· Fachbeitrag · Vermögensabschöpfung
Ist eine Nutzungseinziehung trotz gezahlter Steuerzinsen zulässig?
von RA, StB Martin Werneburg, FA StrR, Flick Gocke Schaumburg, Berlin
| Der Justizfiskus geht grundsätzlich bei der Vermögensabschöpfung „leer“ aus, wenn die Steuern nach- oder zurückgezahlt wurden. Eine Ausnahme besteht, soweit „durch“ die Tat erlangte Vorteile nicht deckungsgleich mit dem Steueranspruch sind. Das OLG Köln musste entscheiden, ob dem Justizfiskus noch Kapitalnutzungsvorteile zustehen können, wenn das FA diese im Wege von Verspätungs- und Hinterziehungszinsen abgeschöpft hat. |
Sachverhalt
Die Vollstreckungsschuldnerin S hatte über mehrere Jahre Cum/Ex-Geschäfte durchgeführt und Kapitalertragsteuerabzug auf ihre Steuerschuld angerechnet und ausbezahlt bekommen. Im Strafprozess wurde gegen die S die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Zudem ordnete das Gericht die Einziehung von Nutzungen gem. § 73 Abs. 2 StGB an. Die Einziehungsanordnungen sind rechtskräftig. Das FA forderte parallel dazu von S die angerechnete Kapitalertragsteuer zurück sowie Verspätungs- (§ 233a AO) und Hinterziehungszinsen (§ 235 AO). Die S zahlte entsprechend. Die Zinsen überstiegen die strafrechtlichen Nutzungen um mehr als das Achtfache.
Im Vollstreckungsverfahren war fraglich, inwieweit die Zahlungen an das FA bei der Vollstreckung der Einziehungsanordnung zu beachten waren. Die Vollstreckungsbehörde forderte die S auf, den gesamten Einziehungsbetrag zu zahlen, d. h. die Taterträge i. H. d. hinterzogenen Steuerbeträge sowie die Nutzungen. Das dagegen angerufene Gericht (§ 459o StPO) entschied, dass der aus der Tat erwachsene Anspruch des geschädigten FA auf Ersatz des Wertes des Erlangten erloschen sei (§ 47 AO), da S die Steuerbeträge an das FA zurückgezahlt habe. Daher scheide auch die Vollstreckung der Einziehungsanordnung aus, § 459g Abs. 4 S. 1 StPO. Auch die Nutzungseinziehung könne nicht vollstreckt werden, da der gezahlte Zinsbetrag die Nutzungen um ein Vielfaches übersteige. Hiergegen wandte sich die StA mit ihrer sofortigen Beschwerde, § 462 Abs. 3 S. 1 StPO. Sie wollte jedenfalls an den Nutzungen festhalten.
Entscheidungsgründe
Es ist angesichts der Zinszahlungen unverhältnismäßig i. S. v. § 459g Abs. 5 S. 1 StPO, die Nutzungen zu vollstrecken (OLG Köln 11.9.23, 3 Ws 34/23, Abruf-Nr. 239713). Daher kommt es nicht darauf an, ob die Zinszahlungen die Nutzungseinziehung generell ausschließen. Die Vermögensabschöpfung hat quasikondiktionellen Charakter. Sie ist keine Strafsanktion. Der Einziehungsadressat darf nicht durch den Justizfiskus und den geschädigten Steuerfiskus doppelt beansprucht werden. Soweit (Zins-)Vorteile aus der Kapitalüberlassung abgeschöpft werden, indem Nutzungen eingezogen werden, beziehen sich strafrechtliche Nutzungseinziehung und steuerliche Zinsfestsetzung auf dieselbe Vermögensposition. Da S die Zinsen an das FA gezahlt hat, würde eine Vollstreckung der Nutzungseinziehung wie eine doppelte Inanspruchnahme wirken und muss daher unterbleiben.
Relevanz für die Praxis
In der Praxis treffen strafrechtliche Einziehung und Steuerverfahren oft aufeinander. Besteht der Abschöpfungsgegenstand z. B. bei der Hinterziehung von Vorsteuerbeträgen (USt-Karussell) oder Kapitalertragsteuern (Cum/Ex-Geschäfte) in ausbezahlten Steuerbeträgen, soll die Einziehung von aus den Steuerbeträgen gezogenen Nutzungen gem. § 73 Abs. 2 StGB möglich sein (BGH 28.7.21, 1 StR 519/20; a. A. Bittmann, NZWiSt 22, 188, 191). Das FA fordert die hinterzogenen Steuerbeträge und Verspätungs- oder Hinterziehungszinsen, §§ 233a, 235 AO. Der Steuerpflichtige zahlt oft auf den Steuerbescheid, da dieser ein vollziehbarer Titel ist und die Aussetzung der Vollziehung zu verzinsen ist (AdV-Zinsen, § 237 AO). Solche Zahlungen sind im Strafprozess zu beachten (§ 73e Abs. 1 S. 1 StGB, § 459g Abs. 4 S. 1 StPO), soweit dadurch der Rückgewähranspruch des Steuerfiskus erlischt, § 47 AO. Sie können auch dazu führen, dass es unverhältnismäßig ist, die Einziehungsanordnung zu vollstrecken, § 459g Abs. 5 S. 1 StPO.
Das OLG Köln hat sich in Bezug auf die Nutzungen/Zinsen auf die Unverhältnismäßigkeit gem. § 459g Abs. 5 S. 1 „zurückgezogen“. Damit wird das Problem der doppelten Inanspruchnahme in Bezug auf Nutzungen/Zinsen auf der Vollstreckungsebene gelöst. Im Erkenntnisverfahren gibt es keine vergleichbare Vorschrift mehr; die Verhältnismäßigkeitskontrolle des § 73c Abs. 1 S. 1 StGB a. F. wurde in § 459g Abs. 5 StPO überführt, der allein im Vollstreckungsverfahren gilt.
Fraglich ist, inwieweit eine Lösung über das Erkenntnisverfahren möglich ist. Entscheidend ist, ob mit der Zahlung der Steuerzinsen „der aus der Tat erwachsene Anspruch auf Rückgewähr des Erlangten bzw. auf Ersatz des Wertes des Erlangten erloschen ist“ (§ 73e Abs. 1 S. 1 StGB; § 459g Abs. 4 S. 1 StPO für das Vollstreckungsverfahren). Dies ist zu bejahen. Sachlich und wirtschaftlich betreffen die steuer- und strafrechtlichen Vorschriften zur Abschöpfung von Kapitalnutzungsvorteilen denselben Sachverhalt, Kapitalnutzungsvorteile aus erlangten Steuerbeträgen zu erzielen. Mit der steuerlichen Verzinsung sollen mögliche Liquiditätsvorteile abgeschöpft werden (BVerfG 8.7.21, 1 BvR 2237/14, NJW 2021, 3309, juris Rn. 133). Der Gesetzgeber darf aufgrund des Besteuerungsverfahrens als Masseverfahren mit Typisierungen arbeiten (BVerfG 3.9.09, 1 BvR 2539/07, juris). Diese Zinsansprüche sind zugleich Verletztenansprüche des Fiskus. Dessen Nachteil besteht darin, dass er den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen konnte und deswegen höhere Kassenkredite aufnehmen musste (BVerfG 8.7.21, 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 Rn. 127; BFH 3.12.19, VIII R 25/17, BFHE 266, 501, 503 f. Rn. 17). Auch die Einziehung von Kapitalnutzungsvorteilen (§ 73 Abs. 2 StGB) dient dazu, Liquiditätsvorteile abzuschöpfen. §§ 233 ff. AO und § 73 Abs. 2 StGB haben bei steuerstrafrechtlichen Sachverhalten daher einen identischen Regelungsgehalt.
Fraglich ist auch, ob eine Nutzungseinziehung möglich ist, wenn der Steuerpflichtige zwar die hinterzogenen Steuern, aber (noch) nicht die Zinsen an das FA gezahlt hat. Dies scheitert i. d. R. am Wortlaut des § 73e Abs. 1 S. 1 StGB. Danach ist „die Einziehung nach den §§ 73 bis 73c“ StGB ‒ also auch die Nutzungseinziehung nach § 73 Abs. 2 StGB ‒ ausgeschlossen, wenn der Verletztenanspruch, d. h. der Anspruch des FA, die hinterzogenen Steuern zurückzuzahlen, durch Zahlung erloschen ist. Bereits mit dieser Zahlung müsste eine Einziehung von „durch“ die Tat erlangten Vorteilen abgelehnt werden. Der Justizfiskus ginge „leer“ aus.