· Fachbeitrag · Umgangsrecht
Verhältnis zwischen Aufenthalts- und Umgangsbestimmungsrecht
von VRiOLG a.D. Dr. Jürgen Soyka, Meerbusch
| Der BGH hat aktuell entschieden, dass das Umgangsbestimmungsrecht ein selbstständiger Teil der Personensorge ist. Der Beitrag zeigt, welche Konsequenzen dies für die Praxis hat. |
Sachverhalt
Die Rechtsbeschwerdeführer sind die Eltern (E) der 2008 und 2004 geborenen Kinder S und T. Den E wurde wegen intellektueller Minderbegabungen und daraus resultierender kognitiver und sozialer Defizite nach der Geburt des ersten Kindes Hilfe zur Erziehung in Form sozialpädagogischer Familienhilfe gewährt. Nach einer Gefahrenmeldung des Jugendamts (JA) entzog ihnen das AG das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Kinder, die bereits aufgrund vorläufiger Maßnahmen in einem Kinderheim untergebracht waren. Die dagegen gerichtete Beschwerde der E hat das OLG zurückgewiesen, nachdem die Kinder zwischenzeitlich in den elterlichen Haushalt zurückgeführt wurden.
Die T wurde nach einem von der Ergänzungspflegerin eingeleiteten Herausgabeverfahren an diese herausgegeben und lebt in einer Wohngruppe. Der S wurde mit Zustimmung der Ergänzungspflegerin vom JA in Obhut genommen und lebt ebenfalls in einer Wohngruppe.
Das AG hat den E das Recht auf Antragstellung und Hilfeplanung sowie die Gesundheitssorge entzogen und ihren Antrag auf Abänderung der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zurückgewiesen. Dagegen haben die E Beschwerde eingelegt. Das OLG hat ihnen im Beschwerdeverfahren darüber hinaus das Umgangsrecht entzogen und im Übrigen die Beschwerde zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde blieb erfolglos.
|
|
Entscheidungsgründe
Den E ist zu Recht das Aufenthaltsbestimmungsrecht wegen Kindeswohlgefährdung gem. §§ 1666, 1666a BGB entzogen worden. Der Verhältnismäßig-keitsgrundsatz ist gewahrt. Die an das Verfahren zu stellenden Anforderungen sind eingehalten worden.
Es besteht eine schwerwiegende Kindeswohlgefährdung
Die E sind nicht erziehungsgeeignet. Wegen der beiderseitigen Defizite ist keine Kompensationsmöglichkeit gegeben. Insbesondere sind die E nicht in der Lage, die Kinder im Hinblick auf erhebliche Entwicklungsrückstände und Verhaltensauffälligkeiten eigenständig zu betreuen und zu fördern. Ein Verbleib in der Obhut der E setzt voraus, dass diesen umfangreiche Hilfeleistungen zur Verfügung gestellt werden müssen, um sie zu unterstützen. Hilfe von außen kann aber nur greifen, wenn die E dies akzeptieren und an dem Erwerb und der Verbesserung von Erziehungskompetenzen mitarbeiten.
Beim vorübergehenden Verbleib des S im Haushalt der E sind keinerlei Anhaltspunkte eingetreten, um die im Vorverfahren festgestellte nachhaltige Gefährdung der weiteren Entwicklung von den Kindern abzuwenden. Es ist ein Schaden eingetreten, weil der S an einer globalen Entwicklungs- und einer Sprachentwicklungsverzögerung leidet, woraus ein weit über das normale Maß hinausgehender psychosozialer Förderungsbedarf resultiert. Er leidet an einer frühen tiefgreifenden Bindungsstörung mit der Folge aggressiven und entgrenzten Verhaltens und benötigt eine Einzelbetreuung sowie ergotherapeutische Behandlung. Er weist verschiedene Stresssymptome auf, eine geringe Konzentrationsfähigkeit, fehlende Akzeptanz von Regeln und geringe Frustrationstoleranz. Beide E sind aufgrund ihrer Defizite nicht in der Lage, mit dieser Situation fertigzuwerden, erkennen die Bedürfnisse der Kinder nicht und verschlechtern daher die weitere Entwicklung erheblich.
Eine andere Möglichkeit als der Kindeswohlgefährdung durch Trennung von den E zu begegnen, ist nicht zu sehen. Alle Mittel sind ausgeschöpft. Dies zeigt, dass frühere Familienhilfeleistungen keinerlei Vorteile gebracht haben, da nicht gewährleistet ist, dass die E mitarbeiten.
Es muss auch nicht abgewartet werden, ob die E nach Herausnahme der T mit der Erziehung nur des S nicht mehr überfordert sein würden. Sie hatten fast zwei Monate Gelegenheit, sich allein um S zu kümmern, ohne dass sich eine Verbesserung gezeigt hätte. Vielmehr ist sogar eine zunehmende Vernachlässigung des S eingetreten.
Kein neues Sachverständigengutachten erforderlich
Für die getroffenen Feststellungen bedurfte es keines neuen Sachverständigengutachtens, weil aufgrund des im Vorverfahren eingeholten Gutachtens bereits feststeht, dass die E aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften nur mit starken Einschränkungen in der Lage sind, Kinder zu erziehen und hierzu unterstützende Hilfe benötigen.
Entziehung des Umgangsbestimmungsrechts war zulässig und geboten
Das Umgangsrecht ist selbstständiger Bestandteil der Personensorge. Es besteht unabhängig vom Aufenthaltsbestimmungsrecht eine Befugnis zur Umgangsbestimmung. Folge: Die Eltern bestimmen auch, mit wem das Kind Zuhause oder in einer von ihm besuchten Schule oder sonstigen Einrichtung Kontakt hat, ohne dass sie damit sogleich eine Bestimmung über den Aufenthalt des Kindes treffen.
Dass die elterliche Sorge die Befugnis zur Umgangsbestimmung enthält, wird zudem an § 1632 Abs. 2 BGB deutlich. Danach umfasst die Personensorge das Recht, den Umgang des Kindes auch mit Wirkung für und gegen Dritte zu bestimmen. Zwar fällt auch die Bestimmung des Umgangs mit den Eltern unter die Personensorge. Steht die Personensorge den Eltern zu, treffen sie die Umgangsbestimmung gemeinsam. Im Fall, dass die Eltern sich nicht einigen können, kann bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung nach § 1628 BGB die Entscheidung des Familiengerichts auf Antrag einem Elternteil übertragen werden. Steht die elterliche Sorge einem Elternteil allein zu, ist dieser auch befugt, den Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zu regeln. Der andere Elternteil hat nach § 1684 Abs. 1 BGB ein vom Sorgerecht unabhängiges Umgangsrecht, das insbesondere im Fall einer entsprechenden gerichtlichen Umgangsregelung das Sorgerecht des anderen Elternteils entsprechend einschränkt.
Daraus ist abzuleiten, dass die Befugnis, den Umgang zu bestimmen, als Teil der Personensorge nach §§ 1666, 1666a BGB den Eltern entzogen werden kann. Ob eine solche Maßnahme angezeigt ist, ist anhand der strengen Eingriffsvoraussetzungen der Sorgerechtsentziehung zu beurteilen. Es ist insbesondere zu beachten, ob die Maßnahme geeignet und erforderlich ist.
Vorrangig vor dem Entzug des Umgangsbestimmungsrechts sind folgende Maßnahmen:
- Als milderes Mittel ist je nach den Umständen des Falls eine von Amts wegen zu treffende Umgangsregelung nach § 1684 BGB zu erwägen.
- Ebenfalls ist ein Umgangsausschluss möglich, der aber eine Kindeswohlgefährdung voraussetzt und anders als Maßnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB nur befristet möglich ist.
- Vorrangig ist auch als milderes Mittel eine Umgangspflegschaft nach § 1684 Abs. 3 BGB.
Hier ist der Entzug des Umgangsbestimmungsrechts zu billigen, weil sonst die Gefahr besteht, dass die E sich über die vom AG getroffene Sorgerechtsregelung hinwegsetzen und einen uneingeschränkten Umgang mit S und T durchsetzen. Durch einen uneingeschränkten Umgang würde der S erneut in den von den Familienhelfern bereits beschriebenen Loyalitätskonflikt gestürzt, was seiner weiteren Persönlichkeitsentwicklung abträglich wäre. In welchem Umfang den E Umgang zu gewähren ist, ist im Umgangsverfahren zu klären.
Verbot der reformatio in peius gilt nicht
In Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB ist die Dispositonsmaxime unanwendbar. Der Rechtsmittelführer muss im Interesse des Kindeswohls auch hinnehmen, schlechtergestellt zu werden.
Relevanz für die Praxis
Der BGH hat das Verhältnis zwischen Aufenthalts- und Umgangsbestimmungsrecht klar definiert. Dazu werden folgende Auffassungen vertreten:
- Auf der Grundlage von § 1666 BGB kann das Umgangsbestimmungsrecht nicht entzogen werden, weil die elterliche Sorge keine entsprechende Befugnis umfasst. Zwar überschneiden sich Sorge- und Umgangsrecht. Das Sorgerecht ermächtigt aber nicht dazu, den Umgang mit den nicht betreuenden Elternteil näher zu bestimmen, auszugestalten oder zu verweigern.
- Für die Anordnung einer Umgangsbestimmungspflegschaft (§§ 1666, 1909 BGB) besteht nach Einführung der Umgangspflegschaft gem. § 1684 Abs. 3 BGB kein Raum mehr. Es ist nie erforderlich, diesen Teil des Sorgerechts zu entziehen, weil das Familiengericht das Umgangsrecht regeln muss.
- Das Umgangsbestimmungsrecht ist ein Teil des Aufenthaltsbestimmungsrechts.
- Das Umgangsbestimmungsrecht ist Teil der Personensorge, der von der Umgangspflegschaft zu trennen ist und ggf. gesondert entziehbar ist.
Der BGH folgt der letzten Ansicht: Das Umgangsbestimmungsrecht ist ein selbstständiger Teil der Personensorge und hat nichts mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht zu tun. Wird Letzteres wegen Kindeswohlgefährdung entzogen, müssen die Gerichte in die Entscheidung einbeziehen, ob das Umgangsbestimmungsrecht entzogen wird. Sonst könnten die Eltern den Umgang des Kindes mit sich selbst bestimmen. Dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen wurde, hat damit nichts zu tun. Wird ein Ergänzungspfleger wegen Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts eingesetzt, darf er nicht den Umgang mit den Eltern bestimmen. Das Gericht muss den Eltern das Umgangsbestimmungsrecht entziehen und gem. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Umgang gewähren, bei dem das Kindeswohl nicht gefährdet ist.
MERKE | Rechtswidrig ist die Praxis, die Umgangsregelung mit den Eltern, denen das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden ist, dem Ergänzungspfleger zu überlassen. Insbesondere geht es nicht an, das Umgangsbestimmungsrecht als Annex mit dem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Ergänzungspfleger zu übertragen. Dies ist nur mit einer gesonderten Begründung möglich, aus der sich ergeben muss, dass jedweder Umgang das Kindeswohl gefährdet. Folge: Die Gerichte müssen bei der Verhältnismäßigkeit entscheiden, in welchem Umfang der Umgang das Kindeswohl nicht gefährdet. In diesem Umfang muss es zwangsläufig festgelegt werden. Es geht ferner nicht an, dass Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Ergänzungspfleger zu übertragen. Dies ist nur möglich, wenn nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedweder Umgang das Kindeswohl gefährden würde. |