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  • · Fachbeitrag · § 6a UStG, § 17a UStDV

    Innergemeinschaftliche Lieferungen erfordern einen Formalbeweis ‒ BFH

    | Steht aufgrund einer Beweiserhebung fest, dass die gelieferten Fahrzeuge zum Bestimmungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet versendet wurden, kann dies nicht durch die Annahme eines fehlenden Belegnachweises in Abrede gestellt werden. Der sich aus der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ergebende Nachweis der Unternehmereigenschaft des Abnehmers kann nicht durch die bloße Annahme einer Briefkastenanschrift widerlegt werden. |

     

    Sachverhalt

    Die deutsche Klägerin (D) lieferte im Streitjahr 2007 drei Pkw aus Deutschland in das übrige Gemeinschaftsgebiet. Nach den schriftlichen Kaufverträgen war die Käuferin der Fahrzeuge (SVK) eine GmbH nach slowakischem Recht mit Sitz in der Slowakei.

     

    D lagen ein Handelsregisterauszug der SVK und eine bestätigte Abfrage der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer vor. Der Geschäftsführer der SVK war in Ungarn ansässig. Auf dem Briefpapier gab die SVK eine Telefon- und eine Telefaxnummer mit jeweils ungarischer Vorwahl an.

     

    D behandelte die drei Fahrzeuglieferungen als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen.

     

    Im Rahmen einer Außenprüfung kam der Prüfer unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer multilateralen Prüfung der deutschen, österreichischen, ungarischen und slowakischen Finanzbehörden zu dem Ergebnis, dass es sich bei der SVK um eine Scheinfirma gehandelt habe.

     

    Die SVK habe ausschließlich zur Durchschleusung der Fahrzeuge gedient. Trotz der ihr erteilten USt-IdNr. habe es sich um ein Scheinunternehmen gehandelt. Am Sitzort der Firma sei nur ein Buchhaltungsbüro tätig gewesen, das die Post entgegengenommen habe. Es habe aber keinen Lagerplatz für Fahrzeuge gegeben. Die slowakische Finanzbehörde habe daher im Jahr 2008 ‒ also im Hinblick auf das Streitjahr nachträglich ‒ die Unternehmereigenschaft rechtskräftig versagt.

     

    Das Finanzamt behandelte die nämlichen Lieferungen nunmehr als umsatzsteuerpflichtig. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

     

    Zwar lagen für alle drei Fahrzeuge die für die Umsatzsteuerbefreiung erforderlichen Belege zur Dokumentation einer Beförderung durch den Abnehmer (Abhollieferung) durch die Kundin SVK vor. Tatsächlich seien die Fahrzeuge aber durch einen beauftragten selbstständigen Spediteur befördert worden; es habe sich nicht um eine Abhol-, sondern um eine Versendungslieferung gehandelt. Das Finanzgericht ging somit von einer Steuerpflicht aufgrund eines fehlenden Belegnachweises aus, obwohl ein vom Finanzgericht einvernommener Zeuge ausgesagt hatte, dass er die Fahrzeuge zum angegebenen Bestimmungsort in der Slowakischen Republik befördert habe.

     

    Zudem ging das Finanzgericht von einem fehlenden Buchnachweis aus, da es sich bei der Kundin SVK um eine Scheinfirma gehandelt habe, sodass sich aus der Aufzeichnung der USt-IdNr. dieser Firma nicht deren Unternehmereigenschaft ergeben habe. Diese Feststellungen würden durch die Zeugenaussage nicht infrage gestellt. Denn der Zeuge habe keinen Hinweis auf Geschäftsräume oder Ähnliches dieser Firma gesehen. Die Versagung der Steuerfreiheit aufgrund eines Scheinsitzes der Abnehmerfirma werde nicht durch die neue Rechtsprechung des BFH zur „Briefkastenadresse“ bei der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs ausgeschlossen. Diese Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug sei jedenfalls dann nicht auf die Adresse und den Sitz des Unternehmens des Empfängers einer innergemeinschaftlichen Lieferung übertragbar, wenn es sich bei diesem ‒ wie im Streitfall ‒ um ein Scheinunternehmen gehandelt habe.

     

    Entscheidung

    Der BFH hat das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

     

    Tatsächlich durchgeführte Beweiserhebung macht Formalerfordernisse nachrangig

    Zunächst ist das Finanzgericht zu Unrecht vom fehlenden Nachweis einer Versendung in die Slowakische Republik ausgegangen. Die vom Unternehmer beizubringenden Nachweise erfordern grundsätzlich einen Beleg- und einen Buchnachweis.

     

    Steht aber aufgrund einer Beweiserhebung fest, dass die gelieferten Fahrzeuge zum Bestimmungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet versendet wurden, kann dies nicht durch die Annahme eines fehlenden Belegnachweises in Abrede gestellt werden.

     

    Zwar ist das Finanzgericht bei einem fehlenden Belegnachweis zur Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet nicht verpflichtet, eine Beweiserhebung durchzuführen. Hat das Finanzgericht aber ‒ wie im Streitfall ‒ eine Beweiserhebung durchgeführt, bei der sich aus einer Zeugeneinvernahme eindeutig die Versendung zum angegebenen Bestimmungsort ergibt, muss es dieses Beweisergebnis seinem Urteil auch zugrunde legen. Anders ist es nur, wenn es die Zeugenaussage als nicht glaubhaft ansieht

     

    Nachweis der Unternehmereigenschaft des Kunden vorrangig über Umsatzsteuer-Identifikationsnummer

    Das Finanzgericht ist auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Unternehmereigenschaft der Kundin SVK widerlegt wurde. Die bloße Annahme einer Briefkastenanschrift ist zur Widerlegung des sich aus der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ergebenden Nachweises der Unternehmerstellung des Abnehmers nicht geeignet.

     

    Zum Erfordernis, in Rechnungen „den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers“ anzugeben, hat der BFH nach Vorabentscheidung durch den EuGH entschieden, dass

    • eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetzt, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist, und
    • jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift ausreicht, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.

     

    Dabei folgt aus der Rechtsprechung zur Anerkennung von Briefkastenanschriften als Rechnungsangabe auch, dass die Angabe einer bloßen Briefkastenanschrift mit postalischer Erreichbarkeit für sich allein nicht zur Annahme einer fehlenden Unternehmereigenschaft berechtigt. Dementsprechend rechtfertigt auch bei der innergemeinschaftlichen Lieferung die bloße Angabe einer Briefkastenanschrift nicht den Schluss auf eine fehlende Unternehmereigenschaft des Abnehmers.

     

    PRAXISTIPP |

    • 1. Sieht das Gesetz wie im Urteilsfall einen Belegnachweis vor, ist das Finanzgericht nicht verpflichtet, etwaigen Beweisangeboten der Beteiligten nachzugehen.
    • 2. Das Finanzgericht ist aber zur Beweiserhebung berechtigt.
    • 3. Hat das Finanzgericht eine Beweiserhebung durchgeführt, muss es deren Ergebnisse dann auch seiner Entscheidung zugrunde legen.
     

    Anmerkung

    Auslöser der strittigen Steuerfestsetzung war im Streitfall eine multilaterale Prüfung der deutschen, österreichischen, ungarischen und slowakischen Finanzbehörden. Im Rahmen der zwischenstaatlichen Amtshilfe können neben dem Informationsaustausch auf Ersuchen, dem spontanen und automatischen Informationsaustausch auch koordinierte bilaterale und multilaterale steuerliche Außenprüfungen durchgeführt werden. Hierzu zählen gleichzeitige Prüfungen (Simultanprüfungen) sowie gemeinsame steuerliche Außenprüfungen (international als „Joint Audits“ bezeichnet), die eine besondere Form koordinierter Außenprüfungen darstellen. Das BMF erläutert dies in einem besonderen Merkblatt.

     

    Fundstellen

    • BMF 9.1.17, IV B 6 - S 2315/16/10016 :002, 2016/0996151
    Quelle: ID 46393811