· Fachbeitrag · Unterhalt
Sozialhilferechtliche Wertung des § 94 Abs. 1a SGB XII strahlt nicht auf das Schenkungsrecht aus
von Prof. Dr. Wolfgang Böh, FA Erbrecht und FA Steuerrecht, München
| Um den angemessenen Unterhalt eines Beschenkten zu bemessen (§ 529 Abs. 2 BGB), spielt die für den Übergang von Unterhaltsansprüchen auf Sozialhilfeträger maßgebliche Einkommensgrenze von 100.000 EUR pro Jahr (§ 94 Abs. 1a SGB XII) keine Rolle. Das hat der BGH entschieden. |
Sachverhalt
Die verstorbene Erblasserin E hatte ihrem Sohn S einen Betrag i. H. v. knapp 25.000 EUR geschenkt. Noch vor dem Erbfall erbrachte der Sozialhilfeträger (SHT) Leistungen (Pflegewohngeld u. a.). Seine Klage auf Rückforderung der Schenkung nach § 528 Abs. 1 BGB hat das LG als derzeit unbegründet abgewiesen. Das OLG hat die Berufung abgeschmettert, aber die Revision zugelassen. Der BGH hat die Entscheidung des OLG aufgehoben und das Verfahren zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen (BGH 16.4.24, X ZR 14/23, Abruf-Nr. 241461).
Entscheidungsgründe
Die Voraussetzungen für einen Herausgabeanspruch gem. § 528 Abs. 1 und § 818 BGB sind dem Grunde nach erfüllt. Der SHT hat diesen Anspruch wirksam auf sich übergeleitet, § 93 Abs. 1 SGB XII.
Die auf § 529 Abs. 2 BGB gestützte Einrede des S greift nicht durch. Danach ist der Anspruch auf Herausgabe des Geschenks ausgeschlossen, soweit der Beschenkte unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, das Geschenk herauszugeben, ohne dass sein standesgemäßer Unterhalt gefährdet wird oder dass er die ihm kraft Gesetzes obliegenden Unterhaltspflichten nicht erfüllen kann.
Der Begriff des standesgemäßen Unterhalts ist mit dem des angemessenen Unterhalts i. S. v. § 528 Abs. 1 BGB gleichzusetzen (BGH 5.11.02, X ZR 140/01, NJW 03, 1384, 1387). Insoweit sind die jeweils einschlägigen familienrechtlichen Bestimmungen und die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Maßstäbe auch im Rahmen des § 529 Abs. 2 BGB heranzuziehen (BGH 11.7.00, X ZR 126/98, NJW 00, 3488, 3489).
Bei Schenkungen durch Verwandte, die einander nicht verpflichtet sind, Unterhalt zu leisten, sind die Maßstäbe auf der Grundlage von § 1603 Abs. 1 und § 1610 Abs. 1 BGB zur Unterhaltspflicht gegenüber den eigenen Eltern heranzuziehen. Auch einem Beschenkten, den keine Unterhaltspflicht gegenüber dem Schenker trifft, ist hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit im Rahmen des § 529 Abs. 2 BGB so viel zu belassen, wie er auch gegenüber seinen eigenen Eltern beanspruchen könnte (BGH 11.7.00, X ZR 126/98, NJW 00, 3488, 3489).
Nach der familiengerichtlichen Praxis vor Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes wurde der Mindestselbstbehalt anhand eines Sockelbetrags zuzüglich rund der Hälfte des darüber hinausgehenden Einkommens bestimmt (BGH 28.7.10, XII ZR 140/07, FK 10, 181 ff.).
§ 94 Abs. 1a SGB XII ist aber nicht relevant, um den angemessenen Unterhalt nach § 529 Abs. 2 BGB zu bemessen.
Der in § 94 Abs. 1a S. 2 SGB XII vorgesehene Ausschluss des Übergangs von Unterhaltsansprüchen auf SHT bei einem jährlichen Gesamteinkommen des Schuldners von nicht mehr als 100.000 EUR ist auf Ansprüche aus § 528 Abs. 1 BGB nicht entsprechend anzuwenden. § 94 Abs. 1a SGB XII ist mangels planwidriger Regelungslücke nicht analog anzuwenden.
Zudem ist die Auswirkung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes auf zivilrechtliche Regelungen umstritten.
Ferner strahlt sich die Wertung des Sozialhilferechts zwar auf unterhaltsrechtliche, nicht aber auf schenkungsrechtliche Fragen aus.
Deshalb ist die Leistungsfähigkeit des Beschenkten im Berufungsverfahren im Rahmen der § 1603 Abs. 1, § 1610 BGB vorzunehmen, ohne dass sich an der Wertung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes zu orientieren ist.
Relevanz für die Praxis
Ein Herausgabeanspruch aus § 528 Abs. 1 und § 818 BGB kann gem. § 93 Abs. 1 SGB XII auf den SHT übergeleitet werden. Eine solche Überleitung ist auch nach dem Tod des Schenkers möglich. Denn der Anspruch geht auch dann nicht mit dem Tod des Schenkers unter, wenn der Beschenkte dessen Erbe wird (BGH 14.6.95, IV ZR 212/94, NJW 95, 2287, 2288).
Schenkungen zwischen Angehörigen vor dem Hintergrund, einen Regress des SHT zu vermeiden, sind immer kritisch zu betrachten. Denn Gesetzgebung und Rechtsprechung ändern immer wieder, wie solche Schenkungen zu beurteilen sind. Dies ist bei der rechtsberatenden Gestaltung solcher Schenkungen zu beachten.
Die aktuelle Entscheidung des BGH schwächt die Argumentationslinie für beschenkte Angehörige, die sich nicht pauschal auf die zwischenzeitlich in der Bevölkerung immer bekannter werdende Einkommensgrenze von 100.000 EUR berufen können.
Im Rahmen einer Schenkung und eines absehbaren Pflegebedarfs muss, insbesondere bei einem gesundheitlich angeschlagenen Schenker, dessen rechtliche Zukunft insgesamt rechtssicher gestaltet sein. Hierzu gehört
- ein auf die Schenkung abgestimmtes Testament und
- eine individuell beratene Vorsorgevollmacht, die insbesondere auch verhindert, dass ein durch das AG bestellter fremder Berufsbetreuer selbst die Schenkungsrückforderung entgegen dem gesamtfamiliären Willens zurückfordert.