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  • · Fachbeitrag · Ehegattenunterhalt

    Rangverhältnisse bei verschiedenen Teilunterhaltsansprüchen eines Ehegatten

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    • a) Soweit das Einkommen eines Ehegatten, der ein Kind betreut, als aus überobligatorischer Erwerbstätigkeit stammend unberücksichtigt zu bleiben hat, kommt ein Unterhaltsanspruch aus § 1570 BGB in Betracht.
    • b) Besteht ein Teilunterhaltsanspruch auf Betreuungsunterhalt und ein weiterer Teilanspruch aufgrund eines anderen Unterhaltstatbestandes, unterfällt der Gesamtanspruch dem Rang des § 1609 Nr. 2 BGB.
     

    Sachverhalt

    Die Ehefrau (F, Antragsgegnerin) verlangt von ihrem Ehemann (M, Antragsteller) im Scheidungsverbund nachehelichen Unterhalt. Die Ehegatten heirateten 2002. Aus der Ehe sind zwei in 2003 und 2005 geborene Töchter hervorgegangen, die seit dem Auszug der F aus der Ehewohnung bei dieser leben. Der M ist angestellter Architekt. Er ist seit Juli 12 Vater einer weiteren Tochter. Die Mutter dieses Kindes war vor dessen Geburt berufstätig und bezog bis Juli 2013 Elterngeld. Die F ist Einzelhandelskauffrau. Seit Juni 2011 arbeitet sie vollschichtig im Außendienst. Die Kinder der Beteiligten besuchen eine offene Ganztagseinrichtung und werden anschließend von der Großmutter mütterlicherseits gegen Entgelt betreut. Das AG hat die Ehe geschieden und den M verpflichtet, nachehelichen Unterhalt zu zahlen und den Anspruch befristet. Auf die Beschwerden beider Ehegatten hat das OLG den Verbundbeschluss hinsichtlich des nachehelichen Unterhalts teilweise abgeändert und den M verpflichtet, zeitlich gestaffelt Unterhalt in unterschiedlicher Höhe zu zahlen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die F ihr erstinstanzliches Begehren im Umfang der Zulassung weiter. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

    Entscheidungsgründe

    Der Unterhaltsanspruch der nicht verheirateten Mutter ist bei der Leistungsfähigkeit vor der Berechnung des Unterhaltsanspruchs der F vom Einkommen des M abzuziehen, wenn sie vorrangig wäre. Die nicht verheiratete Mutter steht als betreuender Elternteil stets auf dem zweiten Rang.

     

    Anspruch auf Betreuungsunterhalt trotz vollschichtiger Tätigkeit

    Fraglich ist, ob F einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt hat, der ihr den Rang nach § 1609 Nr. 2 BGB wahrt. Denn sie ist vollschichtig erwerbstätig. Dennoch kann ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt gegeben sein. Voraussetzung dafür ist, dass der Betreuende überobligatorisch tätig ist. Dies ist der Fall, wenn er vollschichtig erwerbstätig ist, obwohl kind- oder elternbezogene Gründe vorliegen, die einen fortdauernden Unterhaltsanspruch rechtfertigen würden. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob und in welchem Umfang das Einkommen des Berechtigten zu beachten ist. Ist der Ehegatte freiwillig berufstätig, kann es ein maßgebendes Indiz dafür sein, dass Kindererziehung und Arbeitsmöglichkeit im Einzelfall vereinbar sind. Ob ein überobligatorisch erzieltes Einkommen anzurechnen ist, ist deshalb nach Treu und Glauben gem. den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden.

     

    MERKE | Soweit ein Einkommen danach außer Betracht bleiben muss, greift weiter § 1570 BGB, weil der Ehegatte wegen Kinderbetreuung unterhaltsbedürftig ist.

     

    Nach dem Vortrag der F leiden beide Kinder an einer Nierenerkrankung. Diese müsste fortwährend medizinisch überwacht und die Kinder müssten intensiv betreut und dem Krankheitsbild angemessen verpflegt werden. Die Kinder müssten regelmäßig Medikamente nehmen und zu Kontrolluntersuchungen gehen. Zudem schwimmen beide. Das eine Kind nehme Geigen-, das andere Tennisunterricht. Daher seien Fahrdienste notwendig. In dem zeitlichen Rahmen, der ihr durch die Betreuung der Kinder in der Ganztagseinrichtung eröffnet werde, könne diese ihre mit erheblichen Fahrleistungen verbundene Tätigkeit als Vertreterin nicht ausüben. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der F weiter Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB zusteht. Bei dessen Verlängerung sind an die Darlegung kindbezogener Gründe keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Dabei sind insbesondere auch die Bedürfnisse des Kindes, wie etwa sportliche, musische oder andere Beschäftigungen, zu beachten. Soweit das Kind diese nicht selbstständig wahrnehmen kann, sind vom Unterhaltsberechtigten etwa zu erbringende Fahr- und Betreuungsleistungen zu beachten. Bei der Frage, ob die Aktivitäten unverändert fortgesetzt werden können, ist auch darauf abzustellen, in welcher Form diese vom Kind und den Eltern schon zur Zeit des Zusammenlebens der Familie durchgeführt wurden. Dies wird aber dadurch begrenzt, dass die von dem Elternteil zu erbringenden Betreuungsleistungen und sonstigen Tätigkeiten nicht außer Verhältnis zu der dadurch gehinderten Erwerbstätigkeit stehen dürfen.

     

    Zu prüfen ist, ob die ausgeübte und mögliche Erwerbstätigkeit in den Zeiten der Kinderbetreuung (einschließlich der Fahrzeiten) vereinbar ist und in welchem Umfang dem Unterhaltsberechtigten in dem dadurch vorgegeben zeitlichen Rahmen eine Erwerbstätigkeit zumutbar ist. Insbesondere bei mehreren Kindern können sich daraus Einschränkungen ergeben. Auch die Eigenart der jeweiligen Erwerbstätigkeit ist zu beachten, etwa wenn es sich um Schichtarbeit handelt oder diese sich sonst mit den Zeiten der Kinderbetreuung nur teilweise überschneidet. Inwiefern in diesen Fällen etwa die Hilfe Dritter in Anspruch genommen werden kann, ist im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen.

     

    Auch wenn das Kind in einer kindgerechten Einrichtung oder anderweitig betreut werden kann, gilt: Die von dem Betreuenden zu leistende Betreuung und Erziehung des Kindes kann ihn überobligationsmäßig belasten und damit einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen. Dabei ist u.a. zu berücksichtigen, dass am Morgen und späten Nachmittag und Abend regelmäßig weitere Erziehungs- und Betreuungsleistungen zu erbringen sind, die je nach dem individuellen Betreuungsbedarf des Kindes oder der Kinder unterschiedlich anfallen können. Erst wenn diese Gesichtspunkte gewürdigt sind, lässt sich beurteilen, ob die F noch Betreuungsunterhalt beanspruchen kann.

     

    Einordnung der Rangverhältnisse

    Ist neben dem Anspruch auf Betreuungs- auch ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB gegeben, führt dies nicht dazu, dass die jeweiligen Teilansprüche verschiedenen Rangstufen zuzuordnen wären. Für eine Aufteilung nach Anspruchsgrundlagen bietet der Gesetzeswortlaut keine Anhaltspunkte. Die Formulierung in § 1609 Nr. 2 BGB, wonach Elternteile, die wegen Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind, stellt allein auf die Person des Unterhaltsberechtigten ab. Daraus ist zu schließen, dass ohne Rücksicht darauf, ob der Unterhaltsanspruch des betreuenden Elternteils allein auf der Kinderbetreuung oder zusätzlich auf einem anderen Unterhaltstatbestand beruht, der Gesamtunterhaltsanspruch so lange dem zweiten Rang unterfällt, wie noch Betreuungsunterhalt verlangt werden kann.

    Praxishinweis

    Im Hinblick auf die Frage, ob eine vollschichtige Erwerbstätigkeit bei der Kinderbetreuung überobligatorisch ist, hat der BGH tendenziell seine Ansicht geändert. Früher ging er davon aus, dass eine vollschichtige Tätigkeit bei Kindern, die über drei Jahre alt sind, nicht überobligationsmäßig ist. Denn der betreuende Elternteil, der vollschichtig tätig ist, zeigt, dass dies möglich ist.

     

    Nun stellt der BGH auf die tatsächliche Betreuungssituation ab. Soweit überobligatorisches Erwerbseinkommen vorliegt und dies nur teilweise anzurechnen ist, kann der betreuende Elternteil trotz vollschichtiger Tätigkeit wegen der Teilanrechnung Betreuungsunterhalt beanspruchen. Folge ist, dass sein zweiter Rang gem. § 1609 Nr. 2 BGB damit gewahrt ist.

     

    Bisher hat der BGH eine überobligatorische Tätigkeit nur angenommen, wenn Verwandte des betreuenden Elternteils die Kinder betreut haben, während der betreuende Elternteil erwerbstätig war. Die durch die Kinderbetreuung ermöglichte Erwerbstätigkeit war überobligatorisch. Nun ist die Frage der überobligatorischen Tätigkeit aufgrund der Gesamtumstände im Hinblick auf die Betreuungsbedürftigkeit des Kindes nach kind- und elternbezogenen Gründen bzw. Überobligationsmäßigkeit zu ermitteln.

     

    Interessant ist, dass der BGH bei der Vollzeittätigkeit auch prüft, ob diese im Hinblick auf die Doppelbelastung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit überobligatorisch ist. Bezüglich der Doppelbelastung war bisher entscheidend, dass keine überobligatorische Tätigkeit vorliegt, weil die vollschichtige Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird. Nun ist zu prüfen, ob dadurch nicht eine überobligationsmäßige Belastung eingetreten ist, sodass der betreuende Elternteil noch weiterhin Betreuungsunterhalt beanspruchen kann.

     

    Weiterführender Hinweis

    • BGH FamRZ 08, 1911 zum nachehelichen Unterhalt: Bemessung des Unterhaltsbedarfs bei gleichzeitigem Unterhaltsanspruch des neuen Ehegatten des Unterhaltspflichtigen
    Quelle: Ausgabe 08 / 2015 | Seite 128 | ID 43276491