· Fachbeitrag · Einkommensteuer
Anrechnung der Erbschaftsteuer auf die Einkommensteuer gemäß § 35b EStG
von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster
| Sind bei der Ermittlung des Einkommens Einkünfte berücksichtigt worden, die im Veranlagungszeitraum (VZ) oder in den vorangegangenen vier VZ als Erwerb von Todes wegen der ErbSt unterlegen haben, erfolgt eine Anrechnung der ErbSt auf die ESt gemäß § 35b EStG , indem die um sonstige Steuerermäßigungen gekürzte tarifliche ESt im Wege einer Verhältnisrechnung ermäßigt wird. Eine vollständige Anrechnung der ErbSt auf die ESt wird hierdurch nicht gewährleistet und ist auch nicht zwingend notwendig, da Doppelbelastungen mit ErbSt und ESt steuersystematisch nicht ausgeschlossen sind. |
1. Musterfall
Erblasser E verstirbt in 2010 und hat seinen einzigen Sohn K testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt.
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Der Nachlass setzt sich wie folgt zusammen:
Das Erbschaftsteuerfinanzamt hat die ErbSt für das Jahr 2010 wie folgt ermittelt:
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- Im Jahr 2014 veräußert K den GmbH-Anteil. Der im Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40d EStG, § 3c Abs. 2 EStG) ermittelte Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG beträgt 2.200.000 EUR.
- Die Mietforderungen werden aufgrund eines obsiegenden Urteils ebenfalls in 2014 vom Mieter in voller Höhe von 112.000 EUR an K bezahlt.
- Die im Jahr 2009 angeschafften Aktien veräußert K ebenfalls im Jahr 2014. Der Veräußerungsgewinn (§ 20 Abs. 2 EStG) beträgt 287.000 EUR.
- Die Summe der Einkünfte des K beläuft sich im Jahr 2014 auf 2.987.833 EUR und das Einkommen/zu versteuernde Einkommen auf 2.982.144 EUR. Die tarifliche ESt im Splittingtarif (§ 32a Abs. 5 EStG) beträgt 1.310.442 EUR.
K bittet um Auskunft, ob eine Anrechnung von ErbSt auf die ESt des Jahres 2014 möglich ist und stellt vorsorglich einen Antrag auf Anrechnung.
2. Erbschaftsteuerliche Folgen der Veräußerung
K hat bezüglich des GmbH-Anteils gemäß § 13a Abs. 5 S. 1 Nr. 4 ErbStG gegen die Behaltensregelung verstoßen. Da K im vierten Jahr nach dem Erwerb veräußert hat, führt dies gemäß § 13a Abs. 5 S. 2 ErbStG zu einem Wegfall des Verschonungsabschlags von 2/5. Demgemäß ermittelt sich die ErbSt nun wie folgt:
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3. Voraussetzungen der Anrechnung der ErbSt auf die ESt
Eine Anrechnung der ErbSt auf die ESt des Jahres 2014 ist möglich, soweit die Voraussetzungen des § 35b EStG erfüllt sind.
3.1 Erwerb von Todes wegen
Die Vorschrift des § 35b EStG erfasst nur Erwerbe von Todes wegen, nicht hingegen Zuwendungen unter Lebenden. Da K durch Erbanfall gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erworben hat, kommt eine Anrechnung grundsätzlich in Betracht.
PRAXISHINWEIS | Eine Minderung der Doppelbelastung gemäß § 35b EStG ist im Fall der Schenkung somit ausgeschlossen. Auch wenn der Ausschluss von Schenkungen aus dem Anwendungsbereich des § 35b EStG nicht überzeugt (kritisch z.B. Herzig/Joisten/Vossel, DB 09, 584), wird allerdings der Frage nachzugehen sein, ob mit derselben Handlung sowohl eine freigebige Zuwendung verwirklicht als auch wirtschaftlich am Markt teilgenommen werden kann. |
Unterliegt ein und derselbe Lebenssachverhalt tatbestandlich sowohl der ESt als auch der SchenkSt, hält der BFH es nicht für ausgeschlossen, dass die Ertragsbesteuerung zurücktritt (BFH 12.9.11, VIII B 70/09, ErbBstg 12, 64). Umgekehrt geht er davon aus, dass eine vGA durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist und der ESt unterliegt und dieser Umstand das Vorliegen einer freigebigen Zuwendung einer Kapitalgesellschaft an den Gesellschafter ausschließt (BFH 30.1.13, II R 6/12, ErbBstg 13, 121).
3.2 Antrag
Die Einkommensteuerermäßigung ist antragsgebunden. Von einem entsprechenden Antrag des K ist auszugehen.
3.3 Gegenstand der Anrechnung
Die Anrechnung von ErbSt ist nur möglich, wenn bei der einkommensteuerlichen Ermittlung des Einkommens „Einkünfte“ berücksichtigt worden sind, die im selben VZ, in dem die Einkommensteuerschuld entsteht, oder in den vorangegangenen vier VZ der ErbSt unterlegen haben.
PRAXISHINWEIS | Die Bezeichnung „Einkünfte“ in § 35b EStG ist dem Grunde nach unzutreffend, da der ErbSt nicht die Einkünfte im einkommensteuerlichen Sinn (§ 2 EStG) der Besteuerung unterliegen, sondern die Bereicherung im erbschaftsteuerlichen Sinne (§ 10 Abs. 1 S. 2 ErbStG). Der Begriff Einkünfte ist so zu interpretieren, dass er Erwerbe erfasst, die der ErbSt unterlegen haben und die in dem in § 35b EStG vorgegebenen Zeitraum zur Realisierung von Einkünften i.S. des EStG führen (BFH 7.12.90, X R 72/89, BStBl II 91, 350). |
„Unterlegen“ haben die Einkünfte der ErbSt insoweit, als sie auch betragsmäßig in die Bemessungsgrundlage eingegangen sind; nicht ausreichend ist die abstrakte erbschaftsteuerliche Belastung der Einkünfte dem Grunde nach. Zweck des § 35b EStG ist es, eine Doppelbelastung zu vermeiden. Eine Doppelbelastung liegt nur in dem Umfang vor, in dem ein zur Einkommensteuerfestsetzung führender Betrag bereits ErbSt ausgelöst hat. Zudem wäre es sachlich nicht gerechtfertigt, eine zu Unrecht nicht erhobene ErbSt noch bei der ESt anzurechnen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es in vielen Fällen deshalb nicht zu einer Doppelbelastung kommt, weil wegen der Freibeträge (§§ 16, 17 ErbStG) oder wegen der Steuerbefreiung für den Zugewinnausgleich (§ 5 ErbStG) keine ErbSt anfällt.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ermittlung des Betrags, mit dem die Einkünfte der ErbSt unterlegen haben, ist der Zeitpunkt, in dem die Erbschaftsteuerschuld rechtlich entstanden ist, beim Erwerb von Todes wegen ist das in der Regel der Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Irrelevant ist der Zeitpunkt der Festsetzung oder Entrichtung der ErbSt. Wertveränderungen zwischen dem Zeitpunkt des Erbanfalls und der Realisierung der Einkünfte sind unbeachtlich.
PRAXISHINWEIS | Insbesondere folgende Sachverhalte sind von § 35b ErbStG erfasst (siehe auch Herzig/Joisten/Vossel, DB 09, 584; Bron/Seidel, ErbStB 10, 488 ff. und 81 ff.):
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Vorliegend ist der aus der Veräußerung des GmbH-Anteils erzielte steuerpflichtige Veräußerungsgewinn von 2.200.000 EUR bei der Ermittlung des Einkommens des Jahres 2014 erfasst worden und der GmbH-Anteil selbst hat im Jahr 2010 und damit in den vorangegangenen vier VZ der ErbSt unterlegen, sodass eine Anrechnung der ErbSt zu erfolgen hat. Dies gilt ebenso für die dem Erben zugeflossenen Mietforderungen i.H. von 112.000 EUR.
Die in 2014 veräußerten Aktien haben im Jahr 2010 und damit in den vorangegangenen vier VZ ebenfalls der ErbSt unterlegen, sodass dem Grunde nach eine Anrechnung der ErbSt zu erfolgen hat. Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass der aus der Veräußerung der Aktien erzielte Veräußerungsgewinn bei der Ermittlung des Einkommens des Jahres 2014 nur erfasst werden kann, wenn ein Anwendungsfall des § 32d Abs. 2 oder Abs. 6 EStG vorgelegen hat. Da dies nicht der Fall ist, erfolgt insoweit keine Anrechnung der ErbSt auf die Abgeltungsteuer (kritisch Bron/Seidel, ErbStB 10, 488 ff. und 81 ff.).
Für die Ermittlung des Anrechnungsbetrags ist der aufgrund der Veräußerung der X-GmbH korrigierte Erbschaftsteuerbescheid maßgeblich.
3.4 Gegenstand und Höhe der Ermäßigung der Einkommensteuer
Gegenstand der Ermäßigung ist die um sonstige Steuerermäßigungen gekürzte tarifliche ESt, die auf diese Einkünfte entfällt. Ausgangspunkt der Einkommensteuerermäßigung ist die tarifliche ESt, errechnet durch Anwendung der Tarifformel nach § 32a Abs. 1 bzw. 5 EStG auf das zu versteuernde Einkommen. Diese ist gegebenenfalls noch um die Steuerermäßigungen gemäß § 34c Abs. 1 und 6 EStG, § 34f Abs. 1 und 2 EStG, §§ 34g, 35, 35a EStG, § 12 AStG zu kürzen. Der verbleibende Steuerbetrag ist analog § 34c Abs. 1 S. 2 EStG nach dem Verhältnis der begünstigten Einkünfte zur Summe der Einkünfte aufzuteilen.
begünstigte Einkünfte x tarifliche ESt | = ESt auf begünstigte Einkünfte |
Summe der Einkünfte |
Die Summe der Einkünfte des K beläuft sich im Jahr 2014 auf 2.987.833 EUR und das Einkommen/zu versteuernde Einkommen auf 2.982.144 EUR. Die tarifliche ESt im Splittingtarif (§ 32a Abs. 5 EStG) beträgt 1.310.442 EUR. Somit errechnet sich die ESt auf begünstigte Einkünfte wie folgt:
2.312.000 EUR x 1.310.442 EUR | = 1.014.027 EUR |
2.987.833 EUR |
Die gemäß § 35b S. 1 EStG ermittelte Bemessungsgrundlage (ESt auf begünstigte Einkünfte) wird um den in § 35b S. 2 EStG bestimmten Prozentsatz ermäßigt. Dieser bestimmt sich nach dem Verhältnis, in dem die festgesetzte ErbSt zu dem Betrag steht, der sich ergibt, wenn dem steuerpflichtigen Erwerb (§ 10 Abs. 1 ErbStG) die Freibeträge nach den §§ 16 und 17 ErbStG und der steuerfreie Betrag nach § 5 ErbStG hinzugerechnet werden.
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Verhältnis der Erbschaftsteuer zum Gesamterwerb
Die Minderung der Einkommensteuer berechnet sich demnach wie folgt:
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4. Ausschluss der Anrechnung
§ 35b S. 1 und 2 EStG gelten gemäß § 35b S. 3 EStG nicht, soweit ErbSt nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abgezogen wird, was insbesondere bei Renten und dauernden Lasten der Fall sein kann. Da die Möglichkeit eines Sonderausgabenabzugs nicht besteht, muss dieser Fragestellung nicht nachgegangen werden (siehe hierzu Herzig/Joisten/Vossel, DB 09, 584).