· Fachbeitrag · Trennungsunterhalt
Bedarfsbemessung: Überobligatorisches Einkommen unter Umständen zu berücksichtigen
von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf
(BGH 31.10.12, XII ZR 30/10, NJW 13, 461, Abruf-Nr. 123859) |
Sachverhalt
Die Parteien streiten über Trennungsunterhalt ab November 2008. Nach der Hochzeit 1983 gingen aus der Ehe zwei Kinder hervor. Die 1984 geborene Tochter schloss ihr Studium im Herbst 2009 ab. Der 1985 geborene Sohn studiert noch. Die Eheleute trennten sich im Juli 2008. Das Scheidungsverfahren war am Tag der mündlichen Verhandlung (OLG) noch nicht anhängig.
Der Beklagte B wurde als Beamter zum 1.11.08 pensioniert. Er bezieht eine (wegen Versorgungsausgleichs nach Scheidung seiner ersten Ehe gekürzte) Pension. Zudem hat er Einkünfte aus einer Nebenbeschäftigung. B wohnt in einem ihm von seiner Mutter zugewendeten Einfamilienhaus und trägt die Hauslasten. Er zahlt(e) Unterhalt für die Kinder, für die Tochter bis zum Abschluss ihres Studiums. Die Klägerin K ist erwerbsunfähig und bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Aufgrund von Klinikaufenthalten 2008 und 2009 bezog K Krankentagegeld, das sie B teilweise zur Bezahlung ungedeckter Behandlungskosten weiterleitete. Das AG verurteilte B zur Unterhaltszahlung von 385 EUR/Monat. Das OLG hat den monatlichen Trennungsunterhalt auf rund 480 EUR erhöht. K erstrebt eine Erhöhung auf 945,47 EUR/Monat. Die Revision führt zur Aufhebung und Rückverweisung.
Entscheidungsgründe
Bei der Bedarfsermittlung hat das OLG die Einkünfte des B aus einer nach seiner Pensionierung ausgeübten Nebentätigkeit vollständig unberücksichtigt gelassen. Das begegnet durchgreifenden Bedenken. Zwar besteht nach Erreichen der Altersgrenze keine Erwerbsobliegenheit. Daraus folgt aber nicht, dass überobligatorisch erzieltes Einkommen für die Unterhaltsbemessung außer Betracht zu lassen ist. In welchem Umfang das Einkommen heranzuziehen ist, richtet sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben. Dabei können das Alter, die mit der fortgesetzten Erwerbstätigkeit zwingende körperliche/geistige Belastung, die ursprüngliche Planung der Eheleute und ihre wirtschaftlichen Verhältnisse herangezogen werden.
Das OLG hat berücksichtigt, dass B Kindesunterhalt zahlen und die Hauskredite tragen muss, was Bedenken begegnet. K muss sich den Kindesunterhalt und die Zins-/Tilgungsleistungen bereits bei der Unterhaltsberechnung entgegenhalten lassen. Die damit verbundene Einkommensminderung wird so von beiden Parteien zur Hälfte getragen. Die Billigkeitsabwägung ist auch von der Höhe der Nebeneinkünfte abhängig. Hierzu fehlen jedoch Angaben.
Ferner hat das OLG den Wohnwert zu niedrig veranschlagt. Erst wenn die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten ist, muss die objektive Miete in Ansatz gebracht werden. Dies ist der Fall, wenn der Scheidungsantrag rechtshängig ist oder die Ehegatten sich vermögensmäßig auseinandergesetzt haben. Bis dahin ist der Vorteil des mietfreien Wohnens mit dem angemessenen Wohnwert in Ansatz zu bringen. Das OLG hat den Wohnwert mit 330 EUR veranschlagt. Das mietfreie Wohnen kommt auch dem Sohn zugute. Der insoweit von B geleistete Naturalunterhalt befreit ihn teils von der Unterhaltspflicht ihm gegenüber. Dies ist für den angemessenen Wohnwert zu beachten, zumal das OLG den nicht um den Wohnbedarf gekürzten Unterhaltsanspruch des Sohns vom Einkommen des B abgezogen hat. Zu beanstanden ist, dass der geänderte Bewertungsmaßstab bereits nach Beendigung des Trennungsjahrs angewendet worden ist. Das OLG hat nicht auf die Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags oder die vermögensmäßige Auseinandersetzung der Eheleute abgestellt.
Wichtig | Angemessener Wohnwert ist der Mietzins, den der in der Wohnung verbliebene Ehegatte auf dem örtlichen Wohnungsmarkt für eine dem ehelichen Lebensstandard entsprechende kleinere Wohnung zahlen müsste.
Auch die Tilgungsleistungen sind zu berücksichtigen. Dass sie der Vermögensbildung dienen, steht nicht entgegen, solange der andere Ehegatte hiervon profitiert. Er profitiert nicht nur, wenn er Miteigentümer ist, sondern auch bei Alleineigentum, solange sich die Vermögensbildung im Zugewinn niederschlägt. Dies trifft hier zu, da K und B im Güterstand der Zugewinngemeinschaft leben und der Scheidungsantrag noch nicht zugestellt ist.
Ferner ist nicht zu beanstanden, dass das OLG die nachrangigen Unterhaltsansprüche volljähriger Kinder bei der Bedarfsbemessung des Ehegatten berücksichtigt hat. Der Nachrang der weiteren Unterhaltspflichten wirkt sich erst bei der Leistungsfähigkeit aus und hindert eine Berücksichtigung der Unterhaltslast bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen nicht. Ein Mangelfall liegt nicht vor. Allerdings rügt die Revision zu Recht, dass der in Abzug gebrachte Unterhalt für den Sohn nicht der Einkommensgruppe 3 der Düsseldorfer Tabelle zu entnehmen ist. Der Ehegattenunterhalt hätte einbezogen werden müssen. Das kann dazu führen, dass der Kindesunterhalt der Einkommensgruppe 1 zu entnehmen ist. Zu beanstanden ist, dass das Krankenhaustagegeld nicht als eheprägend in die Bedarfsberechnung einbezogen worden ist. Unerheblich ist, dass K für die Zeit des Krankentagegeldbezugs eine Erwerbsminderungsrente bezog. Diese Versicherungsleistung wurde durch Beitragsleistungen während bestehender Lebensgemeinschaft erkauft und ist als deren Äquivalent bei der Bedarfsbemessung zu berücksichtigen.
Praxishinweis
Bei der Bemessung des Wohnwerts ist der BGH seiner neuen Rechtsprechung treu geblieben. Zutreffend führt er aus, dass das OLG die angemessene Miete zu niedrig angesetzt hat. Es ist zu berücksichtigen, dass der Unterhaltspflichtige mit einem gemeinsamen Kind in der Wohnung lebt. Für die Kindesbetreuung benötigt B ein weiteres Zimmer. Dies führt nicht zu seiner unangemessenen Benachteiligung, sondern beruht darauf, dass durch den Kindesunterhalt ein Teil des in Ansatz gebrachten Wohnwerts wieder an ihn zurückfließt. Es ist davon auszugehen, dass etwa 20 Prozent des Tabellenbetrags beim Kindesunterhalt den Wohnbedarf des Kindes decken.
Fließt dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten Unterhalt zu, muss er ihn anteilig einsetzen, um den Wohnbedarf des Kindes abzudecken. Dies rechtfertigt es, ihm einen entsprechend höheren Wohnwert zuzurechnen. Gleiches galt in dem entschiedenen Fall. Zwar hat die berechtigte Mutter keinen Unterhalt bezahlt. Dennoch ist der vom Pflichtigen dem Kind erbrachte Naturalunterhalt bei der Einkommensermittlung zu berücksichtigen. Der Kindesunterhalt hat den Ehegattenunterhalt geschmälert. Auch dies führt im Ergebnis dazu, dass dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten über den Kindesunterhalt der Anteil zufließt, der den Wohnbedarf des Kindes abdeckt.
Der BGH hält daran fest, dass die Tilgung nur zu berücksichtigen ist, wenn es sich nicht um einseitige Vermögensbildung handelt, wenn also die Immobilie beiden Ehegatten gehört. Die Entschuldung kommt dann beiden Ehegatten zugute. Eine einseitige Vermögensbildung liegt nicht vor, wenn die Immobilie zwar dem tilgenden Ehegatten gehört, der andere Ehegatte aber noch über den Zugewinnausgleich an der Entschuldung partizipiert. Es ist möglich, die Tilgungsleistungen bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags, dem Stichtag für die Ausgleichsbilanz, zu berücksichtigen.
Eine weitere Problematik besteht im Vorwegabzug des Unterhalts für ein nachrangiges volljähriges Kind beim Ehegattenunterhalt. Zu Recht weist der BGH darauf hin, dass auch nachrangige Unterhaltspflichten die ehelichen Lebensverhältnisse prägen. Der Nachrang wirkt sich erst bei der Leistungsfähigkeit aus. Ist der Pflichtige nur eingeschränkt leistungsfähig, führt der Nachrang zu einer Selektierung. Zunächst sind die vorrangigen Berechtigten zu befriedigen. Der Mindestbedarf des vorrangigen Ehegatten darf durch nachrangige Unterhaltspflichten bei der Berechnung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht unterschritten werden. Der vorrangige Ehegatte braucht den Vorwegabzug einer nachrangigen Unterhaltspflicht nur bei sichergestelltem Mindestbedarf gegen sich gelten lassen (BGH FamRZ 03, 363).
Die Mindestbedarfssätze sind in Punkt VI der Düsseldorfer Tabelle geregelt, der Nr. 22 und 23 der bundeseinheitlichen Leitlinienstruktur entspricht. Der Mindestbedarf des vom Pflichtigen getrennt lebenden/geschiedenen Ehegatten entspricht dem Selbstbehalt des Pflichtigen. Ist ein leistungsunfähiger Pflichtiger gegenüber einem nachrangigen Berechtigten nicht unterhaltspflichtig, muss der von ihm getrennt lebende/geschiedene Ehegatte den Vorwegabzug nicht gegen sich gelten lassen, wenn so die ihm verbliebenen Mittel geringer wären als der Selbstbehalt des Pflichtigen.
Anders verhält es sich, wenn der Ehegatte mit dem Pflichtigen zusammenlebt. Hier sind die Vorteile des Zusammenlebens bedarfsdeckend zu beachten. Der Einfachheit halber haben die Düsseldorfer Tabelle und alle OLG-Leitlinien die Ersparniskosten beim Mindestbedarf des mit dem Pflichtigen zusammenlebenden Ehegatten in Ansatz gebracht. Dies wirkt sich nicht aus, weil zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit durch den Familienunterhalt ohnehin die Selbstbehalte des Pflichtigen und des mit ihm zusammenlebenden Ehegatten als Familienselbstbehalt zusammengerechnet werden.
Die geringeren Ansätze ergeben sich, weil die Haushaltsersparnis mit 10 Prozent zu veranschlagen ist. Dies bedeutet, dass der Mindestbedarf eines geschiedenen/getrennt lebenden Ehegatten gegenüber nicht privilegierten volljährigen Kindern in Höhe von 1.200 EUR bei dem mit dem Pflichtigen zusammenlebenden Ehegatten auf 960 EUR abzusenken ist. 10 Prozent des Familienunterhalts von 2.400 EUR betragen 240 EUR. Zieht man diese 240 EUR vom Selbstbehalt von 1.200 EUR ab, verbleiben 960 EUR.
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Bereinigtes monatliches Nettoeinkommen des Ehemanns: 2.000 EUR Unterhalt für die geschiedene erwerbsunfähige Ehefrau und den gemeinsamen Sohn, der studiert:
Der Mindestbedarf des geschiedenen Ehegatten gegenüber volljährigen Kindern von 1.200 EUR ist nicht sichergestellt. Der Vorwegabzug des Kindesunterhalts muss unterbleiben. Neuberechnung des Ehegattenunterhalts:
3/7 x 2.000 EUR = rund 857 EUR. |
Diese Konstellation ist von Bedeutung für spätere Abänderungsverfahren. Ist in der Ausgangsentscheidung ein nachrangiger Volljährigenunterhalt veranschlagt worden, der die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat, muss der pflichtige Ehemann/Vater des Kindes bei einer Einkommensverringerung genau überlegen, welchen titulierten Unterhalt er abändern lassen möchte.
Verbleibt dem gegenüber dem Volljährigen bevorrechtigten Ehegatten weniger als der Mindestbedarf, ist ein Abänderungsantrag gegen den Ehegatten erfolglos. Der Pflichtige hat die Obliegenheit, den Volljährigenunterhalt abändern zu lassen. Interessant sind ferner die Erwägungen des BGH zur Bedarfskontrolle. Diese dürften darauf hinauslaufen, dass die in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Bedarfskontrollbeträge nach wie vor ihre Berechtigung haben.