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  • · Fachbeitrag · Sorgerecht

    Gemeinsame elterliche Sorge ‒ kein Kontrollinstrument der Eltern untereinander

    von RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, BGM Anwaltssozietät, Münster

    | Das OLG Braunschweig zeigt Grenzen der gemeinsamen elterlichen Sorge und des Aufgabenbereichs eines Verfahrensbeistands auf. |

     

    Sachverhalt

    Die Beteiligten sind die nicht verheirateten Eltern des dreijährigen S, der im Haushalt der Mutter M lebt. Der Vater V begehrt die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Er hat den Bericht der Verfahrensbeiständin des S moniert und beantragt, diese zu entpflichten. Das AG hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der V erfolglos mit seiner Beschwerde.

     

    • 1. Schwerwiegende und nachhaltige Kommunikationsstörungen der Eltern, die nicht nur auf einer grundlosen einseitigen Verweigerungshaltung eines Elternteils beruhen, stehen der Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge i. d. R. entgegen.
    • 2. Eine unzureichende Information über Belange des Kindes rechtfertigt nicht die Begründung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Vielmehr ist der Informationsanspruch des nicht sorgeberechtigten Elternteils gesondert in § 1686 BGB geregelt (wie OLG Brandenburg 23.4.20, 13 UF 101/19).
    • 3. Die gemeinsame elterliche Sorge ist kein Instrument zur gegenseitigen Kontrolle der Eltern und zur Verhinderung erzieherischer Alleingänge eines Elternteils.
    • 4. Ein Verfahrensbeistand ist nicht gehalten, sich im Rahmen seiner Stellungnahme neutral gegenüber den Eltern zu verhalten, sondern gefordert, im Interesse des Kindes Position zu beziehen. Es gehört nicht zu seinen Aufgaben, Ermittlungen anzustellen, um die ihm gegenüber getätigten Angaben der Eltern auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
     

    Entscheidungsgründe

    Gem. § 1626a Abs. 2 S. 1 BGB überträgt das Familiengericht die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das gemeinsame Sorgerecht setzt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern und ein Mindestmaß an Übereinstimmung voraus (BGH 15.6.16, XII ZB 419/15, juris Rn. 23 = FK 17, 166 ff.). Ein nachhaltiger und schwerer elterlicher Konflikt, das Fehlen jeder Kooperation und Kommunikation oder die Herabwürdigung des anderen Elternteils sprechen i. d. R. gegen eine gemeinsame Sorge (Grüneberg/Götz, BGB, 81. Aufl., § 1626a, Rn. 13).

     

    Hier scheidet eine gemeinsame elterliche Sorge aus. Die Art der Kommunikation zwischen V und M wird im Rahmen eines gemeinsamen Sorgerechts wahrscheinlich zu häufigen Konflikten der Eltern führen, die nicht geübt darin sind, Kompromisse im Hinblick auf unterschiedlich wahrgenommene Interessen des S einzugehen. Ihr Verhältnis zueinander ist von einem starken Misstrauen und erheblichen wechselseitigen Vorwürfen geprägt.

     

    Die Übertragung der Mitsorge dient auch nicht dazu, erzieherische Alleingänge der M zu verhindern. Weder die gemeinsame elterlichen Sorge noch deren Aufhebung ist ein Instrument, damit die Eltern sich gegenseitig kontrollieren oder ein etwaiges Fehlverhalten eines Elternteils zu sanktionieren (zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge vgl. OLG Brandenburg 26.5.21, 15 UF 6/21, juris Rn. 13). Maßstab ist das Kindeswohl, dem ein fortgesetzter, destruktiver Elternstreit ebenso entgegensteht wie eine durch mangelnde Elternkooperation verursachte Verzögerung wesentlicher sorgerechtlicher Entscheidungen.

     

    Der V hat die Vorgehensweise und den Bericht der Verfahrensbeiständin kritisiert und beanstandet, dass das AG deren Entpflichtung abgelehnt hat. Bedenken gegen die persönliche und fachliche Eignung der Verfahrensbeiständin bestehen nicht. Auch ihr Bericht gibt keinen Anlass, sie zu entpflichten. Ein den Interessen des Kindes widersprechendes, pflichtwidriges Verhalten der Verfahrensbeiständin ist nicht zu erkennen. Insbesondere lässt sich ein solches nicht daraus ableiten, dass sie nicht die Angaben der M überprüft und nicht angeregt hat, eine ‒ aus der Sicht des V notwendige ‒ medizinische Abklärung der psychischen Gesundheit der M vorzunehmen. Es gehört nicht zur Aufgabe eines Verfahrensbeistands, Ermittlungen anzustellen, um die Angaben der Eltern auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Im Rahmen seiner Empfehlungen muss sich ein Verfahrensbeistand auch nicht neutral gegenüber den Eltern verhalten, sondern ist gefordert, im Interesse des Kindes Position beziehen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die gemeinsame elterliche Sorge will keine erzieherischen Alleingänge eines Elternteils verhindern. Das kann mit deren Anordnung auch nicht erreicht werden, da der Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, über die „Angelegenheiten des täglichen Lebens“ alleine entscheiden darf. Bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung entscheiden die Sorgeberechtigten gemeinsam, z. B. über eine Operation des Kindes.

     

    Die Aufgaben des Verfahrensbeistands ergeben sich aus § 158b FamFG: Er muss das Interesse des Kindes im Verfahren zur Geltung bringen. Er soll das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise informieren und über die Einlegung eines Rechtsmittels entscheiden. Er muss nicht nur den geäußerten Kindeswillen darstellen. Vielmehr muss er das Kindeswohl als Ausdruck des objektiven Kindesinteresses vertreten. Der Verfahrensbeistand soll gem. § 158b Abs. 1 S. 2 FamFG eine schriftliche Stellungnahme erstatten. Soweit erforderlich kann das Gericht ihm die Aufgabe übertragen, Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen sowie am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken, § 158b Abs. 2 S. 1 FamFG. Ein Verfahrenspfleger kann nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Herrmann, Verfahrensbeistand: Erhöhte Anforderungen an die fachliche Eignung, FK 22, 67 ff.
    Quelle: Ausgabe 09 / 2023 | Seite 152 | ID 48568769