· Fachbeitrag · Gewaltschutz
Gemeinsamer Haushalt ist Voraussetzung für eine Wohnungszuweisung
von RiOLG Dr. Andreas Möller
| Häufig kommt es ‒ insbesondere in Trennungssituationen ‒ zu körperlichen Übergriffen eines (Ex-)Partners gegen den anderen. Gem. 2 GewSchG kommt ein Verlangen auf Überlassung der gemeinsamen Wohnung in Betracht. Voraussetzung ist aber „eine gemeinsame Wohnung“, was das OLG Frankfurt in einer aktuellen Entscheidung herausgearbeitet hat. |
Sachverhalt
Die nicht verheirateten M und F haben vier gemeinsame Kinder (20, 16, 12, und 7 Jahre). Seit Mai 23 lebten sie zunächst innerhalb der gemeinsamen Wohnung voneinander getrennt. Im August 23 zog F gemeinsam mit den beiden jüngsten Kindern aus der Wohnung aus und ist seitdem bei ihrer Mutter untergekommen. F behielt einen Wohnungsschlüssel und betrat die Wohnung, um Sachen zu holen. Wegen von F behaupteter körperlicher Übergriffe des M zu ihren Lasten hat das AG der F die Wohnung bis zum 30.4.25 zur alleinigen Benutzung überlassen und dem M eine Frist bis zum 30.4.24 gesetzt, diese zu räumen. Die Beschwerde des M dagegen war erfolgreich (OLG Frankfurt 23.7.24, 6 UF 105/24, Abruf-Nr. 243464).
Entscheidungsgründe
Gem. § 2 Abs. 1 GewSchG kann das Opfer von dem Täter verlangen, ihm die gemeinsam genutzte Wohnung zur alleinigen Benutzung zu überlassen, wenn eine Rechtsgutverletzung nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG vorliegt. Ein Anspruch auf Überlassung der Wohnung setzt nach § 2 Abs. 1 GewSchG voraus, dass das Opfer zum Tatzeitpunkt mit dem Täter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt hat (MüKo/Duden, BGB, 9. Aufl., § 2 GewSchG Rn. 6).
Der Begriff des auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalts ist dabei dem Mietrecht entlehnt und korrespondiert mit der herkömmlichen Umschreibung für die eheähnliche Gemeinschaft als einer Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt ist. In der Begründung zur Mietrechtsreform ist hierzu ausgeführt: „Unter dem Begriff „auf Dauer angelegter gemeinsamer Haushalt ist eine Lebensgemeinschaft zu verstehen, die auf Dauer angelegt ist, keine weiteren Bindungen gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Füreinandereinstehen begründen und die über eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen“ (BR-Drucksache 439/00, 92 f.). Damit entspricht der Begriff den Kriterien der bisherigen Rechtsprechung zur „eheähnlichen Gemeinschaft“, ohne dass es allerdings auf das Vorliegen geschlechtlicher Beziehungen zwischen den Partnern ankommt“ (BT-Drs. 14/5429, 30). Ob der Haushalt „auf Dauer“ angelegt ist, richtet sich nach den Vorstellungen der Beteiligten (BeckOGK/Schulte-Bunert, (Stand 1.7.24), § 2 GewSchG Rn. 7).
Es liegt ein gemeinsamer Haushalt vor, wenn die Wohnung und ihre Einrichtungsgegenstände gemeinsam genutzt werden. Die Beteiligten müssen tatsächlich gemeinsam wirtschaften und aufeinander bezogene wechselseitige Versorgungsleistungen erbringen. Maßgebend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls, wobei auf die für das Getrenntleben entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden kann (Johannsen/Henrich/ Althammer/Dürbeck, Familienrecht, 7. Aufl., § 2 GewSchG Rn. 5).
Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine Überlassung der Wohnung nach § 2 Abs. 1 GewSchG nicht erfüllt. M und F lebten bereits seit mehreren Monaten voneinander getrennt, ehe es zu den streitgegenständlichen Taten im Januar 24 gekommen sein soll. Dass die Beteiligten zu diesem Zeitpunkt noch gemeinsam gewirtschaftet und aufeinander bezogene wechselseitige Versorgungsleistungen erbracht haben, hat F nicht vorgetragen. Vielmehr hat der M in Abrede gestellt, dass nach August 23 Gemeinsamkeiten fortbestanden oder wechselseitige Versorgungsleistungen erbracht wurden. Dem ist die F nicht entgegengetreten.
Entscheidend ist immer auch der Wille der Beteiligten. Die F hat sich unstreitig einem neuen Partner zugewandt. Beide Beteiligten wollten jedenfalls ab August 23 nicht mehr einen gemeinsamen Haushalt nutzen. Es führt nicht zu einer anderen Bewertung, dass die F die Wohnung vereinzelt betreten hat. Denn hiermit war offensichtlich nicht verbunden, notwendige Versorgungsleistungen für die Lebensgemeinschaft (Einkaufen, Essen bereiten, Haushaltsarbeiten) zu erledigen. Unerheblich ist, ob die F entsprechend ihres Vorbringens im August 23 aus der Wohnung geflüchtet ist. Entscheidungsrelevant ist insoweit, dass ab diesem Zeitpunkt ein innerfamiliäres Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt nicht mehr beabsichtigt war und nicht mehr stattgefunden hat.
Relevanz für die Praxis
Entscheidend ist, ob zum Zeitpunkt der Taten ein gemeinsamer Haushalt bestand. Zum Zeitpunkt der Antragstellung muss aber kein gemeinsamer Haushalt mehr bestehen. Das Opfer, das nach der Gewalttat oder Drohung zunächst ausgezogen ist, kann die Zuweisung der Wohnung beantragen (vgl. Nomos-BR/Heinke GewSchG/Sabine Heinke, 2012, GewSchG § 2 Rn. 15). Nicht vom Normzweck umfasst ist die Konstellation, in der die Lebensgemeinschaft zum Zeitpunkt der zur Begründung herangezogenen Vorfälle schon seit Monaten beendet war, keiner der Beteiligten beabsichtigt, die Lebensgemeinschaft wiederherzustellen und sich einer der Beteiligten überdies bereits einem neuen Partner zugewandt hat.
PRAXISTIPP | Wenn mangels gemeinsamer Wohnung § 2 GewSchG nicht vorliegt, kann in Gewaltfällen ggf. Schutz vor Zivilgerichten gesucht werden. Wenn es z. B. in Wohngemeinschaften zu Gewaltfällen kommt, fehlt es an der gemeinsamen Wohnung im oben definierten Sinn (kein Füreinandereinstehen). Gleiches gilt im Verhältnis Ober- zu Untermieter. In diesen Fällen kann gem. § 940a ZPO eine Wohnungsverweisung im einstweiligen Rechtsschutz vor den Zivilgerichten (nicht vor den Familiengerichten) beantragt werden (vgl. Kaiser/Schnitzler/Schilling/Sanders, BGB, Familienrecht, GewSchG § 2 Rn. 30, vor § 1 Rn. 19 beck-online; BT-Drs. 14/5429, 19). |