· Fachbeitrag · Gewerbesteuer
Haftung eines Geschäftsführers für Gewerbesteuerschulden einer aufgelösten GmbH
von RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Krause & Kollegen, Berlin
| Die Haftung nach §§ 34, 69 AO setzt voraus, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem mit dem Haftungsanspruch geltend gemachten Schaden eine adäquate Kausalität besteht. Dieser Kausalzusammenhang ist nicht gegeben, wenn der Steuerausfall als Vermögensschaden des Fiskus mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens des Steuerpflichtigen unabhängig davon eingetreten ist, ob Steueranmeldungen fristgerecht eingereicht und die geschuldeten Steuerbeträge innerhalb der gesetzlich hierfür bestimmten Fristen entrichtet worden sind. |
Sachverhalt
Der Kläger (K) wendet sich gegen seine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für Gewerbesteuerschulden der Y-Stahl GmbH der Jahre 2010 bis 2013. Er war Geschäftsführer der GmbH, die eine Eisenbinderei unterhielt. Der Geschäftsgegenstand war, Bauleistungen (Armierungs-, Stahlbiege- und Stahlflechtarbeiten) zu erbringen sowie z. T. Eisenarmierungen zu vertreiben. Am 17.1.17 wurde die GmbH aufgelöst und K zum Liquidator bestellt.
Nach einer Steuerprüfung der Y-Stahl GmbH in der Zeit vom 30.7.15 bis zum 26.2.16 wurde gegen K ein Steuerstrafverfahren wegen Verdachts der Hinterziehung von Körperschaft- und Gewerbesteuer für 2009 bis 2013 zugunsten der GmbH sowie der Hinterziehung von Einkommensteuer für 2009 bis 2013 in eigener Sache eingeleitet. Nach den Feststellungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) wurden Erlöse der GmbH auf einem Privatkonto der Ehefrau F des K i. H. v. ca. 350.000 EUR und einem nicht „gebuchten“ Bankkonto der GmbH i. H. v. ca. 136.000 EUR gutgeschrieben ohne entsprechende Ertragsbuchungen bei der GmbH. Die Geldeingänge wurden kurz nach erfolgter Bankgutschrift bar abverfügt. K und F waren über die Konten verfügungsberechtigt.
K wurde wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Gerichts beschäftigte K im Zeitraum von März 09 bis April 14 mehrere Personen als angeblich selbstständige Eisenbinder. Tatsächlich sollen diese jedoch wie die gemeldeten eigenen Arbeitnehmer tätig ‒ und damit scheinselbstständig ‒ gewesen sein. Darüber hinaus soll K mehrere Arbeitnehmer der GmbH nicht zur Sozialversicherung angemeldet haben. Sämtliche Lohnzahlungen erfolgten in bar. Hierzu nutzte er o. a. Geldeingänge auf dem Konto der F. Auf die Berufung des K änderte das LG den Rechtsfolgenausspruch dahin gehend ab, dass K zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt wurde.
Zuvor hatte das FA geänderte Steuerbescheide gegen die GmbH erlassen. Nachdem deren Vollstreckung erfolglos geblieben war, erließ das beklagte FA gegenüber dem K einen Haftungsbescheid. Klage und Berufung dagegen blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
Der VGH weist darauf hin, dass ein Geschäftsführer einer GmbH bereits vor Fälligkeit der Steuern ‒ hier Gewerbesteuern ‒ allgemein verpflichtet ist, die Mittel der GmbH als Steuerschuldnerin so zu verwalten, dass diese in der Lage ist, auch erst künftig fällig werdende Steuerschulden pünktlich zu tilgen (Mittelvorsorgepflicht; VGH Baden-Württemberg 10.10.24, 2 S 1297/24, Abruf-Nr. 246669).
Er verletzt deshalb seine ihm gegenüber dem Fiskus obliegenden Pflichten, wenn er die GmbH durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise schuldhaft außerstande setzt, künftig fällig werdende Steuerschulden, mit denen er rechnen muss, zu tilgen.
MERKE | Behauptet der Geschäftsführer trotz ausreichender Erträge im jeweiligen Steuerjahr, er habe die ihm obliegende Mittelvorsorgepflicht nicht verletzt, muss er detailliert und substanziiert vortragen (und ggf. belegen), aus welchen Gründen die Gesellschaft ungeachtet dessen nicht in der Lage gewesen ist, finanzielle Mittel zurückzulegen, um die bereits absehbaren künftigen Steuerschulden zu begleichen. |
Relevanz für die Praxis
Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Nach § 69 S. 1 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO haften die Geschäftsführer einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Das vorliegende Verfahren ist ein „Klassiker“. Denn es verdeutlicht, wie im Strafverfahren die Weichen gestellt werden für andere Streitgegenstände:
Beachten Sie | Das VG ‒ aber auch ein FG oder SG ‒ kann sich die tatsächlichen Feststellungen und Beweiswürdigungen einer vorangegangenen strafgerichtlichen Entscheidung zu eigen machen, wenn nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis gewonnenen Überzeugung diese Feststellungen zutreffend sind und keine substanziierten Einwendungen gegen diese Feststellungen erhoben werden.
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| Nein. Grundsätzlich setzt die Haftung nach §§ 34, 69 AO wegen ihres Schadenersatzcharakters voraus, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem mit dem Haftungsanspruch geltend gemachten Schaden eine adäquate Kausalität besteht.
Eine Haftung kommt in Betracht, wenn zwischen der Pflichtverletzung und dem Steuerausfall als dem auszugleichenden Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. |
2. In welchem Fall fehlt es an dem notwendigen Kausalzusammenhang? | Der erforderliche Kausalzusammenhang ist nicht gegeben, wenn der Steuerausfall als Vermögensschaden des Fiskus mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens des Steuerpflichtigen unabhängig davon eingetreten ist, ob Steueranmeldungen fristgerecht eingereicht und die geschuldeten Steuerbeträge innerhalb der gesetzlich hierfür bestimmten Fristen entrichtet worden sind (st. Rspr., vgl. etwa BFH 26.1.16, VII R 3/15). |
| Nein. Die Rechtsprechung geht von einer sog. Mittelvorsorgepflicht aus.
Die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters einer GmbH beschränken sich nicht nur darauf, die im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuern vorhandenen Mittel anteilsmäßig einzusetzen, um den Steuergläubiger und die anderen Gläubiger zu befriedigen. Er ist vielmehr bereits vor Fälligkeit der Steuern ganz allgemein verpflichtet, die Mittel des Steuerschuldners so zu verwalten, dass dieser in der Lage ist, auch die erst künftig fällig werdenden Steuerschulden zu tilgen. |
4. Was bedeutet dies konkret? | Welche Anforderungen an die einem Geschäftsführer obliegende Mittelvorsorgepflicht zu stellen sind, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.
Von ihm ist aber jedenfalls zu verlangen, dass er vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel bereithält, um geschuldete Steuern zu entrichten; vom Eintritt der Fälligkeit der Steuern ist diese Pflicht unabhängig. |
5. Sind Zahlungen an andere Gläubiger der GmbH in den Blick zu nehmen? | Ja. Ein Geschäftsführer einer GmbH soll seine ihm gegenüber dem Steuergläubiger obliegenden Pflichten ‒ auch ‒ verletzen, wenn er sich durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise schuldhaft außerstande setzt, künftig fällig werdende Steuerschulden, deren Entstehung ihm bekannt ist, zu tilgen. Dies gilt insbesondere auch für Steuerforderungen, mit denen der Geschäftsführer rechnen muss (st. Rspr., vgl. etwa BFH 29.8.18, XI R 57/17; s. a. OVG Nordrhein-Westfalen 21.8.17, 14 A 1009/15). |
6. Was folgt hieraus für die Verteidigung gegen einen Haftungsbescheid? | Behauptet der Geschäftsführer trotz ausreichender Erträge im jeweiligen Steuerjahr, er habe die ihm obliegende Mittelvorsorgepflicht nicht verletzt, muss er detailliert und substantiiert vortragen (und ggf. belegen), aus welchen Gründen die Gesellschaft ungeachtet dessen nicht in der Lage gewesen ist, finanzielle Mittel zurückzulegen, um die bereits absehbaren künftigen Steuerschulden zu begleichen. |
| Ja, aber: Derjenige, der akzessorisch haften soll, kann zwar grundsätzlich gegenüber seiner Haftungsinanspruchnahme geltend machen, dass die Hauptschuld ‒ hier die Gewerbesteuerforderung des beklagten FA gegenüber der Y-Stahl GmbH ‒ nicht bzw. nicht in dieser Höhe besteht und dies grundsätzlich ungeachtet der Frage, ob sie gegenüber dem Hauptschuldner bereits unanfechtbar festgesetzt ist.
Von diesem Grundsatz bestimmt § 166 AO jedoch eine Ausnahme: Ein Gesamtrechtsnachfolger sowie Personen, die in der Lage gewesen wären, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten, müssen eine unanfechtbare Steuerfestsetzung gegen den Steuerpflichtigen nach dieser Vorschrift gegen sich gelten lassen. |
MERKE | Einwendungen müssen bereits im Rechtsbehelfsverfahren für die GmbH (Hauptschuldnerin) geltend gemacht werden. |
Weiterführende Hinweise
- Wegner, Umsatzsteuer- und Kaffeesteuerkarussell: Unter diesen Voraussetzungen haftet ein Geschäftsführer, PStR 25, 36
- Derselbe, Faktischer Geschäftsführer schließt Haftung des formellen Geschäftsführers nicht aus PStR 21, 208