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  • · Fachbeitrag · Steuerhinterziehung

    Haftung im Umsatzsteuerkarussell

    von RA Dr. Markus Adick, FAStrR, Düsseldorf und RA StB Dr. Carsten Höink, Münster

    | Ist der Haftungsschuldner in ein Umsatzsteuerhinterziehungssystem integriert, fördert er, wenn er von den in der Lieferkette nachfolgenden oder vorgelagerten Geschäften Kenntnis hatte, mit seinem Beitrag innerhalb der Lieferkette auch jeweils eine Umsatzsteuerhinterziehung der anderen Mitglieder, die an den auf Hinterziehung der USt gerichteten Geschäften beteiligt waren, so das FG Hamburg in seiner Entscheidung vom 12.12.13 (3 K 28/13, Abruf-Nr. 141478 , NZB, Az. BFH VII B 8/14 ). |

    1. Sachverhalt (FG Hamburg vom 12.12.13, 3 K 28/13)

    Dem finanzgerichtlichen Verfahren war ein Strafverfahren vorausgegangen. Nach den dort getroffenen Feststellungen errichtete der Kläger K ein aufwändiges Hinterziehungssystem. Insbesondere wurden der C-GmbH, deren Gesellschafter-Geschäftsführer der K war, mehrere Unternehmen als „Buffer“ sowie die A-GmbH als „Missing-Trader“ vorgeschaltet. Neben der Schaffung einer unauffälligen Beleglage wurden in einer anderen Lieferkette tatsächlich Lieferungen erbracht. Dies trug zusätzlich zur Verschleierung bei und ermöglichte es, den „Umsatzsteuergewinn“ auf die Mitwirkenden zu verteilen.

     

    Der Beitrag des K bestand darin, dass er die Unternehmensstruktur einbrachte, mit der die Taten erst begangen werden konnten. Die Finanzplanung lag bei ihm, er stimmte die Verteilung des „Umsatzsteuergewinns“ ab, sorgte für eine buchhalterisch ordnungsmäßige Beleglage etc. Aufgrund dessen nahm das Strafgericht seine Zentralstellung in dem System an. Es verurteilte ihn wegen mittäterschaftlich (§ 25 Abs. 2 StGB) begangener Steuerhinterziehung (§ 370 AO) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten. Die Revision verwarf der BGH.

     

    Nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils erließ das FA einen Haftungsbescheid (§ 71 AO). Dieser umfasste USt-Schulden der A-GmbH. Der K sei Mittäter eines Umsatzsteuerkarussells gewesen und habe sich als einer der übergeordneten, planenden Hintermänner daran beteiligt, dass die A-GmbH als „Missing-Trader“ keine bzw. keine zutreffenden USt-Voranmeldungen abgegeben habe. Im Rechtsbehelfsverfahren trug das FA vor, der Haftungstatbestand von § 71 AO ergebe sich aus dem rechtskräftigen Strafurteil. Der K habe gegen die Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen keine substantiierten Einwendungen erhoben. Das FA schließe sich daher den strafgerichtlichen Feststellungen an.

     

    Der K wehrte sich umfassend gegen die Inanspruchnahme. Insbesondere, aber nicht ausschließlich, trug er vor, weder FA noch FG seien an die strafgerichtlichen Feststellungen gebunden. Es seien die Grundsätze über die steuerliche Feststellungslast anzuwenden. Selbst wenn der Geschäftsführer der A-GmbH USt hinterzogen hätte, sei er nicht Täter oder Teilnehmer entsprechender Taten nach § 370 AO gewesen. Auf die Abgabe der USt-Voranmeldungen der A-GmbH habe er keinen Einfluss gehabt, ihr Geschäftsführer sei ihm persönlich unbekannt. Das FA treffe die Feststellungslast für den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung. Ein „non liquet“ gehe zulasten des FA. Ferner gelte der Grundsatz „in dubio pro reo“ auch bei § 71 AO, sodass Zweifel an den Voraussetzungen für eine Beihilfestrafbarkeit seiner Haftung entgegenstünden. Das FG Hamburg wies die Klage als unbegründet zurück.

    2. FG an die Feststellungen des Strafgerichts nicht gebunden

    Das FG ist bei Vorgängen, die sowohl in strafrechtlicher als auch in abgabenrechtlicher Hinsicht zu ermitteln und zu würdigen sind, an die tatsächlichen Feststellungen einer vorangegangenen strafgerichtlichen Entscheidung nicht gebunden. Es ist grundsätzlich jedoch nicht gehindert, sich die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts zu eigen zu machen, wenn diese nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 S. 1 FGO) zutreffend sind und wenn keine substantiierten Einwendungen hiergegen erhoben und keine entsprechenden Beweisanträge gestellt werden. Zur Übernahme der Feststellungen und Beweiswürdigungen des Strafgerichts besteht insbesondere dann Anlass, wenn die strafgerichtliche Entscheidung bereits rechtskräftig geworden ist (BFH 25.10.04, VII B 69/04, Abruf-Nr. 141484).

     

    Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts - hier des § 370 AO - bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften wie § 169 Abs. 2 S. 2 AO oder § 71 AO von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgeblich und nicht die StPO. Indessen ist auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren der strafverfahrensrechtliche Grundsatz „in dubio pro reo“ zu beachten. Dies lässt sich daraus ableiten, dass die Finanzbehörde (der Steuergläubiger) im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für steueranspruchsbegründende Tatsachen trägt. Es ist bezüglich des Vorliegens einer Steuerhinterziehung indes kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das FA die Feststellungslast trägt (BFH 7.11.06, VIII R 81/04, PStR 07, 93).

     

    Der K hat Beihilfe geleistet, indem er die Rechnungsstellungen der in die Lieferkette eingebundenen Firmen steuerte und überwachte. Dem steht seine Behauptung, auf die Abgabe der USt-Voranmeldungen der A-GmbH keinen Einfluss gehabt zu haben, nicht entgegen. Es genügt die Vornahme einer Handlung, die die Haupttat in irgendeiner Weise fördert. Ist der Haftungsschuldner in ein Umsatzsteuerhinterziehungssystem integriert, wirkt sich dies, wenn er von den in der Lieferkette nachfolgenden Geschäften Kenntnis hatte, in der strafrechtlichen Beurteilung nicht nur auf die von ihm selbst abgegebenen Steuererklärungen aus. Vielmehr fördert er dann mit seinem Beitrag innerhalb der Lieferkette auch jeweils eine Umsatzsteuerhinterziehung der anderen Mitglieder, die an den auf Hinterziehung der USt gerichteten Geschäften beteiligt waren. Entsprechendes gilt nach Auffassung des Senats für die in der Kette vorgelagerten Geschäfte und Erklärungen. Wie dargelegt, basierte das Umsatzsteuerhinterziehungssystem darauf, dass auf der ersten Stufe ein „Missing-Trader“ eingesetzt wurde, der die in den von ihm ausgestellten Rechnungen, die Grundlage für die Vorsteuererstattung wurden, ausgewiesene USt nicht anmeldete und nicht abführte. Indem der K dieses System miterrichtete und kontrollierte und laufend Beiträge hierzu leistete, unterstützte und förderte er auch die Umsatzsteuerhinterziehung auf der ersten Stufe.

     

    Der K handelte auch vorsätzlich, und zwar ungeachtet der Frage, ob ihm die Firma des „Missing-Traders“ oder jede für diese Firma handelnde Person bekannt war oder nicht. Das Umsatzsteuerhinterziehungssystem, das der Kläger miterrichtete und zu dem er laufend Beiträge leistete, war darauf ausgelegt, dass auf der letzten Stufe Vorsteuererstattungen geltend gemacht wurden, während auf der ersten Stufe ein „Missing-Trader“ eingesetzt wurde, der die USt nicht anmeldete und nicht abführte. Anders wäre es nicht zu einem „Umsatzsteuergewinn“ auf der letzten Stufe gekommen. Steht die Begehung der Haupttat - wie im Streitfall - fest, genügt es für die Annahme eines Gehilfenvorsatzes, wenn der Gehilfe weiß, dass es eine Haupttat gibt und er, der Gehilfe, diese durch seine Gehilfenhandlung fördert, ohne dass er den Haupttäter konkret kennen müsste.

     

    Die Steuerhinterziehung des K war für den eingetretenen Schaden in Gestalt der Haftungsschuld kausal. Bei der Haftung des Lieferers in ein USt-Karussell besteht der Vermögensschaden des Fiskus grundsätzlich in den verkürzten - vorsätzlich nicht angemeldeten - nominalen Steuerbeträgen für die Lieferungen und nicht in den beim Leistungsempfänger zu dessen Gunsten unberechtigt verrechneten oder an diesen ausgezahlten Vorsteuerbeträgen. Als Haftungsschaden ist daher vorliegend die durch die A-GmbH nicht angemeldete USt zugrunde zu legen und nicht die an die C-GmbH zu Unrecht erstattete Vorsteuer.

     

    Der Erlass eines Haftungsbescheids ist auch dann rechtmäßig, wenn feststeht, dass bei einer Gesamtschau der Scheingeschäfte an den Fiskus ein höherer Betrag an USt abgeführt als Vorsteuer in Anspruch genommen worden ist. Der Steuerhinterzieher haftet in Höhe der aufgrund seiner Tat verkürzten bzw. hinterzogenen Beträge. Eine etwaige Überkompensation hätte - läge sie vor - ihre Ursache nicht im Haftungs-, sondern im Umsatzsteuerrecht und müsste mit den dort vorgesehenen Instrumentarien korrigiert werden (BFH 26.9.12, VII R 3/11, PStR 13, 57).

     

    Das FA weise in der Einspruchsentscheidung vom 14.11.11 - aus Sicht des FG Hamburg - zutreffend darauf hin, dass das Entschließungsermessen im Fall einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat in der Weise vorgeprägt sei, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind. Einer besonderen Begründung der Ermessensbetätigung bedürfe es in diesen Fällen nicht.

     

    3. Auswirkungen in der Praxis

    Die Entscheidung ist wegen der prozessualen Ausgangslage sowie des weit gesteckten Rahmens für die Haftung im USt-Karussell bemerkenswert. Sie verdeutlicht zunächst, dass die Finanzbehörden nach einer im Strafverfahren durchgeführten Beweisaufnahme nicht den gesamten Sachverhalt neu aufrollen müssen. Vielmehr können dort festgeschriebene Informationen übernommen werden. Soweit das FG Hamburg unter Verweis auf den BFH betont, insbesondere bei rechtskräftigen Strafurteilen sei eine Übernahme veranlasst, macht dies die strafrechtliche Verteidigung nicht einfacher.

     

    Insbesondere bei komplexen Sachverhalten wie USt-Karussellen kann es sich anbieten, im Steuerstrafverfahren eine Verständigung zu treffen. Bestandteil jeder Verständigung soll nach § 257 Abs. 2 S. 2 StPO ein Geständnis sein. Dies ist zwar nicht obligatorisch, wird jedoch von vielen Strafgerichten erwartet. Folglich ist zu bedenken, dass ein konsensuales Verhalten im Strafverfahren dazu beitragen kann, das strafrechtliche Risiko zu reduzieren, es im finanzgerichtlichen Verfahren die Abwehr steuerlicher Haftungsansprüche jedoch erschweren kann. Besser, wenn auch nicht immer möglich, ist es daher, möglichst frühzeitig eine Gesamtlösung zu finden, die strafrechtliche und steuerliche Folgen gleichzeitig regelt.

     

    PRAXISHINWEIS | Ob der vorliegende Fall dafür geeignet war, scheint angesichts der letztlich rechtskräftig gewordenen Verurteilung zu einer erheblichen Freiheitsstrafe sowie zwischen den Zeilen der Urteilsgründe aufscheinender Aspekte zweifelhaft. Er verdeutlicht aber, dass im Steuerstrafverfahren die (umsatz-)steuerlichen und vice versa im Besteuerungsverfahren die strafrechtlichen Auswirkungen stets mitbedacht werden müssen.

     

    Darüber hinaus zeigt die Entscheidung, dass der Vorwurf, als Täter (§ 25 StGB) oder Teilnehmer (§ 26, 27 StGB) einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) in ein USt-Karussell involviert gewesen zu sein, unüberschaubare Risiken begründen kann. Strafrechtlich besteht angesichts der regelmäßig hohen Verkürzungsbeträge das Risiko von Haftstrafe, insbesondere wenn man der Ansicht folgt, dass jeder Beitrag in einer Lieferkette eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung aller an dem Geschäft Beteiligten ist.

     

    Steuerlich stellt das FG Hamburg klar, dass der insoweit steuerunehrliche Unternehmer auf den Nominalbetrag der auf jeder Stufe nicht angemeldeten Steuern haftet. Der bloße Einwand, die im Karussell handelnden Personen nicht gekannt oder keinen Einfluss auf deren steuerliche Erklärungen gehabt zu haben, verspricht zunächst wenig Erfolg. Für steuerehrliche Unternehmer verdeutlicht die Entscheidung daher einmal mehr, dass dem Verdacht, (bedingt) vorsätzlich an einem Umsatz beteiligt zu sein, der auf einer anderen Stufe mit einem USt-Betrug behaftet ist, vorgebeugt werden sollte.

     

    Zwar lässt sich auch nach dem EuGH von einem Unternehmer nicht generell verlangen, sich zu vergewissern, dass auf der Ebene der Wirtschaftsteilnehmer einer vorgelagerten Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehung vorliegen (EuGH 31.1.13, C-643/11, DStRE 13, 745). Die Finanzverwaltung fordert in dem BMF-Schreiben vom 7.2.14 „Vorsteuerabzug bei Betrugsabsicht des Lieferers“ (BStBl I 14, 271), dass alle Unternehmen sich über Ihre Zulieferer und Kunden vergewissern und im Rahmen von „Compliance“-Maßnahmen der Unternehmer alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug einbezogen sind. Hierunter versteht die Finanzverwaltung z.B. eine dokumentierte Vergewisserung über die Unternehmereigenschaft des Leistenden, Prüfung der gehandelten Liefergegenstände durch Aufzeichnung von Geräte-Identifikationsnummern etc. Aus der Nichtexistenz derartiger Maßnahmen will die Finanzverwaltung ein Indiz dafür sehen, dass der Unternehmer mit seinem Warenerwerb an einem Umsatzsteuer- oder sonstigen Betrug beteiligt war und der Vorsteuerabzug könne verweigert werden.

     

    Nach einer Entscheidung im vorläufigen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung hat das FG Münster (12.12.13, 5 V 1934/13 U, DStRE 14, 226) klargestellt, dass die objektive Feststellungslast für die Umstände, die eine Versagung des Vorsteuerabzugs wegen betrügerischen Handelns begründen, bei dem FA liegt. Diese Rechtsprechung liegt auch auf der Linie des EuGH, welcher urteilte, dass die Finanzverwaltung von einem Unternehmer, der einen Vorsteuerabzug geltend machen will, nicht generell verlangen kann, dass dieser prüft, ob der Rechnungsaussteller in der Lage war, den betreffenden Umsatz auszuführen und seinen umsatzsteuerlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten nachgekommen ist (EuGH 13.2.14, C-18/13, „Maks Pen EOOD“, BB 14, 863; EuGH 31.1.13, C-643/11, LVK-56 EOOD, DStRE 2013, 745; EuGH 31.1.13, C-642/11, Stroy trans EOOD, PStR 13, 86).

     

    Diese Rechtsprechung nimmt auf die Situation des Unternehmers tendenziell mehr Rücksicht als es zuweilen im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren der Fall ist. Dort genügt bereits ein Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO), also die auf konkrete Tatsachen gestützte Möglichkeit strafbaren Verhaltens, um den Unternehmer als Beschuldigten zu erfassen.

     

     

     

    Weiterführender Hinweis

    • Kaiser/Gurtner, Vorsteuerabzug: Schutz vor Umsatzsteuerbetrug, PStR 14, 122 ff.
    Quelle: Ausgabe 07 / 2014 | Seite 185 | ID 42669095