ZPO tatsächlich an und die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung nach § 180 ZPO sind eröffnet. Ob zu diesem Zeitpunkt der Zustellungsadressat oder eine zum Empfang berechtigte Person in den jeweiligen Räumlichkeiten tatsächlich anwesend gewesen ist, die das Schriftstück persönlich hätte entgegennehmen können, ist unerheblich.

     

    Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

    Der Steuerpflichtigen war nach Ansicht des Finanzgerichts auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren:

     

    • Zum einen fehlte es aus Sicht des Finanzgerichts an der Darlegung eines ordentlichen Ablaufs der Post- und Fristerfassung, um die Nicht- bzw. Falscherfassung der Frist tatsächlich als Büroversehen und nicht als strukturellen Organisationsmangel zu erkennen.
    • Zum anderen war der Vortrag nicht vollumfänglich glaubhaft gemacht worden, sondern vielmehr nach der Beweisaufnahme widerlegt.

     

    MERKE | Das Urteil ist rechtskräftig. Die Argumentation des Gerichts: „Entscheidend für ein die Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten eröffnendes Fehlschlagen der persönlichen Zustellung und der Ersatzzustellung ist, dass der Postzusteller aus seiner Sicht bei pflichtgemäßer Durchführung der vom Gesetz vorgeschriebenen Förmlichkeiten der Zustellung die vorrangigen Formen der Zustellung tatsächlich nicht durchführen kann … . Diese verlangen vom Postzusteller keine mehrfache Betätigung der Klingelanlage. Ebenso wenig ist der Postzusteller verpflichtet, einen die gewöhnlich zu erwartende Zeitspanne überdauernden, längeren Zeitraum auf ein Öffnen der Tür zu warten. Wird dem Postzusteller auf eine einmalige Betätigung der Klingelanlage hin nicht hinreichend schnell und für ihn ersichtlich die Tür geöffnet, so trifft er zwangsläufig weder den Zustellungsadressaten noch eine zum Empfang berechtigte Person tatsächlich an und die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung nach § 180 ZPO sind eröffnet. Ob zu diesem Zeitpunkt der Zustellungsadressat oder eine zum Empfang berechtigte Person in den jeweiligen Räumlichkeiten tatsächlich anwesend gewesen ist, die das Schriftstück persönlich hätte entgegennehmen können, ist unerheblich.“

     

    Das erinnert an derzeit virale Meme. Es ist allseits bekannt, wie „intensiv und zuverlässig“ die Zustellversuche der unterschiedlichen Postdienste durchgeführt werden. Der grundsätzlich mögliche Beweis der Unrichtigkeit einer PZU wird durch das Urteil ad absurdum geführt!

     

    Fundstelle

    Quelle: Ausgabe 06 / 2023 | Seite 371 | ID 49432000

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