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  • · Fachbeitrag · Leistungsfähigkeit

    Zweifelsfrage: Unterhalt als Einkommen?

    von RAin Thurid Neumann, FAin Familienrecht, Konstanz

    | Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen setzt dem Unterhaltsanspruch des Berechtigten eine Grenze. Wo nicht mehr ist, kann auch nicht mehr verteilt werden. § 1603 Abs. 1 BGB verhindert, dass der Pflichtige seinen angemessenen Lebensbedarf gefährdet. Kommt es zudem darauf an, woher der Pflichtige sein Einkommen bezieht? Immer wieder stellt sich einem Anwalt die Frage, ob Unterhalt auch aus Unterhalt zu bezahlen ist. |

    1. OLG München: Auf tatsächliche Leistungsfähigkeit abstellen

    Ob ein Unterhaltspflichtiger, der selbst Unterhalt bekommt, diesen zur Unterhaltszahlung einsetzen muss, ist umstritten. Das OLG München ist der Ansicht, dass Unterhalt auch aus Unterhalt gezahlt werden muss (FamRZ 80, 284). § 1603 BGB stelle nur auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit ab und nicht darauf, auf welchen Einkünften diese Leistungsfähigkeit beruhe. Auch Einkünfte aus Unterhaltszahlungen Dritter seien daher bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Außerdem umfasse der gezahlte Unterhalt, hier an einen Ehegatten, nicht nur den notwendigen Lebensbedarf des Berechtigten, sondern richte sich auch nach den Lebens- und Erwerbsverhältnissen der Ehegatten. Der Unterhalt könne daher unter Umständen über das Lebensnotwendige hinausgehen. Ein vernünftiger Grund, einen leistungsfähigen Pflichtigen nur deshalb von seinen Unterhaltspflichten freizustellen, weil er sein Einkommen aus Unterhaltsleistungen Dritter bezieht, bestehe nicht. Andernfalls würde er gegenüber Pflichtigen, die ein gleich hohes Einkommen durch Arbeit erzielen, ungerechtfertigt bessergestellt.

     

    Das Argument, dass der Pflichtige mittelbar Unterhalt an Nichtberechtigte bezahlen müsse, sei nicht richtig, da sich die Höhe des Bedarfs des Berechtigten nicht danach bemesse, ob und in welchem Umfang er seinerseits anderen Personen gegenüber unterhaltsverpflichtet ist (BGH FamRZ 85, 273).

    2. Überwiegend: Grundsätzlich kein Unterhalt aus Unterhalt

    Die herrschende Meinung vertritt, dass Unterhalt zwar Einkommen sei (Wendl-Dose, Das Familienrecht in der unterhaltsrechtlichen Praxis, 8. Aufl., § 1 Rn. 721). Dennoch wird aus verschiedenen Gründen eine Verpflichtung, aus Unterhalt Unterhalt zu bezahlen, im Ergebnis meistens abgelehnt.

     

    a) Ausnahme: Kindesunterhalt an minderjährige Kinder

    Nach dem BGH sind im Fall einer erweiterten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB empfangene Unterhaltsleistungen zwar grundsätzlich für den Kindesunterhalt zu verwenden. § 1603 Abs. 2 BGB stelle nicht darauf ab, woher die verfügbaren Mittel stammen und worauf ihre Zuwendung beruht. Die Aufteilung dieser Mittel berühre nur das Verhältnis zwischen Elternteil und Kind. Es belaste nicht den gegenüber dem Elternteil Unterhaltspflichtigen.

     

    Die Verpflichtung, selbst erhaltenen Unterhalt für den zu zahlenden Kindesunterhalt zu verwenden, kommt nach dem BGH aber nicht in Betracht, wenn ein anderer Unterhaltspflichtiger vorhanden und dieser auch nach Maßgabe des § 1603 Abs. 1 BGB leistungsfähig ist (BGH FamRZ 80, 555).

     

    • Beispiel

    M und F sind geschieden. Aus ihrer Ehe ist das noch minderjährige Kind K hervorgegangen, das bei M lebt. F ist nicht erwerbstätig und wieder verheiratet. Sie lebt von ihrem neuen Mann N getrennt und bekommt von diesem Trennungsunterhalt, nämlich 1.500 EUR/Monat. M verfügt nur über Einkünfte von 1.000 EUR netto monatlich. F muss daher aus ihrem Unterhalt für K Unterhalt zahlen.

     

    Vorab sei stets zu prüfen, ob wegen § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB nicht eine Unterhaltsverpflichtung des anderen Elternteils in Betracht komme, da ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB auch der andere Elternteil sein könne (BGH FamRZ 91, 182). Dem unterhaltsberechtigten Ehegatten selbst müsse nicht nur der sogenannte angemessene Selbstbehalt bleiben, sondern der eheangemessene.

     

    Wichtig |Gesetzliche Unterhaltsleistungen dienen in der Regel zur Deckung des eigenen Lebensbedarfs (OLG Bamberg FamRZ 83, 75). Kann der andere Ehegatte bei Wahrung seines eheangemessenen Bedarfs den Ehegattenunterhalt und den Kindesunterhalt bezahlen, scheidet eine Haftung des unterhaltsberechtigten Ehegatten aus (OLG Hamm FamRZ 92, 91).

     

    • Beispiel

    Ehemann M: bereinigtes Nettoeinkommen: 4.000 EUR

    Ehefrau F: kein Einkommen

    Kind K: 8 Jahre, lebt beim Mann

     

    Unterhaltsberechnung:

    Einkommen M

    4.000,00 EUR

    ./. 10 % Erwerberanreiz

    400,00 EUR

    verbleiben

    3.600,00 EUR

    ./. Kindesunterhalt nach dem Einkommen des M, da F kein Einkommen hat

    525,00 EUR

    verbleiben

    3.075,00 EUR

    hiervon die Hälfte (eheangemessener Bedarf)

    1.537,50 EUR

     

     

    Der notwendige Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern beträgt derzeit 770 EUR bei Nichterwerbstätigen, sodass F den Mindestunterhalt (derzeit 364 EUR abzüglich des hälftigen Kindergelds in Höhe von derzeit 82 EUR somit 282 EUR) bezahlen könnte. Bei einem Unterhaltsanspruch von 1.537,50 EUR verblieben ihr 1.255,50 EUR, also zwar der notwendige Selbstbehalt, aber nicht der eheangemessene. M kann dagegen unter Wahrung seines eheangemessenen Selbstbehalts den Ehegattenunterhalt und den Kindesunterhalt bezahlen.

     

     

    Wurde der Unterhalt des Ehegatten bereits unter Vorwegabzug des Kindesunterhalts berechnet, scheidet eine Verpflichtung, Unterhalt aus Unterhalt zu bezahlen, stets aus (OLG Hamm, a.a.O.).

     

    b) Ehegattenunterhalt: Vorwegabzug des Kindesunterhalts

    Ist ein Elternteil wieder verheiratet und hat gegen seinen neuen Ehegatten einen Anspruch auf Familienunterhalt, muss er einen Teil dieses Anspruchs, den sogenannten Taschengeldanspruch, für den Unterhalt seiner minderjährigen Kinder aus erster Ehe, die beim anderen Elternteil leben, einsetzen. Sein sogenanntes Taschengeld ist einsetzbar, sofern sein eigener notwendiger Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern durch den Familienunterhalt gesichert ist (BGH FamRZ 06, 1827).

     

    Ist der Ehegattenselbstbehalt höher als der notwendige Selbstbehalt, muss der Elternteil trotzdem nicht Unterhalt aus Unterhalt bezahlen. Ansonsten müsste der gegenüber den Kindern aus erster Ehe nicht unterhaltspflichtige neue Ehegatte mittelbar auch den Unterhalt dieser Kinder sichern.

     

    Der Taschengeldanspruch selbst ist auf Geld gerichtet. Er führt daher zu einem eigenen Einkommen. Der Familienunterhalt dagegen ist nicht auf Geld, sondern als gegenseitiger Anspruch der Ehegatten darauf gerichtet, dass jeder von ihnen seinen Beitrag zum Familienunterhalt entsprechend seiner Funktion in der Ehe leistet (BGH, a.a.O.).

     

    c) Einkünfte übersteigen eheangemessenen Bedarf

    Erzielt der unterhaltsberechtigte Ehegatte Einkünfte, die seinen angemessenen Bedarf übersteigen, muss er hieraus Unterhalt zahlen (BGH FamRZ 06, 1827). Dies betrifft vor allem Fälle, bei denen ein barunterhaltspflichtiger Ehegatte wieder geheiratet hat und in der neuen Ehe die Hausmannsrolle übernimmt. Der Barunterhaltspflichtige hat die Obliegenheit, eine Nebentätigkeit aufzunehmen, um zum Unterhalt seiner minderjährigen unverheirateten Kinder aus erster Ehe beizutragen (BGH, a.a.O.).

     

    Zwar hat er auch in diesen Fällen keinen Unterhalt aus Unterhalt zu bezahlen, aber auch geringfügige Einkünfte sind dann in voller Höhe für den Unterhalt der Kinder zu verwerten, wenn und soweit der eheangemessene Bedarf des Ehegatten durch den eigenen Unterhaltsanspruch gedeckt ist (OLG Bamberg FamRZ 1983, 75; Wendl-Dose, a.a.O., § 1 Rn. 725).

     

    d) OLG Hamm: Unterhalt aus Unterhalt auch bei Volljährigenunterhalt

    Das OLG Hamm bejaht eine Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt aus Unterhalt auch für Volljährigenunterhalt. Die Lebensstellung der Kinder während intakter Ehe sei ebenfalls durch die beiderseitigen Einkünfte der Eltern bestimmt worden, und das Kind solle durch die Trennung nicht schlechter stehen. Es entspreche daher der Billigkeit, wenn der Aufstockungsunterhalt für den Barunterhalt des Kindes mit herangezogen werde (OLG Hamm FamRZ 88, 1270).

     

    Dabei nimmt das OLG Hamm eine dreistufige Unterhaltsberechnung vor:

     

    • 1. Stufe: Vorläufige Berechnung des Ehegattenunterhalts
    Einkommen des Ehemanns

    3.000,00 EUR

    ./. 5 % berufsbedingte Aufwendungen

    150,00 EUR

    verbleiben

    2.850,00 EUR

    ./. 10 % Erwerberanreiz

    285,00 EUR

    verbleiben

    2.565,00 EUR

    Einkommen der Ehefrau

    2.000,00 EUR

    ./. 5 % berufsbedingte Aufwendungen

    100,00 EUR

    verbleiben

    1.900,00 EUR

    ./. 10 % Erwerberanreiz

    190,00 EUR

    verbleiben

    1.710,00 EUR

    Summe

    4.275,00 EUR

    hiervon ½

    2.137,50 EUR

    ./. eigene Einkünfte der Ehefrau

    1.710,00 EUR

    verbleiben als Unterhaltsanspruch

    427,50 EUR

     

     

    • 2. Stufe: Berechnung des Unterhaltsbedarfs des Kindes und der Haftungsanteile der Eltern
    Einkommen des Ehemanns

    2.850,00 EUR

    ./. Unterhalt für Ehefrau

    427,50 EUR

    verbleiben

    2.422,50 EUR

    Einkommen Ehefrau

    1.900,00 EUR

    zzgl. Unterhalt

    427,50 EUR

    Summe

    2.327,50 EUR

    Einkünfte insgesamt

    4.750,00 EUR

    Bedarf des Kindes: 10. EG, 4. Altersstufe

    781,00 EUR

    ./. Kindergeld

    184,00 EUR

    ungedeckt

    597,00 EUR

    Einkommen des Ehemannes

    2.422,50 EUR

    ./. Selbstbehalt

    950,00 EUR

    (Kind noch nicht 21 und noch in allgemeiner Schulausbildung)

    verbleiben

    1.377,50 EUR

    Einkommen Ehefrau

    2.327,50 EUR

    ./. Selbstbehalt

    950,00 EUR

    (Kind noch nicht 21 und noch in allgemeiner Schulausbildung)

    verbleiben

    1.377,50 EUR

    zur Verfügung stehendes Gesamteinkommen daher

    2.850,00 EUR

    Haftungsanteile:

    Ehemann: 597,00 EUR x 1.472,50 EUR ./. 2.850,00 EUR

    308,45 EUR

    Ehefrau: 597,00 EUR x 1.377,50 EUR ./. 2.850,00 EUR

    288,55 EUR

     

     

    • 3. Stufe: Neuberechnung Aufstockungsunterhalt
    Einkommen Ehemann

    2.850,00 EUR

    ./. Kindesunterhalt

    308,45 EUR

    verbleiben

    2.541,55 EUR

    ./. 10 %

    254,16 EUR

    verbleiben

    2.287,39 EUR

    Einkommen Ehefrau

    1.900,00 EUR

    ./. Kindesunterhalt

    288,55 EUR

    verbleiben

    1.611,45 EUR

    ./. 10 %

    161,15 EUR

    verbleiben

    1.450,30 EUR

    Summe Einkommen

    3.737,69 EUR

    ./. 2

    1.868,85 EUR

    ./. eigene Einkünfte

    450,30 EUR

    ungedeckter Bedarf

    418,55 EUR

     

     

    • Vergleichsberechnung ohne Unterhaltsverpflichtung der Ehefrau
    Einkommen Ehemann

    3.000,00 EUR

    ./. 5 % berufsbedingte Aufwendungen

    150,00 EUR

    2.850,00 EUR

    ./. Kindesunterhalt: 5. EG, 4. Altersstufe:

    586,00 EUR

    ./. Kindergeld

    184,00 EUR

    ungedeckt

    402,00 EUR

    verbleiben

    2.448,00 EUR

    ./. 10 %

    244,80 EUR

    verbleiben

    2.203,20 EUR

    Einkommen Ehefrau:

    2.000,00 EUR

    ./. 5 % berufsbedingte Aufwendungen

    100,00 EUR

    verbleiben

    1.900,00 EUR

    ./. 10 % Erwerberanreiz

    190,00 EUR

    verbleiben

    1.710,00 EUR

    Summe Einkünfte

    3.913,20 EUR

    ./. 2

    1.956,60 EUR

    ./. eigene Einkünfte

    246,60 EUR

     

     

    • Ergebnis im Vergleich
    dreistufige Berechnung:

    Kindesunterhalt

    597,00 EUR

    Ehegattenunterhalt

    418,55 EUR

    verbleibendes Einkommen Mann

    1.868,84 EUR

    verbleibendes Einkommen Frau

    1.868,85 EUR

    einstufige Berechnung:

    Kindesunterhalt

    402,00 EUR

    Ehegattenunterhalt

    246,60 EUR

    verbleibendes Einkommen Mann

    1.956,60 EUR

    verbleibendes Einkommen Frau

    1.956,60 EUR

     

     

    FAZIT | Die Berechnungsmethode des OLG Hamm erscheint zwar auf den ersten Blick recht kompliziert, ist aber wohl beim Volljährigenunterhalt sachgerecht. Die Lebensstellung des volljährigen Kindes wurde tatsächlich während intakter Ehe durch die Einkünfte beider Elternteile bestimmt. Ebenso wurden die ehelichen Lebensverhältnisse durch den Unterhalt für das Kind geprägt.

     

    Beim Unterhalt für minderjährige Kinder kann wohl nur eine Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt aus Unterhalt bejaht werden, wenn Einkünfte vorhanden sind, die über den eheangemessenen Bedarf hinausgehen. Der eigene Bedarf wird nicht durch das Vorhandensein anderer Unterhaltsberechtigter erhöht, und der eigene Unterhalt wird für die Deckung des eigenen Bedarfs gebraucht.

     

    Letzten Endes wird der Anwalt im Beratungsgespräch seinen Mandanten auf die vorgenannten Schwierigkeiten bei der Bewertung hinweisen müssen.

     

     

    Weiterführende Hinweise

    Quelle: Ausgabe 08 / 2013 | Seite 139 | ID 36625330