· Fachbeitrag · Unterhalt nach § 1615l BGB
Verlängern des Unterhaltszeitraums wegen der Betreuung eines behinderten Kindes
von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf
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Sachverhalt
Die Antragstellerin (M) und der Antragsgegner (V) sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des am 21.10.10 geborenen Kindes (K). K ist zu 100 Prozent schwerbehindert. M hat ihr Studium infolge der Schwangerschaft und Geburt von K unterbrochen. Inzwischen lebt sie mit K im Haus ihrer Eltern und studiert wieder. K besucht seit September 2012 montags bis freitags von 09.00 Uhr bis 15.00 Uhr eine Kindertagesstätte, die von 6.30 Uhr bis 18.00 Uhr geöffnet ist. Diese ist für behinderte Kinder eingerichtet und verfügt über ausgebildete Betreuungskräfte und Therapeuten. Vierteljährlich nimmt K mit M an einer Therapiewoche teil. Zusätzlich zu weiteren wöchentlich stattfindenden Therapien muss die M mit K täglich üben. Der V, der zur Zeit der Geburt von K auch studierte, schloss sein Studium ab und arbeitet inzwischen als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität. Die M hat geltend gemacht, dass die behinderungsbedingten Beeinträchtigungen von k eine Betreuungsbedürftigkeit hervorrufen, die nicht mit einer geregelten Arbeitszeit zu vereinbaren seien. Deswegen habe sie ihr Studium noch nicht abschließen können. Das AG hat ihrem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde des V hat das OLG den Antrag ab einem gewissen Zeitpunkt abgewiesen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Entscheidungsgründe
Betreuungsunterhalt kann über das dritte Lebensjahr des Kindes hinaus aus kind- und elternbezogenen Gründen i.S. von § 1570 Abs. 2 BGB verlängert werden. Zwar ist diese Norm nicht ausdrücklich in § 1615l BGB eingeflossen. Elternbezogene Gründe kommen aber in Betracht, wenn die Eltern mit ihrem gemeinsamen Kind zusammengelebt haben und außerdem ein besonderer Vertrauenstatbestand als Nachwirkung dieser Familie entstanden ist.
Hier liegen kindbezogene Verlängerungsgründe vor
Zunächst ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kinderbetreuung auf andere Weise gesichert ist oder in einer für das Kind geeigneten Betreuungseinrichtung gesichert werden könnte. Betreuungszeiten in der Kindertagesstätte können hier eine Arbeitszeit von bis zu fünf Stunden ermöglichen. Es ist aber auch zu beachten, dass K oft erkrankt und dies der Erwerbstätigkeit entgegensteht. Das OLG ist davon ausgegangen, dass die M auch Hilfe Dritter, insbesondere Verwandter, beanspruchen muss. Dies ist im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. Hier hat das OLG auf diesen Umstand nicht hingewiesen, sodass die M sich darauf nicht einlassen konnte. Aber auch wegen der erheblichen Anzahl von Krankheitstagen von K ist damit zu rechnen, dass eine persönliche Betreuung notwendig wird, sodass nur eine fünfstündige Arbeitszeit während der Betreuung des K in der Kindertagesstätte in Betracht kommt. Zudem ist zu beachten, dass K vierteljährlich an einer Therapiewoche teilnehmen muss, bei der die M K begleiten muss. M muss außerdem verschiedene andere Therapietermine wahrnehmen und mit K täglich Übungen durchführen.
Ferner sind elternbezogene Gründe möglich
Voraussetzung dafür ist, dass Eltern mit ihrem gemeinsamen Kind zusammengelebt haben und außerdem ein besonderer Vertrauenstatbestand als Nachwirkung dieser Familie entstanden ist. Hier macht die M allerdings nur ein Zusammenleben vor Geburt des Kindes geltend. Dies reicht nicht aus, da sie in der Zeit vor Geburt des Kindes nicht darauf vertrauen durfte, durch V abgesichert zu werden. Auch aus der Vaterschaftsanerkennung ergibt sich kein anderes Ergebnis. Denn daraus kann nicht auf eine Übernahme unterhaltsrechtlicher Verantwortung für die M geschlossen werden.
Auch die Unterbrechung des Studiums nach der Geburt und der Betreuung von K stellen keine besonderen Verlängerungsgründe dar. Es sind keine elternbezogenen Gründe i.S des § 1570 Abs. 2 BGB. Voraussetzung dafür ist, dass es sich um Umstände handeln muss, die unter Berücksichtigung der Gestaltung von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit in der Ehe bedeutsam sind. Die M hat nicht allein im Interesse von K von einer Erwerbstätigkeit abgesehen, sondern auch, um ihr Studium zu beenden. Damit verfolgt sie eigene berufliche Interessen. Dies gilt auch für den Unterhaltsanspruch nach § 1615l BGB, damit die nicht verheiratete Mutter nicht besser steht als eine eheliche Mutter.
Allerdings kann die infolge der Betreuung des Kindes in einer kindgerechten Einrichtung ermöglichte Erwerbstätigkeit überobligatorisch sein, weil dies zu einer überobligationsmäßigen Belastung führt. Zu beachten ist, dass am Morgen oder am späten Nachmittag und Abend regelmäßig weitere Erziehungs- und Betreuungsleistungen zu erbringen sind. Diese können je nach dem individuellen Betreuungsbedarf des Kindes in unterschiedlichem Umfang anfallen. Die M hat vorgetragen, sie benötige etwa eine Stunde, um K auf die Kindertagesstätte vorzubereiten, weil K z.B. nicht selbstständig essen könne. Für das Bringen zu und das Abholen von der Einrichtung brauche sie auch jeweils eine Stunde. Darüber hinaus müsse sie mit K Therapietermine wahrnehmen und mehrfach täglich üben. Diese Umstände bedingen einen erheblichen zeitlichen Einsatz, der bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der Betreuung des schwer behinderten K und einer Erwerbstätigkeit angemessen zu berücksichtigen ist.
Bezüglich des Unterhaltsbedarfs kommt es entgegen einer früheren Ansicht des Senats nicht ausschließlich auf den im Zeitpunkt der Geburt des gemeinsamen Kindes bestehenden Bedarf an. Vielmehr richtet sich die Lebensstellung des Berechtigten auch danach, welche Einkünfte er ohne die Geburt und die Betreuung des Kindes hätte. Daher ist der Bedarf nicht auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes festgeschrieben. Vielmehr ist auch die weitere Entwicklung zu beachten. Hier dürfte M ihr Studium ohne dessen Unterbrechung wegen der Betreuung von K abgeschlossen haben, sodass sich der Bedarf danach richtet.
Praxishinweis
Wichtig an der Entscheidung ist die Bedarfsermittlung. Der BGH hält nicht mehr daran fest, dass es ausschließlich auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes ankommt, um den Bedarf des Unterhaltsberechtigten, der sich aus seiner Lebensstellung ergibt, zu berechnen. Der BGH berücksichtigt auch weitergehende Entwicklungen, die ohne die Kinderbetreuung eingetreten wären. Hier führt dies sogar dazu, dass sich der Bedarf nach anderen Kriterien richtet. Denn die unterhaltsberechtigte M hätte ohne die Kinderbetreuung ihr Studium in der Zwischenzeit beendet. Folglich prägen die sich aus der späteren Berufstätigkeit ergebenden Einkünfte den Bedarf. Dies bedeutet, dass der Mindestbedarf, der für Studenten gilt, durch die hypothetische berufliche Weiterentwicklung beeinflusst und durch späteres Erwerbseinkommen ersetzt wird.
Checkliste / Vortrag zur Verlängerung des Unterhalts nach § 1615l BGB |
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Der Umstand, dass der Unterhaltsberechtigte wegen seines Studiums keine Erwerbstätigkeit ausübt, ist kein Grund, die dadurch eingetretene Bedürftigkeit auch bei § 1615l BGB zu berücksichtigen. Vielmehr ist dem Unterhaltsberechtigten im Rahmen seiner Erwerbsmöglichkeiten eine Erwerbstätigkeit zuzurechnen. Die Erwerbsobliegenheit wird also nicht durch das Studium beeinflusst, sondern durch die Möglichkeiten, auf dem Arbeitsmarkt Erwerbseinkünfte zu erzielen. Dies bedeutet auch, dass möglicherweise wieder die Eltern der M, die K betreut hat, bei Wiederaufnahme des Studiums nach Ablauf des Betreuungsunterhalts Ausbildungsunterhalt für Volljährige zahlen müssen.
Weiterführende Hinweise
- BGHZ 184, 13 = FamRZ 10, 357 zum Unterhaltsbedarf wegen Betreuung eines nichtehelichen Kindes (die vorliegende Entscheidung gibt diese Rechtsprechung teilweise auf)
- BGH FamRZ 10, 444 zur Verlängerung über die Vollendung des dritten Lebensjahres des nichtehelichen Kindes hinaus (diese Entscheidung gibt die Rechtsprechung teilweise auf)