30.11.2021 · IWW-Abrufnummer 226131
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Beschluss vom 23.09.2021 – 2 Ta 28/21
1. Prozessbedingte Reisekosten gehören grundsätzlich zu den erstattungsfähigen Aufwendungen.
2. Eine unterlegene Partei muss grundsätzlich nur die Kosten tragen, die aus dem Auseinanderfallen von Gerichtsort einerseits und Geschäfts- oder Wohnort einer Prozesspartei andererseits entstehen.
3. Eine vernünftige kostenbewusste Partei, die Klage im eigenen Gerichtsstand erheben möchte, wird, wenn nicht besondere Umstände die Einschaltung eines auswärtigen Anwalts geboten erscheinen lassen, einen Rechtsanwalt beauftragen, der entweder seine Kanzlei in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes oder am Gerichtsort selbst hat.
4. Organisationsbedingte Mehrkosten einer zentralen Prozessführung können in einem Rechtsstreit jedoch nicht dem unterlegenen Gegner angelastet werden. Es handelt sich hierbei vielmehr um aus der internen Organisationsform folgende Betriebskosten, die - ebenso wie sonstige Prozessbearbeitungskosten - der allgemeinen Aufgaben- und Belastungssphäre des Unternehmens zuzurechnen sind.
5. Eine Partei, die eine andere Partei an deren allgemeinen Gerichtsstand verklagt, kann nach dem das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben berechtigt darauf vertrauen, dass die gegnerische Partei an ihrem allgemeinen Gerichtsstand über das gesetzliche Vertretungsorgan verfügt. Erfüllt eine Prozesspartei die gemäß § 17 ZPO in sie gestellte Erwartung, der Möglichkeit der Prozessvertretung von ihrem Sitz aus aufgrund einer betrieblichen Organisationsentscheidung nicht, können darauf beruhende Mehrkosten nicht dem Prozessgegner angelastet werden.
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Stralsund vom 11.08.2021 zum Az.: 3 Ca 254/20 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 570,70 € festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren um erstattungsfähige Reisekosten.
Die Beklagte unterhält ihren Sitz in B-Stadt. Die Klägerin stand bei der Beklagten vom 01.09.2018 bis zum 15.06.2020 in einem Ausbildungsverhältnis zur Altenpflegerin. Sie hat im Hauptsacheverfahren einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen vorzeitiger Beendigung dieses Ausbildungsverhältnisses geltend gemacht. Im Güteverhandlungstermin ließ sich die Beklagte durch einen in S. ansässigen Rechtsanwalt in Untervollmacht ihres in C-Stadt ansässigen Rechtsanwalts vertreten, im Termin der Kammerverhandlung durch ihren Geschäftsführer sowie ihren Prozessbevollmächtigten aus C-Stadt. Durch Urteil vom 21.04.2021 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben unter dem 26.04.2021 Kostenfestsetzung beantragt für Rechtsanwaltskosten in Höhe der hypothetischen Reisekosten von B. nach S. und zurück in Höhe von 273,00 € sowie für Reisekosten der Beklagten von B. nach S. und zurück in Höhe von 382,20 €, insgesamt 655,20 €.
Die Klägerin hat gegen die beantragte Kostenfestsetzung eingewandt, nur tatsächlich entstandene Kosten seien erstattungsfähig und dies nur, soweit sie notwendig gewesen seien. Da der Sitz der Beklagten in W. liege, sei die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten aus C-Stadt nicht notwendig gewesen. Die angebrachten Entfernungen bildeten zudem nicht den kürzesten Weg.
Die Beklagte hat erwidert, der Geschäftsbetrieb im B-Stadt sei bereits vor Klageerhebung eingestellt gewesen. Die Klägerin habe dies auch gewusst. Ihre Vertretung habe durch die Muttergesellschaft mit Geschäftssitz in B. erfolgen müssen. Auch die Anreise des Geschäftsführers zum Termin habe daher nur aus B. erfolgen können.
Das Erstgericht hat darauf hingewiesen, dass tatsächliche und fiktive Reisekosten der Partei nur, soweit sie notwendig waren, erstattungsfähig seien, seien aufgrund des Sitzes der Beklagten in B-Stadt - auch im Hinblick auf den Vertrauensschutz des § 15 HGB - Reisekosten nur von dort nach S. erstattungsfähig.
Die Beklagte hat hierauf vorgetragen, da der Klägerin die Schließung des Arbeitsortes in W. zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits vorab bekannt gewesen sei, könne sie sich nicht auf § 15 HGB berufen. Zudem seien sowohl das Gericht wie auch die Klägerseite durch Schriftsätze vom 27.01.2021 und 02.03.2021 darauf hingewiesen worden, dass der Geschäftsführer aus Sachsen zum Termin anreise. Es seien daher die Kosten vom Sitz der Muttergesellschaft in B. nach S. erstattungsfähig und festzusetzen.
Die Rechtspflegerin des Arbeitsgerichts Stralsund hat mit Beschluss vom 11.08.2021 erstattungsfähige Kosten in Höhe von 84,50 € festgesetzt, den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie angeführt, da die Beklagte nach der Eintragung im Handelsregister als eigenständige juristische Person ihren Sitz in B-Stadt unterhalte, seien auch nur Reisekosten von W. nach S. und zurück erstattungsfähig. Ob zwischen der Beklagten und der Muttergesellschaft im Innenverhältnis Rechtsbeziehungen bestünden, sei im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu prüfen. Soweit eine Vertretung der Beklagten durch die Muttergesellschaft mit Sitz in B. erfolgt sei, handele es sich dabei nicht um notwendige Mehrkosten.
Gegen diesen der Beklagten am 16.08.2021 zugestellten Beschluss hat die Beklagte unter dem 19.08.2021 sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, auch wenn eine Löschung der Eintragung im Handelsregister bisher nicht erfolgt sei, könne sich die Klägerin nicht auf einen mit der Eintragung im Handelsregister einhergehenden Vertrauensschutz berufen, weil sie gegenteilige Kenntnis gehabt habe. Zudem sei mit zwei Schriftsätzen der Hinweis erfolgt, dass der Geschäftsführer aus Sachsen zu dem Termin anreise. Es seien die Vorschriften der §§ 19, 5 Abs. 5 JVEG zu beachten. Mehrkosten seien danach zu ersetzen, wenn der Berechtigte zu diesen Fahrten durch besondere Umstände genötigt und das Gericht entsprechend informiert gewesen seien.
Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 23.08.2021 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Über die vom Arbeitsgericht festgesetzten Kosten in Höhe von 84,50 € waren keine weiteren Kosten festzusetzen.
Die Beklagte hat gegen die Klägerin gemäß § 91 Abs. 1 ZPO Anspruch auf Erstattung der erstinstanzlichen Anwaltskosten in Höhe ihrer ersparten Reisekosten sowie der ihr tatsächlich entstandenen Reisekosten. Dies gilt jedoch nur, soweit es sich um notwendige Kosten handelt. Reisekosten sind notwendige Kosten im Sinne von § 91 Abs. 1 ZPO, wenn eine Partei in der konkreten Lage die die Kosten verursachende Reise vernünftigerweise als sachdienlich ansehen darf. Dabei ist jede Prozesspartei verpflichtet, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle eines Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Diese Verpflichtung beherrscht als Ausdruck von Treu und Glauben das gesamte Kostenrecht. Erscheint eine Partei nicht selbst, sondern entsendet sie einen Prozessbevollmächtigten, sind die durch diesen entstehenden Kosten im Rahmen hypothetisch berechneter Reisekosten, die der Partei sonst entstanden wären, grundsätzlich erstattungsfähig. Zwar sind nach § 12 a Abs. 1 S. 1 ArbGG die Kosten für die Beiziehung eines Prozessbevollmächtigten erstinstanzlich nicht erstattungsfähig. Durch diese Regelung soll das Kostenrisiko der Partei begrenzt werden. Sie soll aber nicht dadurch begünstigt werden, dass die erstattungsberechtigte Gegenpartei nicht selbst erscheint, sondern einen Prozessbevollmächtigten entsendet. Das folgt aus dem vom Gesetz verfolgten Zweck, die durch einen Prozessbevollmächtigten eintretende Verteuerung des Prozesses zu verhindern, nicht jedoch Kostenerstattungsansprüche schlechthin auszuschließen. Alle außergerichtlichen Kosten der Partei, die nicht in § 12 a Abs. 1 S. 1 ArbGG genannt sind, bleiben erstattungsfähig (BAG, Beschluss vom 17.08.2015 - 10 AZB 27/15 - Rn. 13, 14, juris). Dazu zählen auch Reisekosten der Partei selbst. Prozessbedingte Reisekosten gehören grundsätzlich zu den erstattungsfähigen Aufwendungen.
Die Klägerin ist nach diesen Grundsätzen verpflichtet, der Beklagten Rechtsanwaltskosten in Höhe der fiktiven Reisekosten sowie tatsächlicher Reisekosten von B-Stadt aus nach Stralsund und zurück bezüglich der Teilnahme an zwei gerichtlichen Terminen zu erstatten. Eine darüberhinausgehende Kostenerstattung kann die Beklagte hingegen nicht verlangen.
Die beklagte GmbH hat ihren Sitz in B-Stadt. Dieser Sitz ist in das Handelsregister des Amtsgerichts Stralsund (HRB 20628) eingetragen. Wenn sich die Beklagte in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren mit der Klägerin, die am Sitz der Beklagten gearbeitet und die Beklagte unter diesem Gerichtsstand verklagt hat, von B. vertreten lässt, kann sie die damit verbundenen Reisekosten nicht auf die Klägerin abwälzen.
Eine unterlegene Partei muss grundsätzlich nur die Kosten tragen, die aus dem Auseinanderfallen von Gerichtsort einerseits und Geschäfts- oder Wohnort einer Prozesspartei andererseits entstehen (BGH, Beschluss vom 22.02.2007 - VII ZB 93/06 - Rn. 11, juris). Die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts kann grundsätzlich nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig angesehen werden, wenn die Partei in ihrem eigenen Gerichtsstand verklagt wird. Zwar ist das Interesse der Partei, sich durch einen Rechtsanwalt ihres Vertrauens vertreten zu lassen, gewichtig. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Partei ohne kostenrechtliche Nachteile einen auswärtigen Rechtsanwalt mit ihrer gerichtlichen Vertretung beauftragen kann, unabhängig davon, wie weit dessen Kanzlei von ihrem Geschäftsort oder dem Gerichtsort entfernt ist. Eine Partei kann nicht jeden beliebigen Rechtsanwalt in der Bundesrepublik für ihre Prozessvertretung auswählen. Eine vernünftige, kostenbewusste Partei, die Klage im eigenen Gerichtsstand erheben möchte, wird, wenn nicht besondere Umstände die Einschaltung eines auswärtigen Anwalts geboten erscheinen lassen, einen Rechtsanwalt beauftragen, der entweder seine Kanzlei in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes oder am Gerichtsort selbst hat (BGH, Beschluss vom 22.02.2007 - VII ZB 93/06 - Rn. 10, juris).
Kosten, die aufgrund des Auseinanderfallens des Gerichtsortes und des Geschäftsortes entstanden sind, sind im vorliegenden Fall die Reisekosten vom Sitz der Beklagten im B-Stadt zum Arbeitsgericht in Stralsund.
Besondere Umstände, welche ihre Vertretung aus B. erforderlich machten, liegen nicht vor. Soweit sich die Beklagte darauf bezieht, an ihrem Sitz keinen Geschäftsbetrieb mehr zu unterhalten, ist dies ebenso unerheblich wie ihre Entscheidung, sich durch ihre Muttergesellschaft mit Sitz in B. und einen Anwalt aus C-Stadt vertreten zu lassen. Dabei handelt es sich um Organisationsentscheidungen der Beklagten, welche nicht dazu führen, dass die darauf beruhenden Mehrkosten als notwendige Kosten zu erstatten sind.
Das Gesetz knüpft in § 17 ZPO an den Sitz einer juristischen Person als den allgemeinen Gerichtsstand an. Es erwartet somit von einer juristischen Person, dass sie von hier aus Rechtsstreitigkeiten selbständig zu führen vermag. Begibt sich die juristische Person aus eigener Veranlassung dieser Möglichkeit und lässt sie sich in arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten von ihrer Muttergesellschaft betreuen, so sind die dadurch bedingten Mehrkosten grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Die zentrale Bearbeitung von arbeitsrechtlichen Streitigkeiten durch die Muttergesellschaft der Beklagten in B. ist ein auf einer Organisation beruhender Umstand. Organisationsbedingte Mehrkosten einer zentralen Prozessführung können in einem Rechtsstreit jedoch nicht dem unterlegenen Gegner angelastet werden. Es handelt sich hierbei vielmehr um aus der internen Organisationsform folgende Betriebskosten, die - ebenso wie sonstige Prozessbearbeitungskosten - der allgemeinen Aufgaben- und Belastungssphäre des Unternehmens zuzurechnen sind (LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.05.2011 - 10 Ta 81/11 - Rn. 11, juris; OLG Köln, Beschluss vom 24.03.1993 - 17 W 290/92 - Rn. 2, juris).
Die Beklagte hat ihren allgemeinen Gerichtsstand in W.. Es mag sein, dass ihr Vertretungsorgan tatsächlich nicht mehr in W. tätig ist, das spielt jedoch für die Notwendigkeit von Reisekosten keine Rolle. Nach dem Grundsatz der Kostenschonung hat jede Partei die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Fall des Obsiegens vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten prozessualen Belange vereinbaren lässt (BAG, Beschluss vom 17.08.2015 - 10 AZB 27/15 - Rn. 13, juris; BGH, Beschluss vom 02.05.2007 - XII ZB 156/06 - Rn. 12, juris). Dementsprechend hat es im Rahmen der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise jedenfalls für die im eigenen Gerichtsstand prozessierende Partei dabei zu bleiben, dass die aus der Einschaltung eines auswärtigen Anwalts entstehenden Mehrkosten nicht auf den Prozessgegner abgewälzt werden können und damit nicht erstattungsfähig sind (LG Bonn, Beschluss vom 08.11.2011 - 8 T 111/11 - Rn. 6, juris). Gleiches gilt, wenn sich eine Prozesspartei entscheidet, ihr Vertretungsorgan nicht an ihrem Sitz, sondern an einem anderen Ort tätig sein zu lassen. Nimmt eine Partei ihre Rechtsangelegenheiten nicht von ihrem "formalen" Sitz aus wahr, sondern von einer an einem anderen Ort ansässigen Stelle, ist dies für die Frage der Erstattungsfähigkeit von Reisekosten unerheblich, denn der Geschäftssitz der Partei ist nach objektiven Maßstäben, insbesondere auch im Einklang mit den Vorschriften über den Gerichtstand zu ermitteln. Würde man unter Geschäftssitz nicht den Ort verstehen, wo die Partei ihren Sitz - und damit zugleich ihren allgemeinen Gerichtsstand - hat, sondern den Ort, wo sie die Sache bearbeitet wird, wären für den Gegner die von ihm im Fall seines Unterliegens zu erstattenden Kosten völlig unkalkulierbar (OLG Köln, Beschluss vom 24.05.2006 - 17 W 77/06 - Rn. 8, 9, juris). Dies wäre nicht mit dem das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben vereinbar. Eine Partei, die eine andere Partei an deren allgemeinen Gerichtsstand verklagt, kann berechtigt darauf vertrauen, dass die gegnerische Partei an ihrem allgemeinen Gerichtsstand über das gesetzliche Vertretungsorgan verfügt. Erfüllt eine Prozesspartei die gemäß § 17 ZPO in sie gestellte Erwartung, der Möglichkeit der Prozessvertretung von ihrem Sitz aus aufgrund einer betrieblichen Organisationsentscheidung nicht, können darauf beruhende Mehrkosten nicht dem Prozessgegner angelastet werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Wertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 GKG.
Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 78 S. 2, 72 Abs. 2 ArbGG) besteht nicht. Dieser Beschluss ist deshalb nicht anfechtbar.