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  • · Fachbeitrag · Zwangsehe

    Aufhebungsgrund: Das sind die Rechtsfolgen, wenn ein solcher nur bei einem Ehegatten bejaht wird

    von RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, BGM Anwaltssozietät, Münster

    | Die Feststellungen im Eheaufhebungsbeschluss, dass zugunsten des einen Ehegatten der Aufhebungsgrund der Zwangsehe (§ 1314 Abs.  2 Nr. 4 BGB) besteht, für den anderen, der auch die Aufhebung der Ehe beantragt, ein solcher nach Nr. 3 (arglistige Täuschung) aber nicht gegeben ist, begründen für Letzteren eine jeweils selbstständige Beschwer, § 59 Abs. 1 FamFG. Diese kann er ‒ so der BGH ‒ mit der Beschwerde unabhängig davon geltend machen, dass er selbst beantragt hat, die Ehe aufzuheben. |

     

    Sachverhalt

    F und M wollten ihre Ehe aufheben lassen ‒ sie wegen Zwangsheirat, er wegen arglistiger Täuschung. Das AG nahm nur eine Zwangsehe an. Das OLG verwarf die Beschwerde des M mangels Beschwer als unzulässig. Der Aufhebungsgrund sei im Ergebnis unbedeutend. Seine Rechtsbeschwerde führte zur Aufhebung und Zurückverweisung (BGH 31.5.23, XII ZB 274/21, Abruf-Nr. 237081).

     

    Entscheidungsgründe

    Die Feststellungen des AG, dass zugunsten der F der Aufhebungsgrund nach § 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB (Zwangsehe) besteht, ein solcher für den M nach Abs. 2 Nr. 3 (arglistige Täuschung) aber nicht, begründen für den M eine jeweils selbstständige Beschwer i. S. v. § 59 Abs. 1 FamFG. Denn er ist (jedenfalls) aufgrund der für ihn nachteiligen Rechtsfolgen, die gem. § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB im Fall der Eheaufhebung nach § 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB (Zwangsehe) eintreten, unmittelbar in seinen Rechten betroffen (BGHZ 133, 227 zu § 37 Abs. 2 EheG). Gleiches gilt, soweit dem M die für ihn günstigen Rechtsfolgen des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB vorenthalten werden, die eintreten würden, sofern die Ehe nach § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB (arglistige Täuschung) aufgehoben wird.

     

    Nach § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB sind in dem Fall, dass eine Ehe nach § 1314 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 BGB aufgehoben wird, die Vorschriften über den nachehelichen Unterhalt (§§ 1569 bis 1586b BGB) entsprechend anwendbar, aber nur zugunsten desjenigen Ehegatten, der von dem anderen oder mit dessen Wissen getäuscht oder bedroht worden ist. Im Übrigen besteht in diesem Fall kein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt (§ 1318 Abs. 1 BGB; Staudinger/Voppel, BGB, [2018], § 1318 Rn. 13, 27). Danach scheidet für M ein nachehelicher Unterhaltsanspruch mangels Aufhebungsgrundes nach § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB aus. Für die F kommt aber ein solcher in Betracht.

     

    Der M könnte in einem nachehelichen Unterhaltsverfahren diese Rechtsfolgen auch nicht dadurch abwenden, dass er sich darauf beruft, dass die Feststellungen zu den Eheaufhebungsgründen unrichtig sind. Ein nachehelicher Unterhaltsanspruch setzt hier neben einem Unterhaltstatbestand nach §§ 1569 ff. BGB voraus, dass zugunsten des Ehegatten, der von dem anderen Unterhalt begehrt, ein (Gestaltungs-)Recht zur Eheaufhebung nach § 1314 Abs. 2 Nr. 3 bzw. 4 BGB bestanden hat, § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB. Diese Frage ist vom Streitgegenstand des vorliegenden Eheaufhebungsverfahrens umfasst (Staudinger/Voppel, BGB, [2018], Vorbem. §§ 1313 ff. Rn. 35; a. A. wohl Erman/Roth, BGB, 16./17. Aufl., § 1313 Rn. 3) und wäre daher von dem Gericht, das über den nachehelichen Unterhalt entscheiden muss, nicht erneut zu prüfen (Soergel/Heintzmann, BGB, 13. Aufl., § 1317 Rn. 27 und § 1318 Rn. 5).

     

    Zwar nehmen die Feststellungen, dass die F durch Drohung dazu bestimmt worden ist, die Ehe einzugehen, und sie den M nicht arglistig getäuscht hat, die Ehe einzugehen, nicht an der Rechtskraft des Eheaufhebungsbeschlusses teil. Sie könnten von M im Rahmen des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB aber nicht mit der Zielrichtung in Abrede gestellt werden, ein Fall des § 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB zugunsten der F habe nicht bzw. ein Fall des § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB habe zu seinen Gunsten vorgelegen. Denn damit würde der M das kontradiktorische Gegenteil des im Eheaufhebungsbeschluss rechtskräftig Festgestellten ‒ das (Nicht-)Vorliegen eines solchen Rechts, die Ehe aufzuheben ‒ behaupten (BGH 23.2.18, V ZR 101/16, NJW 18, 2550 Rn. 34).

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung ist bedeutsam, weil sie zeigt, dass die Rechtsordnung im Fall der Eheaufhebung anders als im Fall einer Scheidung unterschiedliche Folgen daran anknüpft, ob die Aufhebung der Ehe auf Antrag der Antragstellerin oder des Antragsgegners ausgesprochen wird, § 1316 Abs. 1 Nr. 2 BGB.

     

    Mit Rechtskraft eines stattgebenden Gestaltungsurteils tritt die Gestaltungswirkung ein; die Feststellung erwächst in materielle Rechtskraft, dass das Gestaltungsrecht im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestand und die Gestaltungswirkung daher zu Recht eingetreten ist (BGH 16.2.18, V ZR 148/17, NJW-RR 18, 522 Rn. 13). Eine Entscheidung nach § 1313 BGB, mit der eine Ehe aufgehoben wird, stellt eine solche der materiellen Rechtskraft fähige Gestaltungsentscheidung dar (Staudinger/Voppel, a. a. O., § 1313 Rn. 28 f.).

     

    Wird eine Gestaltungsklage abgewiesen, wird im Rahmen des Streitgegenstands festgestellt, dass der Gestaltungsgrund zur Zeit der letzten Tatsachenverhandlung nicht vorgelegen hat (MüKo/Gottwald, ZPO, 6. Aufl., § 322 Rn. 190). Ein Beschluss, mit dem ein Eheaufhebungsantrag abgewiesen wird, stellt also fest, dass der Eheaufhebungsgrund nicht bestanden hat (jurisPK-BGB/Schiefer [Stand: 15. 11.22] § 1313 Rn. 23).

     

    MERKE | Die im Vorprozess festgestellten Tatsachen als solche erwachsen zwar nicht in Rechtskraft. Die Rechtskraft einer Entscheidung über den erhobenen Anspruch darf aber nicht mit dem Vorbringen ausgehöhlt werden, das rechtskräftige Urteil gründe sich auf unrichtige Tatsachen. Muss ein Gericht den Streitgegenstand eines rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses erneut prüfen, muss es deshalb den Inhalt dieser Entscheidung zugrunde legen. Mit Vortrag zu Tatsachen, die im maßgeblichen Zeitpunkt des Vorprozesses schon vorhanden waren und darauf gerichtet sind, das kontradiktorische Gegenteil der im Vorprozess festgestellten Rechtsfrage auszusprechen, sind die Parteien insoweit ausgeschlossen, als sie bei natürlicher Anschauung zu dem im Vorprozess vorgetragenen Lebensvorgang gehören (BGH 23.2.18, V ZR 101/16, NJW 18, 2550 Rn. 32).

     
    Quelle: Ausgabe 11 / 2023 | Seite 185 | ID 49680014