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  • · Fachbeitrag · Steuerverkürzung

    Hinterziehungszinsen bei zu niedrig festgesetzten Einkommensteuervorauszahlungen

    von RA Dr. Hendrik Schöler, LL.M., FA StR, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA)

    | Das FG Münster hat mit Urteil vom 20.4.16 entschieden, dass Hinterziehungszinsen bei verschwiegenen ausländischen Kapitalerträgen bereits ab dem Zeitpunkt entsprechend zu niedrig festgesetzter Einkommensteuervorauszahlungen entstehen. Der Zinsbeginn wird damit vorverlagert: Zinsen nach § 235 AO entstehen nicht erst mit der Festsetzung der Jahres-Einkommensteuer. Wären höhere Vorauszahlungen unter Berücksichtigung der Kapitalerträge zu leisten gewesen, soll es auf den Eintritt des damit verbundenen Verkürzungserfolgs ankommen. |

    1. Zinslauf: Berechnung der Hinterziehungszinsen

    Der Erblasser E erzielte als Zahnarzt Einkünfte aus selbstständiger Arbeit; er verfügte seit den 70er-Jahren über ein Depot in der Schweiz. Die ausländischen Kapitalerträge gab er in seinen Steuererklärungen der Streitjahre nicht an. Die Vorauszahlungen wurden regelmäßig zu niedrig festgesetzt. Im Rahmen einer Selbstanzeige im Jahr 2010 erklärte der E dann die Kapitalerträge aus dem Schweizer Depot einschließlich der Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften nach.

     

    Daraufhin ergingen Anfang 2011 geänderte Einkommensteuerbescheide und Bescheide über Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO. Über ein Jahr später erließ das Wohnsitzfinanzamt Bescheide über Hinterziehungszinsen. Dort berücksichtigte es einen Zinslauf, der jeweils ab Fälligkeit der vierteljährlichen Vorauszahlungen (10.3., 10.6., 10.9. und 10.12. des jeweiligen Streitjahres) beginnt und zum Zeitpunkt der Zahlung der nachgeforderten Beträge endet.

     

    E verstarb während des finanzgerichtlichen Verfahrens. Seine Rechtsnachfolger klagen gegen die Bescheide über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen.

    2. FG Münster bestätigt Verwaltungsauffassung

    Das FG Münster (20.4.16, 7 K 2354/13 E, Abruf-Nr. 187091) weist die Klage ab und bestätigt damit die Auffassung der Finanzbehörde. Für den Eintritt der Steuerverkürzung und die Berechnung der Höhe der hinterzogenen Steuer sei § 370 AO maßgeblich.

     

    Das Gericht bezieht sich zur Begründung zunächst auf das BFH-Urteil vom 15.4.97 (VII R 74/96, BStBl II 97, 600). Danach können auch Einkommensteuervorauszahlungen selbstständiger Gegenstand einer Steuerhinterziehung sein; der Steuerbegriff i. S. des § 3 AO umfasst auch die als Steuerschulden zu qualifizierenden Vorauszahlungsschulden. Diese dienen zudem dazu, ein stetiges Steueraufkommen zu sichern und fallen gleichsam unter das von § 370 AO geschützte Rechtsgut eines rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens. Mit der Abgabe unrichtiger bzw. unvollständiger Steuererklärungen sei der objektive Tatbestand des § 370 AO insoweit erfüllt.

     

    Auch der nach § 369 Abs. 2 AO i. V. mit § 15 StGB erforderliche Vorsatz sei bei E vorhanden gewesen. Mit der Geldanlage in der Schweiz hätte der E einen großen Teil seines Vermögens der Besteuerung in Deutschland entziehen wollen. Dieses planmäßige Vorgehen habe sich in der Abgabe fehlerhafter Steuererklärungen fortgesetzt. Zwar gehöre die Festsetzung von Vorauszahlungen zur Einkommensteuer nicht zum Allgemeinwissen.

     

    Allerdings habe der E zumindest billigend in Kauf genommen, dass aufgrund der unvollständigen Angaben zu den Einkünften auch die Vorauszahlungen zu niedrig festgesetzt wurden. Denn das System der Vorauszahlungen war ihm aufgrund seiner Einkünfte aus selbstständiger Arbeit bekannt. Damit habe er die Hinterziehung der Vorauszahlungsbeträge - und damit den Steueranspruch - nach Grund und Höhe für möglich gehalten. Wegen der Höhe der Hinterziehungszinsen sei die Probeberechnung des FA unter Berücksichtigung der hypothetisch festzusetzenden Vorauszahlungen nicht zu beanstanden.

    3. Kläger gehen zum BFH

    Erstmals hat sich ein FG zu der kontrovers diskutierten (Bürger, PStR 15, 327; Talaska, Stbg 16, 23) und höchstrichterlich nicht entschiedenen Frage geäußert, ob Zinsen nach § 235 AO bei hinterzogenen Einkommensteuervorauszahlungen entstehen und wie diese zu berechnen sind.

     

    Unter Berufung auf den Erlass zur Verzinsung von hinterzogenen Steuern des FM NRW vom 6.10.14 (S 0462, Abruf-Nr. 187092) hatten zahlreiche Finanzämter in Selbstanzeigefällen Hinterziehungszinsen beginnend ab dem Fälligkeitstag der ESt-Vorauszahlungen festgesetzt. Diese zumeist faktisch oder nach § 363 AO ruhenden Verfahren dürften nun fortgesetzt werden. Allerdings hat das FG Münster die Revision zum BFH ausdrücklich zugelassen. Der BFH wird sich mit folgenden Argumenten, die Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des FG begründen, auseinanderzusetzen haben:

     

    • Gegenstand des Zinsanspruchs nach § 235 Abs. 1 AO sind „hinterzogene Steuern“. Ihre Höhe richtet sich allein nach dem tatsächlich hinterzogenen Steuerbetrag. Die Bestimmung dieses Betrags durch die nachträgliche Hinzurechnung der verschwiegenen Einkünfte bereitet Schwierigkeiten. Denn die Höhe der Vorauszahlungen knüpft nach § 37 Abs. 3 S. 2 EStG an die ESt des vorangegangenen VZ an. Auch wenn im VZ 02 die ESt niedriger festgesetzt wurde als die Summe der aufgrund des VZ 01 festgesetzten ESt-Vorauszahlungen für VZ 02, müsste nach dem FG Münster der letztgenannte Betrag der Berechnung der Hinterziehungszinsen zugrunde gelegt werden.
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    • Dies überzeugt nicht, da nach zutreffender Auffassung eine korrigierende Auslegung des § 235 Abs. 3 S. 3 AO (Klein/Rüsken, AO, § 235 Rn. 25) oder eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO (Koenig/Koenig, AO, § 235 Rn. 27) angezeigt ist, wenn nachträgliche Änderungen der Steuerfestsetzung die Änderung des Bescheids über Hinterziehungszinsen sperren würden. Wenn damit im Ergebnis doch Hinterziehungszinsen reduziert werden, kommt deren überhöhte erstmalige Festsetzung nicht in Betracht.

     

    • Der Vorauszahlungsanspruch ist auflösend bedingt und erlischt mit der Festsetzung der Jahres-Einkommensteuerschuld (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 235 Rn. 38). Die auf die Vorauszahlungen bezogene Steuerhinterziehung führt damit zu keiner Nachforderung mehr; nachgefordert wird allein die Jahressteuer. Damit ist die Festsetzung von Hinterziehungszinsen wegen der Vorauszahlungen nach AEAO Nr. 2.4 zu § 235 AO ausgeschlossen.

     

    • Sobald der ESt-Bescheid bekannt gegeben ist, dürfen Vorauszahlungen für denselben VZ nicht mehr angepasst werden. Damit können auch keine verkürzten Beträge für den betreffenden VZ festgestellt und insoweit auch keine Hinterziehungszinsen festgesetzt werden (Bürger, PStR 15, 327).

     

    • Das FA trägt die Feststellungslast bezüglich der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung. Im Streitfall mag aufgrund der geleisteten Vorauszahlungen in Abhängigkeit von der Höhe der erzielten Einkünfte noch ein gewisses Verständnis für das Besteuerungssystem zu unterstellen sein. Wer jedoch erst aufgrund der Hinzurechnung der verschwiegenen Einkünfte in den Anwendungsbereich des § 37 Abs. 5 EStG fällt, dürfte kaum mit Hinterziehungsvorsatz gehandelt haben.

     

    • Selbst wenn eine den Vorsatz grundsätzlich begründende Kenntnis der verkürzten Vorauszahlungen vorliegen sollte, bereitet der Nachweis des vorsätzlichen Handelns praktische Schwierigkeiten. Denn nach der herrschenden Steueranspruchstheorie (Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 Rn. 373) muss der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennen oder zumindest für möglich halten und ihn auch verkürzen wollen. Die Einkommensteuer-Vorauszahlung entsteht nach § 37 Abs. 1 S. 2 EStG jeweils mit Beginn des Kalendervierteljahrs, in dem die Vorauszahlungen zu entrichten sind; die Einkommensteuer entsteht nach § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des VZ. Der Vorsatz müsste sich somit auf eine noch nicht entstandene Steuer und noch unbekannte Besteuerungsgrundlagen beziehen. Dies erscheint sehr fragwürdig.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Külz/Valder, Festsetzung der Hinterziehungszinsen war bereits verjährt, PStR 16, 53 f.
    • Valder/Meyer, Hinterziehungszinsen dürfen nicht übereilt festgesetzt werden, PStR 15, 331 f.
    • Bürger, Hinterziehungszinsen bei zu niedrig angesetzten Vorauszahlungen?, PStR 15, 327 ff.
    Quelle: Ausgabe 08 / 2016 | Seite 216 | ID 44103376