· Fachbeitrag · Vaterschaftsanfechtung
Beginn der Anfechtungsfrist bei Kenntnis von einem möglichen anderen Erzeuger
von RA Dr. Gudrun Möller, FA Familienrecht, Münster
Der Umstand, dass beim Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann als dem rechtlichen Vater Kondome benutzt wurden, schließt die Kenntnis von der Möglichkeit der Abstammung des Kindes von diesem anderen Mann nicht aus (BGH 11.12.13, XII ZR 58/12, n.v., Abruf-Nr. 140378). |
Sachverhalt
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Kurz nach der Eheschließung wurde der Sohn geboren. Die Klägerin, die während der Empfängniszeit auch Geschlechtsverkehr mit dem Zeugen H hatte, hat die Vaterschaft des Beklagten erfolgreich angefochten. Auf dessen Berufung hat das OLG die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich erfolglos die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Nach § 1600b Abs. 1 S. 1 BGB kann die Vaterschaft binnen zwei Jahren gerichtlich angefochten werden. Die Frist beginnt nach § 1600b Abs. 1 S. 2 HS. 1 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen, aber nicht vor der Geburt des Kindes, § 1600b Abs. 2 S. 1 BGB. Zu den Umständen, deren Kenntnis die Anfechtungsfrist in Lauf setzt, gehört i.d.R. bereits ein einmaliger außerehelicher Geschlechtsverkehr der Mutter während der gesetzlichen Empfängniszeit. Dies gilt auch, wenn der Ehemann ihr innerhalb dieser Zeit ebenfalls beigewohnt hat und es den Umständen nach nicht ausgeschlossen erscheint, dass das Kind aus der außerehelichen Beiwohnung stammt. Der Fristbeginn setzt nicht voraus, dass aufgrund der dem Anfechtenden bekannten Umstände die Vaterschaft eines Dritten wahrscheinlicher ist als die des Ehemanns (BGH FamRZ 06, 771, 772 m.w.N.). Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt. Vielmehr kommt es darauf an, ob sich aus der Tatsache des außerehelichen Verkehrs die nicht ganz fernliegende Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem Dritten ergibt. Ganz fernliegend kann dies sein, wenn der außereheliche Verkehr unter Begleitumständen stattgefunden hat, nach denen eine Empfängnis in hohem Maße unwahrscheinlich ist (BGH, a.a.O.).
Bei der Frage, ob die dem Anfechtenden bekannt gewordenen Gesamtumstände die Möglichkeit der Vaterschaft eines anderen als nicht ganz fernliegend erscheinen lassen, ist auf die objektive Beurteilung aus der Sicht eines verständigen Betrachters abzustellen. Der Beurteilungsmaßstab ist nicht an medizinisch-naturwissenschaftlichen Spezialkenntnissen auszurichten. Denn diese können von einem Laien nicht erwartet werden. Vielmehr ist vom Erkenntnisstand auszugehen, der bei einem verständigen Laien i.d.R. erwartet werden kann (BGH, a.a.O.; FamRZ 90, 507, 509; 89, 169, 170).
Dass Kondome beim Geschlechtsverkehr verwendet wurden, schließt die grundsätzlich bestehende Kenntnis nicht aus. Denn auch in diesem Fall ist die anderweitige Abstammung des Kindes nicht ganz fernliegend. Es ist allgemein bekannt, dass die Zuverlässigkeit der Empfängnisverhütung mit Kondomen geringer ist als die anderer Verhütungsmittel wie etwa der „Pille“. Nach dem sog. „Pearl-Index“ werden bei regelmäßiger Verwendung von Kondomen 2 bis 12 von 100 Frauen innerhalb eines Jahres schwanger (BGH FamRZ 06, 771, 773). Zwar kann die Kenntnis der Größenordnung dieser Versagensquoten nicht allgemein vorausgesetzt werden. Eine ungefähre Vorstellung vom Risiko ist aber zum Allgemeinwissen zu zählen (BGH, a.a.O.; OLG Karlsruhe FamRZ 13, 555, 556 f.; a.A. OLG Hamm FamRZ 99, 1362, 1363).
An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Das Versagensrisiko von Kondomen liegt im Wesentlichen in der fehlerhaften Anwendung begründet. Das wird nicht nur in der gesundheitlichen Aufklärung (etwa die Hinweise der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung; www.bzga.de, Stand: 11.12.13) betont. Vielmehr ist dies auch hinsichtlich der Frage der Vermeidung ungewollter Schwangerschaften auch Laien regelmäßig bekannt. Da auf die objektive und verständige Beurteilung abzustellen ist, kommt es auf den individuellen Bildungsstand des Anfechtungsberechtigten nicht an (BGH FamRZ 06, 771, 773; 90, 507, 509; 89, 169, 170). Auch eine im Einzelfall etwa bestehende besondere Sorglosigkeit oder Gleichgültigkeit des Anfechtungsberechtigten ist daher außer Acht zu lassen. Aufgrund der allgemein bekannten Möglichkeit von Anwendungsfehlern kann demnach jedenfalls ein verständiger Laie die Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem anderen Mann nicht schon als in hohem Maße unwahrscheinlich und mithin als fernliegend ansehen. Dass beim anderweitigen Geschlechtsverkehr Kondome benutzt wurden, schließt somit die Kenntnis von der Möglichkeit der Abstammung von einem anderen Mann als dem rechtlichen Vater nicht aus.
Praxishinweis
Für das Ingangsetzen der Frist reicht z.B. Folgendes aus (Palandt/Brudermüller, BGB, 73. Aufl., § 1600b Rn. 13):
Übersicht / Ingangsetzen der Anfechtungsfrist (§ 1600b BGB) |
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Weiterführender Hinweis
- BGH FamRZ 06, 771, zum Beginn der Anfechtungsfrist, wenn der Ehemann bei der Geburt weiß, dass seine Frau in der Empfängniszeit der Prostitution nachging und dabei mit Kondomen verhütete