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  • · Nachricht · Prozessrecht

    Ablehnung eines Beratungshilfeantrags: förmliche Entscheidung erforderlich

    | Wird einem Antrag auf anwaltliche Beratung nach dem Beratungshilfegesetz nicht in vollem Umfang entsprochen, muss hierüber grundsätzlich förmlich entschieden werden. Dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Art. 20 Abs. 3 GG genügt es nicht, wenn das AG den Beratungshilfeantrag nach Erteilung mündlicher Hinweise durch den Rechtspfleger als erledigt erachtet, obwohl ausdrücklich eine anwaltliche Beratung gewünscht war. Zudem überdehnt die Verweisung auf die Beratungsstelle der Behörde, gegen die Widerspruch eingelegt werden soll, den Begriff der „Zumutbarkeit“ vorrangiger anderer Hilfsmöglichkeiten ( BVerfG 29.4.15, 1 BvR 1849/11 ). |

     

    Die Beschwerdeführerin (BF) beantragte beim AG einen Berechtigungsschein für eine anwaltliche Beratung nach dem Beratungshilfegesetz. Ihr Antrag auf Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung war abgelehnt worden. Hiergegen wollte sie Widerspruch einlegen. Der Rechtspfleger beim AG wies sie mündlich darauf hin, dass sie Widerspruch bei der Rentenversicherung einlegen oder sich an die Auskunfts- und Beratungsstelle der Rentenversicherung wenden könne. Er stellte weder einen Berechtigungsschein aus noch beschied er den Antrag förmlich. Die BF legte hiergegen „Erinnerung, hilfsweise Beschwerde“ beim AG ein, mit der sie konkret darlegte, aus welchen Gründen sie Widerspruch erheben wolle und aufgrund welcher Erkrankungen sie nicht in der Lage sei, das Widerspruchsverfahren ohne anwaltlichen Beistand zu betreiben. Die Richterin beim AG wies die Erinnerung mit Beschluss zurück.

     

    Der Beschluss des AG verstößt gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit. Die Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Sie überschreiten ihren Entscheidungsspielraum erst, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder -verteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Dabei müssen Unbemittelte nur solchen Bemittelten gleichgestellt werden, die bei ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigen und vernünftig abwägen und insbesondere prüfen, inwieweit sie fremde Hilfe zur effektiven Ausübung ihrer Verfahrensrechte brauchen oder diese selbst geltend machen können. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt der angegriffene Beschluss des AG nicht. Das AG hätte den beantragten Berechtigungsschein erteilen müssen. Das AG durfte nicht davon ausgehen, dass sich das Beratungshilfebegehren aufgrund der Hinweise des Rechtspflegers erledigt hat. Die BF hatte ausdrücklich einen Beratungshilfeschein für die Konsultation eines Anwalts beantragt. Zudem wird der Verweis auf Selbsthilfe dem Anspruch der BF auf Rechtsschutzgleichheit nicht gerecht. Aufgrund des mit der Erinnerung von der BF vorgetragenen Sachverhalts war hinreichend deutlich, dass das von ihr beabsichtigte Widerspruchsverfahren tatsächliche und rechtliche Fragen aufwirft, für deren Klärung auch ein kostenbewusster solventer Rechtsuchender einen Anwalt in Anspruch nähme, anstatt selbst Widerspruch zu erheben. Auch soweit das AG es für zumutbar erachtet hat, die Beratungsstelle des Rentenversicherungsträgers in Anspruch zu nehmen, wird die Rechtsschutzgleichheit der BF verletzt. Da sich der Beratungshilfeantrag nicht durch die Hinweise erledigt hat, hätte der Rechtspfleger über ihn entscheiden müssen. Die hiervon abweichende Vorgehensweise des Rechtspflegers erschwert ohne erkennbaren Sachgrund den Zugang der BF zur Rechtsberatung für das von ihr beabsichtigte Widerspruchsverfahren. Sie erschwert auch generell die Durchsetzung des Anspruchs auf Beratungshilfe, weil ein vor Bewilligung von Beratungshilfe i.d.R. noch nicht anwaltlich vertretener Antragsteller mangels eines mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Beschlusses nicht ohne Weiteres weiß, dass und wie er gegen die Versagung der Beratungshilfe vorgehen kann.

     

    Quelle: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 38/2015 vom 3.6.15

    Quelle: ID 43437318