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  • · Fachbeitrag · Schätzung

    Schätzung von Auslandskapitaleinkünften

    von RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Krause & Kollegen, Berlin

    | In einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung hat das FG Baden-Württemberg die Ansicht vertreten, der Kläger habe die familiengerichtlichen Verfahren mit seiner zweiten Ehefrau nicht nur in unehrlicher, sondern in einer im strafrechtlichen Sinne betrügerischen Weise geführt. Dass das Strafverfahren wegen falscher Versicherung an Eides statt und Betrugs nach § 153a StPO eingestellt wurde, vermöge an dieser auf einer verbesserten Erkenntnislage beruhenden Feststellung nichts zu ändern. |

     

    Sachverhalt

    Das Klageverfahren betrifft einen BFH-Rückläufer (9.5.17, VIII R 51/14, BFH/NV 18, 5). Streitig sind nach wie vor insbesondere die Fragen, ob der Kläger (K) in den Jahren 1995 bis 2007 im Inland ansässig war sowie ob und ggf. in welcher Höhe er im Inland steuerpflichtige Einkünfte erzielt hat (vor allem solche aus Kapitalvermögen). Das Finanzamt sieht K in den Streitjahren als im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig an und hat hiervon ausgehend mangels Abgabe von Einkommensteuererklärungen die mit der Klage angegriffenen Schätzungsbescheide erlassen.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Klage war teilweise begründet (FG Baden-Württemberg 14.3.19, 3 K 2728/17, Abruf-Nr. 212455). Zur Überzeugung des Senats war K in allen Streitjahren im Inland ansässig („Die vom Kläger stets behaupteten Wohnsitze in D/England und R/Südafrika waren inszeniert und ‚gekauft‘.“) und bis zur Auflösung der ihm zuzurechnenden Bankverbindung zur Schweizer Bank im Februar 1997 Inhaber und steuerliches Zurechnungssubjekt des dort geführten Schweizer Depots. Der Senat ist nach umfassender Gesamtwürdigung der Einzelfallumstände sowie auch sämtlicher entlastender und belastender Indizien davon überzeugt, dass der K über den Februar 1997 hinaus in jedem einzelnen Jahr bis zum letzten Streitjahr (2007) Zinserträge im Ausland erzielt hat, deren Geheimhaltung er gezielt und mit Hinterziehungsvorsatz betrieben hat.

     

    Die mangels vorliegender Unterlagen durch Schätzung zu bestimmenden Besteuerungsgrundlagen für die Kapitalerträge aus ausländischer Quelle hat der Senat nach Maßgabe der Rechtsgrundsätze des Revisionsurteils (BFH 9.5.17, VIII R 51/14, BFH/NV 18, 5) geschätzt. Dies führte im Vergleich zu den angefochtenen Schätzungsbescheiden im Verlauf des Streitzeitraums in zunehmendem Maße zu niedrigeren Schätzbeträgen.

     

    Der Senat hat keine Zweifel, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der zehnjährigen Festsetzungsfrist erfüllt sind. K habe systematisch und mit direktem Hinterziehungsvorsatz versucht, seine fortbestehende Ansässigkeit im Inland und seine für ihn klar erkennbar daraus resultierende Einkommensteuerpflicht zu verschleiern und einen ausländischen Wohnsitz zu inszenieren, um sich auf diese Weise der ihm bekannten Einkommensteuerpflicht zu entziehen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Auch in Steuerstreitverfahren stellen sich ‒ etwa, wenn es um die Frage der Verjährung geht ‒ immer wieder allgemeine steuerstrafrechtliche Fragen.

     

    Checkliste / Steuerstrafrechtliche Fragen in Steuerstreitverfahren

    • 1. Welche Verjährungsfristen sind zu beachten?

    Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung ist gem. § 169 Abs. 1 S. 1 AO nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist der Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO regelmäßig vier Jahre. Sie beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist, § 169 Abs. 2 S. 2 AO.

    • 2. Welche Anforderungen werden gestellt?

    Die Annahme einer auf zehn (oder fünf) Jahre verlängerten Festsetzungsfrist setzt voraus, dass die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer vollendeten Steuerhinterziehung i. S. d. § 370 AO (oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung i. S. d. § 378 AO) vorliegen (BFH 2.4.98, V R 60/97, BStBl II 98, 530).

    • 3. Wann liegt eine Steuerhinterziehung vor?

    Nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO begeht eine Steuerhinterziehung, wer dem FA unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen macht und dadurch Steuern verkürzt; nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begeht sie, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt.

    • 4. Ist ausreichend, dass objektiv eine Steuerverkürzung vorliegt?

    Nein. Eine Steuerhinterziehung gem. § 370 AO kann nur vorsätzlich begangen werden (§ 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 15 StGB). Vorsätzlich handelt, wer einen bestehenden Steueranspruch kennt und ihn trotz dieser Kenntnis gegenüber der Steuerbehörde verkürzen will (BGH 19.5.89, 3 StR 590/88, wistra 89, 263).

    • 5. Ist direkter Vorsatz erforderlich?

    Nein. Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 AO bedarf es nicht einer Hinterziehungsabsicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes. Es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (sog. bedingter Vorsatz; BGH 16.12.09, 1 StR 491/09, HFR 10, 866).

    • 6. Wann fehlt es an einem solchen Vorsatz?

    Nach § 16 Abs. 1 StGB handelt nicht vorsätzlich, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört (Tatbestandsirrtum). Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört danach, dass der Täter den objektiv bestehenden Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt ‒ oder zumindest für möglich hält ‒, und dass er ihn trotz dieser Kenntnis gegenüber der Steuerbehörde verkürzen will oder diese Möglichkeit billigend in Kauf nimmt. Ein Tatbestandsirrtum liegt u. a. vor, wenn der Täter annahm, dass die steuerliche Behandlung einer bestimmten Angelegenheit rechtlich korrekt war (BFH 29.4.08, VIII R 28/07, BStBl II 09, 842).

    • 7. Wie erfolgt die Abgrenzung zu § 378 AO?

    Nach § 378 Abs. 1 S. 1 AO handelt ordnungswidrig, wer als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird (BGH 8.9.11, 1 StR 38/11, wistra 11, 465). „Leichtfertig“ bedeutet einen erheblichen Grad von Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, aber im Gegensatz hierzu auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstellt.

    Ein derartiges Verschulden liegt danach vor, wenn ein Steuerpflichtiger nach den Gegebenheiten des Einzelfalls und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den sich aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen (BFH 18.11.13, X B 82/12, BFH/NV 14, 292).

    • 8. Welche Feststellungen muss das Gericht im Einzelnen treffen?

    Das Tatgericht muss die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen. Das FA trägt die Feststellungslast für die Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung (BFH 11.12.12, IX R 33/11, BFH/NV 13, 1057).

    • 9. Gibt es Bindungswirkungen?

    Nein. Besteuerungs- und Strafverfahren sind voneinander unabhängige und ihren jeweiligen Verfahrensordnungen unterworfene Verfahren, § 393 Abs. 1 S. 1 AO.

    • 10. Darf das FG Erkenntnisse aus dem Strafverfahren verwenden?

    Ja. Gem. § 393 Abs. 3 S. 1 AO dürfen die Erkenntnisse, die die Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, im Besteuerungsverfahren verwendet werden. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Bescheids davon ab, dass eine Steuerhinterziehung vorliegt, kann das Gericht auch im Besteuerungsverfahren eine Straftat nur feststellen, wenn es von ihrem Vorliegen überzeugt ist. Hierüber muss das Gericht gem. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheiden (BFH 7.11.06, VIII R 81/04, BStBl II 07, 364).

    • 11. Welche Anforderungen werden an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt?

    Der Maßstab, nach dem im Besteuerungsverfahren von einer Steuerhinterziehung ausgegangen werden darf, ist seit dem Beschluss des Großen Senats des BFH (5.3.79, GrS 5/77, BStBl II 79, 570) geklärt: Die für das Vorliegen der Steuerhinterziehung gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO erforderlichen Feststellungen sind danach nicht nach den Vorschriften der StPO, sondern nach denjenigen der AO und der FGO zu treffen.

    • 12. Muss das FG den Grundsatz „in dubio pro reo“ beachten (Zweifelssatz)?

    Ja. Auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren ist dieser strafverfahrensrechtliche Grundsatz zu beachten. Dies bedeutet keine Übernahme von Grundsätzen des Strafverfahrensrechts, sondern lässt sich daraus ableiten, dass die Finanzbehörde (der Steuergläubiger) im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für steueranspruchsbegründende Tatsachen trägt. Bezüglich des Vorliegens einer Steuerhinterziehung ist kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das FA die Feststellungslast trägt.

    • 13. Darf die Steuerhinterziehung geschätzt werden?

    Nein. Bei nicht behebbaren Zweifeln ist die Feststellung einer Steuerhinterziehung mittels reduzierten Beweismaßes ‒ mithin im Schätzungswege ‒ nicht zulässig. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Bescheids davon ab, dass eine Steuerhinterziehung vorliegt, kann das Gericht eine Straftat nur feststellen, wenn es von ihrem Vorliegen überzeugt ist, es muss also gem. § 96 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 FGO die volle Überzeugung erlangen, dass die Voraussetzungen der Steuerhinterziehung dem Grunde nach vorliegen. Es ist ausschließlich § 96 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 FGO anwendbar, der ‒ der Sache nach mit § 261 StPO übereinstimmend ‒ regelt, dass das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheiden muss. Daraus folgt, dass dem Steuerpflichtigen anders als bei einer Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO die Verletzung von Mitwirkungspflichten nicht zum Vorwurf gemacht werden darf. Das gilt auch für die Verletzung der erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten gem. § 90 Abs. 2 AO.

    • 14. Und was ist mit der Höhe der Steuerverkürzung?

    Die Schätzung der Höhe hinterzogener Steuern nach § 96 Abs. 1 S. 1 FGO i. V. m. § 162 AO bleibt trotz Geltung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ möglich. Insofern ist nur ausgeschlossen, die Schätzung der hinterzogenen Steuern an der oberen Grenze des für den Einzelfall zu beachtenden Schätzrahmens auszurichten (BFH 9.5.17, VIII R 51/14, BFH/NV 18, 5).

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2021 | Seite 181 | ID 46156227