· Fachbeitrag · Schmuggel
Verjährung „XXL“ auch bei Schmuggel im „besonders schweren“ Fall?
von RiLG Dr. Markus Ebner, LL.M., Nürnberg
| Die neu geschaffene 15-jährige Regelverjährung gem. § 376 Abs. 1 Hs. 1 AO gilt auch in Fällen des Schmuggels. |
1. Problemstellung
Bei § 373 AO handelt es sich seit der Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.07 (BGBl. I, 3198) unstreitig um einen Qualifikationstatbestand zu § 370 AO. Dieser kann allerdings nur eingreifen, wenn Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben hinterzogen worden sind (§ 372 AO bleibt hier außen vor).
Ebenso unstreitig verjährten Vergehen des gewerbsmäßigen, gewaltsamen oder bandenmäßigen Schmuggels bislang gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 StGB regelmäßig nach 10 Jahren. Auf die Spezialregelung in § 376 Abs. 1 (seit 1.7.20: Hs. 1) AO für die in § 370 Abs. 3 S. 2 Nrn. 1 bis 6 AO genannten „besonders schweren“ Fälle (Regelverjährung bis 28.12.20 ebenfalls 10 Jahre) kam es deshalb nicht an (vgl. Kirch-Heim, NStZ 15, 286, 287).
Durch das JStG 2020 v. 21.12.20 (BGBl. I, 3096) wurde die Verjährungsfrist in § 376 Abs. 1 Hs. 1 AO nun jedoch mit Wirkung ab 29.12.20 auf 15 Jahre angehoben (siehe dazu Reichling/Lange/Borgel, PStR 21, 31 ff.). Fraglich ist daher, ob dies auch für den Schmuggeltatbestand gelten kann, wenn die qualifizierte Hinterziehung von Einfuhr-/Ausfuhrabgaben einer Begehungsweise i. S. v. § 370 Abs. 3 S. 2 Nrn. 1 bis 6 AO unterfällt (z. B. gewerbsmäßige Hinterziehung bzw. Verkürzung von Tabaksteuer „in großem Ausmaß“ bei über den Seeweg aus einem Drittland ins Bundesgebiet erfolgter Zigaretteneinfuhr; § 373 Abs. 1, § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO).
2. Verjährungsrechtliche Beurteilung
In den geschilderten Fällen ist die Anwendung der sich aus § 376 Abs. 1 Hs. 1 AO ergebenden 15-jährigen Verjährungsfrist (und damit einhergehend der weiteren Sonderregelungen in § 376 Abs. 1 Hs. 2 und Abs. 3 AO) aus folgenden Gründen zu bejahen:
2.1 Wortlautargument
Da § 373 AO Qualifikationen zum Grundtatbestand der Steuerhinterziehung in § 370 AO enthält, steht der Wortlaut von § 376 Abs. 1 Hs. 1 (bzw. Abs. 3) AO einem Eingreifen der verlängerten Verjährungsfrist nicht entgegen ‒ im Gegenteil:
Ein dort geforderter, in § 370 Abs. 3 S. 2 Nrn. 1 bis 6 AO genannter besonders schwerer Fall der „Steuerhinterziehung“ (sic!) kann ohne Weiteres auch bei der qualifizierten Hinterziehung von Einfuhr-/Ausfuhrabgaben gegeben sein. Dies gilt in Schmuggelfällen nicht nur für den dabei in der tatrichterlichen Praxis regelmäßig anzutreffenden „Klassiker“ der Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“ (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO), sondern in Bezug auf alle anderen in § 370 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2 bis 5 AO beschriebenen erschwerten Begehungsweisen (zu Nr. 5 siehe sogleich unter 2.2). Einzig § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 6 AO (Drittstaat-Gesellschaft) „passt“ phänomenologisch nicht zu § 373 AO.
2.2 Systematische Auslegung
Ungeachtet dessen wäre es sinnwidrig, wenn eine Hinterziehung von Einfuhr-/Ausfuhrabgaben, durch die ausschließlich eine Begehungsweise nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nrn. 1 bis 5 AO verwirklicht wird, erst nach 15 Jahren verjährt, wohingegen das Hinzutreten eines Qualifikationsmerkmals i. S. v. § 373 AO dazu führen würde, dass sich die Verjährungsfrist auf 10 Jahre verkürzt (vgl. BGH 5.11.14, 1 StR 267/14, NStZ 15, 285, 286).
Dass es beim „schlichten“ Vorliegen einer Qualifikation nach § 373 AO bei der Regelverjährungsfrist von 10 Jahren bleibt (s. o.), ist als gesetzgeberische Grundentscheidung hinzunehmen und steht dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen (in der Rechtswirklichkeit wird bei gewerbsmäßigem Handeln ohnehin vielfach auch eine Verkürzung „in großem Ausmaß“ vorliegen).
MERKE | Die systematische Argumentation „hinkt“ allein beim Zusammentreffen von § 373 Abs. 2 Nr. 3 mit § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 5 AO (bandenmäßige Verkürzung von Einfuhr-/Ausfuhrabgaben bzw. Umsatz- oder Verbrauchsteuern), weil in diesem Fall keine Unrechtssteigerung festzustellen ist. |
3. Fazit
Der Gesetzgeber hat bei der Ausweitung der Verjährungsfrist in § 376 Abs. 1 Hs. 1 AO von 10 auf 15 Jahre vordergründig die sog. „Cum-Ex-Verfahrenskomplexe“ (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; s. aktuell BGH 28.7.21, 1 StR 519/20, PStR 21, 196) im Blick gehabt (vgl. BR-Drucksache 590/20, 5 f.).
Dass die genannte Gesetzesänderung beim Schmuggel im „besonders schweren“ Fall auch die Verjährungsfrist von Taten nach § 373 AO verlängern könnte, hat er demgegenüber offenbar nicht gesehen. Daraus lassen sich indes keine gegenläufigen Auslegungsergebnisse (weder historisch noch teleologisch) ableiten.
Weiterführende Hinweise
- Külz/Odenthal-Middelhoff, Erstes BGH-Urteil zu „Cum-Ex“-Aktiengeschäften, PStR 21, 196 ff.
- Reichling/Lange/Borgel, „Lex Cum/Ex II.“ ‒ Erneute Änderung des Verjährungs- und Einziehungsrechts, PStR 21, 31