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  • · Fachbeitrag · Ermittlungsverfahren

    So werden eigene Ermittlungskosten erstattet

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster /Augsburg

    | Für den Verteidiger und den Beschuldigten kann es im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nötig sein, selbst zu ermitteln. Sie können Zeugen vernehmen oder Sachverständigengutachten einholen. Dies ist zulässig, da der Beschuldigte ein Recht auf ein faires Verfahren hat und das Prinzip der Waffengleichheit gilt (BGHSt 46, 53; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 2015, vor § 137 Rn. 2). Welche Kosten erstattet werden, erläutern die folgenden Übersichten mit umfassenden Rechtsprechungsquellen. |

     

    Übersicht 1 /  Allgemeine Fragen

    Frage
    Antwort
    • 1. Um welche eigenen Ermittlungen kann es sich handeln?

    Möglich sind Kosten für

    • Sachverständigengutachten (KG StraFo 12, 380 mit Anm. Burhoff StRR 12, 237),
    • Privatdetektiv (OLG Hamm NJW 68, 1537),
    • Reisen des Verteidigers (OLGSt StPO § 138 Nr. 6, hier Reisekosten des Pflichtverteidigers in die Türkei und Kosten des beauftragten, dort ansässigen Anwalts),
    • Besichtigung des Tatorts oder sonstige Formen der Augenscheinseinnahme,
    • Auskünfte, z.B. von Behörden und Ämtern wie dem Zentralen Schuldnerverzeichnis, von meteorologischen Instituten, dem TÜV oder dem Rundfunk,
    • Inserate in Zeitungen, mit denen Zeugen für einen Vorfall gesucht werden.
    • 2. Werden eigene Ermittlungskosten immer erstattet?

    Nein.

    • 3. Was wenden die Gerichte gegen die Kostenerstattung ein?

    Viele Gerichte argumentieren damit, dass die Ermittlungskosten nicht notwendig gemäß §§ 467, 464a StPO gewesen seien: Der Beschuldigte könne nach der StPO bei den Ermittlungsbehörden anregen, Beweise zu erheben (KG StraFo 12, 380; OLG Düsseldorf NStZ 97, 511; OLG Hamm NJW 68, 1537; RVG prof. 13, 132; OLG Stuttgart NStZ-RR 03, 127; LG Göttingen JurBüro 97, 370; LG Mainz wistra 95, 320).

    • 4. Welche Argumente lassen sich gegen diese h.M. anführen?

    Der Verteidiger sollte vor allem folgende Gegenargumente bringen:

     

    • Widersprüchlich ist es, wenn das Gericht einerseits keine Kosten für eigene Ermittlungen erstattet, weil es auf mögliche amtliche Ermittlungen hinweist, anderseits aber nicht - wie vom Beschuldigten im Ermittlungsverfahren angeregt oder beantragt t- Beweis erhoben wird.
    • Der Beschuldigte hat keine Möglichkeit, im Ermittlungsverfahren seine Beweisanregungen durchzusetzen, da nach h.M. die Ermittlungsbehörden nicht verpflichtet sind, Beweisanträgen im Ermittlungsverfahren nachzugehen (Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren , 7. Aufl., Rn. 708; OLG Brandenburg StV 96, 615).
    • Dem Beschuldigten ist es nicht zumutbar, bis zur Hauptverhandlung zu warten und dort einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen (LG Hamburg VRR 08, 237 für die Einholung eines Identitätsgutachtens im Bußgeldverfahren; a.A. LG Dresden NJW 10, 692 [Ls.] für Einholung eins Sachverständigengutachtens zum Messverfahren im Bußgeldverfahren).
    • 5. Wie kann und sollte sich der Verteidiger gegen die Argumente der h.M. in der Rechtsprechung (siehe Ziffer 3) schützen?

    Die Gerichte verweisen immer wieder auf den Amtsaufklärungsgrundsatz (§ 244 Abs. 2 StPO). Der Verteidiger sollte einen (Beweis-)Antrag bei der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht stellen, bevor er eigene Ermittlungen aufnimmt. So kann ihm später nicht entgegengehalten werden, dass er die Ermittlungen „ohne Weiteres“ veranlasst habe (LG Saarbrücken 7.3.15, 6 Qs 52/15, Abruf-Nr. 145236).

    • 6. In welcher Höhe werden ggf. die Kosten eigener Ermittlungen erstattet?

    Die entstandenen Kosten werden, selbst wenn sie grundsätzlich als erstattungsfähig angesehen werden, möglicherweise nicht in voller Höhe erstattet (z.B. KG StraFo 12, 380 mit Anm. Burhoff StRR 12, 237, wenn ein eigener Sachverständiger beauftragt wird).

     

    Praxishinweis | Der Verteidiger muss z.B. darauf achten, dass sich die Kosten und Auslagen „seines“ Sachverständigen nicht zu weit von den Sätzen des JVEG entfernen (KG, a.a.O.). Jedenfalls ist in solchen Fällen später aber im Einzelnen darzulegen, warum die Kosten in der besonderen Höhe „notwendig“ waren (BGH NJW 07, 1532; KG, a.a.O.).

    • 7. Worauf stellen die Gerichte ab, wenn „ausnahmsweise“ die Kosten eigener Ermittlungen erstattet werden?

    Die Gerichte sind zunehmend der Ansicht, dass aus einer „ex ante“-Sicht eines (verständigen) Beschuldigten zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlungen zu beurteilen ist, ob die Kosten notwendig waren (zuletzt OLG Celle StV 06, 32; OLG Stuttgart NStZ-RR 03, 127; LG Detmold 10.1.12, 4 Qs 1/12, Abruf-Nr. 145237; LG Duisburg RVGreport 13, 156 mit Anm. Burhoff StRR 13, 308; LG München StV 01, 633 [Ls.]; LG Saarbrücken 7.3.15, 6 Qs 52/15, Abruf-Nr. 145236).

    • 8. Von welchen Fragen hängt es ab, dass die Kosten erstattet werden?

    Die Gerichte fragen (u.a. LG Dresden NJW 10, 692 [Ls.]:

    • Waren die Kosten der privaten Ermittlungen ex ante notwendig?
    • Haben sich die eigenen Ermittlungen (ex post) entscheidungserheblich zugunsten des Beschuldigten ausgewirkt?
    • Wären die Kosten bei einer Beweiserhebung durch das Gericht ebenfalls angefallen bzw. sind andere gerichtliche Ausgaben erspart geblieben (LG Detmold, a.a.O. - für ein unfallanalytisches Privatgutachten)?
    • 9. Kann der Pflichtverteidiger vorab sichern, dass die Kosten erstattet werden?

    Ja ( siehe Ziffer 10 ff.).

    • 10. Kann der Pflichtverteidiger nach § 46 RVG vorgehen?

    Ja, der Pflichtverteidiger kann aufgrund eines Antrags nach § 46 Abs. 2 S. 3 RVG feststellen lassen, ob seine eigenen Ermittlungen notwendig sind, bevor er die Maßnahmen ergreift (Burhoff/Volpert, RVG, 4. Aufl., Teil A: Auslagen aus der Staatskasse [§ 46 Abs. 1 und 2], Rn. 307 ff.).

    • 11. Ist die auf seinen Antrag ergehende Entscheidung anfechtbar?

    Nein, die (Ablehnungs-)Entscheidung ist nicht anfechtbar (zuletzt OLG Celle StraFo 12, 338; OLG Düsseldorf NStZ-RR 15, 84 [Ls.].

     

    Praxishinweis | Die ablehnende Entscheidung hat allerdings auch keine Bindungswirkung für das Kostenfestsetzungsverfahren. Der Verteidiger kann dort seinen Antrag wiederholen (Burhoff/Volpert, a.a.O., Rn. 314 f.).

    • 12. Kann der Pflichtverteidiger einen Vorschuss nach § 47 RVG beantragen?

    Ja, der Pflichtverteidiger kann nach § 47 RVG einen Vorschuss auf bereits entstandene oder voraussichtlich noch entstehende Auslagen verlangen (OLG Hamm RVG prof. 13, 132). Allerdings werden die Kosten eigener Ermittlungen von den Gerichten häufig nicht als Auslagen des Verteidigers, sondern als solche des Beschuldigten angesehen. Dazu muss vorgetragen werden.

     

     

    Übersicht 2 /  Beispiele aus der Rechtsprechung

    Sachverhalt/Kosten
    Lösung
    • 1. Detektivkosten sind angefallen.

    Detektivkosten werden grundsätzlich erstattet (OLG Hamm NJW 68, 1537 - im Fall des OLG Hamm aber wegen nicht ausgeschöpfter prozessualer Möglichkeiten nicht).

    • 2. Der Sachverständige wurde mit einem Identitätsgutachten beauftragt.

    Die Kosten wurden erstattet, da dem Beschuldigten nicht zugemutet werden konnte, bis zur Hauptverhandlung abzuwarten (LG Hamburg VRR 08, 237).

    • 3. Es drohte ein Beweisverlust.

    Kosten werden erstattet, wenn der Beschuldigte damit rechnen muss, dass sich seine Prozess- bzw. Spurenlage ohne die eigenen Ermittlungen alsbald verschlechtern würde (KG StraFo 12, 380 mit Anm. Burhoff StRR 12, 237 - für Kosten der Beauftragung von Brandsachverständigen).

    • 4. Die eigenen Ermittlungen waren für die Abwehr des (Anklage-)Vorwurfs unbedingt notwendig.

    Kosten werden erstattet,

    • wenn der Verteidiger durch das privat eingeholte Sachverständigengutachten selbst sachkundig(er) geworden ist, weil er von dem Spezialwissen der Ermittlungsbehörden profitierte (Grundsatz der Waffengleichheit; OLG Düsseldorf NStZ 91, 353; siehe aber OLG Stuttgart NStZ-RR 03, 127),
    • um durch ein privat eingeholtes weiteres Gutachten zur Glaubwürdigkeit des Missbrauchsopfers bei bereits vorliegenden drei sich teilweise widersprechenden Gutachten Stellung nehmen zu können (OLG Düsseldorf NStZ 97, 511; ähnlich LG Schwerin StraFo 03, 304),
    • um die Qualifikation eines Sachverständigen angreifen zu können (OLG Koblenz NStZ-RR 00, 64 [Ls.]),
    • um zu beweisen, dass die Einlassung des Beschuldigten und die Angaben von Entlastungszeugen richtig sein können (OLG Hamm NStZ 89, 588; siehe aber LG Duisburg RVGreport 13, 156 mit Anm. Burhoff StRR 13, 308),
    • um das gerichtliche Sachverständigengutachten zu hinterfragen und Widersprüche aufdecken zu können (OLG Hamm RVG prof. 13, 132 [Zivilverfahren]),
    • wenn ein Sachverständigengutachten technische Spezialfragen betrifft (LG Detmold 10.1.12, 4 Qs 1/12, Abruf-Nr. 145237 [unfallanalytisches Privatgutachten]; siehe aber OLG Koblenz Rpfleger 1978, 148 [verneint]).
    • 5. Das Gutachten betraf Rechtsfragen.

    Die Kosten eigener Ermittlungen werden nur ausnahmsweise erstattet (OLG Celle Rpfleger 94, 225), wenn das Gutachten zur Klärung ganz fernliegender Rechtsgebiete beiträgt. Es ist grundsätzlich die Aufgabe der Gerichte, Rechtsfragen zu lösen. Sie sollten dazu keine Rechtsgutachten benötigen (ähnlich OLG Celle 20.4.15, 1 Ws 135/15, Abruf-Nr. 145240 für die Kosten eines privaten Rechtsgutachtens).

    • 6. Die eigenen Ermittlungen haben das Verfahren gefördert.

    Die Kosten werden erstattet,

    • wenn das Sachverständigengutachten dem Beschuldigten erst ermöglicht hat, das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen zu würdigen (OLG Frankfurt VRS 42, 430) bzw. zu widerlegen (LG Zweibrücken NStZ-RR 11, 95),
    • wenn gerade das selbst eingeholte Sachverständigengutachten dazu geführt hat, dass der Angeklagte freigesprochen wurde (KG StraFo 12, 380),
    • wenn das private Sachverständigengutachten dazu geführt hat, dass der gerichtliche Sachverständige zur Hauptverhandlung geladen worden ist (LG Cottbus StRR 09, 145),
    • wenn der private Sachverständige später zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt worden ist (LG Braunschweig StRR 11, 484 mit Anm. Burhoff),
    • wenn der private Sachverständige zur Hauptverhandlung geladen worden ist (LG Neubrandenburg StraFo 03, 397),
    • wenn die „methodenkritische Stellungnahme“ der privaten Sachverständigen dazu geführt hat, dass der gerichtliche Sachverständige in der (Berufungs-)Hauptverhandlung zu einem anderen Ergebnis als in der ersten Instanz gekommen ist (LG Saarbrücken StraFo 09, 174),
    • wenn es sich um abgelegene und technisch komplizierte Sach- und Rechtsfragen handelt (z.B. im Zusammenhang mit einer „Werkzeugspurenvergleichsuntersuchung“, LG München StV 88, 350),
    • wenn die Ergebnisse des privaten Sachverständigen in der Hauptverhandlung dazu geführt haben, dass das Beweisziel erreicht wurde (LG München StV 01, 633 [Ls.]; ähnlich KG StRR 12, 237; LG Cottbus StRR 09, 145),
    • wenn nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens gegen den Beschuldigten nur noch ein erheblich geringerer Vorwurf erhoben werden konnte (LG Hildesheim NZV 10, 48 für den Übergang vom Vorwurf des § 316 StGB zur Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG infolge eines bewiesenen Nachtrunks),
    • wenn aus Sicht des Beschuldigten damit zu rechnen war, dass sich die Prozesslage erheblich verschlechtert, nachdem ein Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens abgelehnt worden war (OLG Celle StV 06, 32).
     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2015 | Seite 171 | ID 43358494