· Fachbeitrag · Elternunterhalt
Unterhaltspflicht für einen Dritten: Betreuungsunterhalt wird nicht monetarisiert
von VRiOLG a.D. Dr. Jürgen Soyka, Meerbusch
| Es ist schwierig, Einkommen zu ermitteln, wenn der einem Dritten gegenüber Unterhaltspflichtige Betreuungsunterhalt für ein Kind leistet und ein Dritter den Barunterhalt. Der BGH zeigt, wie es geht. |
Sachverhalt
Der Antragsteller begehrt als Sozialhilfeträger (SHT) von der Antragsgegnerin (T1) Elternunterhalt aus übergegangenem Recht. Die T1 und ihre Schwester (T2) sind die Töchter des V, der im Heim untergebracht war und während dieser Zeit Sozialhilfe bezog. Die T1 erzielt ein bereinigtes Netto-Einkommen aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit. Sie betreute ihren zunächst 11-, später 12-jährigen Sohn (S), von dessen Vater (KV) sie getrennt lebte und der für S monatlich Unterhalt leistete. Die T2 verfügte ebenfalls über ein für den Elternunterhalt einsetzbares geringes Einkommen. Von der T1 hat der SHT anteiligen Unterhalt verlangt. Das AG hat die T1 verpflichtet zu zahlen. Das OLG hat den Unterhalt reduziert. Die Rechtsbeschwerde ist nur zum geringen Teil erfolgreich.
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Entscheidungsgründe
Das OLG hat zu Unrecht bei T1 bei der Leistungsfähigkeit den für den S geleisteten Betreuungsunterhalt monetarisiert und von ihrem unterhaltsrelevanten Einkommen abgezogen. Der Betreuungsunterhalt ist nicht auf eine Geldleistung gerichtet und lässt sich deswegen auch nicht monetarisieren. Die Betreuung eines Kindes wirkt nicht unmittelbar einkommensmindernd.
Zu berücksichtigen ist allerdings der nicht anderweitig gedeckte vorrangige Barunterhalt an S. Der Unterhaltsbedarf richtet sich gem. § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Bedürftigen, wobei bei minderjährigen Kindern, die noch im Haushalt eines Elternteils leben, diese ihre Lebensstellung von der der Eltern ableiten. Daher ist bei der Bedarfsbemessung auf die zusammengerechneten Einkünfte beider Elternteile abzustellen. Es besteht kein Unterschied zum abgeleiteten Barunterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes, der sich ebenfalls nach den zusammengerechneten Einkünften beider Elternteile bemisst. Auf den dadurch errechneten Unterhaltsbedarf ist das hälftige Kindergeld anzurechnen, § 1612b Abs. 1 S. 1 BGB. Der danach verbleibende Unterhaltsbedarf wird grundsätzlich überwiegend durch den Kindesunterhalt des Barunterhaltspflichtigen gedeckt. Dessen Unterhaltspflicht ist aber auf den Betrag begrenzt, den er bei alleiniger Unterhaltshaftung auf der Grundlage seines Einkommens zahlen müsste. Auch seine Barunterhaltspflicht wäre um das bei minderjährigen Kindern auf den Barunterhalt entfallende hälftige Kindergeld gemindert.
Der KV zahlt Barunterhalt. Daher ist von den Erwerbseinkünften der T1 der Barunterhaltsbedarf des S nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzüglich des hälftigen Kindergeldes und abzüglich des vom KV geleisteten Barunterhalts abzuziehen. Denn die T1 leistet in dieser Höhe neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt. Die andere Hälfte des Kindergeldes, die die T1 als betreuender Elternteil erhält, erhöht nicht ihr Einkommen. Bei der Einkommensermittlung ist der um das hälftige Kindergeld geminderte tatsächliche Zahlbetrag des Kindesunterhalts zu berücksichtigen, nicht der Tabellenbetrag. Dies ist aber nicht auf den betreuenden Elternteil zu übertragen. Denn anders als beim Barunterhaltspflichtigen mindert der auf den betreuenden Elternteil entfallende Kindergeldanteil nicht die von ihm zu erbringende Betreuungsleistung und damit den von ihm zu erbringenden Unterhalt. Das Kindergeld ist als zweckgebundene existenzsichernde Leistung für das Kind zu verwenden und mindert dessen individuellen Unterhaltsbedarf.
Bei der Berücksichtigung des Erwerbseinkommens neben der Kinderbetreuung ist der T1 kein Betreuungsbonus zuzubilligen. Zu prüfen ist vielmehr, ob die Erwerbstätigkeit neben der Kinderbetreuung überobligatorisch ist und für diesen Fall, in welcher Höhe das tatsächlich erzielte Einkommen anrechenbar ist. Überobligatorische Tätigkeit ist nur anzunehmen, wenn ein Elternteil erwerbstätig ist, obwohl ein Erwerbshindernis in Form der Kinderbetreuung besteht.
Hier ist eine überobligatorische Tätigkeit zu verneinen, weil S 11 bzw. 12 Jahre alt ist. Die Betreuung hindert nicht eine vollschichtige Erwerbstätigkeit.
Relevanz für die Praxis
Gleiche Berechnungsprobleme tauchen auch auf, wenn ein Kind in einer intakten Ehe mit dem Unterhaltspflichtigen und dem Ehegatten des Unterhaltspflichtigen zusammenlebt.
Gem. § 1612 Abs. 1 S. 1 BGB wird der Barunterhalt durch eine Geldrente gewährt. Diese soll gem. § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Ausbildung abdecken. Dazu gehören im Wesentlichen die Aufwendungen für Unterkunft, Kleidung, Versorgung, Bildung, Ausbildung, Erholung sowie Gesundheits- und Krankheitsfürsorge.
Der Naturalunterhalt erfasst wie der Barunterhalt den gesamten Lebensbedarf des Kindes. Der Unterschied besteht darin, dass die erforderlichen Dinge in Natura zur Verfügung gestellt werden, also durch Wohnungsgewährung, Beköstigung, Pflegemittel etc. Ferner gehört dazu ein angemessenes Taschengeld. Der Naturalunterhalt umfasst damit diejenigen Leistungen, für deren Beschaffung der Unterhaltsberechtigte seinen Barunterhalt einsetzen müsste, also die geldwerten Güter, die den Lebensbedarf sicherstellen.
Der Betreuungsunterhalt erfasst die Betreuungsleistungen der Eltern gegenüber ihren Kindern, d. h. die Versorgung, Erziehung, persönliche Zuwendungen und Haushaltsführung. Im Unterschied zum Naturalunterhalt deckt er nicht die materiellen Bedürfnisse des Kindes ab, sondern die Leistungen, den Zeitaufwand, manchmal sogar Nerven, aber keine Geldkosten. Dabei handelt es sich um denjenigen Unterhalt, den das Gesetz in § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB als Unterhaltsbeitrag durch „die Pflege und Erziehung des Kindes“ kennzeichnet.
Wenn der für einen Dritten Unterhaltspflichtige ein Kind betreut, sind daher Betreuungsleistungen nicht zu monetarisieren. Dies bedeutet, dass der Betreuungsunterhalt nicht in Geldwert auszudrücken ist.
Davon zu unterscheiden ist der Naturalunterhalt, den der betreuende Elternteil dem Kind leistet. Dieser Naturalunterhalt muss beschafft werden, d. h. er kostet Geld. Daher ist der Naturalunterhalt durch eine Barunterhaltsleistung festzusetzen. Dafür gelten die Tabellensätze der Düsseldorfer Tabelle.
Lebt das Kind bei einem unterhaltspflichtigen Elternteil und erhält es vom anderen Teil Barunterhalt, ist der Gesamtbedarf des Kindes aus dem Tabellenbetrag der zusammengerechneten Einkünfte der Eltern zu ermitteln. Davon ist gem. § 1612b BGB das hälftige Kindergeld abzuziehen. Der verbleibende Betrag bestimmt den Bedarf des Kindes. Darauf ist der Unterhalt anzurechnen, den der Barunterhaltspflichtige zahlt. Der Restbetrag ist der Anteil am Barunterhalt, den der Betreuende leisten muss, damit der Lebensbedarf nach den Einkünften der Eltern sichergestellt ist. Sodann ist das Kindergeld auszugleichen. Das halbe Kindergeld ist bereits dadurch ausgeglichen, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil schon den um das halbe Kindergeld bereinigten Zahlbetrag leistet. Die andere Hälfte des Kindergeldes muss dem betreuenden Teil verbleiben. Hier erfolgt keine Anrechnung, da der Betreuungsunterhalt seinerseits nicht zu monetarisieren ist. Der sodann verbleibende Betrag ist bei der Ermittlung des Einkommens des unterhaltspflichtigen Elternteils abzuziehen.
Soweit der Unterhaltspflichtige mit dem anderen Elternteil zusammenwohnt, ist in gleicher Weise vorzugehen. Der Barbedarf des Kindes ist aufgrund der zusammengerechneten Einkünfte der Eltern zu ermitteln. Davon ist das halbe Kindergeld abzuziehen, sodass nur der Restbedarf des Kindes anzusetzen ist. Da sich in diesem Fall beide Eltern am Barunterhalt beteiligen und möglicherweise beide das Kind betreuen, ist der Barbedarf des Kindes entsprechend den Einkünften beider Elternteile zu ermitteln, wie die Haftungsanteile beim Volljährigenunterhalt. Das halbe Kindergeld ist bereits ausgeglichen, weil es zur Hälfte auf den Barbedarf des Kindes angerechnet ist. Die andere Hälfte darf nicht verrechnet werden, da sie den Betreuungsunterhalt abdeckt, der nicht zu monetarisieren ist.
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M schuldet Unterhalt für seinen im Heim befindlichen Vater V. M ist mit F verheiratet. In der Ehe wird das Kind K betreut. K ist neun Jahre alt. M und F sind erwerbstätig. M erzielt ein bereinigtes monatliches Erwerbseinkommen von 2.800 EUR und F von 1.600 EUR.
In welcher Höhe ist der Kindesunterhalt bei der Berechnung des Elternunterhalts abzuziehen?
Lösung: Der Kindesunterhalt für K ist wie folgt bei der Berechnung des Elternunterhalts für V zu berücksichtigen:
Der Bedarf des K richtet sich nach den zusammengerechneten Einkünften der Eltern, das sind 4.400 EUR (2.800 EUR + 1.600 EUR). Es greift daher die Einkommensgruppe 9. Im Hinblick auf das Alter des K gilt die Altersstufe II. Der Tabellenbetrag beläuft sich also auf 598 EUR, der Zahlbetrag von 502 EUR bei Abzug des hälftigen Kindergeldes (1/2 von 192 EUR = 96 EUR).
Der Haftungsanteil des M ermittelt sich wie folgt: 502 EUR x (2.800 EUR ./. 1.300 EUR) : (2.800 EUR ./. 1.300 EUR + 1.600 ./. 1.300 EUR) = 502 EUR x 1.500 EUR : 1.800 EUR = 418,33 EUR.
Der Betrag von 1.300 EUR entspricht dem angemessenen Selbstbehalt.
In Höhe von 419 EUR (gerundet) ist der Kindesunterhalt bei der Einkommensermittlung des M abzuziehen, um den Elternunterhalt für V zu berechnen.
Beachten Sie | Die andere Hälfte des Kindergeldes darf nicht angesetzt werden, weil sie die Betreuungsleistung der Kindeseltern abdeckt, die neben der Erwerbstätigkeit erbracht wird. |
Weiterführender Hinweis
- BGH FamRZ 16, 199 dazu, dass die Betreuung des Kindes nicht unmittelbar einkommensmindernd ist. Vielmehr kann sich unter den Voraussetzungen der § 1570 Abs. 1 S. 2 und 3, Abs. 2, § 1615l Abs. 2 S. 4 und 5 BGB die daneben geleistete Erwerbstätigkeit als überobligatorisch darstellen.