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  • · Fachbeitrag · Einfuhr-USt

    Unregelmäßigkeiten bei der Einfuhr-USt: BGH verneint Relevanz des Vorsteuerabzugs

    von RA Dr. Rainer Spatscheck, FA StR und FA StrR, München; und RAin Prof. Dr. Bettina Spilker, München/Münster, beide Kantenwein Zimmermann Spatscheck & Partner PartGmbB

    | Das LG hatte die Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Schmuggels von Gold aus Liechtenstein verurteilt. Der BGH hat die dagegen eingelegte Revision verworfen (17.10.23, 1 StR 151/23). Es wurde erwartet, dass diese Entscheidung die neue Rechtsprechung fortsetzt, um das Kompensationsverbot bei der (Einfuhr-)USt zu beschränken. Diese Erwartung wurde jedoch nicht erfüllt. Dazu im Einzelnen: |

    1. Umstrittene Fragen des USt- und des Steuerstrafrechts

    Führt ein Unternehmer Waren aus dem Drittland ein und verkauft diese im Inland USt-pflichtig weiter, entsteht Einfuhr-USt, die beim Zoll anzumelden und zu entrichten ist. Der Unternehmer kann sich diese Steuer als Vorsteuer erstatten lassen. Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG kann ein Unternehmer „die entstandene Einfuhr-USt für Gegenstände abziehen, die für sein Unternehmen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 eingeführt worden sind“. Es ist durch zollamtlichen Beleg, d. h. durch den Einfuhrabgabenbescheid oder einen Ersatzbeleg vom zuständigen Zollamt (Abschnitt 15.11 Abs. 1 Nr. 2 UStAE), nachzuweisen, dass Einfuhr-USt entstanden ist (Abschnitt 15.8 Abs. 1 UStAE; FG Köln 12.6.19, 2 K 1239/18, BeckRS 2019, 39054, Rn. 42). Der Wortlaut in § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG setzt für den Vorsteuerabzug nicht voraus, dass tatsächlich Einfuhr-USt entrichtet wird (FG Köln, a. a. O., Rn. 37).

     

    Umstritten ist, ob sich Unregelmäßigkeiten bei der Einfuhr-USt auf das Vorsteuerabzugsrecht auswirken (dazu Spilker, UR 23, 589 ff.). Die Missbrauchsregelung in § 25f UStG nennt die Einfuhr-USt nicht und kann damit den Vorsteuerabzug nicht (unmittelbar) ausschließen. Madaus sieht jedoch generell in der Nicht- oder Falschabgabe von USt-Erklärungen einen Grund, um das Vorsteuerabzugsrecht zu versagen (Madaus, Anm. zu BGH 14.10.20, 1 StR 213/19, NZWiSt 21, 275 [281]. Er nimmt Bezug auf eine BGH-Entscheidung, die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Einfuhr-USt betraf und den Vorsteuerabzug anerkannte). Dies gelte auch für die Einfuhr-USt. Denn „die Nicht- bzw. Falschabgabe einer USt-Erklärung könne die genaue Erhebung einer Steuer verhindern und demzufolge infrage stellen, dass das gemeinsame MWSt-System ordnungsgemäß funktioniere (Madaus, a. a. O. mit Verweis auf EuGH 7.3.18, C-159/17, Rn. 41).

     

    Reiß und Nieskens führen dagegen aus, Missbrauch durch Vorsteuerabzug sei bei der Einfuhr-USt undenkbar. Denn ein Vorsteuerabzug setze voraus, dass die Einfuhr-USt durch zollamtlichen Beleg nachgewiesen ist. Es könne also nicht der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden, ohne dass gleichzeitig die Einfuhr-USt entrichtet wird. Daher stelle sich das Problem der missbräuchlichen Berufung auf den Vorsteuerabzug nicht (Reiß, UR 20, 408 (413); Rau/Dürrwächter/Nieskens, UStG, 193. Lfg (2021), § 25f, Rn. 274; ebenso Spatscheck/Wimmer, PStR 22, 223).

     

    Genau diese ‒ immer wieder diskutierte ‒ Frage stellte sich auch in dem dem BGH-Beschluss zugrunde liegenden Verfahren.

     

    Steuerstrafrechtlich ist Folgendes umstritten: Liegt ein Steuerschaden i. S. e. „Steuerverkürzung“ gem. § 370 AO vor, wenn die Einfuhr-USt nicht deklariert wird, aber ein Vorsteuerabzugsrecht bestanden hätte, wenn diese angemeldet worden wäre? In dieser Konstellation kann es nicht zu einem Schaden des Fiskus führen, wenn die Einfuhr-USt nicht erklärt wird, weil die dem Staat entgangene Einfuhr-USt mit einem Vorsteuerabzug in entsprechender Höhe kompensiert worden wäre. Konkret geht es darum, ob das sog. Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 S. 3 AO in Fällen greift, in denen die USt-Schuld mit dem Vorsteuerabzugsrecht ausgeglichen wird.

     

    Nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO sind die Voraussetzungen der S. 1 und 2 (d. h. Steuerverkürzung oder ungerechtfertigte Steuervorteile) auch erfüllt, „wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können“. Die frühere Rechtsprechung (BGH 18.4.78, 5 StR 692/77, GA 78, 279; BGH 18.4.78, 5 StR 692/77, DB 79, 142; BGH 24.10.90, 3 StR 16/90, NStZ 91, 89; BGH 8.1.08, 5 StR 582/07, BeckRS 2008, 1447) lehnte es danach ab, einen Vorsteuerbetrag „kompensierend“ von der hinterzogenen USt-Schuld abzuziehen. Denn die einzelnen Einkäufe, wegen derer Vorsteuern geltend gemacht werden, stünden nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Umsätzen, für die USt abzuführen sei (BeckOK AO/Ibold, 26. Ed. 1.10.23, AO § 370 Rn. 355).

     

    Dieses Kompensationsverbot wurde jedoch vielfach kritisiert. Bülte z. B. meint, dass das Kompensationsverbot für die Ermittlung der Höhe der USt-Hinterziehung die „befremdliche Konsequenz“ habe, dass ein Steuerpflichtiger, der keine USt anmelde, eine vollendete Steuerhinterziehung begehe, auch wenn er einen Vorsteueranspruch hätte geltend machen können, der im Ergebnis den USt-Anspruch des Fiskus überstiegen hätte (NZWiSt 16, 1 m. w. N.).

     

    Der BGH hat seine frühere Rechtsprechung zum Kompensationsverbot bei einer USt-Hinterziehung inzwischen aufgegeben (BGH 13.9.18, 1 StR 642/17 = BGHSt 63, 203, Rn. 21; bestätigt u. a. durch BGH 24.7.19, 1 StR 59/19, NStZ-RR 19, 346; BGH 24.7.19, 1 StR 44/19, Rn. 7; BGH 9.7.20, 1 StR 567/19, Rn. 7; BGH 28.10.20, 1 StR 158/20, NStZ-RR 21, 109 [110]; dazu auch: Klein/Jäger, AO, 17. Aufl., § 370 Rn. 137; MüKo/Schmitz/Wulf, StGB, 4. Aufl., § 370 AO Rn. 182 f.). Soweit eine nicht erklärte, tatsächlich durchgeführte Ausgangsleistung vorliegt und hierzu Wirtschaftsgüter als Eingangsleistungen bezogen wurden, müssten unter den Voraussetzungen des § 15 UStG (insbesondere Vorlage einer Rechnung) Vorsteuer und USt verrechnet werden. Die tatbestandliche Handlung, die USt auf den steuerpflichtigen Ausgangsumsatz nicht zu erklären, ziehe es regelmäßig nach sich, den an sich bestehenden Vorsteueranspruch nicht geltend zu machen. Da ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz bestehe, müsste der Vorsteuervergütungsanspruch im Rahmen der Verkürzungsberechnung von Rechts wegen zu beachten sein (BGH 13.9.18, 1 StR 642/17 = BGHSt 63, 203; BGH 14.10.20, 1 StR 213/19, NStZ 22, 52.) Die Eingangsumsätze stellen keinen „anderen Grund“ i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 3 AO dar (BGH 9.7.20, 1 StR 567/19, Rn. 7; BGH 24.7.19, 1 StR 44/19 und 1 StR 59/19, Rn. 7).

     

    Der BGH hat seine neue Rechtsprechung, das Kompensationsverbot bei der USt nicht anzuwenden, mehrfach bestätigt (z. B. BGH 14.10.20, 1 StR 213/19, NStZ 22, 52; BGH 9.7.20, 1 StR 567/19, Rn. 7; BGH 24.7.19, 1 StR 44/19 und 1 StR 59/19, Rn. 7). Die Literatur hat dies begrüßt (Meden, DStR 19, 600 ff.; Peter, BB 19, 288 ff.; Bittmann, NStZ 19, 151 ff.; Görlich/Roggendorf, NZWiSt 19, 74; Hoffmann, MwStR 19, 167; BeckOK AO/Ibold, 26. Ed. 1.1023, AO § 370 Rn. 355; zu offenen Fragen, vgl. Rolletschke, wistra 20, 270.). Es überzeugt, eine wirtschaftliche Einheit, d. h. einen „unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang“, bei denjenigen Eingangsleistungen anzunehmen, die auf verschwiegenen oder unvollständig deklarierten steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen beruhen.

     

    Ein „unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang“ müsste demzufolge erst recht anzunehmen sein, wenn es zu Unregelmäßigkeiten bei der Einfuhr-USt gekommen ist, jedoch die Einfuhr-USt als Vorsteuer hätte abgezogen werden können, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG. In diesem Fall betreffen sowohl die Steuerschuld als auch das Vorsteuerabzugsrecht die Eingangsseite des Unternehmers und damit ein- und denselben Sachverhalt. Zudem kommt entscheidend hinzu: Der Vorsteuerabzug setzt voraus, dass Einfuhr-USt festgesetzt wurde. Dies ist entsprechend nachzuweisen (dazu Punkt 1). Schon der Gesetzeswortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG verdeutlicht daher den „unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang“ zwischen Vorsteuer und Steuerschuld bei der Einfuhr-USt.

     

    Es wurde erwartet, dass der BGH seiner Linie, das Kompensationsverbot bei der USt einzuschränken, auch in der Rechtssache (1 StR 151/23) für die Einfuhr-USt weiter folgt. Dies ist aber nicht der Fall.

    2. Aktuelle Entscheidung des BGH (1 StR 151/23)

    Dem Beschluss vom 17.10.23 (Abruf-Nr. 238481; Vorinstanz: LG Stuttgart 18.10.22, 6 KLs 203 Js 17195/20; UR 23, 956.) lag folgender Sachverhalt zugrunde:

     

    a) Sachverhalt

    Der Angeklagte F brachte von Ende Februar 20 bis Ende Februar 21 Edelmetall aus Liechtenstein über Österreich zur B-GmbH nach Deutschland, ohne Einfuhr-USt anzumelden oder abzuführen. Rund zwei Drittel der Lieferungen waren Platten aus Feingold mit einem Goldfeingehalt von 999 Tausendstel, die keine eingestanzten Angaben des Herstellers, des Gewichts und des Goldfeingehalts aufwiesen. Ein weiteres Drittel bestand aus Barren mit einem Goldfeingehalt zwischen 500 und 700 Tausendstel. (In geringem Umfang wurden auch Barren aus Feingold mit Hersteller-, Gewichts- und Feingehaltsangabe geliefert. Diese wurden als „Anlagegold“ unverändert weiterveräußert. Das Anlagegold war nicht Verfahrensgegenstand.) Das Gold wurde bei der B-GmbH geschieden (eingeschmolzen), auf seine Bestandteile analysiert und an zertifizierte Scheideanstalten verkauft. Die Vorlieferanten des F kauften das Gold in Italien von Unbekannten gegen Bargeld. F war der wichtigste Lieferant der B-GmbH. Be war Alleingesellschafter und Geschäftsführer der B-GmbH. Be wusste, dass F Waren aus Liechtenstein lieferte, ohne diese beim Zoll anzumelden und ohne Einfuhr-USt abzuführen. Er nahm es jedenfalls billigend in Kauf, dass für das von F angelieferte Gold keine Einfuhr-USt entrichtet wurde.

     

    b) Entscheidung des BGH

    Der BGH verwarf die Revision als unbegründet. Der Be wurde wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in 85 tateinheitlichen Fällen und der Angeklagte F wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in 78 Fällen jeweils zu mehrjähriger Freiheitsstrafe verurteilt. Begründet wurde diese Entscheidung wie folgt: Zwar falle grundsätzlich die Einfuhr-USt in dem Staat an, in dem ein Gegenstand unter Verstoß gegen zollrechtliche Pflichten in das Zollgebiet der Union gelangt (was Österreich gewesen wäre). Vorliegend sei aber der Tatbestand der Einfuhr-USt in Deutschland als dem Staat des Verbrauchs anzunehmen gewesen. Denn in Deutschland gelangte der Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf (Rn. 14 mit Verweis auf EuGH 8.9.22, C-368/21, Hauptzollamt Hamburg, Rn. 27 ff; EuGH 3.3.21, C-7/20, Hauptzollamt Münster, Rn. 31 ff.; EuGH 10.7.19, C-26/18, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, Rn. 44).

     

    Die Steuerbefreiung des § 25c Abs. 1 UStG sei nicht anwendbar, da es sich mangels Einstanzung der Angaben des Herstellers, des Gewichts und des Goldfeingehalts nicht um „Anlagegold“ i. S. d § 25c Abs. 1 UStG (sowie des Art. 344 MwStSystRL) handele (BGH 17.10.23, 1 StR 151/23, Rn. 15).

     

    Für den Schuldumfang sei unbeachtlich, ob F die USt als Vorsteuer hätte abziehen können, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG. Denn die Vorsteuer sei nicht im Zoll-, sondern im jeweils einschlägigen Besteuerungsverfahren geltend zu machen (BGH, a. a. O., Rn. 25). Die Vorsteuer könne deshalb die Einfuhr-USt-Schuld „nach steuerrechtlichen Grundsätzen“ weder ausgleichen noch mindern. Die Frage des Kompensationsverbots (§ 370 Abs. 4 S. 3 AO) stelle sich daher nicht. Es komme auch nicht darauf an, ob das Vorsteuerabzugsrecht wegen Betrugs oder Missbrauchs bzw. gem. § 25f UStG hätte versagt werden müssen (BGH, a. a. O.).

     

    Hinsichtlich der Verurteilung des Be wegen gewerbsmäßigen Schmuggels (§ 373 AO) stellte der BGH auf gewerbsmäßige Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 2 AO) ab. Denn Be kaufte für die B-GmbH Waren an, hinsichtlich derer Einfuhrabgaben hinterzogen wurden (BGH, a. a. O., Rn. 27). Der BGH änderte insoweit den Schuldspruch, ließ jedoch die Strafaussprüche unberührt, da der Strafrahmen und die Strafzumessungskriterien gleich geblieben seien (BGH, a. a. O., Rn. 30). Die Einziehungsentscheidung blieb von der Änderung des Schuldspruchs unberührt. Das erlangte Gold war Tatertrag. Da dieses aufgrund der von der B-GmbH vorgenommenen Einschmelzungen nicht mehr körperlich vorhanden war, war der Wert einzuziehen (§ 73c S. 1 StGB, BGH, a. a. O., Rn. 31).

    3. Kritische Anmerkung und Praxisauswirkungen

    Der Beschluss des BGH ist in mehrfacher Hinsicht rechtlich zweifelhaft und kritikwürdig. Vor allem gibt er keine nachvollziehbare Antwort auf die beiden zuvor ‒ speziell im Zusammenhang mit der Einfuhr-USt ‒ diskutierten Rechtsfragen:

     

    • 1. Ist ein Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG im Fall von Unregelmäßigkeiten bei der Einfuhr-USt ausgeschlossen?
    •  
    • 2. Ist das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO bei Unregelmäßigkeiten bei der Einfuhr-USt anzuwenden, wenn in entsprechender Höhe ein Vorsteuerabzugsrecht besteht, mithin kein Steuerschaden entstanden ist?

     

    Die Ausführungen des BGH dazu, ob Einfuhr-USt und Vorsteuer zu verrechnen sind, was insbesondere mit Blick auf dessen neue Rechtsprechungslinie nahegelegen hätte, sind oberflächlich und im Ergebnis kaum nachvollziehbar (BGH 14.10.20, 1 StR 213/19, NStZ 22, 52).

     

    Zuvor hatte der BGH entschieden, dass die Vorsteuer aus dem Bezugsgeschäft bei der Verrechnung der Steuerverkürzung gem. § 370 Abs. 4 S. 1 und S. 2 AO von Rechts wegen unmittelbar mindernd zu berücksichtigen sei. Der Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG im Zusammenhang mit der Einfuhr sei bei der Berechnung der Steuerverkürzung für die Ausgangsumsätze abzuziehen. Dem stehe das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 S. 3 AO nicht entgegen.

     

    Der BGH betonte in vorangehenden Entscheidungen, dass sich aus seiner neueren Rechtsprechung Folgendes ergebe: Bei der USt bestehe zwischen Eingangs- und Ausgangsumsätzen ein „unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang“ dergestalt, dass die Eingangsumsätze keinen „anderen Grund“ i. S. d. § 370 Abs. 4 S 3 AO darstellen (BGH 14.10.20, 1 StR 213/19, NStZ 22, 52, Rn. 18). Folge: Die Vorsteuer aus dem Eingangsgeschäft könne von Rechts wegen unmittelbar mindernd zu berücksichtigen sein, wenn die Steuerverkürzung gem. § 370 Abs. 4 S. 1 und S. 2 AO berechnet werde (so auch BGH 13.9.18, 1 StR 642/17 = BGHSt 63, 203, Rn. 211; BGH 9.7.20, 1 StR 567/19, Rn. 7; BGH 24.7.19, 1 StR 44/19 und 1 StR 59/19, jeweils Rn. 7). Der BGH wies auch darauf hin, dass der Ausschluss des Vorsteuerabzugs nach der Missbrauchsrechtsprechung nicht in Betracht komme, wenn der Steuerpflichtige selbst die Steuerhinterziehung begangen habe (BGH 14.10.20, 1 StR 213/19, NStZ 22, 52, Rn. 20. f.).

     

    MERKE | Wenn bei der USt zwischen Eingangs- und Ausgangsumsätzen ein „unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang“ besteht, muss dies erst recht gelten, wenn die USt-Schuld und Vorsteuerabzugsberechtigung ‒ beide ‒ die Eingangsseite betreffen, wie dies bei der Einfuhr-USt mit gleichzeitigem Vorsteuerabzugsrecht nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG der Fall ist.

     

    Warum im vorliegenden Fall das Kompensationsverbot einer Verrechnung entgegenstehen soll, wird nicht plausibel begründet. Das Argument, dass die Einfuhr-USt im Zollverfahren zu entrichten und die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG im Besteuerungsverfahren zu beachten ist, vermag nicht zu überzeugen. Es kann nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen sein, wenn aus verwaltungsökonomischen Gründen die Einfuhr-USt neben Zöllen im Zollverfahren erhoben wird, in diesem Verfahren jedoch der Vorsteuerabzug nicht vorgesehen ist. Maßgeblich ist vielmehr, dass das Vorsteuerabzugsrecht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Einfuhr-USt entsteht. Wird die Einfuhr-USt nicht erklärt, zieht dies i. d. R. nach sich, dass der an sich bestehende Vorsteueranspruch nicht geltend gemacht wird (so auch BGH 13.9.18, 1 StR 642/17). Somit handelt es sich „um die steuerrechtliche Beurteilung desselben Vorgangs“ (BGH wistra 04, 147 f.), wofür der BGH in den vorangehenden Entscheidungen den Vorsteuerabzug bei der Bemessung der Schadenshöhe berücksichtigt hat. Es ist widersprüchlich, wenn nun geltend gemacht wird, dass dies aufgrund unterschiedlicher Erhebungsverfahren anders sein soll.

     

    Vor allem spricht dies auch gegen den im USt-Recht maßgeblichen Neutralitätsgrundsatz. Danach muss umsatzsteuerlich sichergestellt sein, dass es bei zwischenunternehmerischen Umsätzen nicht zu einer Steuerbelastung kommt. Der Fiskus erhält die USt als Verbrauchsteuer erst auf Endverbraucherstufe. Im zwischenunternehmerischen Bereich wird die Steuererhebung durch den Vorsteuerabzug neutralisiert. Da § 370 AO eine Blankettnorm ist, muss dieses Prinzip auch im Steuerstrafverfahren beachtet werden, wenn die Höhe des Steuerschadens ermittelt wird. Die Frage, ob eine Steuerverkürzung und damit ein Steuerschaden gegeben ist, kann nur unter Heranziehung der einschlägigen Vorschriften des materiellen USt-Rechts beantwortet werden.

     

    § 25f UStG oder die sog. „Missbrauchsrechtsprechung“ des EuGH hätten hier dem Vorsteuerabzug nicht entgegengestanden. Missbrauch durch Vorsteuerabzug ist bei der Einfuhr-USt unmöglich, weil der Vorsteuerabzug voraussetzt, dass die Einfuhr-USt durch zollamtlichen Beleg nachgewiesen ist (siehe Punkt 1).

     

    Auch die Ausführungen des BGH dazu, die Steuerbefreiungsregelung für Anlagegold in § 25c UStG nicht anzuwenden, sind zweifelhaft. Nach Ansicht des BGH hätten sich bislang weder der EuGH noch der BGH ausdrücklich dazu verhalten, „ob das Merkmal ‚mit einem von den Goldmärkten akzeptierten Gewicht‘ bedingt, dass in die Barren oder Plättchen Angaben des Herstellers, des Gewichts und des Goldfeingehalts eingestanzt sind“ (BGH, a. a. O., Rn. 17 ff.). Es entspreche jedoch der überwiegenden nationalen Ansicht (FG Hamburg 18.1.21, 4 K 118/16, Rn. 24; UStAE Abschn. 25c.1 Abs. 2 S. 1 Hs. 1; Langer, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG [Sep. 2023], § 25c, Rn. 17; Nieskens, in: Rau/Dürrwächter, UStG [Stand Aug. 2023, § 25c, Rn. 13; Wäger, in: Wäger, UStG, 2. Aufl., § 25c, Rn. 10]), dass eine „Einstanzung“ Voraussetzung sei, um § 25c UStG anzuwenden. Mangels entsprechender Einstanzung sei hier daher § 25c UStG nicht anzuwenden.

     

    Die Frage, ob eine Einstanzung zwingendes Kennzeichen von Anlagegold sein muss, ist nicht abschließend geklärt (offengelassen: BeckOK UStG/Weymüller, 39. Ed. 1.1.24, UStG § 25c Rn. 13; Janzen in: Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, 140. Lieferung, 10/2023, § 25c UStG 1980, Rn. 8; Rauch in: Offerhaus/Söhn/Lange, USt, 356. Lieferung, 12/2023, D. Definition des Anlagegoldes [§ 25 Abs. 2], Rn. 12 f.; Schüler-Täsch, in: Sölch/Ringleb, UStG, Stand Juni 2023, § 25c, Rn. 27). In diesen Kommentierungen wird z. T. zwar auf die Einstanzung als typisches Merkmal von Anlagegold hingewiesen. Dies wird aber nicht als zwingende Voraussetzung für den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung angesehen. Im Übrigen kommt es auch nicht darauf an, was die „überwiegende nationale Auslegung“ des § 25c UStG ist. Maßgeblich ist vielmehr die unionsrechtskonforme Auslegung des Art. 344 MwStSystRL. Die Entscheidung, ob eine Einstanzung Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, ist daher dem EuGH vorbehalten.

     

    PRAXISTIPP | Da die Entscheidung des BGH nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann, hätte die Frage dem EuGH vorgelegt werden müssen (Art. 267 Abs. 3 AEUV), um Rechtsklarheit zu erlangen. Die Tatsache, dass der BGH selbst entschieden hat, dass „Anlagegold“ nur Feingold mit entsprechender Einstanzung sein kann, hat weitreichende Folgen für die Praxis. Denn, sofern dies in der Vergangenheit nicht beachtet wurde, ist es nun notwendig, insoweit unrichtig als steuerbefreit behandelte Sachverhalte gem. § 153 AO zu berichtigen bzw. Selbstanzeigen nach § 371 AO zu erstatten (Peters, UR 23, 938 f.)

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2024 | Seite 81 | ID 49888737