· Fachbeitrag · Ehegattenunterhalt
Nicht ehebedingte Krankheit kann ehebedingten Nachteil begründen
von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf
(BGH 7.3.12, XII ZR 179/09, NJW 12, 1807, Abruf-Nr. 121097). |
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Abänderung eines Prozessvergleichs über nachehelichen Unterhalt. Der 1941 geborene Kläger K und die 1946 geborene Beklagte B heirateten 1975. Aus der Ehe gingen zwei 1975 und 1978 geborene Kinder hervor. K war Gymnasiallehrer. Er wurde zum 1.2.04 frühpensioniert. B absolvierte ein Pädagogikstudium und legte das erste Staatsexamen ab. Aufgrund einer Alkohol- und Tablettenabhängigkeit blieb das Referendariat unbeendet. 1974 wurde sie wegen Arbeitsunfähigkeit entlassen. Ihr Versuch, das Referendariat nach der Geburt des Sohns fortzusetzen, scheiterte.
Im Jahr 1984 trennten sich K und B. 1985 wurde die Ehe geschieden. Am 1.10.85 schlossen die Parteien einen Unterhaltsvergleich, nach dem K an B einen nachehelichen Unterhalt zahlen musste. 1985 nahm B das Studium der Psychologie auf, das sie 1991 abschloss. Seit dem 1.7.02 bezieht sie Erwerbsunfähigkeitsrente, seit 2004 wegen voller Erwerbsminderung. K hat aus zweiter - ebenfalls geschiedener - Ehe eine 1990 geborene Tochter. Mit der 1992 erhobenen Abänderungsklage hat K den Wegfall seiner Unterhaltspflicht begehrt. B hat widerklagend höheren Unterhalt verlangt. Für die Zeit ab Januar 2008 erkannte ihr das Berufungsgericht diesen zu.
Entscheidungsgründe
Die hiergegen gerichtete Revision des K ist begründet. Da es zu einer abschließenden Entscheidung weiterer Feststellungen bedarf, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache.
Ehebedingter Nachteil bei Erwerbsunfähigkeit
Eine Krankheit, die nicht ehebedingt ist, kann einen ehebedingten Nachteil begründen, wenn der Unterhaltsberechtigte in der Ehe nicht ausreichend für den Fall der krankheitsbedingten Erwerbsminderung vorgesorgt hat. Seine Erwerbsunfähigkeitsrente muss infolge der Ehe oder Kindererziehung geringer sein, als sie ohne die Ehe wäre oder sie muss vollständig entfallen. Wird eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen, erfolgt der Ausgleich unterschiedlicher Versorgungsbeiträge aber primär im Versorgungsausgleich (VA). Dieser wahrt die Interessen des Unterhaltsberechtigten ausreichend.
Beachten Sie | Ehebedingte Nachteile im Sinne von § 1578b Abs. 1 S. 2 BGB können nicht mit den durch die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit während der Ehe verursachten geringeren Rentenanwartschaften begründet werden, wenn für diese Zeit ein VA stattgefunden hat.
Ein ehebedingter Nachteil wegen Aufgabe der Erwerbstätigkeit kann vorliegen, wenn die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht erfüllt sind. Der Nachteil besteht im Verlust der ohne Ehe und Kindererziehung erzielbaren Erwerbsunfähigkeitsrente. Dieser ehebedingte Nachteil entfällt allerdings mit Beginn der Altersrente, weil diese neben der Wartezeit und der Erfüllung der Altersvoraussetzung keine Mindestzahl von Pflichtbeiträgen wie die Erwerbsunfähigkeitsrente voraussetzt.
Hier liegt kein ehebedingter Nachteil vor. Das OLG hat diesen bejaht, weil die B aufgrund der Krankheit in Verbindung mit der Geburt der Kinder und dem Auslandsaufenthalt der Parteien überfordert war und daher ihren Weg in den Staatsdienst nicht gefunden hat. Diese Würdigung ist widersprüchlich, weil das OLG bei der Erwerbsfähigkeit davon ausgeht, dass die Ehefrau nie eine Chance auf Übernahme in den Staatsdienst gehabt hat, weil sie von einer Lehrtätigkeit unter üblichen Bedingungen überfordert gewesen wäre. Dies kann aber offenbleiben, weil sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente erlangt hat. In erster Linie dient der VA dazu, während der Ehe unzureichende Versorgungen für den Fall der Erwerbsunfähigkeit auszugleichen. Führt dies zum angemessenen Ergebnis, bleibt kein Raum für fortbestehende ehebedingte Nachteile. Dies hat das OLG nicht geprüft. In der Krankheit selbst kann ein ehebedingter Nachteil nur liegen, wenn er auf der Rollenverteilung in der Ehe beruht. Dies ist hier abzulehnen, weil B schon Jahre vor der Heirat tabletten- und alkoholabhängig war.
Billigkeitsabwägung
Auch wenn keine ehebedingten Nachteile vorliegen, kommt eine Unterhaltsbegrenzung nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs in Betracht. Bei dieser Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Es kommt insbesondere auf
- die Ehedauer,
- die Rollenverteilung während der Ehe,
- die in der Ehe erbrachte Lebensleistung,
- die finanziellen Verhältnisse und
- den Umfang und die Dauer des Unterhaltsbezugs (einschließlich des Trennungsunterhalts) an.
Zu berücksichtigen ist zudem, ob der Unterhaltsanspruch tituliert ist, weil einem titulierten Unterhaltsanspruch größerer Vertrauensschutz als einem nicht titulierten Unterhalt zukommt.
Bei der Billigkeitsabwägung fehlt die Berücksichtigung der Ehedauer, die von der Eheschließung bis zur Zustellung des Scheidungsantrags zu bemessen ist. Ferner hat sich das OLG nicht mit der wirtschaftlichen Gesamtbelastung des K auseinandergesetzt. Es hat nicht festgestellt, inwieweit er Trennungsunterhalt gezahlt hat. Kein Billigkeitskriterium ist, dass der Rechtsstreit mit mehreren Gutachten Jahre gedauert und die B erheblich belastet hat. Dies ist Ausfluss der prozessualen Rechte des K.
Praxishinweis
Die Erwerbsunfähigkeit stellt nur einen ehebedingten Nachteil dar, wenn sie ihre Ursache in der Rollenverteilung während der Ehe hat. Krankheitsbedingte Beeinträchtigungen durch die Trennung oder durch den unglück-lichen Verlauf der Ehe sind nicht zu beachten.
Ist die Krankheit nicht ehebedingt, ist davon auszugehen, dass der Unterhaltsberechtigte auch ohne die Ehe erwerbsunfähig geworden wäre. Bei der Beurteilung der finanziellen und wirtschaftlichen Lage des Ehegatten ohne die Ehe ist die Erwerbsunfähigkeit daher ebenfalls zu berücksichtigen, sodass möglicherweise kein ehebedingter Nachteil vorliegt. Ein nicht erwerbsfähiger Unterhaltsberechtigter kann bei der Unterhaltsbegrenzung daher schlechter stehen, als ein nicht erwerbstätiger, aber erwerbsfähiger Unterhaltsberechtigter. Diesem würden zwar fiktive Einkünfte wegen Verstoßes gegen die Erwerbsobliegenheit zugerechnet. Es könnte sich aber ein lebenslanger Unterhaltsanspruch in Höhe ehebedingter Nachteile dadurch ergeben, dass dieser Ehegatte ohne die Ehe höhere Einkünfte erzielen könnte als ihm fiktiv zugerechnet werden. Die Differenz zu den ohne Ehe erzielbaren Einkünften wäre der ehebedingte Nachteil.
Besonderheit: Erwerbsunfähigkeit ist nicht ehebedingt
Ein durch die Ehe bedingter Verlust der Erwerbsunfähigkeitsrente kann einen ehebedingten Nachteil darstellen, wenn die Erwerbsunfähigkeit selbst nicht ehebedingt ist. Voraussetzung für den Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente ist, dass der Erwerbsunfähige in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit mindestens drei Jahre berufstätig war, § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI. Sind diese Voraussetzungen aufgrund der Ehe nicht gegeben, ist der Verlust der Erwerbsunfähigkeitsrente ein ehebedingter Nachteil.
Vorrangig ist ein Ausgleich der Nachteile durch den VA zu prüfen
B hat hier eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen. Das OLG hätte prüfen müssen, ob und wie ein VA durchgeführt worden ist. Der Umstand, dass die Unterhaltsberechtigte aufgrund ehebedingter Umstände nicht in den Staatsdienst übernommen wurde, spielt keine Rolle. Dieser Umstand hätte sich nur durch geringere Versorgungsanwartschaften auswirken können, die sie während der Ehe erzielt hat. Diese Nachteile werden durch den VA beseitigt, sodass sich daraus keine weiteren ehebedingten Nachteile ergeben können.