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  • Erbrecht

    Besonderheiten bei der Annahme und Ausschlagung der Erbschaft durch einen Minderjährigen

    von RiLG a.D., RA Prof. Dr. Jürgen Damrau, Konstanz, und RA Gudrun Möller, Nordkirchen

    Für die Eltern minderjähriger Erben stellt sich oft die Frage, ob der Minderjährige das Erbe antreten soll oder nicht. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick darüber, worauf Sie bei der Annahme der Erbschaft (1.) und ihrer Ausschlagung (2.) achten müssen.

    1. Anfall der Erbschaft erfolgt kraft Gesetzes

    Beim Anfall des Erbes handelt es sich um einen Vonselbsterwerb, der sich im Zeitpunkt des Erbfalls ohne Wissen und Willen des Erben vollzieht (§§ 1922, 1942 BGB; Palandt, BGB, 62. Aufl., § 1942 Rn. 1). Deshalb steht dem Erben das Recht zur Erbausschlagung zu (§ 1945 ff. BGB), außer er hat die Erbschaft angenommen (§ 1943 S. 1 HS. 1 BGB).

    Bei der Annahme der Erbschaft (§ 1943 BGB) ist Folgendes zu beachten:

    • Es handelt sich bei der Erbschaftsannahme um eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Diese wird in der Regel gegenüber einem Beteiligten z.B. dem Nachlassgericht oder einem Nachlassgläubiger oder -schuldner erklärt.
    • Sie ist formfrei und kann daher auch schlüssig erfolgen.
    • Die Annahme kann nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgen (§ 1947 BGB).

    Bei der Erbschaftsannahme eines Minderjährigen gibt es folgende Besonderheiten:

    • Der geschäftsbeschränkte Minderjährige, z.B. der 17-Jährige, kann die Annahme der Erbschaft nicht selbst erklären, weil das für ihn rechtlich nachteilig i.S.v. § 107 BGB ist. Der Nachteil besteht darin, dass er das Recht zur Ausschlagung verliert.
    • Eltern als gesetzliche Vertreter ihres Kindes brauchen für die Erbschaftsannahme keine Genehmigung des Vormundschafts- oder Familiengerichts.
    • Ist ein Elternteil neben den minderjährigen Kindern zum Erben berufen, kann er für sich und die Kinder zugleich die Annahme der Erbschaft klären. Das Verbot des Insichgeschäfts181 BGB) steht dem nicht entgegen. Denn die Erklärungen der Eltern richten sich nicht an die Kinder und die Erklärungen der Kinder richten sich weder gegeneinander noch gegen die Eltern. Die Erklärungen sind nicht empfangsbedürftig.

    Praxishinweis: Bei unübersichtlichen Nachlässen sollte der gesetzliche Vertreter vorsichtig sein, da auch der minderjährige Erbe für Nachlassverbindlichkeiten haftet. Dazu zählen u.a. die vom Erblasser herrührenden Schulden sowie Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten und Vermächtnissen (§ 1967 BGB). Hier bietet sich aber Folgendes an:

    1.1 Erben können ihre Haftung für Nachlassverbindlichkeiten beschränken

    Nach § 1975 BGB kann die Erbenhaftung für Nachlassverbindlichkeiten auf den Nachlass beschränkt werden, wenn entweder eine Nachlassverwaltung (Nachlasspflegschaft) angeordnet oder ein Nachlassinsolvenzverfahren (§§ 315 bis 331 InsO) eröffnet worden ist.

    1.2 Für Minderjährige gibt es auch eine Minderjährigenhaftungsbeschränkung

    Steht der Minderjährige kurz vor der Volljährigkeit, können die Eltern die Erbschaft annehmen und es dem volljährig gewordenen Kind überlassen, statt der Beschränkung der Erbenhaftung die Minderjährigenhaftungsbeschränkung geltend zu machen. Die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten, die auf Grund eines während der Minderjährigkeit erfolgten Erwerbs von Todes wegen entstanden sind, kann nach dem Eintritt der Volljährigkeit gemäß §§ 1629a, 1793 Abs. 2 BGB auf den Bestand des zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Vermögens beschränkt werden.

    Praxishinweis: Letzteres ist nicht empfehlenswert. Denn dabei wird nicht zwischen ererbtem und nicht ererbtem Vermögen unterschieden, so dass das Nicht-Ererbte auch für die Nachlassschulden haftet (Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, 02, Rn. 300 ff.).

    2. Ausschlagung ist gegenüber dem Nachlassgericht zu erklären

    Hinsichtlich der Ausschlagung der Erbschaft gilt Folgendes:

    2.1 Die Erbschaftsausschlagung ist formbedürftig

    Die Erbschaftsausschlagung erfolgt zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form (§ 1945 Abs. 1 BGB). Bei einem Minderjährigen bedarf die Erklärung der öffentlichen Beglaubigung der Unterschriften beider Eltern. Soll ein Elternteil den anderen vertreten, muss auch die Vollmacht öffentlich beglaubigt werden (§ 1945 Abs. 3 BGB). Dasselbe gilt bei der Beauftragung eines Anwalts.

    2.2 Die Ausschlagung ist fristgebunden

    Für die Ausschlagung der Erbschaft sind folgende Fristen zu beachten:

    • Grundsätzlich beträgt die Ausschlagungsfrist sechs Wochen1944 Abs. 1 BGB). Dies gilt auch für den gesetzlichen Vertreter, selbst wenn er eine gerichtliche Ausschlagungsgenehmigung braucht. § 1643 Abs. 2, S. 1, Abs. 3, § 1831 BGB fordern zwar für einseitige Rechtsgeschäfte, wie die Ausschlagungserklärung, die vorherige Genehmigungserteilung. Eltern müssen aber die volle Frist für ihre Entscheidung nutzen können. Auch das Familiengericht braucht zur Überprüfung der Sinnhaftigkeit der Ausschlagung einige Zeit. § 1831 BGB wird daher auf amtsempfangsbedürftige Willenserklärungen nicht angewendet. Ausreichend ist daher, dass
    • die Ausschlagung fristgemäß erklärt wird und
    • die gerichtliche Genehmigung innerhalb dieser Frist beantragt wird. Mit der Antragstellung liegt für den gesetzlichen Vertreter ein Fall höherer Gewalt vor, da er keinen Einfluss auf eine fristgerechte gerichtliche Ausschlagungsgenehmigung hat. Diese höhere Gewalt bewirkt gemäß § 1944 Abs. 2 S. 3, § 206 BGB eine Hemmung der Ausschlagungsfrist. Der gesetzliche Vertreter kann dem Nachlassgericht die gerichtliche Genehmigung nachreichen.

    Praxishinweis: Unterlässt er dies, ist die Ausschlagung für das Kind unwirksam. Beantragt der gesetzliche Vertreter die Genehmigung eine Woche vor Fristablauf beim Familiengericht, bleibt ihm nach der Erteilung der Genehmigung auch noch diese Woche zum Einreichen der Genehmigung beim Nachlassgericht.

    Bei Zweifeln der Eltern über die Ausschlagung können sie um Genehmigung der Ausschlagung nachsuchen, um die Meinung des Gerichts zu erfahren und Zeit zum Überlegen zu gewinnen (Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, a.a.O., Rn. 40).

    Die Genehmigungserklärung darf das Familiengericht nicht direkt dem zuständigen Nachlassgericht übersenden. Die Entscheidung obliegt vielmehr den Eltern. Wird die Genehmigung zur Ausschlagung seitens des Familiengerichts verweigert, kann dagegen das Rechtsmittel der einfachen Beschwerde eingelegt werden.

    • Hatte der Erblasser seinen letzten Wohnsitz im Ausland oder hält sich der Erbe bei Fristbeginn im Ausland auf, beträgt die Frist sechs Monate1944 Abs. 3 BGB). Bei Minderjährigen kommt es insoweit auf den Aufenthaltsort (nicht Wohnsitz) des gesetzlichen Vertreters des Kindes an. Dazu folgendes Beispiel:

        

    2.3 Erbe muss Anfall der Erbschaft und die Berufung zum Erben kennen

    Die Ausschlagungsfrist beginnt, wenn der Erbe vom Anfall der Erbschaft und vom Grund seiner Berufung zum Erben Kenntnis erlangt. Dabei gilt Folgendes:

    • Bei der Berufung durch eine Verfügung von Todes wegen beginnt die Frist nicht vor der Verkündung des Testaments oder des Erbvertrags durch das Nachlassgericht (§ 1944 Abs. 2 BGB).
    • Bei minderjährigen Erben kommt es nicht auf dessen Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und vom Berufungsgrund an, sondern auf die des gesetzlichen Vertreters. Sind beide Elternteile gesetzliche Vertreter, ist die Kenntnis beider maßgeblich. Dies führt z.B. beim Getrenntleben der Eltern zu einer Fristaufspaltung, wenn z.B. der Vater später als die Mutter Kenntnis erlangt. Der Fristbeginn ist in diesem Fall streitig:
    • Nach einer Rechtsansicht ist entscheidend, wann der letzte Elternteil Kenntnis erlangt (Jauernig/Stürner, BGB, 10. Aufl., § 1944 Rn. 2; LG Freiburg BWNotZ 93, 44).
    • Nach einer Gegenansicht, die § 166 BGB analog anwendet, setzt schon die Kenntnis eines Elternteils die Frist in Lauf (Soergel/Stein, BGB, 13. Aufl., § 1944 Rn. 12).

    Anmerkung: Gegen die zweite Ansicht spricht die Fortdauer der gemeinschaftlichen Vertretung des Kindes durch beide Eltern. Die analoge Anwendung des § 166 BGB passt insoweit nicht. Sie widerspricht dem Grundsatz des Minderjährigenschutzes. Denn den Eltern bleibt zum Nachteil des Kindes weniger Zeit für eine Absprache.

    2.4 Voraussetzung ist eine sichere Kenntnis

    Erst die sichere Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und vom Berufungsgrund setzen die Frist in Gang. Dazu im Einzelnen:

    • Bei der gesetzlichen Erbfolge ist daher folgendes Wissen erforderlich:
    • der Eintritt des Erbfalls,
    • die Verwandtschaft zum Erblasser und
    • das Nichtvorhandensein vorhergehender Erben.

    Bei einem minderjährigen Erben muss z.B. dessen Mutter als seine gesetzliche Vertreterin sowohl vom Tod des Erblassers, des Vaters ihres geschiedenen Ehemanns, als auch von dem Tod ihres geschiedenen Ehemanns, des Kindesvaters, Kenntnis haben.

    • Bei gewillkürter Erbfolge gilt Folgendes:
    • Die Kenntnis vom Anfall der Erbschaft kann zwar schon vor der Verkündung der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht vorhanden sein. Sie setzt aber die Ausschlagungsfrist noch nicht in Lauf (§ 1944 Abs. 2 S. 2 BGB). In der Regel finden heutzutage solche Verkündungen wegen des Zeitaufwands nicht mehr statt, da dies nicht mehr tunlich ist (vgl. § 2260 Abs. 1 S. 2 BGB). In der Regel beginnt die Ausschlagungsfrist daher wie folgt: Erforderlich sind die Kenntnis vom
    • Anfall der Erbschaft,
    • Berufungsgrund und
    • von der Eröffnung der Verfügung von Todes wegen (BGH NJW 91, 169).

    Praxishinweis: Eine Kopie der Verfügung von Todes wegen und des Eröffnungsprotokolls wird den Beteiligten vom Nachlassgericht übersandt.

    • Die Kenntnis des Berufungsgrundes liegt vor, wenn der Erbe weiß, dass er eingesetzter Erbe ist. Die Einzelheiten der Verfügung von Todes wegen braucht er aber nicht zu kennen. Dabei ist streitig, ob der Erbe wissen muss, ob es sich um ein Testament oder einen Erbvertrag handelt (Soergel/Stein, BGB, a.a.O., § 1944 Rn. 10).

    2.5 Erbausschlagung der Eltern ist genehmigungsbedürftig

    Zur Ausschlagung bedürfen die Eltern grundsätzlich der gerichtlichen Genehmigung (§ 1643 Abs. 2 S. 1 BGB). Dieses Erfordernis entfällt, wenn der Anfall der Erbschaft an das Kind erst infolge der Erbausschlagung durch einen Elternteil erfolgt ist, der das Kind allein oder gemeinsam mit dem anderen Elternteil vertritt. Dazu folgendes Beispiel:

    War der ausschlagende Elternteil neben dem Kind zum Erben berufen, bleibt das Genehmigungserfordernis (§ 1643 Abs. 2 S. 2 BGB). Dazu folgendes Beispiel:

    Würde S für sich und zusammen mit der Mutter auch für E und F die Erbschaft ausschlagen, würde sie ihm als gesetzlichem Erben anfallen (§ 1948 Abs. 1 BGB). Hier ist für die Erbausschlagung von E und F auch die gerichtliche Genehmigung erforderlich (§ 1643 Abs. 2 BGB). Durch § 1795, § 1629 Abs. 2, § 181 BGB, das Verbot der Verwandten- und Insichgeschäfte, werden die Eltern nicht gehindert, die Ausschlagungserklärungen für sich und zugleich für ihre Kinder abzugeben.

    Das Familiengericht muss die Ausschlagung auch genehmigen, wenn die Erbschaft mehreren Kindern angefallen ist, der gesetzliche Vertreter sie aber nicht für alle Kinder (genehmigungsfrei) ausschlägt, sondern nur für einen Teil von ihnen, so dass er damit den Nachlass auf die nicht ausschlagenden Kinder hinleiten würde (vgl. Soergel/Strätz, BGB, 12. Aufl. § 1643 Rn. 8). Dies muss sogar gelten, wenn die Ausschlagung durch den gesetzlichen Vertreter zum Anfall der Erbschaft an ein volljähriges Kind führen würde.

    2.6 Für die Erbausschlagung braucht kein Eränzungspfleger bestellt zu werden

    Die Frage, ob für die Ausschlagung ein Pfleger zu bestellen ist, ist streng von der Frage zu trennen, ob man für die Ausschlagung eine gerichtliche Genehmigung braucht.

    2.7 Örtliche Zuständigkeit des Familiengerichts gesetzlich nicht geregelt

    Die örtliche Zuständigkeit des Familiengerichts, das über die Ausschlagung entscheidet, ist gesetzlich nicht geregelt, außer bei Anhängigkeit einer Ehesache (§ 621 Abs. 2 ZPO). Es wird § 36 Abs. 1 FGG analog angewendet, der über den Wortlaut hinaus für die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung angewandt wird (Keidel/Engelhardt, FGG, 14. Aufl., § 36 Rn. 2). Grundsätzlich ist der Wohnsitz des Kindes maßgeblich. Da das Kind den Wohnsitz beider Eltern teilt (§ 11 BGB ), ergibt sich im Fall des Getrenntlebens der Eltern eine Doppelzuständigkeit der Gerichte. Diese regelt sich nach § 4 FGG. Danach ist das Gericht zuständig, das zuerst mit der Sache befasst ist. Hat ein Elternteil nicht die Personensorge, teilt das Kind dessen Wohnsitz nicht (§ 11 BGB ), hier entfällt die Doppelzuständigkeit. Sie entfällt auch, wenn die Eltern den Wohnsitz des Kindes gemeinsam (auch stillschweigend) ändern (§ 8 BGB ). Bei lange getrennt lebenden Eltern wird ein Kind nur den Wohnsitz des Elternteils teilen, bei dem es lebt.

    Quelle: Familienrecht kompakt - Ausgabe 06/2003, Seite 82

    Quelle: Ausgabe 06 / 2003 | Seite 82 | ID 102861