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  • · Prozesskosten

    Gestaffelte Streitwertfestsetzung ist unzulässig

    Bild: © olga.ai - stock.adobe.com / KI-generiert

    von RA Norbert Schneider, Neunkirchen

    | Immer wieder setzen Gerichte den Streitwert eines Verfahrens gestaffelt nach Zeitabschnitten fest. Eine solche gestaffelte Streitwertfestsetzung ist jedoch unzulässig (Schneider, RVG prof. 21, 120 ; 23, 29; OLG Düsseldorf 4.4.22, 12 W 5/22, RVG prof. 22, 199; OLG Bremen 5.1.22, 2 W 56/21, RVG prof. 22, 59 ). |

    1. Aktueller Fall

    In einem aktuellen Fall vor dem OLG Köln hatte der Kläger während des Verfahrens den Klageantrag teilweise für erledigt erklärt. Nach Abschluss des Verfahrens setzte das LG Bonn den Streitwert bis zur Erklärung auf 7.000 EUR und danach auf 6.000 EUR fest. Gegen diese zeitlich gestaffelte Wertfestsetzung erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers in eigenem Namen Beschwerde ‒ es müsse vielmehr ein einheitlicher Streitwert für das gesamte Verfahren festgesetzt werden. Das LG Bonn half der Beschwerde nicht ab, weil die zeitlich gestaffelte Wertfestsetzung der ständigen Praxis der erkennenden Kammer und vieler weiteren Kammern entspräche. Dadurch würden sich zusätzliche Festsetzungsanträge nach § 33 RVG erübrigen und die Prozessbevollmächtigten könnten gegenüber ihren Auftraggebern nicht zu hohe Terminsgebühren abrechnen. Das OLG Köln hat der Beschwerde stattgegeben und den Streitwert einheitlich auf 7.000 EUR festgesetzt (29.10.24, 26 W 12/22, Abruf-Nr. 246115).

    2. Wertfestsetzung für Gerichtsgebühr(en)

    Der Ansatz des einheitlichen Gesamtwerts bedeutet für die Gerichtsgebühren:

     

    a) Zeitpunkt der Wertfestsetzung richtet sich nach §§ 62, 63 GKG

    Das Gericht setzt den Wert der Gebühren nach § 63 Abs. 2 S. 1 GKG durch Beschluss fest, wenn sich die zu erhebenden Gerichtsgebühren nach dem Streitwert (§ 3 Abs. 1 GKG) richten. Das Gericht muss den Streitwert festsetzen, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergangen ist oder sich das Verfahren anderweitig erledigt hat. Eine Wertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 S. 1 GKG ist nur entbehrlich, wenn eine bindende Entscheidung nach § 62 S. 1 GKG vorausgegangen ist. Diese Wertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 S. 1 GKG zielt allein auf den Wert für die zu erhebenden Gerichtsgebühren ab ‒ das ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut.

     

    b) Es kann nur einen Wert geben

    Da in einem erstinstanzlichen Zivilprozess nur eine einheitliche (Verfahrens-)Gebühr erhoben wird, kann es auch nur einen Wert geben. Ob diese Gebühr zu einem Satz von 3,0 (Nr. 1210 KV-GKG) oder zu einem ermäßigten Satz von 1,0 (Nr. 1211 KV-GKG) anfällt, ist unerheblich. Es bleibt bei einer einzigen Gerichtsgebühr, die für das gesamte Verfahren erhoben wird.

     

    c) Bewertungszeitpunkt folgt aus § 40 GKG

    Nach § 40 GKG ist dabei für die Wertberechnung zunächst der Zeitpunkt der den Rechtszug einleitenden Antragsstellung maßgebend. Das ist ‒ wie hier ‒ in erster Instanz der Eingang der Klageschrift.

     

    Ausgehend von § 40 GKG kann sich ein Streitwert innerhalb der Instanz nicht reduzieren. Eine teilweise Klagerücknahme oder übereinstimmende Teilerledigung hat daher keine Auswirkungen auf den für die Gerichtsgebühr festzusetzenden Streitwert.

     

    Beachten Sie | Möglich ist lediglich, dass sich der Streitwert nachträglich erhöht, etwa durch eine Klageerweiterung (§ 39 Abs. 1 GKG), eine Widerklage (§ 45 Abs. 1 GKG) oder eine Hilfsaufrechnung (§ 45 Abs. 3 GKG). Aber auch dann gibt es insgesamt nur einen einzigen Streitwert, der für das gesamte Verfahren gilt. Denn eine einzige Gerichtsgebühr kann nicht nach zwei verschiedenen Werten berechnet werden.

     

    MERKE | Daraus, dass es nur einen einzigen Wert geben kann, folgt wiederum, dass zeitlich gestaffelte Festsetzungen für die Gerichtsgebühren unzulässig sind. Die Gerichtsgebühren werden gerade nicht nach Zeitabschnitten erhoben.

     

    3. Abweichende Wertfestsetzung für die Anwaltsgebühren

    Im Gegensatz zum Gericht können für den Anwalt im gerichtlichen Verfahren mehrere Gebühren anfallen (Verfahrens-, Termins-, Einigungs- und Zusatzgebühr für besonders umfangreiche Beweisaufnahmen). Daher kann es hier auch zu unterschiedlichen Gegenstandswerten für die einzelnen Gebühren kommen. Ein solcher Fall ist z. B. gegeben, wenn die Terminsgebühr erst nach einer teilweisen Klagerücknahme oder einer übereinstimmenden Teilerledigung ausgelöst wird.

     

    PRAXISTIPP | Ist insoweit der Wert der anwaltlichen Gebühren ein anderer als der Wert für die Gerichtsgebühren, kann das Gericht den Streitwert nicht im Verfahren nach §§ 63 ff. GKG festsetzen. Dafür gilt das Verfahren nach § 33 RVG. Hierbei handelt es sich um ein selbstständiges Verfahren, das Sie nur auf Antrag einleiten können. Eine Festsetzung von Amts wegen ist insoweit unzulässig. Ein Muster für einen Antrag über das Verfahren nach § 33 RVG finden Sie als Download unter iww.de/rvgprof, Abruf-Nr. 47331049. Das Beispiel für eine Beschwerdeschrift wegen einer unzulässigen gestaffelten Streitwertfestsetzung finden Sie am Ende dieses Beitrags.

     

    4. Empfehlungen für die Praxis

    Nach überwiegender Rechtsprechung gibt es keine gestaffelte Wertfestsetzung. Daraus folgt für die Anwaltspraxis:

     

    a) Gestaffelte Wertfestsetzungen sind unzulässig

    Gestaffelte Wertfestsetzungen sind unzulässig. Die Entscheidung des OLG Köln trifft zu. Soweit die Vorinstanz im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung ausgeführt hat, dass eine differenzierende Streitwertfestsetzung der ständigen Praxis der erkennenden Kammer und vieler anderer Kammern beim LG Bonn entspreche und sich durch diese Handhabung in aller Regel zusätzliche Festsetzungsanträge nach § 33 RVG gerade vermeiden ließen, vermochte der Senat dies nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon entspricht dies auch nicht der ständigen Rechtsprechung des LG Bonn (siehe z. B. 7. Kammer NJW-Spezial 21, 573).

     

    Die Entscheidung des OLG Köln entspricht der ganz überwiegenden Rechtsprechung (OLG Brandenburg AGS 23, 333; OLG Düsseldorf RVG prof. 22, 199; OLG Bremen RVG prof. 22, 59; OLG Nürnberg NJW 22, 951; OLG München AGS 17, 336; LG Mainz AGS 18, 571; LG Stendal AGS 19, 228).

     

    b) Für Gebührenstreitwertfestsetzung gilt § 39 Abs. 1 GKG

    Hinsichtlich der Wertfestsetzung gilt § 39 Abs. 1 GKG. Besonders klar hat dies das OLG Koblenz (AGS 07, 151) zum Ausdruck gebracht: „Der Gebührenstreitwert richtet sich nach der Summe aller Forderungen, die innerhalb eines Prozesses erhoben werden“. Ebenso meint das OLG Celle (AGS 15, 453): „Eine Streitwertaddition ist auch dann vorzunehmen, wenn im Laufe des Verfahrens mehrere Gegenstände nacheinander geltend gemacht werden. Es ist nicht erforderlich, dass mehrere Gegenstände zeitgleich geltend gemacht werden“ (vgl. auch KG AGS 08, 188; OLG Celle AGS 08, 466; LAG Baden-Württemberg AGS 14, 562).

     

    c) Gestaffelte Wertfestsetzungen binden nicht

    Nach Auffassung des OLG Brandenburg entfaltet eine gestaffelte Wertfestsetzung keine Bindungswirkung (19.1.18, 15 WF 258/17). Wie soll sie auch binden, da sie über die letztlich zu erhebende Gerichtsgebühr keine Aussage treffen kann.

     

    • Beispiel 1

    Das Gericht setzt in einem Rechtsstreit, in dem es um monatliche Mieten von 1.000 EUR geht, den Streitwert wie folgt fest: „Bis zum XX.XX.24: 10.000 EUR; danach: 8.000 EUR“.

    Variante 1: Denkbar ist folgende Konstellation:

    • Ursprünglicher Klageantrag (Mieten Januar-Oktober)

    10.000 EUR

    • Danach Klagerücknahme um 2.000 EUR (Mieten Januar und Februar)

    8.000 EUR

    10.000 EUR

    Variante 2: Möglich ist aber auch diese Konstellation:

    • Ursprünglicher Antrag (Mieten Januar-Oktober)

    10.000 EUR

    • Danach Klagerücknahme um 4.000 EUR (Mieten Januar-April) und gleichzeitige Erweiterung um 2.000 EUR (Mieten November und Dezember)

    8.000 EUR

    12.000 EUR

    Variante 3: Schließlich ist auch folgende Konstellation denkbar:

    • Ursprünglicher Antrag (Mieten Januar-Oktober)

    10.000 EUR

    • Danach vollständige Klagerücknahme (Mieten Januar-Oktober) und Erweiterung um andere 8.000 EUR (Mieten November-Juni des Folgejahres)

    8.000 EUR

    18.000 EUR

    Aus der gestaffelten Wertfestsetzung ist nicht der tatsächliche Wert zu entnehmen, weil nicht zu erkennen ist, inwieweit die 8.000 EUR in den 10.000 EUR enthalten sind. Sie können vollständig in den 10.000 EUR enthalten sein (Variante 1), sie können einen völlig anderen Gegenstand betreffen (Variante 3) oder sie können auch teilweise in den 10.000 EUR enthalten sein (Variante 2).

     

    d) Streitwert für Anwaltsgebühren kann gesondert festgesetzt werden

    Es kann vorkommen, dass sich einzelne Gebühren des Anwalts nicht nach dem Streitwert des gerichtlichen Verfahrens richten und damit die Bindungswirkung des § 32 Abs. 1 RVG nicht greift. In diesem Fall ist aber entgegen des LG Bonn keine Festsetzung von Amts wegen geboten. Sie wäre auch unzulässig. Insoweit hat das LG Mainz deutlich erklärt (AGS 18, 571): „Soweit sich Anwaltsgebühren nach abweichenden Werten berechnen, ist insoweit eine Festsetzung von Amts wegen nicht zulässig. Eine solche Festsetzung ist dem gesonderten Verfahren nach § 33 RVG vorbehalten.“ (ebenso z. B. OLG München AGS 17, 336).

     

    • Beispiel 2

    Vor der mündlichen Verhandlung wird die Klage teilweise zurückgenommen. Das bedeutet für die Anwaltsgebühren:

     

    Lösung

    • Es entsteht zwar die Verfahrensgebühr nach dem Streitwert, nicht aber die Terminsgebühr. Diese ist nur nach einem geringen Wert zu berechnen. Dieser Wert ist dann auf Antrag ‒ aber auch nur auf Antrag! ‒ nach § 33 RVG gesondert festzusetzen.

     

    • Antragsberechtigt sind insoweit zunächst der Anwalt und sein jeweiliger Auftraggeber. Antragsberechtigt kann aber auch der Prozessgegner sein, soweit er zur Kostenerstattung verpflichtet ist. Schließlich kann auch die Landeskasse antragsberechtigt sein, soweit der Anwalt im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden ist.

     

    • Ergibt sich im Festsetzungsverfahren Streit darüber, ob für eine bestimmte Gebühr ein vom Streitwert abweichender Wert festzusetzen ist, muss das Kostenfestsetzungsverfahren nach § 148 ZPO ausgesetzt und die gebotene Festsetzung des Gegenstandswerts nach § 33 RVG eingeholt werden (OLG Düsseldorf AGS 10, 568; BGH RVG prof. 14, 131).
     

    e) Richtige Vorgehensweise

    Setzt ein Gericht den Streitwert gestaffelt fest, muss der Anwalt unter Hinweis auf die o. g. Rechtsprechung Beschwerde einlegen und zunächst einmal eine einheitliche Streitwertfestsetzung erwirken.

     

    Beachten Sie | Um jeglichen Missverständnissen vorzubeugen, sollte die Beschwerde sowohl im Namen des Anwalts (§ 32 Abs. 2 RVG) als auch im Namen des Mandanten erhoben werden. Ergibt sich, dass einzelne Gebühren nach einem abweichenden Wert zu berechnen sind, ist anschließend ein Antrag nach § 33 RVG zu stellen.

     

    • Lösung zum Beispiel 1, Variante 2: Beschwerde

    An das

    Landgericht ...

     

    In dem Rechtsstreit

     

    XXX ./. XXX

    XX O XX /24

     

    lege ich sowohl in eigenem Namen (§ 32 Abs. 2 RVG) als auch im Namen meiner Partei gegen die Streitwertfestsetzung vom XX.XX.24

     

    Beschwerde

     

    ein.

     

    Eine gestaffelte Wertfestsetzung ist unzulässig. Im Verfahren ist nur eine Gerichtsgebühr angefallen, sodass es auch nur einen Wert geben kann. Auf die einschlägige Rechtsprechung nehme ich Bezug (OLG Köln 29.10.24, 26 W 12/22, RVG prof. 25, 50; OLG Brandenburg AGS 23, 333; OLG Düsseldorf RVG prof. 22, 199; OLG Bremen RVG prof. 22, 59; OLG Nürnberg NJW 22, 951; OLG München AGS 17, 336; LG Mainz AGS 18, 571; LG Stendal AGS 19, 228).

     

    Der Wert ist vielmehr einheitlich festzusetzen und richtet sich nach der Summe aller Forderungen, die innerhalb eines Prozesses erhoben werden, unabhängig davon, ob sie zeitgleich geltend gemacht werden (OLG Koblenz AGS 07, 151; OLG Celle AGS 15, 453; KG AGS 08, 188; OLG Celle AGS 08, 466; LAG Baden-Württemberg AGS 14, 562). Insoweit ist der Wert auf 12.000 EUR festzusetzen, da im Verlauf des Verfahrens insgesamt zwölf Mieten eingeklagt worden waren (Januar bis Dezember).

     

    Gleichzeitig beantrage ich gemäß § 33 RVG, den Gegenstandswert der Terminsgebühr auf 10.000 EUR festzusetzen.

     

    Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist nur noch über die Mieten März bis Dezember verhandelt worden. Daher richtet sich der Wert der Terminsgebühr nur nach dem Wert von 10.000 EUR. Insoweit ist eine gesonderte Wertfestsetzung nach § 33 RVG geboten (LG Mainz AGS 18, 571; OLG München AGS 17, 336).

     

    Rechtsanwalt

     

    Weiterführende Hinweise

    • Die gestaffelte Streitwertfestsetzung ist auch im Verwaltungsverfahren unzulässig, RVG prof. 23, 29
    • Für einzelne Verfahrensabschnitte wird Streitwert nicht gestaffelt, RVG prof. 22, 199
    • Gestaffelte Festsetzung ist nur für den Rechtsanwalt erheblich, RVG prof. 22, 165
    Quelle: Ausgabe 03 / 2025 | Seite 50 | ID 50277368