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  • · Fachbeitrag · Kindesunterhalt

    BGH: Mehrbedarf ist vom Verlangen auf höheren Unterhalt erfasst

    von RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, BGM Anwaltssozietät, Münster

    | Der BGH hat entschieden, dass der Mehrbedarf vom Verlangen nach höherem Unterhalt automatisch miterfasst wird. |

     

    Sachverhalt

    Der 2012 geborene Antragsteller K lebt im Haushalt seiner Mutter M. Am 24.2.20 forderte M den Vater V per E-Mail auf, höheren Kindesunterhalt zu zahlen und verlangte die Vorlage der Gehaltsabrechnungen für 2019. Am 14.4.21 verpflichtete sich der V mittels einer Jugendamtsurkunde, Unterhalt für K nach der sechsten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle (EKG 6 DT) zu zahlen. Am selben Tag verlangte M jedoch erfolglos, Unterhalt nach der EKG 9 DT zu zahlen und sich anteilig an den Kosten des K in der offenen Ganztagsschule als Mehrbedarf zu beteiligen. K hat den V u. a. auf Zahlung von rückständigem Elementar- und Mehrbedarf für den Zeitraum vom 1.2.20 bis zum 31.8.21 in Anspruch genommen. Das AG hat dem K einen Unterhaltsrückstand und einen Mehrbedarf zugesprochen, das OLG reduzierte dies und verneinte für den Zeitraum vom 1.2.20 bis zum 31.3.21 einen Anspruch des K auf Mehrbedarf. Der BGH hob die Entscheidung des OLG auf und verwies die Sache zurück (BGH 24.4.24, XII ZB 282/23, Abruf-Nr. 242060).

     

    Entscheidungsgründe

    Bei den Kosten für die offene Ganztagsschule handelt es sich um Mehrbedarf, den die Eltern anteilig tragen müssen (BGH FamRZ 18, 23 Rn. 19). Mehrbedarf kann (wie Elementarbedarf) für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB verlangt werden. Es muss in der Auskunftsaufforderung aber nicht ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass neben dem Elementarunterhalt auch Mehrbedarf begehrt wird, damit ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Auskunftsverlangens (anteilig) Mehrbedarf gefordert werden kann. Nach § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB kann für die Vergangenheit u. a. von dem Zeitpunkt an Erfüllung gefordert werden, zu dem der Verpflichtete aufgefordert worden ist, über seine Einkünfte und sein Vermögen Auskunft zu erteilen, um den Unterhaltsanspruch geltend zu machen.

     

    MERKE | Wird der Unterhaltspflichtige nach § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB aufgefordert, Auskunft zu erteilen, kann ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Begehrens der Kindesunterhaltsanspruch in seiner Gesamtheit gefordert werden. Dies gilt auch, wenn nicht explizit darauf hingewiesen wurde, dass beabsichtigt ist, über den Elementarunterhalt hinaus Mehrbedarf geltend zu machen.

     

    Dies ist aber streitig: So wird ‒ mit dem Beschwerdegericht ‒ die Ansicht vertreten, dass ein allgemein auf Kindesunterhalt gerichtetes Auskunftsverlangen nicht reicht, um ab Zugang dieses Verlangens nach § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB über den Elementarunterhalt hinaus auch einen Mehrbedarf beanspruchen zu können (OLG Düsseldorf 11.9.00, 2 UF 67/00, juris Rn. 7 zur früheren Fassung des § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB).

     

    Nach anderer Auffassung löst die allgemeine Auskunftsaufforderung, um Kindesunterhalt geltend zu machen, auch hinsichtlich eines Mehrbedarfs die Wirkungen des § 1613 Abs. 1 BGB aus (Born, FamRZ 23, 1375 f.).

     

    Die zweite Meinung trifft zu: Der Wortlaut des § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB spricht davon, den „Unterhaltsanspruch geltend zu machen, ohne dass es erforderlich ist, alle Teile des einheitlichen, den gesamten Lebensbedarf umfassenden Unterhaltsanspruchs (§ 1610 Abs. 2 BGB) im Einzelnen konkret zu benennen.

     

    Die Möglichkeit, Unterhalt für die Vergangenheit auch von dem Zeitpunkt an fordern zu können, zu dem der Unterhaltspflichtige aufgefordert worden ist, Auskunft zu erteilen, wurde durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder vom 6.4.98 (Kindesunterhaltsgesetz; BGBl. I, 666) geschaffen. Der Gesetzentwurf sah zunächst nur vor, dass dem Unterhaltspflichtigen ein Verlangen, über seine Einkünfte und sein Vermögen Auskunft zu erteilen, zugegangen ist (BT-Drucksache 13/7338, 6, 31). Auf Anregung des Bundesrats wurde ergänzt, dass die Auskunftsaufforderung sich auf einen bestimmten Unterhaltsanspruch beziehen muss, damit die Wirkungen des § 1613 Abs. 1 BGB ausgelöst werden (so auch Wendl/Dose/Siebert, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl., § 6 Rn. 107). Insbesondere sollte verhindert werden, dass etwa ein (nur) auf Ehegattenunterhalt bezogenes Auskunftsverlangen auch hinsichtlich eines Kindesunterhaltsanspruchs die Wirkungen des § 1613 Abs. 1 BGB auslöst. Denn nur ein Unterhaltspflichtiger, der vom Unterhaltsberechtigten mit Blick auf einen konkret benannten Unterhaltsanspruch aufgefordert wird, Auskunft zu erteilen, muss insoweit ab diesem Zeitpunkt damit rechnen, in Anspruch genommen zu werden (vgl. auch OLG Frankfurt FuR 02, 534, 535).

     

    Der Gesetzgeber hält es aber nicht für erforderlich, über die konkrete Bezeichnung eines bestimmten Unterhaltsanspruchs hinaus auch alle begehrten Bestandteile dieses Anspruchs im Auskunftsverlangen zu benennen.

     

    § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB dient dazu, den Unterhaltspflichtigen vor hohen Nachforderungen zu schützen. Ab dem Zugang einer Auskunftsaufforderung ist dieser aber nicht mehr schutzwürdig, weil er von diesem Zeitpunkt an damit rechnen muss, auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden und ggf. Rückstellungen bilden kann und muss (BGH 22.11.06, XII ZR 24/04, FamRZ 07, 193, 195 f.). Infolge der zum 1.7.98 in Kraft getretenen Änderung des § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB ist diese Schutzfunktion, die der vorher erforderlichen Mahnung zukam, aber bewusst abgeschwächt worden (BGH, a. a. O., 196). Während eine Mahnung nur in Verzug setzt, wenn die Verpflichtung nach Existenz und Höhe bekannt ist (BGH 26.5.82, IVb ZR 715/80, FamRZ 82, 887, 890), sollte § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB n. F. den Berechtigten davon entbinden, zu hohe Unterhaltsbeträge einzufordern, um nicht später an der rückwirkenden Geltendmachung gehindert zu sein (BT-Drucksache 13/7338, 31). Durch die Möglichkeit, Auskunft zu fordern, sollte es entbehrlich werden, den Unterhaltsanspruch oder seine einzelnen Bestandteile konkret zu beziffern.

     

    Der Unterhaltspflichtige weiß im Fall eines Auskunftsbegehrens nicht, in welcher Höhe er in Anspruch genommen wird. Diese muss er überschlägig berechnen, eventuell mit einem Aufschlag, damit seine Rückstellungen ausreichen. Wird etwa Trennungs- oder nachehelicher Unterhalt begehrt, muss der Unterhaltspflichtige i. d. R. auch das Einkommen und Vermögen des Berechtigten kennen. Diese Unsicherheit hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, als er § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB zum 1.7.98 geändert hat. Beim Mehrbedarf des Kindes ist die Situation ähnlich. Für den Mehrbedarf haften die Eltern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen, § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB (BGH 20.9.23, XII ZB 177/22, FamRZ 24, 32 Rn. 21). Selbst wenn der Berechtigte den Pflichtigen in der Auskunftsaufforderung die Höhe der Kosten mitteilen würde, wäre damit die Unsicherheit i. d. R. nicht beseitigt. Denn ohne Kenntnis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des anderen Elternteils wird es dem zur Auskunft aufgeforderten Elternteil (abgesehen bei eigener Leistungsunfähigkeit) unmöglich sein, seine Haftungsquote zu errechnen. Die Situation würde sich für den Unterhaltspflichtigen also nicht verbessern, wenn man im Auskunftsbegehren einen Hinweis auf die beabsichtigte Geltendmachung eines Mehrbedarfs und ggf. dessen Höhe verlangen würde. Ein vorsichtiger Unterhaltspflichtiger ist daher nach einer Auskunftsaufforderung gehalten, aufgrund seines Einkommens nach der DT zu erwartenden Regelbedarf und vorsorglich noch einen weiteren Betrag für einen etwaigen Mehrbedarf zurückzulegen.

     

    Elementar- und Altersvorsorgeunterhalt (AVU) sind Teil eines einheitlichen Unterhaltsanspruchs, der den gesamten Lebensbedarf abdeckt. Es genügt, den Pflichtigen zur Auskunft über den Unterhalt aufzufordern, ohne explizit AVU zu erwähnen, was auch für den Kindesunterhalt gilt. Zwar gehört nach § 1361 Abs. 1 S. 2 BGB der Anspruch auf AVU vom Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags an zum Lebensbedarf im Rahmen des Trennungsunterhalts (BGH 22.11.06, XII ZR 24/04, FamRZ 07, 193, 196), während ein über die Bedarfssätze der DT hinausgehender Mehrbedarf nur im Bedarfsfall anfällt. Bei beiden bleibt aber der Pflichtige im Fall einer Auskunftsaufforderung im Unklaren, ob der Berechtigte überhaupt AVU bzw. Mehrbedarf beanspruchen wird. Es bestehen Auskunftsansprüche gegen den Unterhaltsberechtigten oder den anderen Elternteil, um notwendige Informationen für Rückstellungen zu erhalten (Born, FamRZ 23, 1375, 1376).

     

    K kann rückwirkend ab Februar 20 Mehrbedarf von V fordern. Der Fall wird an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, da es bisher keine Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen und zur Höhe des Mehrbedarfs getroffen hat.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung stärkt die Position der Unterhaltsberechtigten, da sie zeigt, dass eine allgemeine Auskunftsaufforderung genügt, um auch Ansprüche auf Mehrbedarf rückwirkend geltend machen zu können. Unterhaltspflichtige müssen sich darauf einstellen, auch für Mehrbedarf in Anspruch genommen zu werden, sobald sie zur Auskunftserteilung aufgefordert werden. Dies erhöht ihre Verantwortung, rechtzeitig entsprechende Rücklagen zu bilden.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Vorinstanz OLG Schleswig FF 23, 314
    Quelle: Ausgabe 08 / 2024 | Seite 131 | ID 50067934