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  • · Nutzungsentschädigung

    Auch bei Nutzungsentschädigungsverfahren ist Trennungsunterhalt zu prüfen

    Bild: © Keopaserth - stock.adobe.com / KI-generiert

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    | Der BGH hat aktuell entschieden, dass in einem Verfahren auf Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung im Rahmen der Billigkeit immer auch die Trennungsunterhaltsansprüche geprüft werden müssen. Damit ist eine bedeutsame Streitfrage höchstrichterlich entschieden. |

     

    Sachverhalt

    M und F sind verheiratet und leben seit Januar 2020 getrennt. Sie bewohnten bis zur Trennung gemeinsam ein Reihenhaus mit einer Wohnfläche von 145 qm. M verließ im Sommer 2020 das Haus. M verlangt von F die Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung i. H. v. 1.464,50 EUR. Das OLG hat die von F zu zahlende Nutzungsentschädigung auf monatlich 805,40 EUR festgesetzt. Die zugelassene Rechtsbeschwerde der F, die weiter eine vollständige Antragsabweisung erstrebt, führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückweisung der Sache.

     

    • 1. Ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB scheidet grundsätzlich aus, wenn der Wohnvorteil des in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten im Rahmen einer Regelung des Trennungsunterhalts ‒ sei es durch außergerichtliche Verständigung, durch gerichtlichen Vergleich oder durch gerichtliche Entscheidung ‒ familienrechtlich kompensiert, er insbesondere bei der Unterhaltsbemessung entweder bedarfsmindernd oder die Leistungsfähigkeit erhöhend berücksichtigt worden ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 18.12.13, XII ZB 268/13, BGHZ 199, 322 = FamRZ 14, 460).
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    • 2. Fehlt es an einer solchen Unterhaltsregelung, ist bereits im Ehewohnungsverfahren als Kriterium für die nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB gebotene Billigkeitsabwägung in den Blick zu nehmen, ob und ggf. in welcher Größenordnung dem in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten bei summarischer Prüfung im Falle der Verpflichtung zur Zahlung von Nutzungsentschädigung (hypothetische) Ansprüche auf Trennungsunterhalt gegen den weichenden Ehegatten zustehen würden.
     

    Entscheidungsgründe

    Das OLG hat die gem. § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB erforderliche umfassende Billigkeitsabwägung nicht vollständig angestellt. Dabei sind auch Unterhaltsermittlungen zu den Einkünften der Beteiligten und den berücksichtigungsfähigen Abzugspositionen durchzuführen und zumindest summarisch die damit zusammenhängenden unterhaltsrechtlichen Beurteilungen anzustellen.

     

    Bei der Bemessung der Nutzungsentschädigung ist von Folgendem auszugehen: Nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB kann der Ehegatte, der dem anderen die Ehewohnung während des Getrenntlebens ganz oder z. T. überlassen hat, von dem nutzungsberechtigten Ehegatten eine Vergütung für die Nutzung verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht. Dabei knüpft die Vergütungsregelung nur an die tatsächliche Überlassung der Wohnung an. Es kommt nicht darauf an, ob der weichende Ehegatte diese ‒ wie hier ‒ freiwillig verlässt oder er verpflichtet ist, sie dem anderen zur alleinigen Benutzung zu überlassen.

     

    MERKE | Die familienrechtliche Nutzungsvergütung soll den Verlust des Wohnungsbesitzes und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Nachteile für den weichenden Ehegatten im Einzelfall und nach Billigkeit kompensieren. Zugleich schafft sie einen Ausgleich dafür, dass nur noch der Verbliebene allein diejenigen Nutzungen zieht, die nach der ursprünglichen ehelichen Lebensplanung beiden Ehegatten gemeinsam zustehen sollten. Der Grundsatz der Billigkeit bestimmt dabei sowohl den Grund des Anspruchs auf Nutzungsvergütung als auch dessen Höhe (vgl. BGH FamRZ 14, 460; 06, 930, 933).

     

    Geklärt ist, dass ‒ schon wegen des Verbots der Doppelverwertung ‒ ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung nicht gewährt werden kann, wenn der Wohnvorteil bei der Unterhaltsbemessung ‒ sei es durch außergerichtliche Verständigung, durch gerichtlichen Vergleich oder durch gerichtliche Entscheidung ‒ familienrechtlich kompensiert worden ist.

     

    Wenn eine Unterhaltsregelung fehlt, ist ‒ entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts und anderer Stimmen ‒ im Rahmen der Billigkeit auch in den Blick zu nehmen, in welcher Höhe Unterhaltsansprüche bestehen.

     

    Wenn der einkommensschwächere Ehegatte im Hinblick auf den von ihm gezogenen Wohnvorteil darauf verzichtet, Trennungsunterhalt geltend zu machen, entspricht es regelmäßig nicht der Billigkeit, ihn zu verpflichten, eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, die ihm anschließend als Ergebnis eines gesonderten Trennungsunterhaltsverfahrens wieder zufließen müsste (vgl. KG FamRZ 15, 1191, 1192). In diesen Fällen ist es regelmäßig sachgerecht, die Wohnungsüberlassung ‒ auch um (weitere) Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden ‒ als Teil der Unterhaltsgewährung anzusehen und im Hinblick darauf ggf. von der Festsetzung einer gesonderten Vergütung für die Nutzung der Wohnung abzusehen (vgl. Wever, Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts, 8. Aufl., Rn. 221).

     

    Der weichende Ehegatte trägt die Feststellungslast für die Billigkeit einer von ihm begehrten Nutzungsentschädigung. Würde die nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB gebotene Billigkeitsprüfung von vornherein um die Würdigung der unterhaltsrechtlichen Situation der Beteiligten verkürzt, würde der Anspruchsteller dadurch begünstigt, was nicht sachlich gerechtfertigt ist. Es bestehen keine zwingenden verfahrensrechtlichen Gründe, die der Berücksichtigung eines hypothetischen Trennungsunterhaltsanspruchs des in der Wohnung verbliebenen Ehegatten im Verfahren um Zahlung einer Nutzungsentschädigung entgegenstehen könnten.

     

    Das Erfordernis, auf gerichtlichen Ermittlungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Verfahrensbeteiligten beruhende Billigkeitsentscheidungen zu treffen, kann sich auch in anderen Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in vielfältiger Hinsicht ergeben, z. B. im Zusammenhang mit der Anwendung der Härteklausel des § 27 VersAusglG in VA-Sachen. Dem Verfahren in den Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit und dessen maßgeblichen Verfahrensgrundsätzen sind deshalb (auch) die Aufklärung und rechtliche Beurteilung von unterhaltsrechtlich relevanten Sachverhalten nicht von vornherein fremd.

     

    Rechtlich und tatsächlich besonders schwierig zu beurteilende Fragen des Unterhaltsrechts müssen im Ehewohnungsverfahren nicht in allen Einzelheiten und abschließend geklärt werden. Denn als (bloßes) Kriterium für die im Rahmen des § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB vorzunehmende Billigkeitsabwägung genügt eine anhand der gewonnenen Erkenntnisse über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten überschlägig vorgenommene Prüfung, ob und ggf. in welcher Größenordnung dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten im Fall der Verpflichtung, eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, (hypothetische) Ansprüche auf Trennungsunterhalt gegen den weichenden Ehegatten zustehen würden.

     

    Relevanz für die Praxis

    Der BGH hat eine wichtige Streitfrage entschieden. Es ist nun geklärt, dass bei einem Anspruch gem. § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB immer auch die Trennungsunterhaltsansprüche in den Blick genommen werden müssen. Der antragstellende Anwalt darf nicht isoliert den Anspruch gem. § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB stellen, ohne die Trennungsunterhaltsansprüche zumindest summarisch zu prüfen. Der BGH hat zwar ausgeführt, dass rechtlich und tatsächlich besonders schwierig zu beurteilende Fragen des Unterhaltsrechts im Ehewohnungsverfahren nicht in allen Einzelheiten und abschließend geklärt werden müssten. Allerdings hat er auch dem OLG aufgegeben zu prüfen, ob die Ehefrau mit ihrer Teilzeitbeschäftigung als Flugbegleiterin und ihrer Nebentätigkeit als Erzieherin im Kindergarten ihrer Erwerbsobliegenheit vollständig genügt. Wann „rechtlich und tatsächlich besonders schwierig zu beurteilende Fragen“ vorliegen, ist weiter offen. Im Rahmen der geschuldeten Aufklärung über den sichersten Weg wird der antragstellende Anwalt nicht um eine Unterhaltsberechnung herumkommen. Diese mag in einzelnen Positionen vertretbare Rundungen enthalten. Zumindest die grundlegenden Fragen (z. B. Erwerbsobliegenheit), müssen aber geklärt werden.

     

    MERKE | Trennungsunterhalt und ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung können nicht gemeinsam geltend gemacht werden. Aus den unterschiedlichen Verfahrensgrundsätzen ‒ Ehewohnungsverfahren = Familiensache; Trennungsunterhalt = Familienstreitsache ‒ folgt nach allgemeiner Ansicht, dass in einem Ehewohnungsverfahren, das den Anspruch auf Zahlung von Nutzungsentschädigung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB zum Gegenstand hat, grundsätzlich weder ein Widerantrag auf Trennungsunterhalt gestellt noch über eine Aufrechnung mit Gegenforderungen auf Trennungsunterhalt entschieden werden kann (vgl. etwa OLG Koblenz FamRZ 20, 239, 2024).

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2025 | Seite 60 | ID 50316711