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  • 06.06.2012 · IWW-Abrufnummer 168763

    Landesarbeitsgericht Nürnberg: Beschluss vom 10.02.2012 – 2 Ta 20/12

    1. Nach § 15 a Abs. 1 RVG bedeutet "Anrechnung" nicht das Erlöschen der einen oder anderen Gebühr in bestimmter Höhe, sondern lediglich eine Begrenzung nach oben, innerhalb derer dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht zusteht. Dies gilt auch für den beigeordneten Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse.



    2. Anzurechnen ist die Geschäftsgebühr gemäß Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG, 15 a RVG auf die Verfahrensgebühr gemäß §§ 45 Abs. 1, 49 RVG, Nr. 3100 VV-RVG nur, soweit die Geschäftsgebühr an den beigeordneten Rechtsanwalt tatsächlich gezahlt worden ist. Die bloße Entstehung der Geschäftsgebühr genügt im Verfahren auf Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütungen nach § 55 RVG nicht.


    Tenor: I. Auf die Beschwerde der Klägervertreterin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg - Kammer Coburg - vom 29.12.2011 Az.: 4 Ca 509/10 abgeändert. II. Die der beigeordneten Rechtsanwältin aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung wird auf 909,51 € festgesetzt. Gründe: A. Die Parteien führten einen Rechtsstreit um Vergütungsansprüche. Das Arbeitsgericht hatte dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Verfahren und den Vergleichsabschluss bewilligt und ihm die Klägervertreterin beigeordnet. Monatsraten wurden nicht festgesetzt. Das Verfahren endete am 19.04.2011 durch Vergleichsabschluss. Mit Beschluss vom 19.04.2011 setzte das Arbeitsgericht den Streitwert für das Verfahren auf 2.159,85 €, für den Vergleich auf 2.659,85 € fest. Mit Prozesskostenhilfefestsetzungsantrag vom 27.04.2011 beantragte die Klägervertreterin die Festsetzung und Erstattung von Prozesskostenhilfegebühren i.H.v. 956,52 € incl. 19 % Mehrwertsteuer. Sie gab an, dass eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV-RVG angefallen sei, aber nur i.H.v. 0,65 gegenüber dem Mandanten geltend gemacht werde. Mit Beschluss vom 10.05.2011 setzte der Kostenbeamte die der Klägervertreterin aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 784,98 € incl. 19 % Mehrwertsteuer fest. Zum einen reduzierte der Kostenbeamte die von der Klägervertreterin beantragte Einigungsgebühr hinsichtlich des überschießenden Vergleichswertes. Dies ist jedoch nicht Gegenstand der Beschwerde. Zum anderen rechnete der Kostenbeamte auf die von der Klägervertreterin aus dem Verfahrensstreitwert von 2.159,85 € geltend gemachte 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG die von der Klägervertreterin angesetzte vorgerichtliche Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG i.H.v. 0,65 an. Dies ergebe sich aus der Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 zu Nr. 3100 VV-RVG. Bezüglich der Anrechnung der Geschäftsgebühr legte die Klägervertreterin gegen den Beschluss vom 10.05.2011 mit Schriftsatz vom 11.05.2011 Erinnerung ein. Sie beruft sich darauf, dass eine Anrechnung der vorgerichtlich angefallen Geschäftsgebühr nicht zu erfolgen habe, da diese weder geltend gemacht noch zugesprochen worden sei. Gegenüber dem Kläger werde lediglich eine 0,65 Geschäftsgebühr geltend gemacht, so dass die Verfahrensgebühr in voller Höhe aus der Staatskasse zu vergüten sei. Die Regelung des § 15 a RVG betreffe ausdrücklich auch Abrechnungen gegenüber der Staatskasse. Mit Beschluss vom 20.05.2011 half der Kostenbeamte der Erinnerung nicht ab und legte das Verfahren dem Kammervorsitzenden des Arbeitsgerichts zur weiteren Entscheidung vor. Der Kammervorsitzende wies die Erinnerung mit Beschluss vom 29.12.2011 zurück und ließ hinsichtlich der Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG auf die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Gegen diesen, der Klägervertreterin am 03.01.2012 zugestellten Beschluss legte diese mit Schriftsatz vom 12.01.2012, eingegangen beim Arbeitsgericht Bamberg am 16.12.2012, Beschwerde ein. Wegen der Beschwerdebegründung wird auf Bl. 55 d.A. verwiesen. Mit Beschluss vom 24.01.2012 half das Arbeitsgericht der Beschwerde der Klägervertreterin nicht ab und legte sie dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor. B. I. Die Beschwerde der Klägervertreterin ist zulässig. Sie ist statthaft, §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG. Sie konnte wegen der ausdrücklichen Zulassung durch das Erstgericht auch ohne Erreichung des Beschwerdewertes eingelegt werden, §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 2 RVG und wurde auch innerhalb der Frist von zwei Wochen, § 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt. II. Die Beschwerde ist begründet. Der beigeordneten Prozessbevollmächtigten des Klägers steht eine festzusetzende Vergütung i.H.v. insgesamt 909,51 € zu. Der Anspruch der Klägervertreterin auf Vergütung in Höhe einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr gemäß §§ 45 Abs. 1, 49 RVG, Nr. 3100 VV-RVG ist nicht durch Anrechnung der für die vorgerichtliche Vertretung entstandenen Geschäftsgebühr gemäß Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG i.H.v. 124,53 € incl. Mehrwertsteuer erloschen. 1. Die allgemeinen Vorschriften zur Anrechnung gelten auch für die Vergütung des Rechtsanwaltes, der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet ist (Brandenburgisches OLG vom 25.07.2011 - 6 W 55/10, Rdnr. 11 zitiert nach JURIS; OLG Zweibrücken vom 11.05.2010, 2 WF 33/10, Rdnr. 19 zitiert nach JURIS; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. Rdnr. 35 zu § 58 RVG m.w.N.). Damit gilt grundsätzlich auch Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG im Verhältnis zwischen der Staatskasse und den im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt ebenso wie der diese Anrechnungsbestimmung flankierende am 05.08.2009 in Kraft getretene § 15 a RVG (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt aaO., § 15 a Rdnr. 7). 2. Die vorgenommene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG scheitert daran, dass die Verfahrensgebühr nicht von vornherein gekürzt entsteht, sondern nur zu einer Begrenzung des Gebührenanspruchs des Rechtsanwalts im Innenverhältnis zu seinem Mandanten führt. Dies war zwar vor Inkrafttreten des § 15 a RVG umstritten, ist jedoch mit Einführung des § 15 a RVG geklärt. Denn nach § 15 a Abs. 1 RVG kann dann, wenn das Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Nach dieser Vorschrift bedeutet Anrechnung i. S. d. RVG gerade nicht das Erlöschen der einen oder anderen Gebühr in bestimmter Höhe, sondern lediglich eine Begrenzung nach oben innerhalb derer dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht zusteht. Dies gilt auch gegenüber der Staatskasse, da § 15 a Abs. 1 RVG auch für den Prozesskostenhilfeanwalt gegenüber der Staatskasse gilt (LAG Hamm vom 16.03.2010 6 Ta 866/09 Rdnr. 4 zitiert nach JURIS; Müller-Rabe aaO. § 15 a RVG Rdnr. 7; vgl. auch OLG Frankfurt vom 12.12.2011 - 18 W 214/11, das allerdings an der Kürzung der Verfahrensgebühr bereits mit Entstehung der Geschäftsgebühr festhält). Nach § 15 a Abs. 1 RVG kann der Rechtsanwalt daher trotz Anrechnung wählen, welche Gebühr er bei seinem Auftraggeber oder gegenüber der Staatskasse geltend macht. Er kann nur insgesamt nicht mehr fordern, als ihm unter Berücksichtigung der Anrechnung zusteht (LAG Hamm aaO.). Unter Berücksichtigung der Anrechnung steht der Klägervertreterin insgesamt an Verfahrens- und Geschäftsgebühr eine Gebühr von 1,95 zu (1,3 Geschäftsgebühr als Regelfall + 1,3 Verfahrensgebühr ./. 0,65 Anrechnung). Mit der Geltendmachung der 1,3 Verfahrensgebühr gegenüber der Staatskasse und der 0,65 Geschäftsgebühr gegenüber dem Mandanten wird diese Grenze nicht überschritten. Soweit sich der Kostenbeamte und wohl auch der Erstrichter auf die Entscheidung des LAG Hessen vom 10.05.2010 - 13 Ta 177/10, bestätigt durch Beschluss vom 08.11.2010 - 13 Ta 374/10 beruft, so ist darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidungen Fälle vor Inkrafttreten des § 15 a RVG und den Änderungen in § 55 RVG ergingen und die Anwendung dieser neuen Vorschriften für Altfälle ausdrücklich abgelehnt hat. 3. Nach den Angaben der Klägervertreterin im Antrag vom 27.04.2011 hat sie Vorschüsse und sonstige Zahlungen (§ 58 RVG) nicht erhalten, also auch keine Geschäftsgebühr. Auch hieran scheitert im vorliegenden Fall die Anrechnung. Anzurechnen ist die Geschäftsgebühr gemäß Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG, 15 a RVG auf die Verfahrensgebühr gemäß §§ 45 Abs. 1, 49 RVG, Nr. 3100 VV-RVG nämlich nur, soweit die Geschäftsgebühr an den beigeordneten Rechtsanwalt tatsächlich gezahlt worden ist. Die bloße Entstehung der Geschäftsgebühr genügt im Verfahren auf Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütungen nach § 55 RVG nicht (LAG Hamm aaO.; Brandenburgisches OLG aaO. Rdnr. 14; OLG Zweibrücken aaO. Rdnr. 23; Müller-Rabe aaO. Rdnr. 36 zu § 58; Schneider in: Schneider/Wolf, RVG 5. Aufl. Rdnr. 25 zu § 15 a; Enders, JurBüro 2009, 398 und 2010, 3,59). Dies ist nunmehr durch § 55 Abs. 5 S. 2 bis 4 RVG klargestellt. Der Antrag des beigeordneten Rechtsanwalts auf Vergütung aus der Staatskasse hat gemäß § 55 Abs. 5 S. 2 RVG nur die Erklärung zu enthalten, ob und welche Zahlungen der Rechtsanwalt erhalten hat. Spätere Zahlungseingänge muss der Rechtsanwalt unverzüglich anzeigen. Er muss jedoch nicht angeben, ob er auch vorgerichtlich tätig war. § 55 Abs. 5 S. 2 bis 4 RVG gilt auch für die Geschäftsgebühr (Brandenburgisches OLG aaO. Rdnr. 14; Müller-Rabe aaO., § 58 RVG Rdnr. 38). Diese Vorschrift wurde im Zusammenhang mit der Neuregelung von § 15 a RVG modifiziert und ist am 05.08.2009 in Kraft getreten. Mit § 15 a RVG sollte nach dem Willen des Gesetzgebers eine als unbefriedigend befundene Rechtsprechung verschiedener Senate des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr korrigiert werden (Müller-Rabe aaO. § 15 a RVG Rdnr. 1). Aus der Gesetzesbegründung zur Modifizierung des § 55 Abs. 5 S. 2 RVG ergibt sich, dass der Urkundsbeamte in die Lage versetzt werden soll, die Anrechnungen vorzunehmen. Das betrifft auch den in der Praxis am häufigsten vorkommenden Fall der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr. Sieht § 55 Abs. 5 S. 2 bis 4 RVG jedoch auch hinsichtlich der Geschäftsgebühr nur eine Anzeige von Zahlungen vor, so bringt das Gesetz dadurch zum Ausdruck, dass für Anrechnungen nur bezahlte Gebühren bedeutsam sind. Wäre es anders, müsste der Urkundsbeamte zu einer vollständigen Anrechnung schon angefallene Gebühren generell kennen und müssten deshalb solche Angaben vom beigeordneten Anwalt verlangt werden (Brandenburgisches OLG aaO. Rdnr. 14; Müller- Rabe, aaO. § 58 Rdnr. 38 und 39). 4. Zu der im Übrigen sachlich- und rechnerisch richtigen Kostenfestsetzung im Beschluss vom 10.05.2011 war daher ein Betrag von 124,53 € incl. Mehrwertsteuer hinzuzusetzen, so dass insgesamt eine 1,3 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV-RVG neben den anderen zu Recht festgesetzten Gebühren und Auslagen festzusetzen war. Insgesamt ergibt sich daher eine aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung i.H.v. 909,51 €. C. I. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden ergeben, § 78 S. 3 ArbGG. II. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, vgl. §§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.

    RechtsgebieteRVG, VV-RVG Teil 3 Vorbem.VorschriftenRVG § 15a RVG § 55 VV-RVG Teil 3 Vorbem. Abs. 4