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  • · Fachbeitrag · Umgangsrecht

    Umgangsrecht des leiblichen Vaters, wenn die rechtlichen Eltern es ablehnen

    von VRiOLG a.D. Dr. Jürgen Soyka, Meerbusch

    | Nach § 1686a BGB hat der leibliche, nicht rechtliche Vater unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf Umgang mit seinem Kind. Der BGH hat die Voraussetzungen dafür in einer aktuellen Entscheidung konkretisiert. |

    Sachverhalt

    Der leibliche Vater (V), begehrt Umgang mit den Zwillingen. Die Kindesmutter (M) ist verheiratet. Die Eheleute hatten bereits drei Kinder. Seit ihrer Trennung von V lebt die M wieder mit ihrem Ehemann (E) und den Kindern zusammen. M und E haben den Umgang des V mit den Zwillingen abgelehnt. Das Umgangsrechtsverfahren des V endete mit einer Verfassungsbeschwerde, die erfolglos blieb. Der EGMR stellte aber fest, dass es Art. 8 EMRK verletzte, jeglichen Umgang zu versagen, ohne zu prüfen, ob ein solcher dem Kindeswohl dienlich wäre. Im Umgangsrechtsverfahren ist die Rechtsbeschwerde des V erfolgreich.

     

     

    • a) Allein der Umstand, dass sich die rechtlichen Eltern beharrlich weigern, einen Umgang des Kindes mit seinem leiblichen Vater zuzulassen, genügt nicht, um den entsprechenden Antrag gemäß § 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB zurückzuweisen.
    • b) Ist einziger Grund für das Scheitern des Umgangs die ablehnende Haltung der rechtlichen Eltern und die damit einhergehende Befürchtung, dass diese mit einer Umgangsregelung psychisch überfordert wären und dadurch mittelbar das Kindeswohl beeinträchtigt wäre, sind strenge Anforderungen an die entsprechenden Feststellungen zu stellen.
    • c) Auch im Verfahren nach § 1686a BGB hat das Gericht das Kind grundsätzlich persönlich anzuhören.
    • d) Vor einer Anhörung bzw. einer etwaigen Begutachtung ist das Kind bei entsprechender Reife grundsätzlich über seine wahre Abstammung zu unterrichten, sofern ein Umgang nicht bereits aus anderen, nicht unmittelbar das Kind betreffenden Gründen ausscheidet.
     

    Entscheidungsgründe

    Aufgrund der Entscheidung des EGMR wurde § 1686a BGB geschaffen, der dem leiblichen Vater das Recht einräumt, Umgang mit seinem Kind zu haben. Bei der Kindeswohlprüfung ist festzustellen, ob und ggf. in wieweit Umgangskontakte mit einem gewissermaßen zweiten, ausschließlich auf der biologischen Abstammung beruhenden Vater für das Kind eine seelische Belastung darstellen, ob das Kind dadurch in einer dem Kindeswohl abträglichen Weise verunsichert werde, inwieweit die Kindesmutter und der biologische Vater ggf. ihre Konflikte nach der Trennung begrenzen konnten und wie der Umgang im Interesse einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung und der Identitätsfeststellung des Kindes zu bewerten ist. Die Kindeswohldienlichkeit ist je nach familiärer Situation, Stabilität und Belastbarkeit des Familienverbands, Beziehungskonstellation bzw. Konfliktniveau zwischen den betroffenen Erwachsenen, Alter und psychischer Widerstandsfähigkeit des Kindes, Grad der Bindung des Kindes an seine rechtlich-sozialen Eltern, Dauer der Kenntnis von der Existenz eines biologischen Vaters etc. unterschiedlich zu beurteilen.

     

    Der Antrag ist zulässig. Zwar hat der V nicht an Eides Statt versichert, der M während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben. Dies ist hier aber ausnahmsweise unerheblich, weil der Einleitung des gegenständlichen Verfahrens bereits die Feststellung des EGMR zugrunde lag, dass der V der leibliche Vater der Zwillinge war (EGMR FamRZ 11, 269).

     

    Ferner sind die weiteren Voraussetzungen gegeben: Der E ist gem. § 1592 Nr. 1 BGB der gesetzliche Vater der Zwillinge, weil er mit der M während der Geburt der Kinder verheiratet war. Unerheblich ist, dass kein Abstammungsgutachten eingeholt wurde. Zwar will § 167a Abs. 2 FamFG nur verhindern, dass namentlich die Mutter das Umgangsrecht vereitelt, indem sie und das Kind sich der erforderlichen Untersuchung verweigern. Ist aber die leibliche Vaterschaft unter den Beteiligten unstreitig und kann sich der Tatrichter aus anderen Gründen davon überzeugen, dass sie besteht, bedarf es keiner Begutachtung.

     

    Ferner ist davon auszugehen, dass dem V ein ernsthaftes Interesse an den Kindern i. S. v. § 1686a Abs. 1 BGB zuzubilligen ist. Dabei sind als mögliche Kriterien zu berücksichtigen, ob der biologische Vater sein Kind zeitnah nach der Geburt kennenlernen wollte, ob er sich um weiteren Kontakt mit dem Kind bemüht hat, ob er den Wunsch nach Umgang wiederholt artikuliert und ggf. Pläne entwickelt hat, wie er seinen Kontaktwunsch im Hinblick auf Wohnort und Arbeitszeiten realisieren kann, ob er sich vor und nach der Geburt zum Kind bekannt hat oder ob er die Bereitschaft geäußert hat, Verantwortung für das Kind ggf. auch finanziell zu übernehmen.

     

    Hier liegen Verfahrensfehler vor

    Die Annahme, dass der Umgang nicht dem Kindeswohl dient, beruht aber auf Verfahrensfehlern. Allein der Umstand, dass sich die Eltern beharrlich weigern, einen Umgang zuzulassen, genügt nicht, um den Umgang der Kinder mit dem leiblichen Vater abzulehnen. Liegt der Tatbestand des § 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB vor, greift der leibliche Vater regelmäßig in ein intaktes Familiensystem ein. Die rechtlichen Eltern sperren einen Umgang. Sonst würde der Umgang auf freiwilliger Basis erfolgen, sodass es des § 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB gar nicht bedarf. Diese Vorschrift setzt sogar eine Verweigerungshaltung voraus. Zwar ist die Bindung an die rechtliche Familie nachhaltig zu berücksichtigen, sie darf aber nicht in eine Typisierung umschlagen, dass der leibliche Vater in diesen Fällen als Störenfried zu behandeln ist. Vielmehr ist das Kindeswohl umfassend zu prüfen. Scheitert der Umgang nur an der ablehnenden Haltung der rechtlichen Eltern und an der damit einhergehenden Befürchtung, dass diese mit einer Umgangsregelung psychisch überfordert wären und dadurch letztlich auch mittelbar das Kindeswohl beeinträchtigt wäre, sind strenge Anforderungen an die Feststellungen zu stellen.

     

    Sachverständigengutachten ist keine Grundlage für die Schlussfolgerungen

    Aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich nicht, dass die Eltern psychisch nicht in der Lage wären, mit einem Umgang durch den V umzugehen und deshalb auch der Umgang nicht dem Wohl der Zwillinge dienen würde. Zwar geht das Gutachten davon aus, dass die M bei einem Umgang psychisch so beeinträchtigt wäre, dass sie ggf. entgleisen und sich dies auch auf das Wohl der Zwillinge auswirken könnte. Dem Gutachten lässt sich aber nicht entnehmen, auf welchen Erhebungen diese Einschätzung beruht. Insbesondere beruhen diese Schlussfolgerungen nur auf Gesprächen, eine nähere Exploration der Eltern ist aber nicht erfolgt. Auf die Frage, inwieweit später die Gefahr einer psychischen Überforderung der Eltern nicht mehr besteht bzw. sich diese nicht mehr oder weniger belastend für das Kindeswohl auswirkt, weist der Sachverständige darauf hin, dass er dies ohne nähere Exploration der Eheleute nicht sicher einschätzen könne. Wieso es für seine Einschätzung, dass die M bei einem Umgang dekompensieren oder einen Nervenzusammenbruch erleiden könnte, einer solchen Exploration nicht bedarf, wird aber nicht erläutert.

     

    Zu beanstanden ist auch, dass die Eltern mit ihrer Verfahrensbevollmächtigten dem Sachverständigen Vorgaben gemacht haben, denen sich der Sachverständige im Wesentlichen gefügt hat.

     

    Das Gericht hat seine Leitungsfunktion gem. § 30 FamFG i. V. m. § 404a ZPO nicht hinreichend wahrgenommen. Demnach bestimmt das Gericht, in welchem Umfang der Sachverständige befugt ist, die Beweisfrage aufzuklären und inwieweit er mit den Parteien in Verbindung treten darf und wann er ihn die Teilnahme an seinen Ermittlungen gestatten muss.

     

    MERKE | Überschreitet der Sachverständige seine Befugnisse, etwa wenn er selbstständige Beweise würdigt und nicht vorgegebene Anknüpfungstatsachen zugrunde legt, oder er bei Ermittlungen nur eine Partei hinzuzieht, kann das die Besorgnis der Befangenheit gem. § 30 FamFG i. V. m. § 406 ZPO begründen. Diese Befangenheit kann auch ohne Befangenheitsantrag den Beweiswert des Gutachtens mindern. Das OLG hätte daher den Beweiswert des Sachverständigengutachtens hinterfragen müssen.

     

    Ferner hat der Sachverständige die Kinder zum eigentlichen Gegenstand des Verfahrens nicht befragt. Sie sind nicht angehört worden. Die Kindesanhörung dient neben der Gewährung des rechtlichen Gehörs vor allem auch der Sachaufklärung. Die Anhörung eines Kindes im Verfahren nach § 1686a BGB ist nur entbehrlich, wenn der Antrag als unzulässig oder wegen fehlenden ernsthaften Interesses zurückzuweisen ist oder wenn die Abstammungsuntersuchung ergibt, dass der Antragsteller nicht der biologische Vater ist.

     

    Es ist Aufgabe des Gerichts, das Verfahren insbesondere die Umstände sowie die Art und Weise der Kindesanhörung unter Berücksichtigung des Alters, des Entwicklungsstands und der sonstigen Fähigkeiten des Kindes so zu gestalten, dass das Kind seine persönliche Beziehung zu den Eltern erkennbar werden lassen kann. Wegen fehlender Äußerungsfähigkeiten kann daher nur bei sehr jungen Kindern oder bei aufgrund besonderer Umstände erheblich eingeschränkter Fähigkeit des Kindes, sich zu seinem Willen und seiner Beziehung zu äußern, auf eine Anhörung verzichtet werden.

     

    Im Hinblick auf das Alter der Zwillinge (10 Jahre) ist es erforderlich, die Kinder zuvor über den Verfahrensgegenstand und damit eingehend über ihre wahre Abstammung zu unterrichten.

     

    Es obliegt grundsätzlich der Verantwortung der Eltern, wann und in welcher Form sie ihr minderjähriges Kind über die Besonderheiten seiner Herkunft informieren wollen. Allerdings stellt der verfassungsrechtlich grundsätzlich anzuerkennende Wunsch des leiblichen Vaters nach Umgang und nach Auskunft über das Kind gem. § 1686 BGB eine verfassungsimmanente Schranke dar. Daher ist es unabweisbar, dass der Schutz der sozialen Familie hinter dem Interesse an Umgangs- und Auskunftserteilung eines leiblichen Vaters zurücktritt. Da sich der Richter und der Sachverständige nur bei einem informierten Kind ein verlässliches Bild darüber verschaffen können, ob der Umgang mit dem leiblichen Vater dem Kindeswohl dient, wird es im Regelfall unerlässlich sein, die Kinder über die biologische Vaterschaft aufzuklären. Außerdem würde ein Kind, das durch Vorenthaltung des Wissens um seine wahre Abstammung zum bloßen Verfahrensobjekt herabgestuft.

     

    Um allerdings den Eltern die Möglichkeit zu gewähren, das Kind selbst zu unterrichten, ist erforderlich, dass der Tatrichter den Eltern ggf. eine angemessene Frist setzen muss, innerhalb derer sie ihre Kinder entsprechend unterrichten können.

    Relevanz für die Praxis

    Hier scheint sich die Katze in den Schwanz zu beißen: Der BGH verlangt von den Eltern bzw. den Familiengerichten, dass sie das Kind darauf hinweisen, dass ein biologischer Vater existiert. Damit dürfte die Familie belastet sein. Dies macht die Kindeswohlprüfung erforderlich und beeinflusst sie auch. Konsequenterweise müsste auch vor der Information des Kindes geprüft werden, ob diese Aufklärung dem Kindeswohl entspricht.

     

    Weiterführender Hinweis

    • EGMR FamRZ 11, 269, die Entscheidung vom 21.12.10 betraf die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens
    Quelle: Ausgabe 02 / 2017 | Seite 22 | ID 44400821