· Fachbeitrag · Sozialversicherungsbeiträge
Sozialversicherungsträger muss Vorsatz beweisen
von RA Jan Lampe, FA StR, Hollender Rechtsanwälte, Mönchengladbach
Die Darlegungs- und Beweislast des Sozialversicherungsträgers, der den Geschäftsführer (GF) einer GmbH wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen (SVB) aus § 823 Abs. 2 BGB, § 266a Abs. 1 StGB in Anspruch nimmt, erstreckt sich auf den Vorsatz des beklagten Geschäftsführers (BGH 18.12.12, II ZR 220/10, Abruf-Nr. 130463). |
Sachverhalt
Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, verlangt von dem GF einer GmbH Schadenersatz wegen Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung. AG und LG haben die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 266a StGB lägen in subjektiver Hinsicht nicht vor, da der GF die Arbeitnehmerbeiträge nicht vorsätzlich vorenthalten habe.
Der GF habe in einer räumlich ausgelagerten Betriebsstätte gearbeitet, sei mit Verwaltungs- oder Buchhaltungsaufgaben nicht befasst gewesen und habe von der drohenden Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens nichts gewusst.
Entscheidungsgründe
Die Darlegungen zum Vorsatz des GF genügen nach Ansicht des BGH nicht den Anforderungen an die tatsächlichen Beurteilungsgrundlagen nach §§ 545, 559 ZPO. Es sei weitgehend nicht erkennbar, ob das Gericht die jeweils zugrunde gelegten Tatsachen als unstreitig oder aus anderen Gründen als nicht beweisbedürftig gewertet habe, oder ob es sie nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO für wahr erachtet habe. Für das weitere Verfahren klärt der BGH die Beweislastfrage für die Umstände, die allgemein das Verschulden und speziell einen für den Tatbestand erforderlichen Vorsatz betreffen.
Nach dem an § 282 BGB a.F. (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) angelehnten Grundsatz der Beweislastverteilung muss der das Schutzgesetz Übertretende die Umstände darlegen und beweisen, die geeignet sind, die Annahme seines Verschuldens auszuräumen (BGH 13.12.84, III ZR 20/83, WM 85, 590 f.). Dieser Grundsatz gilt nicht, wenn die spezielle Schuldform Vorsatz erforderlich ist. Wer einen Schadenersatzanspruch auf die Verletzung eines Schutzgesetzes stützt, hat alle Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen die Verwirklichung aller Tatbestandsvoraussetzungen folgt (OLG Schleswig 7.12.01, 14 U 122/01, GmbHR 02, 216, 217). Der GF ist in diesen Fällen gehalten, das Vorbringen der Sozialversicherung substanziiert zu bestreiten (sekundäre Darlegungs- und Beweislast - BGH 7.12.98, II ZR 266/97, GmbHR 99, 178). Nach ständiger Rechtsprechung handelt der wegen Nichtabführung der SVB in Anspruch genommene GF mit bedingtem Vorsatz, wenn er eine für möglich gehaltene Beitragshinterziehung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche hinwirkt (BGH 9.1.01, VI ZR 407/99, ZIP 01, 422, 423; BGH 2.6.08, II ZR 27/07, ZIP 08, 1275, Rn. 11).
Praxishinweis
Der BGH nennt beispielhaft Umstände, die Indizwert für die Vorsatzfrage haben und der Praxis als Maßstab dienen können:
- Wenn die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung auf Angestellte übertragen ist, muss der GF im Rahmen seiner Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch den beauftragten Angestellten nicht mehr gewährleistet ist. Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bieten insbesondere eine finanzielle Krisensituation oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf innerhalb der Gesellschaft (BGH 2.6.08, II ZR 27/07, ZIP 08, 1275, Rn. 11 m.w.N.). Werden z.B. Lieferantenrechnungen nicht pünktlich bezahlt oder Materialien nur gegen Vorkasse geliefert, kann dies auf eine finanzielle Krise oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf hindeuten.
- Maßstab für die Beurteilung der Vorsatzfrage kann auch die Rechtsprechung zu § 130 OWiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen) sein. Mit diesem auch fahrlässig begehbaren OWi-Tatbestand dürfen indes die Anforderungen an den Schadenersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB, § 266a StGB nicht unterlaufen werden. Bereits in seiner Entscheidung vom 13.4.94 hat der BGH (II ZR 16/93, GmbHR 94, 390) darauf hingewiesen, dass der Schutzzweck des § 130 OWiG im zivilen Schadenersatzrecht bereits durch § 831 BGB und § 31 BGB erreicht wird. Deshalb ist § 130 OWiG ähnlich wie § 93 Abs. 1 AktG und § 31 WpHG kein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB (OLG Koblenz 5.11.04, 5 U 875/04, ZinsO 04, 1262).