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  • · Fachbeitrag · Kindschaftssache

    § 1666 BGB: Zur Verfahrensfähigkeit eines mindestens 14 Jahre alten Kindes

    von RAin Dr. Gudrun Möller, FA Familienrecht, Münster

    | Der BGH hat den Streit entschieden, ob ein mindestens 14 Jahre altes Kind in einem Verfahren nach § 1666 BGB verfahrensfähig ist. |

     

    Sachverhalt

    Die 16 Jahre alte Antragstellerin A begehrt VKH für ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung. A war zu ihrem volljährigen Freund F gezogen und wurde daraufhin vom JA kurzzeitig in Obhut genommen. Rechtsanwalt R hat beim AG die Vertretung der A angezeigt und beantragt, dass das JA in Bezug auf die elterliche Sorge alle weiteren Maßnahmen (Inobhutnahme etc.) zu unterlassen habe. Zudem hat er VKH für A und seine Beiordnung beantragt. Die allein sorgeberechtigte Mutter M hat die Zustimmung zur Beauftragung des R verweigert. Das AG hat ein Verfahren nach § 1666 BGB eingeleitet, VKH abgelehnt und eine Rechtsanwältin zum Verfahrensbeistand für die A bestellt. Die sofortige Beschwerde sowie die Rechtsbeschwerde der A blieben erfolglos.

     

    • 1. In Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB ist ein Minderjähriger auch dann, wenn er mindestens 14 Jahre alt ist, nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG verfahrensfähig.
    • 2. Für solche Verfahren kann auch dem mindestens 14 Jahre alten Minderjährigen VKH nicht auf eigenen Antrag bewilligt werden, weil er mangels Verfahrensfähigkeit keinen wirksamen VKH-Antrag stellen kann.
     

    Entscheidungsgründe

    Die A ist für das Verfahren nach § 1666 BGB nicht verfahrensfähig, § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG. Sie kann daher nur durch M als ihre gesetzliche Vertreterin VKH beantragen, § 76 Abs. 1 FamFG, § 117 ZPO, sodass ihr VKH mangels wirksamen Antrags zu versagen ist. Das AG hat dem Antrag die Anregung entnommen, familiengerichtliche Maßnahmen wegen Kindeswohlgefährdung zu prüfen. Die M lehnt einen Umgang der A mit F ab. Fraglich war u. a., ob die M die Rechte aus § 1632 Abs. 1 und 2 BGB auf Kindesherausgabe und Umgangsbestimmung in einer das Kindeswohl gefährdenden Weise geltend macht bzw. dies unterlässt. Auch war ein gegen den F gerichtetes Kontaktverbot zu prüfen. Für das Verfahren mit diesem Gegenstand ist die A nicht verfahrensfähig i. S. d. § 9 FamFG.

     

    In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entspricht die Verfahrensfähigkeit grundsätzlich der Geschäftsfähigkeit nach dem bürgerlichen Recht, § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 FamFG. Von Sonderbestimmungen wie § 167 Abs. 3, § 275, § 316 FamFG abgesehen (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) gesteht § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG ausnahmsweise auch den nach bürgerlichem Recht beschränkt Geschäftsfähigen die Verfahrensfähigkeit zu. Voraussetzung dafür ist, dass diese das 14. Lebensjahr vollendet haben und sie in einem Verfahren, das ihre Person betrifft, ein ihnen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend machen (BGHZ 191, 48 = FamRZ 11, 1788 Rn. 8). Der Begriff der Verfahrensfähigkeit ist enger als der Begriff Beteiligtenfähigkeit, der gem. § 8 Nr. 1 FamFG allen natürlichen Personen zukommt. Verfahrensfähig kann nur sein, wer auch beteiligtenfähig ist (BT-Drucksache 16/6308, 180). Folge: Der 14-Jährige kann selbst einen Anwalt beauftragen und insoweit auch VKH beantragen, §§ 76 ff. FamFG (BGH 30.10.13, XII ZB 317/13, FamRZ 14, 110 Rn. 7 ff. zu § 275 FamFG).

     

    Ob § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG dem mindestens 14 Jahre alten Minderjährigen für ein Verfahren nach § 1666 BGB die Verfahrensfähigkeit zubilligt, ist umstritten:

     

    • Z. T. wird der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG weit ausgelegt und dahin verstanden, dass alle Kindschaftssachen i. S. d. § 151 FamFG (OLG Braunschweig InfAuslR 16, 367, 368; Schulte-Bunert/Weinreich/Schöpflin FamFG, 6. Aufl., § 9 Rn. 7) und auch Abstammungs- und Adoptionssachen (Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 9 FamFG Rn. 4; a. A. speziell zu Abstammungssachen DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 10, 20, 21) erfasst sein sollen.

     

    • Jedenfalls wenn das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung nach § 1631 Abs. 2 BGB Ausgangspunkt des Verfahrens gem. § 1666 BGB sei, sei der Minderjährige verfahrensfähig (OLG Hamburg FamRZ 18, 105; 843, 844). Es gehe im Zusammenhang mit § 1666 BGB um die Kindesrechte aus § 1626 Abs. 1, § 1631 Abs. 1 BGB, was das Eingreifen von § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG bedinge (OLG Schleswig FamRZ 19, 1700, 1701 f.), sodass die Vorschrift Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung erfasse (OLG Brandenburg FamRZ 14, 1649, 1650).

     

    • Nach der wohl überwiegenden Ansicht gilt: Der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG ist seinem Wortlaut nach beschränkt auf diejenigen Verfahren, die die Person des mindestens 14 Jahre alten Minderjährigen betreffen, in denen dieser ein ihm nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend macht (vgl. u. a. Hammer, FamRZ 19, 708; Keidel/Sternal, FamFG, FamFG 20. Aufl., § 9 Rn. 12). Verfahren nach § 1666 BGB unterfielen hingegen nicht § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG, weil sie kein dem Minderjährigen zustehendes konkretes subjektives Recht beträfen (vgl. etwa OLG München FamRZ 19, 1706, 1707).

     

    Die zuletzt genannte Ansicht ist zutreffend. § 1666 BGB beinhaltet keinen bürgerlich-rechtlichen Anspruch des Kindes i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG. Es ist vielmehr eine Eingriffsbefugnis aufgrund des dem Staat durch Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG auferlegten Wächteramts. Ein „einklagbares“ Recht des Kindes darauf, dass das Familiengericht Maßnahmen nach § 1666 BGB trifft, besteht nicht. Vielmehr folgt ein solcher Anspruch des Kindes gegen den Staat aus Art. 2 Abs. 1 und 2 S. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG (BVerfG FamRZ 08, 845 Rn. 72 f.; 17, 524 Rn. 38 ff.).

     

    § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG wurde erst auf Empfehlung des Rechtsausschusses eingefügt (BT-Drucksache 16/9733, 26, 288). Der Gesetzgeber hatte bei § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG also keinen umfassenden Rechtsbegriff vor Augen. Es ging um den Gleichlauf zwischen bürgerlich-rechtlichen Ansprüchen und Rechtspositionen sowie deren verfahrensrechtlicher Geltendmachung auch ohne gesetzliche Vertretung (Köhler, ZKJ 18, 50, 51 f.).

     

    Im Unterschied zur Beteiligtenfähigkeit ist die Verfahrensfähigkeit gem. § 9 Abs. 1 FamFG grundsätzlich an die Geschäftsfähigkeit nach bürgerlichem Recht geknüpft. Daher müssen Minderjährige dem Grundsatz nach wegen fehlender Geschäftsfähigkeit von den nach bürgerlichem Recht dazu befugten Personen vertreten werden, § 9 Abs. 2 FamFG. § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG stellt eine Ausnahme davon dar (Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl., § 9 Rn. 13). Das spricht dafür, die Vorschrift eher eng auszulegen (Heiter, FamRZ 09, 85, 86). Sähe man dies anders, würde dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis für die Gruppe der mindestens 14 Jahre alten Minderjährigen umgekehrt.

     

    Mangels Verfahrensfähigkeit der A liegt kein wirksamer VKH-Antrag i. S. v. § 76 Abs. 1 FamFG, § 117 ZPO vor (OLG Karlsruhe FamRZ 15, 1312). Denn die Antragstellung ist ein zwingendes Erfordernis, um ein VKH-Verfahren einzuleiten. Es ist ein Verfahrensantrag i. S. d. § 23 FamFG, für dessen Wirksamkeit die allgemeinen Verfahrenshandlungsvoraussetzungen gegeben sein müssen. Dazu zählt die Verfahrensfähigkeit des Antragstellers.

     

    Relevanz für die Praxis

    § 1666 BGB ermöglicht es, ein Verfahren anzuregen. Das Gericht entscheidet von Amts wegen darüber, § 24 FamFG. Daraus ergibt sich aber noch kein subjektives Recht i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG. Die Interessen der beteiligten Minderjährigen werden in diesen Verfahren über die Kindesanhörung nach § 159 Abs. 1 S. 1 FamFG und die Bestellung eines Verfahrensbeistands (§ 158 Abs. 1 FamFG [„Anwalt des Kindes“]) wahrgenommen.

     

    Hier war das primäre Begehren der A, dem JA Maßnahmen der Jugendhilfe wie etwa eine Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII zu untersagen, einer familiengerichtlichen Klärung nicht zugänglich. Vielmehr wäre insoweit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (vgl. BeckOGK/C. Schmidt [Stand: 1.4.21] SGB VIII § 42 Rn. 176 ff., 189; BeckOK SozR/Winkler [Stand: 1.3.21] SGB VIII § 42 Rn.  2 f.; vgl. auch OLG Bamberg FamRZ 99, 663, 664).

     

    Nach wohl überwiegender Ansicht erfasst § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG folgende, dem mindestens 14 Jahre alten Minderjährigen nach bürgerlichem Recht zustehende Rechte: das Widerspruchsrecht nach § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB, die Einwilligung zur Annahme als Kind gem. § 1746 Abs. 1 BGB, das Umgangsrecht nach § 1684 Abs. 1 BGB (OLG Koblenz FamRZ 19, 706, 707) und § 1685 Abs. 1 BGB (KG FamRZ 17, 899 f.) sowie das Widerspruchsrecht bei der Auswahl des Vormunds gem. § 1778 Abs. 1 Nr. 5 BGB (Schreiber in: Kemper/Schreiber Familienverfahrensrecht, 3. Aufl., § 9 Rn. 11) oder das Antragsrecht im Rahmen des Austauschs eines Vormunds nach § 1887 Abs. 2 S. 2 BGB (OLG Bremen FamRZ 17, 1701).

     

    MERKE | Der BGH weist noch auf Folgendes hin: Gem. § 60 FamFG steht dem mindestens 14-jährigen Minderjährigen in allen seine Person betreffenden Angelegenheiten und damit auch in Verfahren nach § 1666 BGB das Beschwerderecht zu (sofern man dies mit der überwiegenden Meinung bejaht, vgl. Keidel/Meyer-Holz, a.a.O., § 60 Rn. 1; teilweise a.A. OLG Düsseldorf FamRZ 11, 1081, 1082 f.). Insoweit fallen die Verfahrensfähigkeit für erstinstanzliche Verfahren (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG) und für Beschwerdeverfahren auseinander. Das hat der Gesetzgeber aber bewusst hingenommen.

     
    Quelle: Ausgabe 11 / 2021 | Seite 185 | ID 47571193