· Fachbeitrag · Kindesunterhalt
Vermögensverwertungspflicht: Rechtsfolgen einer Verletzung
von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf
Verletzt der Unterhaltspflichtige die Obliegenheit, Vermögenswerte zu realisieren, ist er unterhaltsrechtlich so zu behandeln, als habe er die Obliegenheit erfüllt. Ein einklagbarer Anspruch auf Rückforderung einer Schenkung oder Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs besteht dagegen nicht (BGH 28.11.12, XII ZR 19/10, FamRB 13, 72, Abruf-Nr. 130958). |
Sachverhalt
Die Kläger K (Jahrgang 1996 und 1998) verlangen von ihrem Vater, dem Beklagten B, die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen gegenüber seiner Schwester. B erkannte die Vaterschaft und die Verpflichtung zur Zahlung des Regelunterhalts zuzüglich geringer Zuschläge durch vollstreckbare Jugendamtsurkunden an. 2001 tötete B die Mutter der K, weswegen er eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt. K leben bei ihren Großeltern mütterlicherseits, ihren Vormündern. 2005 verstarben die Mutter und der Vater des B. Sie hatten sich testamentarisch gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und als Erben des Letztversterbenden die Schwester des B bestimmt. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem Mietshaus. Am 12.11.05 erklärte B schriftlich, Pflichtteilsansprüche gegenüber seiner Schwester nicht geltend zu machen. Die Schwester nahm diesen Verzicht an.
Die K haben beantragt, B zu verurteilen, die ihm gegen seine Schwester zustehenden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Tod der gemeinsamen Eltern geltend zu machen. Sie haben hilfsweise beantragt, B zu verpflichten, gegenüber seiner Schwester zu erklären, dass er von ihr die Schenkung in Höhe der vorgenannten Ansprüche zurückfordere und ihn zu verurteilen, die Ansprüche gegenüber seiner Schwester geltend zu machen. Zur Begründung stützen sich K auf die gesteigerte Unterhaltspflicht des B. Das LG gab den Hilfsanträgen statt. Die dagegen gerichtete Berufung blieb erfolglos. Der BGH hat die Klage aber insgesamt abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Ein Rechtsschutzbedürfnis der K besteht. B verfügte zur Begleichung der Unterhaltsschuld nur über die Pflichtteilsansprüche. Nach seinem Verzicht besteht gegen die Schwester allenfalls nach § 528 Abs. 1 S. 1 BGB ein Anspruch auf Schenkungsrückforderung. Dieser Anspruch ist der Pfändung (§ 852 ZPO) nur unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt/rechtshängig geworden ist. Mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit von Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem soll allein Letzterer entscheiden, ob der Anspruch durchgesetzt wird. Nach dem BGH ist trotz des Wortlauts des § 852 Abs. 1 ZPO ein Zugriff der Gläubiger auf den Pflichtteilsanspruch möglich, bevor die Voraussetzungen der Norm vorliegen. Gepfändet wird der in seiner Verwertbarkeit durch § 852 Abs. 1 ZPO aufschiebend bedingte Anspruch. Verwertet werden darf er erst nach Eintritt der Normvoraussetzungen.
Die Klage ist mangels Anspruchsgrundlage der K unbegründet. Die Ableitung eines Anspruchs aus §§ 1601 ff. BGB ist trotz Bestehens einer gesteigerten Unterhaltsverpflichtung abzulehnen. B schuldet nach dem Tod der Mutter Bar- und Betreuungsunterhalt. Letzterer ist wegen der Gleichwertigkeit mit dem Barunterhalt pauschal zu dessen Höhe zu monetarisieren.
Der Pflichtige muss im Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht vorhandenes Vermögen zumutbar so ertragreich wie möglich anlegen, umschichten oder verwerten. Hierzu gehört die Obliegenheit, einen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Eine Verletzung dieser Obliegenheit bedeutet aber nur, dass der Pflichtige so behandelt wird, als habe er die Obliegenheit erfüllt. Er muss sich fiktiv das erzielbare Einkommen anrechnen lassen und unterhaltsrechtlich die Folgen seines Unterlassens tragen.
Praxishinweis
Da die Zurechnung nur fiktiv erfolgt, fehlt den K das, was sie mit der Klage erstrebt haben: Vollstreckungsmasse. Diese hat der BGH ihnen verwehrt. Grundsätzlich besteht für alle Unterhaltsbeteiligten die Obliegenheit, ihr Vermögen in zumutbarer Weise zu nutzen oder auch zu verwerten, einschließlich Erbanteilen und Pflichtteilsrechten. Dies setzt eine Zumutbarkeitsprüfung voraus, bei der die Belange des Berechtigten und des Pflichtigen gegeneinander abzuwägen sind (BGH FamRZ 90, 269; 88, 145). Rechte, die zum Vermögensstamm gehören, sind rasch und konsequent zu realisieren. Eine Obliegenheit zur Durchsetzung eines Pflichtteilsanspruchs besteht nicht für geringe, unsichere Beträge (OLG Hamm FamRZ 97, 1537).
Problematisch kann die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen beim Berliner Testament nach § 2269 Abs. 1 BGB sein. Werden gegen die Vorerben Pflichtteilsansprüche durchgesetzt, besteht die Gefahr einer Enterbung oder des Wegfalls der Schlusserben-Einsetzung. Ob der Schlusserbe dies unterhaltsrechtlich geltend machen kann, hängt von einer Einzelfallwürdigung ab. Dem Unterhaltsberechtigten kann gewöhnlich die Verwertung des Pflichtteilsanspruchs zugemutet werden (BGH FamRZ 93, 1065). Abzuwägen sind:
- Umstände des Einzelfalls,
- Höhe der Erberwartung und
- wirtschaftliche Situation des Pflichtteils-/Unterhaltsschuldners.
MERKE | Für die Vermögensverwertung gilt der Grundsatz, dass das Vermögen nicht den Erben erhalten werden soll, wenn davon zu Lebzeiten neben der eigenen Unterhaltssicherung ein berechtigter Unterhaltsanspruch erfüllt werden kann. Zu berücksichtigen ist, dass das Vermögen zur Sicherung der eigenen Altersversorgung vorgesehen ist. Neben der Vorsorge durch die gesetzliche Rentenversicherung kann der Berechtigte privat vorsorgen, soweit keine gesteigerte Unterhaltspflicht besteht. Der Vermögensstamm darf zur Befriedigung von Unterhaltsansprüchen nur herangezogen werden, wenn der Selbstbehalt des Pflichtigen unter Berücksichtigung seiner voraussichtlichen Lebensdauer und seiner zu erwartenden künftigen Erwerbsmöglichkeiten bis an sein Lebensende gesichert bleibt. Die Lebenserwartung ist mithilfe der Sterbetafeln zu berechnen. |