· Fachbeitrag · Hinterziehungszinsen
Steuerhinterziehung bei behauptetem Treuhandverhältnis: FA trägt Feststellungslast
von RA Dipl.-Finw. Rainer Biesgen und RA Thorsten Franke-Roericht LL.M, Wessing & Partner Rechtsanwälte mbB, Düsseldorf
| Sind die Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts (hier § 370 AO ) bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften (hier § 235 AO ) von der Finanzbehörde bzw. dem FG festzustellen, sind die AO bzw. die FGO anzuwenden. Danach trägt die Finanzbehörde die Feststellungslast für anspruchsbegründende Voraussetzungen. Hierzu gehören bei den Hinterziehungszinsen auch die subjektiven und objektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung. Dennoch entschied ein FG im Rahmen der Feststellung einer Steuerhinterziehung bei behauptetem Treuhandverhältnis nach den Regeln der Feststellungslast zulasten der Klägerin. Der BFH hob das Urteil auf ( BFH 12.7.16, II R 42/14, Abruf-Nr. 188538 ). |
1. Schenkung und Rückschenkung plus Hinterziehungszinsen
Die Klägerin übertrug Ende der 1990er-Jahre ein in der Schweiz befindliches Vermögen (rd. 285.000 EUR) auf ein auf den Namen ihrer Stieftochter T lautendes Konto mit Depot (Konto T) bei einer Schweizer Bank. Für dieses Konto erhielt die Klägerin durch T im April 1998 eine Vollmacht. Das Konto wurde im Jahr 2001 geschlossen und der Gegenwert (rd. 360.000 EUR) auf ein auf den Namen der Klägerin lautendes Konto mit Depot (Konto K) bei einer anderen Schweizer Bank übertragen.
Der Sachverhalt wurde in 2010 mit einem Schreiben der für die Einkommensteuerveranlagung der Klägerin zuständigen Finanzbehörde mitgeteilt. In 2011 setzte das beklagte FA gegenüber der Klägerin für die Vermögensübertragung auf T Ende der 1990er-Jahre Schenkungsteuer i. H. von rd. 9.000 EUR und die Vermögensübertragung von T zurück auf die Klägerin im Januar 2001 i. H. von rd. 77.000 EUR fest. Die Bescheide wurden bestandskräftig. Ebenfalls in 2011 setzte das FA gegenüber der Klägerin Hinterziehungszinsen i. H. von rd. 45.000 EUR wegen Hinterziehung der Schenkungsteuer aus der freigebigen Zuwendung von T an die Klägerin im Jahr 2001 fest.
Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte nur hinsichtlich der Höhe der Hinterziehungszinsen Erfolg. Mit Einspruchsentscheidung aus 2012 setzte das FA die Hinterziehungszinsen auf rd. 44.000 EUR herab. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klage vor dem FG blieb erfolglos. Es hatte gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO die Revision zugelassen. Die Zulassung bezog sich auf die Klärung der Feststellungslast bei einer von der formalen Rechtsinhaberschaft abweichenden tatsächlichen Handhabung zwischen nahestehenden Personen. Hintergrund hierfür war die Entscheidung des BFH vom 23.11.11 (II R 33/10, BStBl II 12, 473) zur Feststellungslast der Schenkungsteuer bei Einzahlungen eines Ehegatten auf ein Oder-Konto beider Ehegatten.
2. BFH entscheidet zugunsten der Klägerin
Die Revision war erfolgreich (BFH 12.7.16, II R 42/14, Abruf-Nr. 188538). Die Vorinstanz (FG Nürnberg 15.5.14, 4 K 1403/12, PStR 15, 31) hatte hinsichtlich der Hinterziehungszinsen (§ 235 AO) seine Entscheidung zu Unrecht darauf gestützt, dass der Klägerin die Feststellungslast für das Vorliegen eines die Steuerhinterziehung ausschließenden Treuhandverhältnisses obliegt.
- Knüpfen steuerrechtliche Vorschriften wie § 235 Abs. 1 AO, § 169 Abs. 2 S. 2 AO zur verlängerten Verjährungsfrist oder § 71 AO zur Haftung des Steuerhinterziehers an Tatbestände des materiellen Strafrechts - hier § 370 AO t- an, sind verfahrensrechtlich nicht die Vorschriften der StPO, sondern der AO und FGO maßgebend. Zwar ist auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren der an sich strafverfahrensrechtliche in dubio pro reo-Grundsatz zu beachten (BFH 5.3.79, GrS 5/77, BStBl II 79, 570). Dies bedeutet aber keine Übernahme von Grundsätzen des Strafverfahrensrechts, sondern lässt sich daraus ableiten, dass die Finanzbehörde im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für steueranspruchsbegründende Tatsachen trägt.
- Das FG hat gemäß § 96 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 FGO aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ob für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen diejenigen Tatsachen vorliegen, die den Tatbestand des § 370 AO ausfüllen. Dies gilt auch, wenn die erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO i. V. mit § 76 Abs. 1 S. 4 FGO verletzt werden. Es ist kein höherer Grad an Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die die Finanzbehörde die Feststellungslast trägt. Eine Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast zulasten des Steuerpflichtigen ist hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuerhinterziehung jedoch nicht zulässig. Vielmehr muss das FG von dem Vorliegen der Tatsachen vollständig überzeugt sein, die den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 370 AO bilden.
- Welche Anforderungen im Einzelfall an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt werden müssen, entzieht sich weitgehend abstrakter Festlegung. Das FG muss das Gesamtergebnis des Verfahrens quantitativ vollständig berücksichtigen. Das Vorbringen der Beteiligten muss es vollständig zur Kenntnis nehmen und bei der Entscheidung in Erwägung ziehen. Zu den entscheidungserheblichen Tatsachen können auch in das Verfahren eingeführte tatsächliche Behauptungen gehören. Der Tatrichter muss von den entscheidungserheblichen Tatsachen ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangen, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Dabei darf der Richter nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen.
Nach diesen Maßstäben war das angefochtene Urteil aufzuheben. Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die Nichterweislichkeit des von der Klägerin behaupteten Treuhandverhältnisses zu ihren Lasten gehe, da sie für das Vorliegen eines Treuhandverhältnisses die Feststellungslast trage.
- Für die Tatsachen, die zur Annahme einer freigebigen Zuwendung (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) erforderlich sind, trägt das FA die Feststellungslast. Führt der Steuerpflichtige aus, der Annahme einer freigebigen Zuwendung stehe entgegen, dass er als Zuwendungsempfänger durch die Zuwendung nicht bereichert sei, da ihm der Zuwendungsgegenstand schon zuvor gehört und der Zuwender den Zuwendungsgegenstand für ihn lediglich als Treuhänder gehalten habe, gehört bei einer Steuerhinterziehung das Nichtvorliegen eines Treuhandverhältnisses zu den Tatsachen, für die das FA bei Annahme einer freigebigen Zuwendung die Feststellungslast trägt. Das FG muss ein solches Vorbringen des Steuerpflichtigen zur Kenntnis nehmen und für die Überzeugungsbildung in seine Entscheidung miteinbeziehen.
- Eine Ausnahme hiervon ist gegeben, wenn es sich um eine bloße Behauptung des Steuerpflichtigen handelt, für deren Richtigkeit keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.
- Wird die Verwirklichung des objektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung mithin unter anderem darauf gestützt, eine freigebige Zuwendung sei gegeben, weil der Zuwendende den Zuwendungsgegenstand nicht lediglich als Treuhänder für den Zuwendungsempfänger gehalten habe, muss das FG nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens neben den anderen Tatbestandsvoraussetzungen einer freigebigen Zuwendung auch von dem Nichtvorliegen eines Treuhandverhältnisses überzeugt sein.
- Bei der Prüfung, ob ein Treuhandverhältnis tatsächlich vorliegt, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Daran ändert auch das von der Klägerin angeführte BFH-Urteil vom 23.11.11 (II R 33/10, BStBl II 12, 473) nichts. Denn darin ist lediglich die Frage entschieden worden, wie die Beweislast hinsichtlich der Berechtigung von Ehegatten an einem Gemeinschaftskonto vor dem Hintergrund einer freigebigen Zuwendung - ohne Annahme einer Steuerhinterziehung - verteilt ist.
3. Analyse
Im zweiten Rechtsgang wird es darauf ankommen, welche Feststellungen das FG zur Frage des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens des Treuhandverhältnisses zwischen der Klägerin und T trifft. Dies hatte das FG im ersten Rechtsgang unterlassen. Stattdessen zog es sich auf den rechtlichen, unzutreffenden Standpunkt zurück, die Klägerin habe das Vorliegen des Treuhandverhältnisses nicht nachgewiesen. Demzufolge ging das FG davon aus, die Klägerin trage bei der Festsetzung von Hinterziehungszinsen - insbesondere unter Anwendung der Beweislastregel des § 159 Abs. 1 AO - die Feststellungslast für ein die Steuerhinterziehung ausschließendes Treuhandverhältnis. Interessant ist der Hinweis des BFH, das FG habe ausgeführt, dass T Ende der 1990er-Jahre wohl selbst nicht über das Konto T verfügt hat. Das Vorbringen der Klägerin habe damit also „nicht einer bloßen Behauptung ohne irgendwelche Anhaltspunkte“ entsprochen. Dies hätte das FG zum Anlass nehmen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Dass eine Beweislastentscheidung auf Grundlage von § 159 Abs. 1 AO zulasten des Steuerpflichtigen nicht genügt, um den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung in Fällen der inzidenten Prüfung des § 370 AO gerecht zu werden, entschied der BFH bereits mit Urteil vom 11.12.12 (IX R 33/11, Abruf-Nr. 131868). In diesem Verfahren hatte die Vorinstanz (FG München 30.11.10, 13 K 1150/07, juris, zweiter Rechtsgang 18.6.15, 13 K 1276/13, juris, Revision eingelegt, BFH IX R 35/15) im Rahmen der Prüfung von § 17 EStG auf § 159 AO verwiesen und lediglich festgestellt, dass es an eindeutigen und klar nachweisbaren Treuhandvereinbarungen fehle. Steuerrechtlicher Anknüpfungspunkt der inzidenten § 370 AO-Prüfung war die Frage der verlängerten Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO.
Dass die Finanzbehörde die Feststellungslast für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung trifft, wenn diese Tatbestandsvoraussetzung eines Steueranspruches ist, ist ständige Rechtsprechung des BFH. Die abweichenden Entscheidungen der Finanzbehörde dürften darauf beruhen, dass im Besteuerungsverfahren im Übrigen - wegen der Regel des § 159 Abs. 1 AO und dem Regel-Ausnahmeverhältnis des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO - den Steuerpflichtigen die Feststellungslast für das Bestehen eines Treuhandverhältnis trifft, wenn er die Zurechnung von Vermögen oder Einkünften abwehren will. Es ist erfreulich, dass der BFH erneut klarstellt, dass dies nicht zu einer Umkehr der Feststellungslast für die Steuerhinterziehung führt. Begrifflich würde es allerdings zur Klarheit beitragen, wenn der BFH den strafverfahrensrechtlichen Grundsatz des in dubio pro reo nicht mehr verwendete, sondern entsprechend der Anwendung allein steuerverfahrensrechtlicher Vorschriften nur noch die Feststellungslast heranzieht.
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Die inhaltlichen Anforderungen an ein Treuhandverhältnis hat der BFH zuletzt wie folgt bestätigt (BFH 21.5.14, I R 42/12, BStBl II 15, 4; kritisch hierzu Fischer, juris PR-SteuerR 50/14, Anmerkung 1; BFH 4.12.07, VIII R 14/05, BFH/NV 08, 745):
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