· Fachbeitrag · Rechnungskorrektur
Wann ist der Mandant in ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft eingebunden?
von Dipl.-Finw. Rüdiger Weimann, Dortmund
Ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft erfordert zwingend, dass in der Rechnung des Zwischenerwerbers auf die Steuerschuldnerschaft des Erwerbers hingewiesen wird. Diesbezügliche Abrechnungsfehler sind nicht rückwirkend heilbar. So haben EuGH und BFH aktuell entschieden. Da der Mandant häufig unbewusst an einem innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft beteiligt sein wird, müssen insbesondere Debitorenbuchhalter darauf trainiert werden, diese zu erkennen. |
Praxisrelevanz für deutsche Mandanten
Die Urteile erscheinen auf den ersten Blick wenig „spannend“, also wenig praxisrelevant zu sein. Die genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass die unterschiedlichsten Branchen immer wieder in innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte eingebunden sind.
Beachten Sie | Die Einbindung erfolgt i. d. R. unbewusst. Darin liegt die besondere Gefahr! Denn Abrechnungsfehler führen zu einem missglückten Dreiecksgeschäft und damit zu erheblichen Mehrkosten.
Betroffene Bestellketten
Die Mandanten müssen die neue Rechtsprechung beachten, wenn sie Ware in das EU-Ausland verkaufen,
- welche sie vorab in einem anderen EU-Mitgliedstaat von einem Vorlieferanten einkaufen und
- die Ware vom Vorlieferanten der Mandanten direkt zum Kunden transportiert wird oder
- die Mandanten die Ware selbst direkt zu ihren Kunden transportieren ‒ und zwar in ihrer Eigenschaft als „Abnehmer“ des Vorlieferanten (vgl. Abschn. 25b.1 Abs. 5 UStAE).
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Ein niederländisches Unternehmen bestellt bei einem deutschen Büroausstatter dringend benötigte Ersatzteile für ein Fotokopiergerät. Dieser kauft die Ersatzteile direkt beim italienischen Hersteller. Der italienische Hersteller trägt die Transportverantwortung für die „schnelle Auslieferung“ an den niederländischen Unternehmer in Amsterdam und rechnet gegenüber dem deutschen Büroausstatter netto ab, liefert die Ersatzteile also steuerfrei innergemeinschaftlich. Alle Beteiligten verwenden gegenüber den Geschäftspartnern die von ihren Ländern erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummern (USt-IdNr.). |
Betroffene Branchen
Derartige Geschäfte gehören zum Tagesgeschäft der unterschiedlichsten Branchen.
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Außerplanmäßige und gleichzeitig schnelle Geschäfte
Häufig erfolgen diese Geschäfte außerplanmäßig und unter Zeitdruck:
- Eigentlich verkauft der Unternehmer nur Ware, die sich bereits in einem seiner Auslieferungslager befindet.
- Der EU-ausländische Kunde benötigt die Ware, die der deutsche Unternehmer noch bestellen muss, „ganz schnell“, also kurzfristig.
Beachten Sie | Die Einbindung des eigenen Unternehmens in ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft erfolgt damit i. d. R. unbewusst. Gerade darin liegt die besondere Gefahr (s. o.)!
Rechtsprechung des BFH
Sachverhalt
In den Jahren 2008 bis 2013 (Streitjahre) betrieb der Steuerpflichtige einen Großhandel mit landwirtschaftlichen Maschinen. Er besaß für Polen das alleinige Vertriebsrecht für Maschinen der Hersteller „A“ (Deutschland), „B“ (Belgien) und „C“ (Neuseeland/Tschechische Republik).
Die Maschinen wurden vom Steuerpflichtigen bei den Herstellern bestellt und von dort direkt zu den Kunden in verschiedenen Mitgliedstaaten und damit insbesondere nach Polen transportiert. Die Versendung erfolgte entweder durch den Steuerpflichtigen selbst oder durch den Hersteller ‒ und zwar jeweils unter Verwendung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer (in Deutschland: Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ‒ USt-IdNr.) des jeweiligen Ansässigkeitsstaates. Auch die Endkunden verwendeten die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummern ihrer Ansässigkeitsstaaten.
Für die Lieferungen aus anderen Mitgliedstaaten nach Polen erklärte der Steuerpflichtige in seinen deutschen Umsatzsteuererklärungen auf der Eingangsseite umsatzsteuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe und machte zugleich den korrespondierenden Vorsteuerabzug geltend. Er erklärte die Weiterlieferungen in Polen als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen von Deutschland nach Polen. Sowohl die Zusammenfassenden Meldungen des Steuerpflichtigen als auch die Ausgangsrechnungen enthielten zunächst keine Hinweise auf innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte.
Das Finanzamt stimmte den Erklärungen zunächst zu. Eine anschließende Außenprüfung kam dann allerdings zu dem Ergebnis, dass innergemeinschaftliche Reihengeschäfte vorlägen. Die Beförderung oder Versendung könne daher jeweils nur einer der Lieferungen zugeordnet werden ‒ und zwar ohne Ausnahme den Lieferungen der Hersteller an den Steuerpflichtigen. Der Ort der Lieferungen des Steuerpflichtigen an seine Kunden liege damit ebenfalls ausnahmslos in dem Abnehmerstaat (zumeist Polen), in dem die Transporte endeten. In Letzterem hätte sich der Steuerpflichtige jeweils für Zwecke der Mehrwertsteuer registrieren lassen und seine Umsätze aus den Lieferungen an die Kunden erklären müssen. Der Steuerpflichtige hätte dort zusätzlich einen innergemeinschaftlichen Erwerb versteuern und den korrespondierenden Vorsteuerabzug vornehmen müssen. Zugleich habe der Steuerpflichtige die Waren gemäß § 3d Satz 2 Halbs. 1 UStG in Deutschland innergemeinschaftlich erworben.
Die Prüfung nahm weiter an, von der Vereinfachungsregel des innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts habe der Steuerpflichtige keinen Gebrauch gemacht. Denn für deren Anwendung hätte er u. a. in der Rechnung an den letzten Abnehmer auf das Dreiecksgeschäft und die übergegangene Steuerschuldnerschaft hinweisen müssen. Dies habe er jedoch nicht getan. Er habe in den Rechnungen die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung vermerkt und entsprechende Zusammenfassende Meldungen abgegeben. Da die Versteuerung der zweiten Lieferung im jeweiligen Zielstaat bisher unterblieben sei, gelte der steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerb nach § 3d Satz 2 Halbs. 2 UStG in den Streitjahren als in Deutschland bewirkt. Dem Steuerpflichtigen stehe auch damit kein Recht auf Vorsteuerabzug zu.
Der Steuerpflichtige erteilte daraufhin berichtigte Rechnungen, übermittelte entsprechend berichtigte Zusammenfassende Meldungen und meldete in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung einen Umsatzsteuervergütungsanspruch an. Noch vor Ergehen von Änderungsbescheiden beantragte er beim Finanzamt, keinen Fall des § 3d Satz 2 UStG anzunehmen. Hilfsweise beantragte er, die Rechnungskorrekturen nachträglich als rückwirkend zum Zeitpunkt der ursprünglichen Rechnungsstellung anzuerkennen, weiter hilfsweise eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO.
Alle Anträge lehnte das Finanzamt ab und erließ auf Grundlage der Prüfungsfeststellungen Umsatzsteuer-Änderungsbescheide. Das FG gab der Klage des Steuerpflichtigen hiergegen demgegenüber statt und vertrat die Ansicht, dass die innergemeinschaftlichen Erwerbe bereits in den Streitjahren entfallen seien, weil der Steuerpflichtige mit Rückwirkung die Rechnungen an die Kunden berichtigt und eine korrigierte Zusammenfassende Meldung abgegeben habe. Infolgedessen hätten die Erwerbe bereits zu diesem Zeitpunkt nach § 25b Abs. 3 UStG als besteuert zu gelten. Hiergegen richtete sich die Revision des Finanzamts.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf und wies die Klage ab.
Beurteilung zunächst nach den allgemeinen Regeln für Reihengeschäfte
Der BFH beurteilt die Umsatzketten zunächst nach den in den Streitjahren gültigen allgemeinen Regeln ‒ d. h. ohne die Sonderregelung des § 25b UStG:
- Der jeweilige Hersteller tätigt im Ursprungsland eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an D (§ 4 Nr. 1 Buchst. b i. V. m. § 6 a UStG).
- Der Steuerpflichtige tätigt im jeweiligen Bestimmungsland einen innergemeinschaftlichen Erwerb von I (§ 3d Satz 1 UStG).
- Der Steuerpflichtige tätigt zusätzlich in Deutschland einen innergemeinschaftlichen Erwerb, da er für den Einkauf die deutsche USt-IdNr. verwendet hat (§ 3d Satz 2 UStG).
- Der Steuerpflichtige tätigt im jeweiligen Bestimmungsland „normale“ (Inlands-)Lieferungen an seine Endkunden. Die Lieferungen sind steuerbar und steuerpflichtig. Der Steuerpflichtige hat gegenüber seinen Kunden damit Rechnungen unter Ausweis der Umsatzsteuer des Bestimmungslands aufzumachen.
Die Voraussetzungen der Besteuerungsfiktion des § 25b Abs. 3 UStG lagen in den Streitjahren nicht vor. Dies gilt insbesondere für die im Streitfall umstrittene Voraussetzung, dass der erste Abnehmer dem letzten Abnehmer eine Rechnung i. S. d. § 14a Abs. 7 UStG erteilt haben muss, in der auf das Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts und die Steuerschuldnerschaft des letzten Abnehmers hinzuweisen ist. Dieser Hinweis fehlte in den ursprünglichen Rechnungen.
Der BFH verweist insoweit auf die Rechtsprechung des EuGH und insbesondere auf das Urteil Luxury Trust Automobil. Er übernimmt diese Rechtsprechung. Ergänzend weist er darauf hin, dass diese nicht nur ‒ wie der Steuerpflichtige meint ‒ in Fällen gilt, in denen ein Umsatzsteuerbetrug gegeben ist, sondern generell für alle Fälle des Dreiecksgeschäfts. Denn der Nachweis, dass der Empfänger der Lieferung gemäß Art. 197 MwStSystRL als Steuerschuldner bestimmt worden ist, ist nach Auffassung des EuGH eine materielle Voraussetzung für die Besteuerungsfiktion.
Soweit der Steuerpflichtige vorträgt, dass davon auszugehen ist, dass die Abnehmer im Bestimmungsland innergemeinschaftliche Erwerbe angemeldet haben und damit eine Besteuerung im Bestimmungsland gegeben ist, sodass § 3d Satz 2 UStG seine Schutzfunktion verloren habe, sehen die Art. 41 Abs. 1 und Art. 42 MwStSystRL keine Ausnahmeregelungen vor. Eine Abweichung vom klaren und unmissverständlichen Wortlaut der Richtlinie setzt ein Eingreifen des Unionsgesetzgebers voraus.
PRAXISTIPP | Das Einhalten einer Rechnungspflichtangabe als materielle Voraussetzung für eine Steuervergünstigung ‒ damit beschreiten EuGH und BFH einen neuen Weg. Dem Mandanten ist daher anzuraten, die Vorgaben im Zweifel genauestens einzuhalten. |
Fundstelle
- BFH 17.7.24, XI R 35/22 (XI R 14/20), iww.de/astw, Abruf-Nr. 243859
- EuGH 8.12.22, C-247/21, Urteil Luxury Trust Automobil, Abruf-Nr. 232926