· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Gutachterliche Berücksichtigung des Nießbrauchs: Ansicht der Finanzverwaltung auf dem Prüfstand
von Prof. Dr. Gerhard Brüggemann, Münster
| Gemäß § 10 Abs. 6 S. 11 ErbStG ist der Abzug eines Nutzungsrechts bei der Ermittlung der Erbschaftsteuer ausgeschlossen, wenn sich die Grundstücksbelastung bereits bei der Ermittlung des gemeinen Werts einer wirtschaftlichen Einheit des Grundbesitzes ausgewirkt hat. Werden also Nutzungs- oder Duldungsrechte ‒ z. B. ein Nießbrauchs- oder ein Wohnrecht ‒ in einem Verkehrswertgutachten gemäß § 198 Abs. 2 BewG zum Nachweis eines niedrigeren Verkehrswertes des Grundstücks einbezogen und bei der Feststellung des Grundbesitzwertes berücksichtigt, kann der Erwerber diese Belastungen bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlichen Bereicherung nicht mehr abziehen. Das FG München (16.6.21, 4 K 347/19, EFG 21, 1752) hinterfragt in einem „obiter dictum“ die bisherige Handhabung dieser Regelung durch die Finanzverwaltung und gibt daher Anlass, sich mit den vom FG geäußerten Zweifeln auseinanderzusetzen. Die gegen das Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BFH als unbegründet zurückgewiesen (BFH 30.5.22, II B 44/21). |
1. Musterfall ‒ nach FG München 4 K 347/19
B und sein Bruder A (70 Jahre alt) waren Miteigentümer zu je 1/2 eines Mietwohngrundstücks. Mit notarieller Urkunde übertrug A dem B das Eigentum an seinem hälftigen Anteil an der Immobilie. Als Gegenleistung für den Eigentumserwerb bestellte B u. a. drei im Grundbuch einzutragende Wohnungs- und Mitbenutzungsrechte für A und dessen Sohn und Tochter. Zum Ersten bestellte B an der Wohnung Nr. 1 zugunsten des A ein lebenslängliches, unentgeltliches Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht. Zum Zweiten bestellte B ebenfalls an der Wohnung Nr. 1 zugunsten des seinerzeit 32-jährigen Sohnes von A (Neffe des B), ein lebenslängliches, unentgeltliches Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht. Dieses stand allerdings unter der aufschiebenden Bedingung, dass zum einen das Wohnungs- und Nutzungsrecht des A erloschen sei und zum anderen der Neffe das 60. Lebensjahr vollendet hatte. Zum dritten bestellte der Kläger ein lebenslängliches, unentgeltliches Wohnungs- und Nutzungsrecht an der Wohnung Nr. 3 zugunsten der seinerzeit 37-jährigen Tochter des A.
Nachdem das Lagefinanzamt einen Grundbesitzwert im für Mietwohngrundstücke maßgeblichen Ertragswertverfahren (§ 182 Abs. 3 Nr. 1 BewG) festgestellt hatte, erging ein geänderter Erbschaftsteuerbescheid (im Folgenden: Bescheid I). Da die Belastungen des Erwerbs durch die Wohnungs- und Nutzungsrechte bei der Ermittlung des Grundbesitzwertes im Ertragswertverfahren keine Berücksichtigung fanden, wurden die Wohnungs- und Nutzungsrechte bei der Ermittlung der Erbschaftsteuer vom Erbschaftsteuerfinanzamt mit dem jeweiligen Kapitalwert abgezogen.
Das Finanzamt ermittelte für die Belastung durch das Wohnungs- und Nutzungsrecht des A einen Wert von 76.918,25 EUR und durch dasjenige der Nichte des B einen solchen von 196.058,45 EUR. Zusammengerechnet ergab sich also ein abziehbarer Kapitalwert von 272.976,70 EUR. Das Nutzungsrecht des Neffen des B ließ das Finanzamt zunächst außer Ansatz.
Da A bereits kurz nach der Beurkundung des Schenkungsvertrages verstorben war, berücksichtigte das Finanzamt für dessen Wohnungs- und Nutzungsrecht gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 BewG daraufhin nur noch eine (gekürzte) Belastung von 3.482,05 EUR, berücksichtigte im Gegenzug aber erstmals für das Wohnungs- und Nutzungsrecht des Neffen des B eine wertmindernde Belastung von 22.068,58 EUR. Zusammengerechnet ergab sich nunmehr also ein abziehbarer Kapitalwert von 221.609,08 EUR.
B hatte allerdings zwischenzeitlich durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Immobiliensachverständigen den Verkehrswert des Hauses ermitteln lassen. Der Sachverständige hatte in dem Gutachten zum Bewertungsstichtag einen Ertragswert der gesamten Immobilie von 1.439.000 EUR ermittelt und hiervon für die Belastungen durch die zugunsten von A, der Nichte und des Neffen des B bestellten Wohnungs- und Nutzungsrechte einen Betrag von 682.000 EUR abgezogen.
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Ertragswert der gesamten Immobilie | 1.439.000 EUR |
Nutzungsrecht | ‒ 682.000 EUR |
Verkehrswert der Immobilie | 757.000 EUR |
Geschenkter hälftiger Anteil | 378.500 EUR |
Das Lagefinanzamt stellte daraufhin den Wert der Immobilie aufgrund des anerkannten Verkehrswertgutachtens mit 378.500 EUR fest. Aufgrund des neuen Feststellungsbescheides änderte das Erbschaftsteuerfinanzamt den Schenkungsteuerbescheid erneut und nahm einen Abzug der Wohnungs- und Nutzungsrechte nicht mehr vor, weil diese bereits bei der Feststellung des Grundbesitzwertes berücksichtigt worden waren (im Folgenden: Bescheid II). Letztlich ermittelte sich die Schenkungsteuer unter Berücksichtigung kleinerer Korrekturen durch das FG wie folgt:
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Grundbesitzwert | 378.500,00 | |
Verschiedene finanzielle Gegenleistungen des B | ./. | 127.683,00 |
Darlehensübernahme | ./. | 51.129,19 |
Kosten Grundstücksgutachten (Erwerbsnebenkosten) | ./. | 4.623,94 |
Wohnungs- und Nutzungsrechte (für A, Nichte, Neffe) | ./. | 0,00 |
Bereicherung | 195.063,87 | |
Steuervergünstigung (§ 13d ErbStG) = 10 % von 378.500,00 | ./. | 37.850,00 |
Nicht abzugsfähige Schulden und Lasten (§ 10 Abs. 6 ErbStG) 178.812,19 EUR × 10 % (ohne Erwerbsnebenkosten) |
+ |
17.881,21 |
Persönlicher Freibetrag | ./. | 20.000,00 |
Bemessungsgrundlage, abgerundet auf volle 100 EUR | 155.000,00 | |
Festgesetzte Steuer (20 % nach Steuerklasse II) | 31.000,00 |
B ist der Ansicht, dass die zutreffend bewerteten Wohnungs- und Nutzungsrechte von A, seiner Nichte und seinem Neffen im Schenkungsteuerbescheid II noch hätten berücksichtigt werden müssen.
2. Berücksichtigung der Nutzungsrechte im typisierten Bewertungsverfahren
Wird der Grundbesitzwert im Wege des Vergleichswertverfahrens (§ 182 Abs. 2 BewG), des Ertragswertverfahrens (§ 182 Abs. 3 BewG) oder des Sachwertverfahrens (§ 182 Abs. 4 BewG) ermittelt, bleiben bereits im Zeitpunkt des Grundbesitzerwerbes bestehende Grundstücksbelastungen in Gestalt von Nutzungsrechten bei der Wertermittlung unberücksichtigt. Keines dieser typisierenden und pauschalen Bewertungsverfahren sieht eine Berücksichtigung von Wohn- oder Nutzungsrechten vor. Für das bewertungsgesetzliche Vergleichswertverfahren ist dies in § 183 Abs. 3 BewG sogar ausdrücklich bestimmt. Kommt daher eines dieser Verfahren zur Anwendung, können die Wohnungs- und Nutzungsrechte nicht bei der Feststellung der Grundbesitzwerte, sondern nur bei der Ermittlung der schenkungsteuerlichen Bereicherung berücksichtigt werden.
3. Berücksichtigung der Nutzungsrechte bei der Ermittlung der Schenkungsteuer
Der maßgebliche Steuerwert des erworbenen Grundbesitzes ist für Zwecke der Erbschaftsteuer bzw. Schenkungsteuer gesondert festzustellen (§ 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BewG). Die gesonderte Feststellung dieser Besteuerungsgrundlage (§ 157 Abs. 2 Hs. 2 AO) ist als Grundlagenbescheid für die Steuerfestsetzung bindend (§ 171 Abs. 10 S. 1 AO). Bei einer gemischt-freigebigen Zuwendung eines Grundstücks ist der Wert der Bereicherung durch bloßen Abzug der Gegenleistung vom festgestellten Steuerwert des zugewandten Grundstückes zu ermitteln (vgl. BFH 5.7.18, II B 122/17, BStBl II 18, 660).
Im Musterfall bestand hinsichtlich des bestandskräftigen Schenkungsteuerbescheides I Änderungsbedarf aus zwei Gründen.
- Zum einen musste das Finanzamt aufgrund der geänderten gesonderten Feststellung des Grundbesitzwertes (§ 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BewG) i. H. v. 378.500 EUR (Grundlagenbescheid) den Schenkungsteuerbescheid I gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO korrigieren.
- Zum anderen ist durch den kurz nach der Schenkung eingetretenen Tod von A dessen Wohnungs- und Nutzungsrecht an der Wohnung Nr. 1 erloschen, wodurch sich die Belastung des B gegenüber dem im bestandskräftigen Schenkungsteuerbescheid I bis dahin berücksichtigten Umfang grundsätzlich verminderte. Für diesen Fall sieht § 14 Abs. 2 S. 1 und 3 BewG vor, dass der Schenkungsteuerbescheid aufgrund der eingetretenen Verringerung der wirtschaftlichen Belastung zu Lasten des Steuerpflichtigen zu korrigieren ist. Bei einer 70 Jahre alten Person erfolgt die Korrektur, wenn das Nutzungsrecht nicht mehr als sechs Jahre bestanden hat.
MERKE | Werden die vom Finanzamt nach den Regeln des BewG (insbesondere § 14 BewG) zunächst ermittelten Kapitalwerte der Wohnungs- und Nutzungsrechte von 76.918,25 EUR (für A) und von 196.058,45 EUR (für die Nichte) zugrunde gelegt, hätte sich zusammengerechnet ein Kapitalwert von 272.976,70 EUR ergeben. Da das Nutzungsrecht des Neffen des B unter der aufschiebenden Bedingung zum einen des Erlöschens des Wohnungs- und Nutzungsrechtes des A und zum anderen der Vollendung des 60. Lebensjahres des Neffen stand, hätte es gemäß § 6 BewG als aufschiebend bedingte Last nicht berücksichtigt werden dürfen. Das Finanzamt wäre somit zu Recht von einem Kapitalwert von 272.976,70 EUR ausgegangen. Da A bereits kurz nach der Beurkundung des Schenkungsvertrages verstorben war, berücksichtigte das Finanzamt für dessen Wohnungs- und Nutzungsrecht gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 BewG aber richtigerweise nur noch eine (gekürzte) Belastung i. H. v. 3.482,05 EUR.
Ob der erstmals für das Wohnungs- und Nutzungsrecht des Neffen des B ermittelte Kapitalwert von 22.068,58 EUR hätte berücksichtigt werden dürfen, erscheint fraglich. Wenn der Tod des A die Bedingung bereits ausgelöst hat und der Eintritt der Bedingung nur alternativ, aber nicht kumulativ von der Vollendung des 60. Lebensjahres des Neffen abhängig war, wäre ein Abzug möglich. Wie sich der Kapitalwert ermittelt hat, mag an dieser Stelle offenbleiben. |
Beachten Sie | Wird das Nutzungsrecht aufgrund einer Bewertung des Grundstücks im Vergleichswertverfahren (§ 182 Abs. 2 BewG), Ertragswertverfahren (§ 182 Abs. 3 BewG) oder Sachwertverfahren (§ 182 Abs. 4 BewG), also erst bei der Ermittlung der Schenkungsteuer gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 und 2 ErbStG berücksichtigt, bleibt grundsätzlich festzuhalten, dass das latente Risiko einer Korrektur der Schenkungsteuer besteht.
4. Berücksichtigung der Nutzungsrechte im Verkehrswertgutachten
Grundstücksbelastungen in Gestalt eines Wohn- bzw. Nutzungsrechts können im Feststellungsverfahren schon bei der Verkehrswertermittlung eines Grundstücks gemäß § 198 BewG berücksichtigt werden, wenn der Grundstückswert aufgrund eines anzuerkennenden Sachverständigengutachtens festgestellt wird. Je nach Fallkonstellation kann die Berücksichtigung in einem Verkehrswertgutachten zu einem günstigeren Ergebnis führen als die Berücksichtigung bei der schenkungsteuerlichen Bereicherung nach § 10 Abs. 1 S. 1 und 2 ErbStG.
Dieser Vorteil besteht insbesondere dann, wenn das Nutzungsrecht ‒ wie im vorliegenden Fall ‒ durch den frühzeitigen Tod des Nutzungsberechtigten endet. Denn auch in diesem Fall kann der im Gutachten zugrunde gelegte und im Grundlagenbescheid festgestellte Wert nicht geändert werden.
MERKE | Das Sachverständigengutachten hat den kraft gesetzlicher Ermächtigung durch § 199 Abs. 1 BauGB erlassenen Vorschriften der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (ImmoWertV) zu entsprechen. |
Im Gegensatz zu dem typisierenden Wertfeststellungsverfahren nach den §§ 176 bis 197 BewG, die allein die Bestimmung des Grundbesitzwertes ohne Berücksichtigung bestehender Belastungen des zu bewertenden Grundvermögens zum Ziel haben, sehen die von einem Immobiliensachverständigen zu beachtenden Wertermittlungsvorschriften die Einbeziehung solcher Belastungen vor. So bestimmt sich der für die Bewertung zum Stichtag maßgebliche Zustand des Grundstücks gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 ImmoWertV nach der Gesamtheit der verkehrswertbeeinflussenden rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks. Nach § 4 Abs. 2 S. 2 ImmoWertV gehören zu diesen Grundstücksmerkmalen auch wertbeeinflussende Rechte und Belastungen. Als solche kommen unter anderem Nutzungsrechte am Grundstück in Betracht (§ 6 Abs. 2 ImmoWertV). |
Beachten Sie | Entgegen der Rechtsauffassung des B geht das FG München zu Recht davon aus, dass die durch B zugunsten des A sowie der Nichte und des Neffen des B bestellten Wohnungs- und Nutzungsrechte gemäß § 10 Abs. 6 S. 11 ErbStG nicht bei der Ermittlung der schenkungsteuerlichen Bereicherung abgezogen werden können. Nach der eindeutigen Vorstellung des Gesetzgebers soll § 10 Abs. 6 S. 11 ErbStG gerade verhindern, dass Nutzungsrechte an einem Grundstück, die bereits bei der Bewertung des Grundstücks berücksichtigt wurden, zusätzlich als Nachlassverbindlichkeit oder Duldungslast abgezogen werden können (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum ErbSt-Reformgesetz vom 28.1.08, BT-Drs. 16/7918, 32).
5. Folgen einer fehlerhaften Feststellung im Grundlagenbescheid
Das FG München geht zunächst mit überzeugender Begründung davon aus, dass die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes in einem Grundlagenbescheid für die Schenkungsteuerfestsetzung auch dann bindend ist (§ 171 Abs. 10 S. 1 AO), wenn der Grundlagenbescheid nicht rechtmäßig ist (vgl. BFH 24.3.98, I R 83/97, BStBl II 98, 601). Auch verfahrensrechtlich hat eine etwa erforderliche Fehlerkorrektur immer im fehlerhaften (Grundlagen-)Bescheid zu erfolgen und kann nicht durch die Änderung eines anderen Bescheides ‒ wie etwa des Folgebescheides ‒ kompensiert werden. § 10 Abs. 6 S. 11 ErbStG ist daher auch dann anwendbar, wenn der Abzug der Nutzungsrechte im Feststellungsverfahren möglicherweise rechtswidrig war. Das Schenkungsteuerfinanzamt ist daher auch dann verpflichtet, den durch das Lagefinanzamt auf 378.500 EUR festgestellten Grundbesitzwert für den hälftigen Anteil des Hauses anzusetzen, wenn der der Feststellung zugrunde gelegte Verkehrswert vom Gutachter nicht ordnungsgemäß ermittelt worden ist.
Irritierend sind aber die ergänzenden Ausführungen des FG München zur Anerkennung der Rechtmäßigkeit des Verkehrswertgutachtens. Es geht zwar von der Bindungswirkung des Feststellungsbescheides aus und wendet § 10 Abs. 6 S. 11 ErbStG für den vorliegenden Musterfall an, äußert aber gleichwohl Bedenken, ob der Abzug der Nutzungsrechte im Verkehrswertgutachten auch möglich ist, wenn die Nutzungsrechte zum maßgeblichen Bewertungsstichtag noch gar nicht bestanden hatten, sondern erst im Gegenzug zur Übertragung der Immobilie bestellt werden. Dies deutet darauf hin, dass nach Auffassung des FG nicht nur das aufschiebend bedingte Nutzungsrecht des Neffen, sondern auch die nach der Lebenserwartung berechneten Nutzungsrechte des A und der Nichte des B vom Abzug ausgeschlossen sein könnten. Wörtlich heißt es in der Urteilsbegründung:
„Schließlich hat der Sachverständige den Immobilienwert anhand des Grundstückszustandes am Qualitätsstichtag (§ 4 Abs. 1 S. 1 ImmoWertV) zu beurteilen. Dieser Stichtag gilt regelmäßig auch für die wertbeeinflussenden Belastungen in der Form von Nutzungsrechten (§ 4 Abs. 2 S. 2, § 6 Abs. 2 ImmoWertV). Am Bewertungsstichtag (Anmerkung: Tag der notariellen Beurkundung), der für die Ausführung der freigebigen Zuwendung im Streitfall schenkungsteuerrechtlich entscheidend ist, haben die bezeichneten Grundstücksbelastungen noch nicht bestanden. Vielmehr sind sie erst aufgrund des notariellen Übertragungsvertrages an diesem Tag begründet und zu einem späteren Zeitpunkt im Grundbuch eingetragen worden. Der Kläger hat kein dinglich vorbelastetes Grundstück erworben, sondern den insoweit unbelasteten Erwerbsgegenstand erst im Gegenzug für die Übertragung mit den vereinbarten Nutzungsrechten belastet.“
Sollten sich die Ausführungen des FG München als richtig erweisen, müsste das Nutzungsrecht schon vor der notariellen Beurkundung der Schenkungsurkunde bestanden haben, um einen Abzug zu ermöglichen. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass die erst anlässlich der notariellen Beurkundung des Schenkungsvertrages bestellten Nutzungsrechte im Verkehrswertgutachten nicht berücksichtigt werden könnten.
Einer solchen Sichtweise steht m. E. jedoch entgegen, dass bei Schenkungen unter einer Nutzungs- und Duldungsauflage davon auszugehen ist, dass ‒ auch zivilrechtlich ‒ Schenkungsgegenstand der um den Kapitalwert der vorbehaltenen Nutzungs- und Duldungsauflagen verminderte Wert ist (vgl. BFH 5.7.18, II B 122/17, BStBl II 18, 660; FG Hessen [Vorinstanz] 26.10.17, 1 V 1165/17, EFG 18, 60).
Das FG Hessen ging im summarischen Verfahren von einem Verkehrswert des Grundstücks von 226.237 EUR und einer Entgeltlichkeitsquote von 78 % aus. Dem lag folgende Berechnung zugrunde:
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Grundbesitzwert | 251.212 EUR |
Kapitalwert Nießbrauchsrecht | ‒ 8.799 EUR |
Kapitalwert Wohnrecht | ‒ 16.176 EUR |
Verkehrswert (100 %!) | 226.237 EUR |
Pflegeverpflichtung | ‒ 29.656 EUR |
Rentenverpflichtung | ‒ 19.411 EUR |
Bereicherung (= 78,31 % von 226.237 EUR!) | 177.170 EUR |
Entsprechend dieser Berechnung gingen sowohl das Finanzamt als auch das FG Hessen und der BFH von einer Entgeltlichkeitsquote von 78,31 % aus. Dem liegt m. E. die Vorstellung zugrunde, dass der Beschenkte aufgrund der vorbehaltenen Nutzungsrechte auch dann nur einen um das Nutzungsrecht geminderten Wert erhält, wenn das Nutzungsrecht erst anlässlich der notariellen Beurkundung bestellt wird.
Die hierdurch bewirkte Minderung des Verkehrswertes muss daher entgegen der Auffassung des FG München nicht erst bei der schenkungsteuerlichen Bemessungsgrundlage im Rahmen des Verfahrens über die Festsetzung der Schenkungsteuer, sondern kann als dingliches Nutzungsrecht auch bereits im Verfahren über die Feststellung des Grundbesitzwertes in einem Sachverständigengutachten berücksichtigt werden.
Beachten Sie | Meines Erachtens entspricht dies auch der bisherigen Handhabung der Finanzverwaltung. So heißt es schon in einer Verfügung der OFD Münster vom 17.2.12 (DStR 12, 971): Wird ein Grundstück unter Einräumung eines Vorbehaltsnießbrauchs zugunsten des Schenkers übertragen, so kann der Steuerpflichtige zum Zwecke der Ermittlung und Feststellung des Steuerwerts des übertragenen Grundstücks (§ 12 Abs. 3 ErbStG i. V. m. § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BewG) nach § 198 BewG einen niedrigeren gemeinen Wert nachweisen, welcher die Belastung aus dem Nutzungsrecht bereits wertmindernd berücksichtigt (sog. „Nettobetrachtung”). In diesem Fall ist bei der Schenkungsteuerveranlagung die Verpflichtung aus dem Nutzungsrecht gemäß § 10 Abs. 6 S. 6 ErbStG nicht mehr abzugsfähig. Eine eigenständige Bewertung des Nutzungsrechts gemäß der §§ 14 bis 16 BewG ist nicht erforderlich.
6. Begrenzung des Jahreswertes nach § 16 BewG
In den Fällen der Begrenzung des Jahreswertes nach § 16 BewG ist für die Ermittlung des Verkehrswertes des Grundstücks durch ein Sachverständigengutachten zusätzlich von Bedeutung, dass der Jahreswert des Nießbrauchs bei der Verkehrswertermittlung nicht begrenzt wird. Weiterer Vorteil ist, dass bei Anerkennung des Verkehrswertgutachtens für den Fall des frühzeitigen Versterbens des Berechtigten § 14 Abs. 2 BewG nicht zur Anwendung kommt und eine Korrektur des Kapitalwertes im Verkehrswertgutachten unterbleibt.
Wird ein Grundstück mit der Auflage übertragen, dass der Beschenkte einem Dritten ein Nießbrauchsrecht an dem Grundstück einräumt, so erfolgt die Besteuerung der Grundstücksschenkung beim Empfänger des Grundstücks ebenso. Der Beschenkte kann also den Verkehrswert gemäß § 198 BewG ‒ wie zuvor dargestellt ‒ unter Berücksichtigung des Nießbrauchsrechts nachweisen (Verfügung der OFD Münster, a. a. O.).
Weiterführender Hinweis
- Zur Ermittlung des Jahreswertes und zum Abzug von Verbindlichkeiten im Falle des Vorbehaltsnießbrauchs siehe auch BFH 28.5.19, II R 4/16, BStBl II 20, 32; FG Münster 27.8.20, 3 K 722/16 Erb, EFG 20 S. 1627, rkr. (Revision aus verfahrensrechtlichen Gründen zurückgenommen) und hierzu Brüggemann, ErbBStg 22, 220 ff.