01.07.2007 | ZPO
Prozessvergleich und Abänderungsurteil
Die Abänderung eines Prozessvergleichs durch Urteil wirft im Hinblick auf § 323 Abs. 4 ZPO mehrere Fragen auf, von deren Beantwortung der im Einzelfall zu erteilende haftungsträchtige Anwaltsrat abhängt. Dies beginnt mit der Entscheidung, ob in einem Abänderungsverfahren ein (erneuter) Vergleich oder besser ein gerichtliches Urteil angestrebt werden sollte und endet mit der rechtlichen Behandlung eines Abänderungsurteils, wenn es erneut zu einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse kommt. Nach h.M. sind auf ein solches Urteil die vom BGH entwickelten, den Prozessvergleich privilegierenden Grundsätze nicht anwendbar. Dies hat der BGH aktuell bestätigt (FK 07, 91, Abruf-Nr. 071343; FamRZ 07, 793). Dazu im Einzelnen.
Checkliste: Abänderungsklage bei Prozessvergleichen |
Problematik:
Nach §§ 242, 313 BGB ist eine Abänderbarkeit nicht von Prozesshandlungen abhängig, insbesondere nicht von einer Klageerhebung. Somit ergibt sich eine zeitliche Sperrwirkung nur für den Unterhaltsgläubiger und allein aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verzugs (§ 323 Abs. 3 ZPO i.V. mit § 1360a Abs. 3; § 1361 Abs. 4 S. 4; § 1613 Abs. 1, § 1585b BGB) wie bei jedem anderen Unterhaltsanspruch auch. Der Unterhaltsschuldner hingegen muss nach den Verzugsvorschriften nicht etwa seine Nichtschuld (bzw. Nichtmehrschuld) anmahnen.
Beispiel: M und F beendeten ihren Unterhaltsrechtsstreit durch Prozessvergleich. Unstreitig waren die beiden steuerlichen Nettoeinkommen, streitig auf jeder Seite drei Bereinigungspositionen. Im Vergleich einigten sie sich darüber. Unter Festlegung der Vergleichsgrundlagen wurde ein Unterhaltsbetrag vereinbart. Aufgrund von M im Prozess bewiesener Verringerung seiner Einkünfte senkte das Familiengericht den Unterhaltsbetrag durch Urteil nach § 323 ZPO ab. Im Tatbestand des Urteils sind die unverändert vorliegenden sechs Bereinigungspositionen aufgeführt sowie der kontradiktorische Vortrag zur Einkommensreduzierung aufseiten des M sowie in den Urteilsgründen die diesbezügliche Beweiswürdigung. Das Urteil entspricht also in seiner Begründung den Grundlagen des Ausgangsvergleichs mit Ausnahme der Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse bei der Vergleichsgrundlage „Einkommen von M“. Lediglich insoweit liegt eine eigentliche und neue Streitentscheidung im Urteilssinne vor. Die – für das Gericht „unantastbaren“ – Vergleichsgrundlagen hingegen erscheinen zwar im Urteil, aber nicht deshalb, weil die Parteien darum gestritten oder neuen unstreitigen Vortrag gehalten hätten, sondern weil dies zu den formellen Urteilsvoraussetzungen gehört. Später verringerten sich die Einkünfte von M erneut. Er forderte F auf, auf die Rechte aus dem Urteil in Höhe eines Teilbetrags zu verzichten. Nach fruchtlosem Fristablauf erhob M erneut eine Abänderungsklage.
Rechtliche Alternativen:
Im obigen Beispiel muss die Klage nach h.M. abgewiesen werden, wenn die Wesentlichkeitsgrenze von zehn Prozent nicht erreicht wird, und im Übrigen könnte M Abänderung ohnehin nur ab April 2007 verlangen (§ 323 Abs. 3 ZPO, Zeitschranke).
Im Beispiel hätte M mit dieser Begründung Erfolg.
Stellungnahme: Die Rechtslage verändert sich also nach h.M., wenn der Ausgangsvergleich erstmals durch ein Urteil abgeändert wird. Ohne dass sich der – sonst doch so maßgebliche – Parteiwille ändert, tauchen die Schranken des § 323 Abs. 2und 3 ZPO sowie die Wesentlichkeitsgrenze von zehn Prozent auf und bringen für die davon betroffene Partei erhebliche prozessuale Nachteile für die Zukunft mit sich. Daran ändert nichts, dass das durch einen späteren (erneuten) Prozessvergleich wieder geändert werden kann (Soyka, a.a.O., Rn. 134). Hier ist man auf die Bereitschaft der Gegenseite angewiesen, einen solchen Vergleich überhaupt abzuschließen. Dieses Ergebnis mutet unter zwei Gesichtspunkten befremdlich an, die beide miteinander zusammenhängen.
Zum einen legt schon die Terminologie des Gesetzes ein anderes Verständnis nahe. Gemäß § 323 Abs. 1 (i.V. mit Abs. 4) ZPO wird der Ausgangsvergleich abgeändert und nicht aufgehoben (vergleichbar der Abänderung und nicht Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils im Rechtsmittelzug). Daher existiert die materielle Einigung weiter, nur mit anderem Inhalt und in anderer Form.
Zum anderen würde man mit der Argumentation, im Rahmen der Doppelnatur des Prozessvergleichs (Zöller/Stöber, a.a.O., § 794 ZPO Rn. 3) komme es auf die rechtsgeschäftliche Komponente an, auf halbem Wege stehen bleiben, indem man sie in dem entscheidenden Augenblick unter rein formalen Aspekten, die doch bis dahin keine Rolle spielen sollen, für unbeachtlich hält, in welchem eine Partei von ihrem Abänderungsrecht Gebrauch macht. Dass dies nur durch eine Klage möglich ist und eine Klage ihrer Natur nach auf ein Urteil ausgerichtet ist, ändert nichts daran, dass es sich nach wie vor materiell um den Ausgangsvergleich handelt. Eine Abänderungsklage ist eine Gestaltungsklage (BLAH, a.a.O., § 323 ZPO Rn. 1) mit dem Ziel der Anpassung des Vergleichs (BLAH, a.a.O., § 323 ZPO Rn. 40), und ein Abänderungsurteil demnach ein Gestaltungsurteil. Es passt den Vergleich, ohne ihn aufzuheben, an diejenigen Tatsachen an, die sich verändert haben, muss sich aber im Übrigen weiterhin an den Tatsachen orientieren, die unverändert geblieben sind. Dies zeigt schon der Gesetzeswortlaut „entsprechend“ in § 323 Abs. 1 ZPO (Graba, Die Abänderung von Unterhaltstiteln, 3. Aufl., Rn. 337, 340). Maßgeblich ist und bleibt auch insoweit der Parteiwille, und zwar so lange, bis die Voraussetzungen für eine originäre Neuberechnung vorliegen (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 323 ZPO Rn. 41). Dies kommt nur ausnahmsweise, insbesondere bei zwei Konstellationen in Betracht: der Vergleich enthält keine Grundlagen oder sie lassen sich im Prozess nicht mehr zuverlässig vortragen und beweisen (BGH NJW 89, 1033).
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Fazit: Aufgrund der neuen Entscheidung BGH (FK 07, 91) wird jedoch bis auf Weiteres „alles beim Alten“ bleiben (müssen). Dem stehen allerdings weiterhin folgende Argumente entgegen: Das den Prozessvergleich abändernde Sachurteil ist eine Verkörperung des Ausgangsvergleichs, der nur im anderen rechtlichen Kleid auftritt. Die Verkörperung betrifft insbesondere die Fortschreibung des Parteiwillens, wie er in den tragenden, unveränderten Vergleichsgrundlagen zum Ausdruck kommt. Der Parteiwille als Geltungsgrund gerät insoweit nicht in Wegfall und muss sich in gleicher Weise auswirken wie bei § 323 Abs. 2und 3 ZPO sowie bei der Wesentlichkeitsgrenze. Er setzt sich gegen entgegenstehende Formalitäten und Wortlaute des Prozessrechts durch. Einer Klage gegen ein Urteil, das einen Prozessvergleich abgeändert hat, können diese Schranken daher nicht entgegen stehen, solange der Parteiwille im abzuändernden Urteil auch nur teilweise fortlebt und die Voraussetzungen für eine originäre Neuberechnung nicht vorliegen. Diese Aspekte sprechen auch dafür, auf eine erhöhte Pflicht zur ungefragten Information (Offenbarungspflicht) zu erkennen, wo und soweit ein Abänderungsurteil Elemente einer früheren Unterhaltsvereinbarung enthält und fortschreibt.