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  • · Fachbeitrag · Kindesunterhalt

    Eintritt der Volljährigkeit im laufenden Verfahren

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    • 1.Endet die gesetzliche Verfahrensstandschaft eines Elternteils nach § 1629 Abs. 3 BGB mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, kann das Kind als Antragsteller in das Verfahren nur im Wege des gewillkürten Beteiligtenwechsels eintreten (teilweise Aufgabe der Senatsurteile FamRZ 83, 474 und 85, 471). Dieser ist nicht von der Zustimmung des Antragsgegners abhängig.
    • 2.Durch die sozialrechtliche Berücksichtigung titulierter Unterhaltspflichten bei einem Antrag des Unterhaltspflichtigen auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende erhöht sich dessen unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht.

    (BGH 19.6.13, XII ZB 39/11, FamRZ 13, 1378, Abruf-Nr. 132427).

     

    Sachverhalt

    Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt. Die Mutter der Antragstellerin und ursprüngliche Antragstellerin ist die geschiedene Ehefrau des Antragsgegners. Die im September 94 geborene Antragstellerin ist die aus der Ehe hervorgegangene Tochter. Der 1953 geborene Antragsgegner ist gelernter Maler und Lackierer. Er war als solcher aber nie berufstätig, sondern ­übte verschiedene Tätigkeiten aus, u.a. als Zeitsoldat, später Projektleiter als Mitarbeiter bei einem Jobcenter). Spätestens seit November 09 ist er arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem SGB II. Die Parteien streiten darüber, ob ihm wegen Verstoßes gegen seine Erwerbsobliegenheit ein fiktives Einkommen zuzurechnen ist oder ob er hinreichend leistungsfähig ist. Denn er könnte die geforderten Beträge - bei Titulierung des Unterhalts - im Rahmen ­einer Nebentätigkeit zusätzlich zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ­anrechnungsfrei hinzuverdienen. Das AG hat ihn antragsgemäß zum Unterhalt verpflichtet. Seine dagegen gerichtete Beschwerde war erfolgreich. Die dagegen ­gerichtete Rechtsbeschwerde blieb erfolglos. Die während des Rechtsbeschwerdeverfahrens volljährig gewordene Antragstellerin ist in das Verfahren eingetreten. Sie verfolgt ihr Unterhaltsbegehren erfolglos weiter.

    Entscheidungsgründe

    Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.

     

    Beteiligtenwechsel ist zulässig

    Die Antragstellerin ist wirksam anstelle ihrer Mutter in das Verfahren eingetreten. Die Verfahrensstandschaft nach § 1629 Abs. 3 S. 1 BGB bestand zwar über die Scheidung hinaus fort. Mit Eintritt der Volljährigkeit ist diese aber entfallen. Dies führt allerdings nicht dazu, dass ein Parteiwechsel kraft ­Gesetzes eintritt. Vielmehr hat das volljährige Kind nur ein Recht, in den Prozess einzutreten. Dies muss der Volljährige entsprechend erklären. Es muss der freien Entscheidung des Volljährigen überlassen bleiben, ob es sich am Verfahren beteiligt und dieses fortsetzt. Denn es wäre unbillig, dass das Kind mit Eintritt seiner Volljährigkeit ohne Rücksicht auf seinen Willen zum Beteiligten des Verfahrens würde. Würde es sich entschließen, das Verfahren nicht weiterzuführen, müsste es den Unterhaltsantrag mit der Kostenfolge nach § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 269 Abs. 3 ZPO zurücknehmen. Eine einseitige ­Erledigungserklärung wäre mangels eines erledigenden Ereignisses unbegründet. Aber auch eine übereinstimmende Erledigungserklärung wäre für das Kind mit einem Kosteninteresse verbunden. Demgegenüber kann der ehemalige Verfahrensstandschafter den Antrag notfalls einseitig für erledigt erklären, weil mit der Verfahrensführungsbefugnis eine Zulässigkeitsvoraussetzung nachträglich entfallen ist. Daher kann nur gewillkürter Beteiligtenwechsel in Betracht kommen, damit das Kind nicht ohne seinen Willen Beteiligter wird, sondern sich aus dem Streit der Eltern heraushalten kann.

     

    Zustimmung des Antragsgegners nicht erforderlich

    Eine Zustimmung des Antragsgegners ist allerdings bei Eintritt des Volljährigen in das Verfahren nicht erforderlich. Daher ist der Beteiligtenwechsel auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz zulässig.

     

    Kein Unterhaltsanspruch gegeben

    Es besteht allerdings kein Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes. Denn der Antragsgegner ist nicht leistungsfähig. Der Antragsgegner konnte im Verlauf seiner wechselvollen Erwerbsbiografie keine Qualifikation erwerben, die es ihm heute ermöglichen würde, eine Vollzeitstelle zu erlangen. Nicht zuletzt ist das Alter des Antragsgegners bedeutsam, ebenso wie der persönliche Eindruck, den das OLG von ihm gewonnen hat.

     

    Dem Antragsgegner ist auch kein fiktives Einkommen zuzurechnen, das ­neben seinem Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch II anrechnungsfrei zu belassen wäre. Der Bezug eines Erwerbseinkommens neben einer bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistung ist für sich genommen nicht ausschlag­gebend. Vielmehr kann der Unterhaltspflichtige u.U. auch unterhaltsrechtlich leistungsfähig sein, wenn er seinen unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt aus Sozialleistungen bestreiten und ein den Selbstbehalt übersteigendes ­Nebeneinkommen für den Unterhalt einsetzen kann. Hier ist kein Nebeneinkommen zuzurechnen. Denn der Antragsgegner würde nicht mehr als seinen notwendigen Selbstbehalt verdienen. Eine mögliche Titulierung des Kindesunterhalts ist bei der Leistungsfähigkeit nicht mit zu berücksichtigen. Nach § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB II a.F., der bis zum 31.3.11 galt und § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB II gilt: Vom Einkommen eines Antragstellers der Grundsicherung für Arbeitssuchende sind Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell ­beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag abzusetzen. Diese Regelung betrifft die Einkommensermittlung für Leistungsberechtigte der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Sie orientiert sich daran, dass die ­Sozialhilfebedürftigkeit einer Person von den ihr zur Bestreitung ­ihres ­Lebensunterhalts tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln ­abhängt. ­Daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass durch die Titulierung des Unterhalts die Leistungsfähigkeit erhöht werden kann.

     

    Dies unterscheidet sich von der Einsetzbarkeit teilweise ­anrechnungsfreien Einkommens dadurch, dass der Unterhalt schon bei der Ermittlung der Sozialhilfebedürftigkeit des Unterhaltspflichtigen berücksichtigt wird. Es muss zunächst geklärt werden, welches Einkommen dem Pflichtigen unterhaltsrechtlich zur Verfügung steht. Dies kann nur ohne Berücksichtigung einer wegen Unterhalt erhöhten Sozialleistung durchgeführt werden, um einen Zirkelschluss zu vermeiden. Dem entsprechen auch die sozialrechtlichen Wertungen. Denn der Gesetzgeber des SGB II knüpft für die Höhe des vom Einkommen abzusetzenden Unterhaltsbetrags an den im Unterhaltstitel festgesetzten Unterhalt als Obergrenze für die ­Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen als Abzugsposten an. ­Damit ­unterstellt er nur i.S. einer verwaltungspraktischen Anwendung der SGB II-Vorschriften zur Einkommensberücksichtigung, dass ein nach Maßgabe der §§ 1601 ff. BGB gegebener ­Unterhaltsanspruch auch in der festgelegten Höhe besteht. Daher bedarf es keiner eigenen Feststellung der Behörden oder des Sozialgerichts zur Höhe des Unterhaltsanspruchs. Diese überprüfen die Unterhaltshöhe auch nicht.

     

    MERKE | Der Unterhalt muss daher ­ermittelt werden, bevor die Sozialhilfebedürftigkeit des Unterhaltspflichtigen festgestellt wird. Es ist unzulässig, für die ­Leistungsfähigkeit den möglichen Bezug von Sozialleistungen als Einkommen anzusetzen, wenn aufgrund des zu berücksichtigenden tatsächlichen Einkommens die Leistungsfähigkeit nicht oder nur engeschränkt gegeben ist.

     

    Praxishinweis

    Der BGH wendet sich gegen die Ansicht einiger OLG, die die Leistungsfähigkeit durch die Beachtung titulierter Unterhaltspflichten bei der Einkommensermittlung nach SGB II hergeleitet haben (OLG Brandenburg FamRZ 08, 2304, 2306; OLG Schleswig NJW-RR 10, 221, KG FamRZ 11, 1302). Danach ­waren ­Unterhaltspflichtige bei der ­gesteigerten Unterhaltspflicht an sich stets leistungsfähig. Dies galt auch, wenn sie­ ­arbeitslos waren und SGB II-Leistungen bezogen. Diese Gerichte haben den Mindestbedarf tituliert. Das hat dazu ­geführt, dass bei der Einkommensermittlung nach SGB II die Unterhaltsansprüche zu beachten waren. Folge war, dass ein mögliches Erwerbseinkommen in größerem Umfang ­anrechnungsfrei blieb. Letztlich entsprach das zur Verfügung stehende Einkommen dem Bedarf ­eines Erwerbstätigen gemäß SGB II. Das wiederum entsprach dem notwendigen Selbstbehalt eines ­gesteigert Unterhaltspflichtigen. Der Fehler besteht darin, dass die Gerichte die Leistungsfähigkeit (§ 1603 BGB) erst daraus herleiten, dass dem ­Unterhaltspflichten SGB-II-Leistungen unterstellt werden. Anschließend ­erfolgt erst eine entsprechende Titulierung. Dies führt dazu, dass die Leistungsfähigkeit nicht auf den Unterhaltszeitraum bezogen beurteilt wird, sondern von der späteren Titulierung abhängt. Das ist unzulässig. Auch aus dem SGB II folgt nichts anderes. Danach muss die Unterhaltspflicht feststehen, ­bevor ein Titel darüber geschaffen werden kann. Erst aufgrund dieses Titels kann eine Unterhaltspflicht in die sozialrechtliche Einkommensermittlung einfließen. Dies gilt auch für künftigen Unterhalt. Die Frage der Unterhaltspflicht ist daher zu klären, bevor SGB II-Leistungen ­berechnet werden können.

    Quelle: Ausgabe 01 / 2014 | Seite 4 | ID 42374775