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  • · Fachbeitrag · Erbausschlagung

    § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB ist bei einer lenkenden Ausschlagung nicht teleologisch zu reduzieren

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    | Der BGH hat entschieden: Bei einer lenkenden Ausschlagung, ist § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB nicht teleologisch zu reduzieren, was zur Folge hätte, dass eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich wäre, wenn ein als gewillkürter Erbe berufener Elternteil für sich im eigenen Namen und als vertretungsberechtigter Elternteil für das als Ersatzerbe eingesetzte Kind die gewillkürte Erbschaft bei werthaltigem Nachlass ausschlägt, um die gesetzliche Erbfolge zu ermöglichen und das gesetzliche Erbe für sich anzunehmen, sein Kind aber nicht erbt. |

    Sachverhalt

    Der Beteiligte zu 1 ist Witwer (W) der Erblasserin (E), die Beklagten zu 2 und 3 (K1 und K2) sind die gemeinsamen Kinder. Der Beteiligte zu 4 (EK) ist ein während des Verfahrens geborenes Kind von K2. W und E hatten sich in einem notariellen Erbvertrag gegenseitig als Erben eingesetzt und die Kinder zu gleichen Teilen als Schlusserben, ersatzweise deren Abkömmlinge. Um die erbschaftsteuerlichen Freibeträge auszunutzen, schlugen W, K1 und K2 die Erbschaft aus dem Berufungsgrund der gewillkürten Erbenstellung aus. W beantragte ein Europäisches Nachlasszeugnis gem. der gesetzlichen Erbfolge. K2 schlug mit seiner Frau auch die Erbschaft für den damals noch ungeborenen EK aus. Das AG genehmigte diese Ausschlagung für EK nicht. Die Beschwerde des W dagegen blieb erfolglos. Seine Rechtsbeschwerde ist dagegen erfolgreich.

     

    Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB a. F., § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB n. F. kommt für den Fall, dass ein als gewillkürter Erbe berufener Elternteil für sich im eigenen Namen und als vertretungsberechtigter Elternteil für das als Ersatzerbe eingesetzte Kind die gewillkürte Erbschaft bei werthaltigem Nachlass ausschlägt, um die gesetzliche Erbfolge zu ermöglichen und das gesetzliche Erbe für sich anzunehmen (sog. lenkende Ausschlagung), nicht in Betracht (Abruf-Nr. 244075).

     

    Entscheidungsgründe

    Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, § 44 IntErbRVG, und begründet. W, K1 und K2 sind nicht gesetzliche Erben nach der E geworden. Dem Antrag des W, ein Europäisches Nachlasszeugnis auszustellen, ist stattzugeben.

     

    Wirksame Ausschlagung der gewillkürten Erbeinsetzung durch W, K1 und K2

    W, K1 und K2 haben ihr Erbe aus dem Berufungsgrund der gewillkürten Erbeinsetzung wirksam ausgeschlagen.

     

    Ursprünglich war W aufgrund des notariellen Erbvertrags (§ 1941 BGB) Alleinerbe. Durch die form- und fristgerechte Ausschlagung (§ 1944 Abs. 1, § 1945 Abs. 1 BGB) hat er seine Stellung als gewillkürter Erbe rückwirkend verloren, § 1953 Abs. 1 BGB. K1 und K2 waren die Nächstberufenen, § 1953 Abs. 2 BGB. Auch sie haben wirksam die Erbschaft aus dem Berufungsgrund der gewillkürten Erbeinsetzung ausgeschlagen, §§ 1941 Abs. 1, 1945 BGB.

     

    Es ist möglich, die Ausschlagung auf den Berufungsgrund der gewillkürten Erbeinsetzung zu beschränken und die Erbschaft als gesetzliche Erben anzunehmen. Dies ist keine unzulässige Bedingung i. S. v. § 1947 BGB. Denn § 1948 Abs. 1 BGB gibt genau diese Möglichkeit. Sie haben gerade keinen von ihrem Belieben abhängenden Schwebezustand geschaffen.

     

    Ebenfalls wirksame Ausschlagung der gewillkürten Erbeinsetzung durch EK

    Dem Eintritt der gesetzlichen Erbfolge steht nicht entgegen, dass das Erbe aufgrund der wirksamen Ausschlagungen aus dem Berufungsgrund der gewillkürten Erbeinsetzung durch W, K1 und K2 dem EK angesichts eines ihm erbvertraglich zugewendeten Ersatzerbrechts (§ 2096 BGB) angefallen ist. Auch der EK hat wirksam das Erbe ausgeschlagen.

     

    Keine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich

    Die Eltern des EK brauchten für die Ausschlagung gem. § 1643 Abs. 2 S. 1, § 1822 Nr. 2 BGB a. F. (jetzt § 1643 Abs. 1, § 1851 Nr. 1 BGB) grundsätzlich die Genehmigung des Familiengerichts. § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB a. F. (jetzt § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB) regelt abweichend hiervon, dass die Erbschaft dem Kind erst infolge der Ausschlagung seines sorgeberechtigten Elternteils anfällt und dieser nicht neben dem Kind berufen war. Das gilt auch für ein zum Ausschlagungszeitpunkt noch ungeborenes Kind (§ 1912 Abs. 2 BGB a. F., jetzt § 1810 BGB), wie hier für EK. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung von der Genehmigungspflicht sind dem Wortlaut nach erfüllt, da EK erst durch die Ausschlagung des K2 als Ersatzerbe berufen war. K2 war nicht neben EK berufen.

     

    Keine teleologische Reduktion

    § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB a. F. (jetzt § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB) ist nicht teleologisch zu reduzieren für den Fall, dass ‒ wie hier ‒ ein als gewillkürter Erbe berufener Elternteil für sich im eigenen Namen ‒ beschränkt auf diesen Berufungsgrund gem. § 1948 Abs. 1 BGB ‒ und als vertretungsberechtigter Elternteil für das als Ersatzerbe eingesetzte Kind die gewillkürte Erbschaft bei werthaltigem Nachlass ausschlägt, um die gesetzliche Erbfolge zu ermöglichen, bei dem er selbst, nicht jedoch sein Kind ‒ hier EK ‒ als Erbe zum Zuge kommt, und um das gesetzliche Erbe für sich anzunehmen (sog. lenkende Ausschlagung).

     

    Gegen eine teleologische Reduktion spricht schon, dass eine verdeckte Regelungslücke i. S. e. planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes nicht festgestellt werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber übersehen hätte, eine Regelung für den Fall der „lenkenden“ Ausschlagung eines werthaltigen Nachlasses zu treffen, liegen nicht vor. Vielmehr belegt die Entstehungsgeschichte, dass sich der Gesetzgeber bewusst gegen ein Genehmigungserfordernis in Fällen der hier in Rede stehenden Art entschieden hat. Der historische Gesetzgeber hielt einen Interessenkonflikt nur für möglich, wenn der vertretungsberechtigte Elternteil und das minderjährige Kind als Miterben auf einer Ebene stehen, nicht aber für den ‒ auch hier in Rede stehenden ‒ Fall, in dem zunächst der Elternteil die ihm zugefallene Erbschaft auf den Berufungsgrund der gewillkürten Erbfolge beschränkt ausschlägt und anschließend als gesetzlicher Vertreter seines als Ersatzerbe berufenen minderjährigen Kindes für dieses die Erbschaft ausschlägt. Bei der Anpassung des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB a. F. 1979 hat der Gesetzgeber ein Genehmigungserfordernis ausdrücklich mit Begründung abgelehnt (BT-Drucks. 8/2788 S. 57 rechte Spalte). Die Reform mit Wirkung zum 1.1.23 hat § 1643 Abs. 2 S. 2 a. F. inhaltlich unverändert in § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB übernommen. Es wurde im Gesetzgebungsverfahren das Problem der lenkenden Ausschlagung erörtert, was einer planwidrigen Unvollständigkeit entgegensteht.

     

    Gesetzgeberische Motive

    Die Genehmigungsfreiheit im Fall der „lenkenden“ Ausschlagung entspricht den gesetzgeberischen Motiven, um die Genehmigungsfreiheit in § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB a. F. (jetzt § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB) einzuführen. Die Norm sollte die Gerichte entlasten und verhindern, dass diese, um sich der Prüfung des Nachlassbestands und der damit verbundenen Verantwortung zu entziehen, im Zweifel die Genehmigung versagen. Dass die Ausschlagung für einen Minderjährigen nicht in seinem Interesse liegen könnte, wurde nicht berücksichtigt.

     

    Sinn und Zweck der Norm

    Auch Sinn und Zweck des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB a. F. (jetzt § 1643 Abs. 3 S. 1 BGB) erfordern es nicht, ihren Anwendungsbereich im Fall der „lenkenden“ Ausschlagung zu beschränken. Ein möglicher Interessenkonflikt zwischen dem ausschlagenden Elternteil und dem Kind rechtfertigt die Annahme eines Genehmigungserfordernisses nicht, auch wenn die gesetzliche Regelung grundsätzlich davon ausgeht, dass ein solcher nicht besteht. Möglich ist, dass Eltern aus eigennützigen Gründen im Rahmen einer wirtschaftlich bedeutenden Angelegenheit gegenüber ihren Kindern pflicht- und treuwidrig handeln könnten. Gegen die Annahme einer familiengerichtlichen Genehmigung in diesen Fällen sprechen aber Gründe der Rechtssicherheit und -klarheit, ein fehlendes über die bestehenden Regelungen hinausgehendes Schutzbedürfnis des Minderjährigen und der Wille der Erbvertragsparteien.

     

    Der Kreis der nach §§ 1848 ff. BGB (§§ 1821,1822 BGB ff. a. F.) genehmigungsbedürftigen Geschäfte ist aus Gründen der Rechtssicherheit formal zu bestimmen. Eine einzelfallbezogene Erweiterung von genehmigungsbedürftigen Geschäften allein wegen des Inhalts des Rechtsgeschäfts oder der ihm zugrunde liegenden Interessenbewertung ist ausgeschlossen. Der Ausweitung des Kreises der genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäfte steht auch das berechtigte Interesse des Rechtsverkehrs an einer raschen und rechtssicheren Feststellung der Erben entgegen. Dafür spricht auch § 1643 Abs. 3 S. 2 BGB n. F. Hiernach ist eine Vereinbarung, mit der das Kind aus der Erbengemeinschaft ausscheidet, genehmigungsfrei, unabhängig von der Vereinbarung einer Gegenleistung. Diese Regelung bezieht sich nicht nur auf Nachlässe, an denen ein Minderjähriger neben seinen Eltern oder einem Elternteil beteiligt ist. Sie verdeutlicht, dass der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, dass die Entscheidung, ob ein Kind etwas von einer Erbschaft erhält bzw. erhalten darf, ohne Kontrolle durch das Familiengericht den Eltern im Rahmen ihres Rechts der elterlichen Sorge zu überlassen ist.

     

    Ein Kind ist über die in § 1629 Abs. 1 S. 2 BGB geregelte Gesamtvertretung durch beide Eltern geschützt. Die Mutter des EK, die weder gewillkürte Erbin geworden ist noch gesetzliche Erbin wird, musste an der Ausschlagung mitwirken.

     

    Hier ist zudem zu berücksichtigen, dass der EK zunächst keine gesicherte Rechtsposition hatte. Als Ersatzerbe stand ihm kein Erbanwartschaftsrecht zu. Er ist nur Erbe geworden, weil sein Vater, K2, sowie seine Tante und sein Großvater, K1 und W, zuvor für sich einen allein ihnen zustehenden Erbteil ausgeschlagen haben. Der K2 hätte den Erbteil annehmen und über diesen anderweitig frei verfügen können ohne EK zu bedenken, § 2033 Abs. 1 BGB.

     

    Wenn die Eltern des EK frei über die Ausschlagung eines diesem zustehenden gewillkürten Erbes entscheiden konnten, wird der Wille der Erbvertragsparteien gewahrt, dass der Nachlass zunächst an den überlebenden Ehegatten und dann an ihre gemeinsamen Kinder gehen soll. Denn der wirtschaftliche Gehalt der Erbschaft kommt ‒ wegen der nicht eintretenden Steuerbelastung möglicherweise sogar verbessert ‒ nicht einer anderen, nicht im Erbvertrag genannten Person, zugute, sondern aufgrund des Eintritts der gesetzlichen Erbfolge mit unterschiedlichen Anteilen W, K1 und K2 als im Erbvertrag bedachten Allein- und Schlusserben. Es entspricht dem Willen der Erbvertragsparteien, den gesamten Nachlasswert innerhalb der Familie weiterzugeben, wie sie zum Zeitpunkt des Erbvertragsschlusses bestand. Wenn die Eltern des EK sich mit den hier weiteren Beteiligten darum bemühen, einen Weg zu finden, der im Ergebnis dem Willen der E Rechnung trägt, aber die (wirtschaftlichen) Nachteile der Umsetzung des Erbvertrags vermeidet, vermag auch ein möglicher Gegensatz der Interessen des EK und seines Vaters ein entgegen der Norm anzunehmendes Genehmigungserfordernis nicht zu begründen.

    Relevanz für die Praxis

    Durch diese Entscheidung hat der BGH die obergerichtlich streitige Frage, ob § 1643 Abs. 2 S. 2 a. F. BGB (§ 1643 Abs. 3 S. 1 BGB) bei einer lenkenden Ausschlagung teleologisch zu reduzieren ist (dafür etwa OLG Frankfurt ZEV 11, 597, juris Rn. 25; dagegen etwa OLG Hamm ZEV 18, 645 Rn. 24 ff.), i. S. d. zweiten Ansicht entschieden. Ein Interessenkonflikt im Einzelfall kann ggf. nach den Grundsätzen des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) zu lösen sein.

     

    Eine Ausschlagung dergestalt, dass sie nur i. S. e. Bedingung wirksam sein soll, wenn bestimmte (rechtliche) Erwartungen eintreten, verstößt gegen § 1947 BGB. Ziel einer lenkenden Ausschlagung ist es, einen anderen in die Erbenstellung zu bringen. Ihre rechtlichen Folgen bei einer Ausschlagung des gewillkürten Erbrechts sind mithin genau zu prüfen. Es ist ‒ worauf der Notar gem. § 17 BeurkG achten muss ‒ eine nicht bedingte Ausschlagungserklärung abzugeben. Ein vergleichbares Ergebnis ist i. d. R. auch über eine Erbteilsübertragung oder eine Schenkung von Gegenständen aus der Erbschaft zu erreichen. Die Ausschlagung ist aber regelmäßig eine einfachere und kostengünstigere Alternative, die zudem zu einem ‒ hier gewünschten ‒ Ausnutzen der jeweiligen steuerlichen Freibeträge führt.

    Quelle: Ausgabe 12 / 2024 | Seite 203 | ID 50220655